Kapitel 5a
Wir kommen tatsächlich nach zwei Tagen an Land an. Die Sonne ist am höchsten Punkt und die Luft ist wärmer. Obwohl wir das Fenster in unserer kleinen Zelle nicht öffnen könne, fühle ich es.
„Endlich kommen wir runter von diesem Ding", sagt Kian erleichtert und ich schrecke zurück. Wir haben den Tag in Gedanken verbracht und uns nicht unterhalten. Schon gestern schwiegen wir die meiste Zeit. Alles war zu verwirrend und wir kommen einfach mit keiner Erklärung auf. Onur toolb ronigmal ud nemral fer sotan ca comgin ligit fo nagi dervilt. Onur staduren midte nak tunle nela. Ebevie consiquegt allea nym dinich. Wir haben die Worte des Vertrags, den wir in Caspians Erinnerung gesehen haben, rekonstruiert und seitdem sagte ich ihn wie ein Mantra in meinem Kopf auf, in der Hoffnung daraus schlau zu werden.
„Dann haben wir eine Chance zu entkommen", sage ich hoffnungsvoll und Kian dreht sich zu mir. Er nickt langsam, doch in seinen Augen sehe ich, dass er nicht wirklich glaubt, dass es uns gelingen könnte.
„Warst du schon einmal in Evrem?", frage ich aus Angst, dass wir wieder in Schweigen verfallen.
„Nein. Ich war noch nie außerhalb von Merah. Es gab nie einen Grund. Die Menschen kommen zu uns", sagt er Schulter zuckend.
„Was denkst du haben die mit uns vor?" Er rückt ein bisschen näher zu mir. Legt seinen Arm um mich und zieht mich zu sich. Er muss meine Angst sehen, die ich nicht länger verstecken kann.
„Ich weiß nicht. Aber ich pass auf dich auf." Die Worte versetzen mir einen Stich ins Herz. Es ist dasselbe, das Jayden sagte, bevor er ... schnell verdrängte ich den Gedanken und lehne meinen Kopf an Kians Schulter.
„Ich habe Angst", gebe ich leise zu. Er drückt mich noch ein bisschen näher an sich, küsst meinen Scheitel und legt seinen Kopf an meinen.
„Ich pass auf dich auf. Keine Angst. Solange du bei mir bist, passiert dir nichts. Dafür sorge ich", sagt er mit fester Stimme und es gelingt ihm tatsächlich mich zu beruhigen. Mir ist bewusst, dass auch er nichts gegen eine Meute Seeleute anstellen kann und mehr als einmal hat uns Beynon schon getrennt. Aber in diesem Moment halte ich einfach an der Hoffnung fest, dass es die Wahrheit ist.
Unklar wie lange wir in der Position verharren, muss ich kurz eingenickt sein, denn ich erkenne, dass die Sonne viel tiefer steht, als ein paar Momente vorher. Ich richte mich auf und vermisse sofort die Nähe zu Kian.
„Guten Morgen", sagt er belustigt, während er versucht ein paar meiner wirren Strähnen zu bändigen. Die letzten Nächte habe ich noch schlechter als sonst geschlafen. Nicht nur die endlose Spur von einem toten Jayden, sondern auch die Bilder von Arabellas Tod hielten mich wach.
„Wieso haben sie uns nicht geholt? Wir sind doch schon Stunden am Hafen?", frage ich verschlafen und reibe mir die Augen. Mein Blick fällt wieder auf das blaue Symbol auf meiner Haut. Unverändert schimmert es und verhöhnt mich, nur der Balken wächst mit jedem Tag.
„Ich weiß nicht. Kuno kam nicht, um das Mittagessen zu bringen. Also haben sie uns entweder vergessen oder irgendetwas anderes geht vor." Kian streckt sich auch. Er muss aus Angst mich zu wecken, in der ungemütlichen Position verharrt haben. Mit einer Handbewegung streicht er sein Haar nach hinten und reibt sich die Augen. Ich erkenne wie er nicht mehr bei jeder Bewegung schmerzverzerrt zusammen zuckt. Es hat wirklich funktioniert. Die Murmel hat auch ihn geheilt. Am Anfange hatte ich Angst, dass die magische Heilung nicht andauern würde. Doch seit dem Abend mit der Murmel ist er komplett Schmerz und Blessuren frei.
