Tiefe Trauer
Reiner
Seit dem letzten Samstag hatte ich ein anderes Gefühl, wenn es um die therapeutischen Sitzungen ging. Vorher hatte ich stets ein beklommenes Gefühl gehabt, aber Stella war wohl die richtige Therapeutin, die anderen Therapeuten waren immer sehr kalt gewesen. Obwohl man dazu sagen musste, dass ich selbst nicht der Mensch war der zu großen Gefühlsausbrüche neigte, ich war meist ein zurückgezogener Mensch. Dennoch hatte ich mich immer gewundert, wie solche Menschen Therapeuten werden konnten, es war so als würden meine Worten gar nicht erst in ihren Ohren ankommen. Ich kam nun im Büro an und Stella hatte wieder ihr Kostüm an, dazu hatte sie ihre Haare streng nach hinten zu einem Zopf gebunden. Ich musste sagen das sie mit offenen Haaren besser aussah, obwohl ich mir diesen Gedanken nicht erlauben durfte ließ ich es dennoch zu. Als ich mich hinsaß, sah ich deutlich ihre Augenringe, die sie mit Schminke versucht hatte zu überdecken. Ich wollte schon fragen was los sei, aber ich besann mich eines besseren, denn ich dachte sie würde mir eh nur was anderes sagen.
Sie begrüßte mich mit einem Lächeln, aber ihre Augen verrieten ihre Müdigkeit und sie hatte versucht ihre Augenringe mit Schminke zu verbergen. Ich war schon drauf und dran gewesen sie zu fragen was los sei, aber ich besann mich eines Besseren denn insgeheim wusste ich, dass sie mir nicht die Wahrheit sagen würde. Nachdem wir uns hingesetzt haben fragte sie mich schon etwas. „Und wie verlief der Sonntag und der Montag bei dir?“ „Es gab Montags einen kleinen Zwischenfall, weil meine Mutter anfing eine Dokumentation über den zweiten Weltkrieg zu gucken, aber ich habe deinen Rat beherzigt.“ Dabei deutete ich auf das Armband und erzählte ihr das es relativ gut funktioniert hatte. „Ich werde weniger wach in der Nacht, zwar immer noch oft, aber nicht mehr so oft wie am Anfang.“ „Wir machen zwar kleine Schritte zur Besserung, aber Hauptsache wir erreichen etwas. Nun, heute werden wir das Thema haben wie die Zeit war, nachdem du zurückkamst und wie andere darauf reagiert haben.“ Sofort kam mir Levis Gesicht vor Augen und seine Worte.
„Jeder war in tiefe Trauer, viele kamen zu mir und haben auch mir ihr Beileid ausgesprochen, was ich aber nicht verstand, denn das sollte man bei den jeweiligen Familien aussprechen. Es hat sich so falsch angefühlt. Selbst wenn es keiner ausgesprochen hatte, verstanden viele nicht wieso grad ich überlebt habe, so auch mein Anführer Levi Ackermann. Er konnte mich seit Anfang an nicht leiden, aber als sein bester Freund, Erwin Smith, gestorben ist vertiefte sich dieses Gefühl. Ich konnte dieses Gefühl ein Stückweit nachvollziehen, denn ich verstand es selbst nicht wieso nicht mein bester Freunde, Berdholdt, überlebt hat. Diese Trauer war und ist immer noch grausam, denn ich saß genau neben ihm und er war mehr als nur Freund für mich gewesen. Er war für mich wie ein Bruder. Levi hatte es nicht verheimlicht was er eigentlich über mich dachte, Hanji wollte mir in Bezug auf Levi gut zu reden, aber ich wusste das alles Ernst gemeint war was er gesagt hatte. Mal abgesehen von meinen psychischen Problemen, war es ein Grund mehr zu gehen. Ich versank immer mehr in dieser Trauer und ich weiß das Berdholdt nie zurück kommen wird. Er ist tot und ich muss anfangen damit zu leben. Ich wollte von Anfang an nicht bemitleidet werden, ich wollte nicht immer die selben Sachen hören, ich wollte einfach nur fliehen. Der Umstand das ich wieder in dem Haus meiner Mutter lebe macht es nicht unbedingt besser, es erinnert mich daran woran ich gescheitert bin.“
„Woran bist du gescheitert? Daran das du keine Ehre für deine Familie gebracht hast?“ Stellas Augen suchten meine und ich brauchte paar Sekunden um zu antworten. „Ja. Meine Mutter spricht es zwar nicht aus, aber ihre Augen sagen alles aus. Wie kann man das von seinem Kind verlangen? Dies frage ich mich immer wieder, aber dennoch kann ich mich nicht davon lösen. Ich liebe meine Mutter, aber ich weiß auch, es ist egal was ich tue, es ist nicht gut genug.“ „Reiner, egal was deine Mutter, Levi Ackermann oder jemand anderes sagt. Du hast es verdient zu leben, du hast deinen Mut bewiesen und es ist gut das du langsam erkennst, dass niemand zurück kommen wird. Man wird immer traurig sein, aber man wird lernen damit umgehen zu können.“ In mir meldete sich eine gewisses Gefühl was mir sagte, dass sie ganz genau wusste von was sie sprach. „Eigentlich geht es hier um mich, aber irgendwas sagt mir das du dieses Gefühl kennst.“ Es war eigentlich eine Grenze die man nicht überschreiten sollte, aber es mir egal.
Sie wich mir mit ihren Augen aus aber irgendwann sah sie mich wieder an. „Eigentlich ist das ein Gespräch was wirklich hier nicht statt finden sollte, aber ja ich kenne dieses Gefühl, deswegen weiß ich wie ich dir helfen kann. Ich verlor meine ältere Schwester vor drei Jahren.“ Ihr Tonfall verriet, dass sie eigentlich mehr darüber sprechen wollte, aber sie stoppte sich selbst. „Versuch es weiter mit dem Armband, komm weiter hier her und versuche immer weitere Schritte um wieder mehr machen zu können. Dein ehemaliger Anführer hatte es scheinbar auch noch nicht überwunden, es ist ein Schmerz der nicht einfach ist. Klar ist sein Verhalten und sein Gesagte schrecklich, aber du sagtest selbst, du verstehst teilweise sein Verhalten. Das Verhältnis zwischen dir und deiner Mutter wird sicherlich wieder besser, wenn du wieder in der Lage bist allein zu wohnen.“
Im Laufe der restlichen Zeit redeten wir noch weiter über das Verhältnis von meiner Familie und mir. Und so erzählte ich ihr noch das ich mich nach der Sitzung mit meiner Cousine in Saarbrücken treffen werde. Es war eine ganze Weile her, dass ich alleine etwas mit ihr gemacht habe. Sie war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, ohne sie hätte es anders geendet. Während ich da saß und so erzählte merkte ich wie einfach es mittlerweile war darüber zu reden. Dennoch fühlte ich mich des Öfteren wie in einer Blase, außen waren alle negative Gedanken und wenn man nur mit einem Zahnstocher die Blase zum platzen brachte, flutete alles negative wieder rein. Wie viel Zeit musste vergehen bis ich keine Blase mehr bräuchte?
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