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46. Willkommen in der Familie

Schweigen. So tief und vollkommen, dass Zander die kleinen Härchen in seinen Ohren spüren konnte, die angespannt auf ein erlösendes Geräusch warteten. Sogar die Ziervögel in der Voliere waren verstummt. Sein Blick wanderte zu Iris, die sich die bunte Webdecke bis zur Nase gezogen hatte, als wollte sie gern vollkommen darin verschwinden. Erneut überkam ihn das schlechte Gewissen. In gewisser Weise hatte er ja damit gerechnet, dass Iris' erster Mord mit einer brutalen Geschichte verbunden sein würde, doch die Narben auf ihrem Rücken zeigten deutlich, dass er die Situation unterschätzt hatte. Durch seine ständigen Fragen musste er die Erinnerungen an das grauenhafte Ereignis immer wieder aufs Neue aufgewühlt haben. Wahrscheinlich war es Iris vorgekommen, als hätte er sie absichtlich gequält. Und vielleicht hatte er das auch. Es war ihm jedenfalls wichtiger gewesen, die Wahrheit über sie zu erfahren, als ihre Gefühle zu respektieren. Natürlich nur, um die Familie Forelli vor bösen Überraschungen zu bewahren. Doch damit musste jetzt Schluss sein. Iris war keine Gefahr, die er von den Forellis fernhalten musste, eher jemand, der selbst Schutz benötigte.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Anchois. Der Klang ihrer Stimme schmerzte in Zanders Ohren. »Wie können diese...« Sie verzog angewidert das Gesicht. »... Ungeheuer die Novomagica sein

Cyan nickte, als hätte er diese Frage schon erwartet. »Weil die Novomagica eigentlich gar nicht existiert«, erklärte er. »Alle magischen Kräfte, alle Zauber und Verwandlungen sind das Werk dieser Kreaturen.« Er erhob sich aus seinem Sessel. Anscheinend konnte er nicht länger stillsitzen. »Ich weiß, es klingt verrückt, aber die ganze Novomagica ist eigentlich nicht mehr als eine Anleitung zur Anrufung verschiedener Kreaturen und zugleich eine Sammlung von Techniken, die benutzt werden können, um sie zur Kooperation zu überreden.«

»Überreden?«, hakte Zander nach. »Heißt das, ihr Magier verhandelt mit diesen Geschöpfen?«

Cyan trat hinter seinen Sessel, fasste die Lehne mit beiden Händen und stützte sich schwer darauf. »So ist es.« Er spähte zur Fensterfront hinaus. »Diese Wesen lassen sich ihre Dienstleistungen teuer bezahlen.«

»Und womit?«, wollte Zander wissen. Es fiel ihm schwer, Cyan zu glauben, aber er wollte sich zumindest vorerst darauf einlassen.

Cyan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Alles mögliche. Manche wollen nur, dass man auf die Knie geht und sie anbetet. Andere verlangen Gold und Diamanten.« Er lächelte schief. »Es gibt einen Grund dafür, warum die Preise der Magier-Gilde so extrem hoch sind. Einen Grund jenseits von Dan de Potas' Raffgier.«

Zander bemerkte ein Zucken in Cyans Mundwinkel, als wollte sich ein störrischer Muskel seinen Anweisungen widersetzen. Bevor er jedoch darauf eingehen konnte, meldete sich Iris zu Wort.

»Bedeutet das auch, dass du die Sprache dieser Geschöpfe sprichst?« Nachdem die Worte heraus waren, zog sie sich die Decke schnell wieder bis zur Nase.

»Diese Geschöpfe sehen vielleicht nicht so aus, aber sie sprechen alle Sprachen Materras«, antwortete Cyan. »Ich denke inzwischen, dass es sich bei ihnen tatsächlich um göttliche Kreaturen handeln könnte.«

Tuna trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die hölzerne Armlehne des Sofas. Das Thema war ihr offensichtlich nicht geheuer. Sie bevorzugte gute altmodische Faust- und Fechtkämpfe, ganz ohne göttlichen Hokuspokus.

»Dann gibt es gar keinen Widerspruch zwischen alter und neuer Magie?«, murmelte Salmon, während er noch immer fasziniert in die Futusfera blickte, wo die Myrkuren ihre hässlichen Fratzen gegen die innere Wand der Kristallkugel drückten, um Iris und jede ihrer Bewegungen zu belauern.