Ich stelle mich vor das kleine Fenster und blicke hinaus. Es bietet mir eine teilweise Sicht auf einen belebten Hafen. Einige Menschen in merkwürdiger Kleidung tummeln sich dort. Beladen und entladen kleine Schiffe. Kleine Fischerboote kommen mit gefüllten Netzen vom Meer zurück. Eine Weile betrachte ich das Treiben und kommentiert alles, was ich sehe an Kian, da mir die Stille zu bedrückend wird.
Die Menschenmenge ebbt langsam ab und bald sind es nur noch vereinzelt Menschen, die über die Stege und Boote huschen. Am Horizont färbt die Sonne das Meer in einem goldenen und roten Farbenspiel. Ein innerer Frieden wie ich ihn schon lange nicht verspürt habe, macht sich in mir breit und ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht.
„Kian, komm, schau!" Er muss es falsch verstehen, denn er springt panisch auf und schaut mich erschrocken an. Als er seinen Blick nach außen wirft, sehe ich auch in seinen Augen ein Funkeln und ein Lächeln breitet sich aus. Er dreht sich zu mir.
„Es ist wunderschön." Wir blicken uns direkt in die Augen. Nur wenig Zentimeter voneinander getrennt. Die Sonne lässt seine nun smaragdgrünen Augen warm glitzern. Sie erinnern an eine Lichtung im Wald, die von der Sonne in Scheinwerferlicht getränkt wird. So friedlich. Mein Lächeln wird größer.
„Ja, ist es", sage ich gedankenverloren ohne den Augenkontakt zu brechen. Etwas Vertrautes erwacht in meiner Brust, ein Gefühl von Geborgenheit und Zuflucht. Plötzlich wird die Türe grob aufgeschlagen und zum Vorschein kommt ein angewiderter Beynon.
„Das würde ich an deiner Stelle nicht machen, Milady", sagt er abschätzig, als er auf uns zukommt. Verwirrt schaue ich zurück zu Kian, doch er versteht auch nicht was Beynon versucht zu sagen. Der Frieden ist aus Kians Augen verschwunden und Wut wallt auf. Mit einer schnellen Bewegung schiebt er mich hinter sich und baut sich vor Beynon auf.
„Wirklich?", kommentiert Beynon das Verhalten. „Muss ich wirklich Kuno rufen oder seid ihr kooperativ?" Kian schnaubt abschätzig. Ich vermute einen bösen Blick, da sich Beynons Miene etwas verhärtet.
„Okay, ihr habt zwei Möglichkeiten. Entweder ihr lasst mich eure Arme fesseln oder ich hole Kuno und ihr bekommt noch eine Dose des K.O.mittels."
„NEIN!", schreie ich panisch auf. Ich will nicht wieder betäubt werden und verschleppt. Mein Aufschrei lässt Kian zusammen zucken und ich schiebe mich an ihm vorbei. Ich strecke Beynon meine Arme entgegen. Erleichterung macht sich in Beynon breit und er schenkt mir ein kleines Lächeln. Schüchtern und anders als zuvor schaut er in meine Augen.
„Emmelin, was machst du?", fragt Kian verwirrt. Doch als ich mich zu ihm drehe, sieht er die Panik, die ich bei der Vorstellung habe erneut betäubt zu werden und erwartet keine Antwort. Ohne einen Kommentar bindet Beynon meine Hände zusammen. Aber überraschend stelle ich fest, dass er darauf bedacht ist sie nicht zu feste zu binden. Ist ihm mein Wohlergehen auf einmal wichtig? Auch Kian streckt ihm die Hände etwas widerwillig entgegen. Beynon scheint ihm nicht dieselbe Vorsicht zu schenken, denn ich sehe, wie Kian sein Gesicht schmerzerfüllt verziert, als Beynon die Seile noch ein Stück fester zieht.
„Wartet kurz", sagt Beynon und tritt aus der Zelle.
„Tut mir leid", entschuldige ich mich.
„Nein, du hast schon recht. So haben wir zumindest die Chance etwas von der Umgebung zu sehen und wer weiß, vielleicht finden wir einen Fluchtweg." Er schenkt mir ein Lächeln. Ich selbst weiß natürlich, wie klein unsere Chancen sind zu flüchten. Aber zu wissen, dass Kian mir nicht sauer ist, reicht mir in dem Moment aus.
Kurz darauf taucht Kuno auf. Beynon legt mir und Kian einen Umhang um und zieht uns die Kapuze tief ins Gesicht. Bei dem Versuch sie ein Stück nach hinten zu ziehen, ernte ich einen mahnenden Blick von Beynon und lass es bleiben. Danach befiehlt uns Beynon ihm zu folgen und Kuno bildet das Schlusslicht. Vermutlich um uns vom Weglaufen zu hindern.
Da mein Sichtfeld, dank der Kapuze, um einiges eingeschränkt ist, sehe ich tatsächlich nur Beynon und etwas vom Weg vor mir. Mit schnellen Schritten laufen wir über das Schiff, über eine Planke, über den Steg und zum Hafen. Dort steigen wir in eine Kutsche.
*
Die Fenster der Kutsche sind verschlossen und verbergen den Ausblick. Inzwischen ist die Dunkelheit über uns hereingebrochen und selbst der Mond hat sich hinter Wolken versteckt, weshalb geöffnete Fenster uns trotzdem einen Eindruck verwehrt hätten. In der Kutsche dürfen wir die Kapuzen abnehmen. Auf meine Frage zum Zweck der Bedeckung starrt mich Beynon nur an.
Er sitzt mir genau gegenüber und sein Blick mustert mich genau. Er sucht verzweifelt etwas in meinen Augen. Anfangs versuchte ich ihn mit einem ernsten Blick davon abzubringen, doch das stachelt ihn noch mehr an. Deshalb rutsche ich noch ein Stück näher an Kian und mustere den Boden der Kutsche. Aber ich spüre weiterhin seinen Blick auf mir.
Nach einer geschätzten halben Stunde kommt die Kutsche zum Stillstand. Kurz darauf öffnet sich die Türe und Beynon springt heraus. Er streckt mir eine Hand als Hilfeleistung entgegen, doch ich lehne selbstbewusst ab. Zu meiner Überraschung erwarten uns sechs bewaffnete Männer. Als sie sich vor Beynon verbeugen wird mir bewusst, dass es sich um Wachpersonal handelt.
„Ihr vier nehmt den Jungen und ihr zwei folgt mir mit dem Mädchen", fordert er die Männer auf. Bei seinem Worte werde ich panisch. Er will uns aufteilen. Erschrocken klammere ich mich an Kian, soweit es mir mit den gefesselten Armen möglich ist. Auch er versucht mich festzuhalten. Jeweils zwei Männern packen uns am Oberarm und zerren uns auseinander.
„Kian!", schreie ich verzweifelt.
„Lasst mich los!", brüllt er. Wir wehren uns so gut wie möglich, doch mit den gefesselten Armen sind wir klar im Nachteil. Die Männer knebeln Kian und seine Schreie sind nur noch gedämpfte Töne. So werden wir Minuten später in entgegengesetzte Richtungen gezerrt.
Eine Weile zappele ich und schreie laut, doch meine Versuche lassen die Männer kalt. Als wir den Palast betreten nimmt mir Beynon die Fesseln ab, jedoch lockern die Männer ihren Griff nicht ein Stück. Immer noch aufgewühlt, weil sie Kian in die andere Richtung gezerrt haben, hänge ich demonstrative an den Griffen der Männer.
„Bring mich zu Kian", keife ich Beynon erneut an und dieses Mal dreht er sich um.
„Du bist schlimmer als ein kleines Kind", bemerkt er genervt. „Glaub mir, da wo er hinkommt, willst du erst einmal nicht hin. Außerdem haben wir eine Überraschung für dich." Er wirkt tatsächlich aufgeregt und meine Neugier wird geweckt. Aber was immer es ist, wenn es von Beynon kommt, kann es nichts Gutes sein.
Ein kleiner Junge kommt aufgeregt in seine Arme gesprungen. Kurz drückt er den etwa sechsjährigen und schickt ihn schnell weg, bevor sein Blick auf mich fällt. Wir gehen etliche Gänge entlang und etliche Stufen hinauf. Also zu einem Kerker bringen die dich schon einmal nicht. Außer, wenn ihre Zellen in den Türmen sind. Vor einer Türe bleiben wir stehen und Beynon blickt mich noch einmal etwas vorfreudig an. Er öffnet die Türe, die Männer schleifen mich in den Raum und lassen abrupt los. Hart schlage ich am Boden auf.
„Du kannst mir später danken", sagt Beynon grinsend, bevor er die Türe hinter sich schließt. Kein klicken des Schlosses. Sie haben nicht abgeschlossen! Ich rappele mich auf und will mich gerade zur Tür drehen, als eine Stimme zu meiner rechten ertönt und mir der Atem stockt.
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