»So würde ich das nicht formulieren«, entgegnete Cyan. »Allerdings bin ich der Ansicht, dass Vadim Blattnie nur das gemeint haben kann, als er die Kreaturen benannte. Die Myrkuren waren für ihn Geschöpfe der Totenwelt und damit Diener der Göttin Eydna. Das wiederum macht sie in gewisser Weise zu einem Teil der alten Magie.«

Tuna gab einen höhnischen Laut von sich. »Im Moment sieht es aber eher so aus, als würden sie sich auf die einzige Person im Raum, die etwas mit dem alten Volk zu tun hat, stürzen wollen.«

Alle Augenpaare blickten zwischen den geifernden Kreaturen in der Futusfera und Iris hin und her.

»Dieses Monster hat gesagt, es könnte mein altes Blut sehen«, sagte Iris leise. »Und Gwydion Dan de Potas hat ebenfalls gesagt, dass diese Geschöpfe mich sehen könnten.«

»Vermutlich meinte er, dass sie Sie als das erkennen, was Sie sind«, vermutete Cyan. »Sie sehen, welche Kräfte in Ihnen schlummern und das macht ihnen Angst.«

Iris hob den Kopf. »Kräfte...?«, hauchte sie. Ihre Unterlippe zitterte. »Was für Kräfte? In mir schlummert gar nichts!«

»Die Myrkuren scheinen anderer Meinung zu sein«, widersprach Salmon.

»Das ist alles... Humbug«, zischte Iris und schwang die Beine vom Sofa. An ihren nackten Fußsohlen klebte noch immer etwas Sand von ihrem Ausflug in die Dünen. »Diese Novomagica ist also nur ein billiger Trick? Und ihr Magier seid nichts als Unterhändler und Betrüger? Das soll ich glauben? Nur zu gerne! Aber das bedeutet nicht, dass ich irgendetwas damit zu tun habe oder dass diese widerlichen Kreaturen wüssten, was in mir schlummert. Das alte Blut, das durch die Adern meiner Familie fließt, hat seine ganze Bedeutung eingebüßt. Und ich werde mich von keiner anderen Meinung überzeugen lassen, weder von Ihnen, Herr Forelli, noch von Ihren...« Sie zog sich die Decke enger um die schmalen Schultern und warf den Myrkuren einen vernichtenden Blick zu. »...Haustieren!« Wütend stieß sie sich ab, stand auf und marschierte durch den Wintergarten davon.

»Das war absolut unziemlich«, presste Anchois hervor, wobei sie erst Cyan und dann Salmon ins Auge fasste. »Das arme Mädchen derart in die Ecke zu drängen.«

»Geben wir ihr einen Moment, um sich wieder zu sammeln«, schlug Zander vor, auch wenn er ihr gerne sofort nachgelaufen wäre. Andererseits bezweifelte er, dass er ihr viel Trost spenden konnte - in Anbetracht der Schmerzen, die er ihr in den vergangenen Tagen mit seinen impertinenten Fragen bereitet haben musste.

Cyan senkte beschämt den Blick. »Es war nicht meine Absicht, Fräulein Dan de Lion in irgendeiner Weise zu bedrängen. Allerdings vermute ich, dass allein Neugier der Grund für ihr nächtliches Erlebnis war. Meiner Meinung nach hatte sie nicht wirklich etwas zu befürchten.«

»Moment mal«, wandte Tuna ein. »Mir geht das gerade zu schnell.« Sie zwirbelte eine Haarsträhne um ihren Finger. Bei manchen Frauen war diese Geste ein Zeichen von Verträumtheit, bei Tuna war sie mehr so etwas wie eine unterschwellige Drohung. »Du hast gesagt, ihr würdet die Myrkuren anrufen...?«

»Ja. Wir beschwören sie«, erklärte Cyan. »Mit einer Mischung aus Gebeten und alchemistischen Ritualen. Der Kodex beinhaltet zahllose, sehr detaillierte Anleitungen für die Beschwörung unterschiedlicher Geschöpfe mit ganz verschiedenen Fähigkeiten. Es ist wichtig, dass man diese Anleitungen auf das Genaueste befolgt, denn schon kleine Abweichungen vom Wortlaut können verheerende Folgen haben.«

»Und dann?«, fragte Tuna scharf. »Was passiert dann?«

Cyan zuckte mit den Schultern. »Wir bitten die Kreaturen um Beistand, um eine Gabe, eine Fähigkeit oder einen Zauber. Natürlich für eine entsprechende Gegenleistung.« Seufzend fügte er hinzu: »Alle magischen Kräfte, die ich beherrsche, wurden mir von einem Myrkuren verliehen. Auch mein Magier-Stab, der Kompass und der Kopierstaub, den ich dir gegeben habe, Zander, sind von diesen Kreaturen mit einem Zauber versehen worden. Meine so genannten Ahnungen waren nichts als Visionen, die Sheitani mir geschickt hat.« Er breitete hilflos die Arme aus. »Alles, was die Magier-Gilde hervorbringt, ist das Werk der Myrkuren.«

»Dann war es auch eines dieser Geschöpfe, das Ihren Vater in seinen aktuellen Zustand versetzt hat?«, bemerkte Zander und konnte nicht verhindern, dass seinen Worten eine gewisse Bitterkeit anzuhören war.

Cyans Adamsapfel wanderte auf und ab. »Ja«, sagte er heiser und suchte den Blick seiner Schwester, die ihn jedoch nicht erwiderte. »Das ist sicher wahr.« Er räusperte sich. »Aber das spielt keine Rolle. Irgendjemand hat die Novomagica, das heißt, die Mykuren, dazu benutzt, unseren Vater zu attackieren. Diese Erkenntnis ändert nichts an dem, was geschehen ist.«

»Oh doch«, meinte Zander nachdenklich. Es fiel ihm noch immer schwer, sich auf dieses Gedankenexperiment einzulassen, aber falls Cyan die Wahrheit über die Novomagica sagte, dann gab es noch eine Frage, die geklärt werden musste. »Was ist mit der Kreatur, die Sie angegriffen hat, Cyan? War das die gleiche Kreatur, die auch Iris attackiert hat?«

»Ich nehme es an«, antwortete Cyan steif. »Sie sind optisch nicht leicht zu unterscheiden.«

»Solltet Ihr Magier diese Myrkuren nach der Beschwörung nicht wieder dahin zurückschicken, wo sie hergekommen sind?«, brummte Tuna. »Ich meine, es ist doch nicht normal, dass dieses Monster da draußen rumfliegt.« Sie ließ von ihrer Haarsträhne ab und setzte sich ruckartig aufrecht hin. »Oder wollen Sie mir etwa weismachen, dass da draußen noch mehr von dieser Sorte herumflattern? Wie zum Beispiel der Geist von Ryba

»Nein«, sagte Cyan beschwichtigend.»Vermutlich nicht.« Er verzog das Gesicht. »Das heißt... schwer zu sagen. Für gewöhnlich schicken wir sie natürlich wieder zurück in Myrkurs Reich, aber anscheinend hat irgendjemand diesen Teil, den wir die Heimsendung nennen, vergessen.«

»Oder es war Absicht«, murmelte Zander, wobei er Cyan nicht aus den Augen ließ. Er konnte es sich nicht erklären, aber er wusste unumstößlich, dass der junge Mann ihnen noch nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. 

Cyan hob den Blick und sah ihm fest in die Augen. »Oder das.«

Iris hatte sich ins Freie geflüchtet, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Was Cyan soeben angedeutet hatte, war einfach unglaublich - um nicht zu sagen: absolut lachhaft. Das alte Blut in den Adern ihrer Familie war vollkommen verwässert und besaß kaum noch irgendeine Kraft. Das galt für Iris ebenso wie für ihre Brüder. Früher hatte ihre Großmutter manchmal erzählt, dass sie noch irgendwelche entfernte Verwandten in den Wodlanden besäßen, die über magische Fähigkeiten verfügten, doch das war in Iris' Augen ein bloßer Mythos. Und selbst wenn, was hatte das mit ihr zu tun?

Es musste einen anderen Grund für das Verhalten der Myrkuren geben. Irgendetwas, das nichts mit ihr zu tun hatte. Vielleicht hatte sie der Tod von Gwydion Dan de Potas in Aufruhr versetzt. Oder irgendein Ereignis, von dem niemand auf dieser Seite des Schleiers, der die Reiche der Lebenden und der Toten voneinander trennte, etwas wusste. Ganz egal. Hauptsache, diese Ungeheuer ließen sie in Zukunft in Frieden. Doch natürlich wusste Iris tief in ihrem Innern, dass es nicht so einfach werden würde.

Erschöpft ließ sie sich am Seeufer nieder und betrachtete die Spiegelung der Schönwetterwolken auf der glatten Wasseroberfläche. Ein paar Insekten bewegten sich scheinbar ziellos von Seerosenblüte zu Seerosenblüte. Mit einem lauten Surren kündigte sich eine farbenfrohe Libelle an. Für einige Sekunden tanzte sie um Iris herum, dann zog sie weiter, auf ihren unberechenbaren Bahnen, die wohl nur in ihrer Welt einen Sinn ergaben. Ein Insekt sein, wäre schön, dachte Iris und hielt sich den schmerzenden Kopf. Vielleicht nicht unbedingt eine Seidenspinner-Raupe, aber...

»Fräulein Dan de Lion?« Die helle Frauenstimme ließ Iris erschrocken zusammenfahren. Sie wandte den Kopf und entdeckte Fräulein Enzia, die mit ihrem Stuhl unter dem Säulenvorbau der Eingangstür wartete. Weiter gelangte sie anscheinend nicht. »Hätten Sie einen Moment für mich?«, fragte Enzia, wie immer mit ausgesuchter Höflichkeit.

»Ja, sicher«, antwortete Iris und rappelte sich auf. »Wie kann ich Ihnen denn helfen?«

Enzia deutete auf die drei breiten Stufen, die Vorbau und Kiesweg miteinander verbanden. »Ich würde Ihnen gern Gesellschaft leisten, aber diese Unannehmlichkeit steht mir im Weg.« Sie dachte kurz nach und korrigierte sich: »Oder nein, vielmehr ist es der Weg selbst, der mir im Weg steht.«

Iris musste unwillkürlich schmunzeln. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Sie trat hinter Enzia und fasste die Griffe an den Seiten der Rückenlehne, so wie sie es bei Tuna schon einmal beobachtet hatte. Auf diese Weise stabilisierte sie den Stuhl, während er über die Kante der ersten Stufe glitt, sodass Enzia nicht vornüberkippen und sich womöglich schwer verletzen konnte. Das Gefährt war erstaunlich leicht, jedenfalls viel leichter, als Iris beim Anblick der vielen Metallteile gedacht hatte.

»Fühlen Sie sich wieder besser?«, fragte Enzia, als sie wenig später am Seeufer standen und auf das Wasser hinausblickten. Ihr hellrotes Haar schimmerte im Sonnenlicht wie flüssiges Kupfer.

»Es geht mir gut«, erwiderte Iris.

Enzia schwieg eine Weile. Ihre Haut war so blass, dass man meinen konnte, sie hätte seit Ewigkeiten keine Sonne mehr gesehen. »Tuna hat mir alles erzählt, was in den letzten Tagen geschehen ist«, sagte sie schließlich. »Was Sie geleistet haben und was Ihnen zugestoßen ist.«

»Ach, halb so wild«, wehrte Iris ab und zog die Webdecke zurecht, damit sie die Bisswunde an ihrem Schlüsselbein verhüllte.

»Im Namen meiner Familie möchte ich mich dafür entschuldigen, dass Sie in diese Angelegenheit hineingezogen wurden«, fuhr Enzia fort. »Und falls irgendetwas davon Zanders, Tunas oder Salmons Schuld sein sollte, dann möchte ich mich auch in ihren Namen entschuldigen.«

»Es ist wirklich nicht weiter schlimm«, log Iris und konnte es sich nicht verkneifen, Enzias nutzlosen Beinen, die unter einem minzgrünen Sommerkleid verborgen waren, einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Als ihr bewusst wurde, dass ihre Neugier der jungen Frau nicht verborgen geblieben war, sagte sie: »Sie sind wirklich unglaublich stark.«

Enzia lächelte dünn. »Es gehört nicht viel Stärke dazu, einfach weiterzuatmen.« Sie senkte die zarten Lider. »Das Aufstehen morgens ist am Schlimmsten. Sobald das geschafft ist, weiß ich mich zu beschäftigen. Allerdings...« Ihre Stimme wurde schwächer. »Manchmal träume ich, alles um mich herum würde sich sehr schnell bewegen. Vorwärts. Immer vorwärts. Und ich bleibe ganz alleine zurück.«

In dieser Hinsicht erging es Iris meist genau andersherum. In ihren Träumen wurde sie stets gejagt. Doch ganz egal, welches Wesen im Reich ihrer ungezügelten Fantasie hinter ihr her war, am Ende war es immer der rothaarige Wilde, der sie einholte.

»Ich verstehe jede Menge von Mathematik und Logik, aber nicht viel von Göttern und Magie«, sagte Enzia mit gesenkter Stimme. »Das ist schon immer eine Vorliebe meines Bruders gewesen. Bereits als Kind hat er sich mehr für Mythen und Legenden interessiert als für die Jagd oder das Duellieren, so wie die anderen Jungen seines Alters.« Sie streckte die Hand aus und berührte vorsichtig Iris' Arm, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Ich weiß nicht, ob die Götter für jeden von uns einen Plan haben, denn wenn das so wäre, würde es bedeuten, dass sie mich an diesen Stuhl gefesselt sehen wollten, und das ist ein Gedanke, der mir nicht gefällt. Aber ich kann mir vorstellen, dass Sie nicht völlig grundlos nach Myr Ryba gekommen sind, Fräulein Dan de Lion.«

Unwillkürlich wurde Iris von einem Frösteln überkommen. Als Kind des alten Volks glaubte sie natürlich fest daran, dass die Göttin ihre Schritte leitete oder zumindest wohlwollend überwachte. Vielleicht hatte Enzia recht. Vielleicht war es der Wille der Götter, dass sie zu den Forellis gekommen war. Doch wenn ja, wozu? Was wollten sie von ihr?

»Fräulein Forelli? Iris?« 

Zander trat aus dem Eingangsportal ins Freie hinaus. An seiner Seite befand sich eine ältere Dame, so grau und klapprig, dass es wirkte, als wäre sie nur noch ein Bündel Gebeine, das von ein wenig dünner Haut zusammengehalten wurde. Ihr graues Haar war zu einer mächtigen Frisur aufgetürmt, aus der verschiedene Haarnadeln und Haarteile herauslugten, die alles in Form zu halten versuchten. Sie trug ein zerknittertes, violettes Kleid mit einer goldenen Brosche in Form eines springenden Fischs.

»Enzia, mein Kind«, krächzte die Fremde und streckte die freie Hand nach Enzia aus. Mit der anderen Hand klammerte sie sich an Zanders Arm. »Enzia, komm her. Du musst für mich mit dem Rattenfänger reden. Wir haben schon wieder Ungeziefer auf dem Speicher. Letzte Nacht konnte ich deswegen kaum schlafen. Er soll sie mit seiner Büchse abknallen.«

»Großmutter, Salmon ist doch kein Rattenfänger. Und das letzte Nacht waren keine Ratten«, erwiderte Enzia, während sie ihren fahrbaren Untersatz wendete und langsam über den Kiesweg zum Eingangsportal zurückkehrte. Einmal sah es so aus, als würden die Räder des rollenden Stuhls im grobkörnigen Untergrund steckenbleiben, doch dann stießen die Rohre in der Rückenlehne ein angestrengtes Schnaufen und ein wenig weißen Dampf aus und trieben das seltsame Gefährt vorwärts.

Zander half Enzia über die Stufen und wartete bis die beiden Frauen im Innern des Anwesens verschwunden waren, dann wandte er sich an Iris: »Ich habe alle Angestellten, die wir nicht unbedingt benötigen, um das Leben im Anwesen aufrechtzuerhalten, nach Hause geschickt.« Er trat zwischen den Säulen hervor und blinzelte in das helle Sonnenlicht. »Niemand soll ohne Not in Gefahr geraten.«

Iris schüttelte ihr Unwohlsein ab und kam ihm entgegen. »Wegen der Attentäter oder der Myrkuren?«

»Beides«, antwortete Zander, während er seinen Weg langsam fortsetzte. »Es kommen gefährliche Zeiten auf uns zu, Iris.« Sein Tonfall war ungewöhnlich ernst. Dennoch verspürte Iris beim Anblick seiner vertrauten Gestalt ein Gefühl von Erleichterung. Wie ein Kind, das sich in einem dunklen Wald verlaufen hatte und plötzlich einen bekannt aussehenden Baum entdeckte. Dieser Baum war nicht weniger unheimlich als der Rest des Waldes und vermutlich kam er dem Kind nur deshalb bekannt vor, weil es sich rettungslos verirrt hatte und im Kreis gelaufen war. Trotzdem fühlte es sich für einen Augenblick verdammt gut an.

Auf halbem Weg zwischen See und Anwesen trafen Iris und Zander aufeinander. Die Sonne brannte auf sie herab. Kein Lüftchen regte sich. In der Ferne vermengten sich Meeresrauschen und die Schreie hungriger Möwen zum typischen Rybaler Orchester. 

»Noch kannst du gehen, Iris«, sagte Zander. »Ich bin mir sicher, sie würden dich nicht verfolgen. Du könntest zu deiner Familie nach Trandafir zurückkehren oder zu deinen adeligen Freundinnen nach Myr Paluda.«

Obwohl Iris den Unterhändler erst seit knapp einer Woche kannte und noch immer nicht genau wusste, was sie von ihm halten sollte, spürte sie doch, dass sie ihm vertrauen konnte. Wobei... Vertrauen ist vielleicht das falsche Wort, dachte sie. Vertrauen konnte man einem Verbrecher wohl nie wirklich. Aber sie fühlte, dass sie sich auf ihn verlassen konnte, so wie sich die Forellis auf ihn verließen. Nicht weil er ein aufrichtiger Mensch war, sondern weil seine Motive klar auf der Hand lagen. Und das war vermutlich mehr, als Iris über die meisten anderen Menschen in ihrem Leben sagen konnte. »Ich werde nicht gehen, Zander«, antwortete sie. »Nicht bevor ich weiß, was passiert ist und warum ich hier bin.« Sie suchte seinen Blick und fand ihn leuchtend blau und etwas misstrauisch. »Ich glaube nicht, was Cyan über das alte Blut in meinen Adern gesagt hat, aber ich muss wissen, was diese Kreatur und Dan de Potas gemeint haben.«

Ein Schatten wanderte über Zanders Miene. Er wandte den Blick ab, zog die Brauen zusammen und presste die Lippen aufeinander.

»Was ist?«, fragte Iris beunruhigt.

»Nun«, antwortete Zander, sichtlich widerwillig. »Das, was Cyan über das alte Blut in deinen Adern gesagt hat, war meiner Meinung nach so ziemlich das einzig vollkommen Wahre, das aus seinem Mund gekommen ist.«

Als Iris merkte, wie ernst es ihm damit war, fühlte sie das Entsetzen in sich anschwellen. »Er hat gelogen?«

Zander nickte. »Ja. Und das mehr als einmal.« Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Wir müssen die Wahrheit herausfinden, Iris. Ansonsten fürchte ich, könnte mehr auf dem Spiel stehen als Rogners Leben oder das Abkommen mit den Wodlanden.«

»Das werden wir«, hauchte Iris, auch wenn ihr bei dieser Aussicht schwindelig wurde. 

Wie immer war Zander zur Stelle, um ihr seinen Arm anzubieten. Inzwischen hatte die höfliche Geste schon beinahe etwas Intimes. Der Gedanke war Iris angenehm und unangenehm zugleich. 

»Ich komme schon zurecht«, meinte sie und wehrte seinen Arm ab. Nach einem tiefen Atemzug erklärte sie: »Wenn Cyan gelogen hat, muss es einen Grund dafür geben. Aber ihn damit zu konfrontieren, wird wohl nichts bringen.«

»Nein«, meinte Zander und ließ den Arm wieder sinken. »Diese Sache bleibt vorerst zwischen uns.« Statt des Arms reichte er ihr jetzt die Hand, als wollte er einen Pakt mit ihr schließen.

Iris zögerte nur kurz, dann ergriff sie seine Hand, nicht auf damenhafte Weise, sondern wie ein Geschäftspartner. Trotzdem entging ihr nicht, wie rau sich seine Haut aufgrund der vielen Narben und Kratzer anfühlte, die er sich während seiner Zeit als Straßenjunge zugezogen haben musste. Am Mittelfinger seiner linken Hand trug er einen schmalen Ring mit einem kleinen grünen Edelstein, dessen Bedeutung sie sich nicht erklären konnte. Sie fragte jedoch nicht danach, denn bei der Berührung ihrer Hände erwachte ein angenehmes Flattern in ihrer Brust, der Vorbote eines Gefühls, das Iris derzeit wirklich ungelegen kam.

Zander verzog die Lippen zu einem Lächeln, das gleichermaßen von Zuversicht und Sorge erfüllt war, und erklärte feierlich: »Willkommen in der Familie, Fräulein Dan de Lion.«

[Ende Teil 1. Weiter in Teil 2.]

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