Kapitel 22c
Nach weiteren fünf Tagen stelle ich erleichtert fest, dass auch der letzte Wachmann seinen Posten verlassen hat. Inzwischen kam ein Schneider vorbei und nimmt meine Maße. Minerva ist hibbeliger als sonst und plappert ständig über verschiedene Frisuren. Die meiste Zeit, wenn es um die Hochzeit geht, versinke ich in Gedanken, um den Worten nicht lauschen zu müssen.
Meine Mutter ist zuerst überrascht, als sie von den Hochzeitsplänen hört. Offensichtlich wurde ihr bis zum heutigen Tag nichts gesagt. Nach dem ersten Schock übernimmt Erleichterung. Meine Wut steigt, denn es ist mehr als offensichtlich, dass ich diese Hochzeit nicht will. Doch nicht mit einer Silbe legte sie Protest ein. Selbst Leander steht Wut ins Gesicht geschrieben bei der Erwähnung der Hochzeit. Selbst ihm sieht man den stillen Protest an. Doch meine Mutter, sie scheint es gutzuheißen, was die Kluft zwischen uns weiter aufreißt.
Leander hat Kian und mich gerade zurück auf das Zimmer gebracht, als die Uhr Mitternacht zeigt. Den ganzen Abend während ich die Sterne betrachtete kreisten meine Gedanken, um den Verrat meiner Mutter. Erst nach einer Stunde legten die Sterne ihren Zauber auf mich und ein innerer Frieden machte sich breit. Freudig stelle ich fest, dass immer noch kein Wachmann vor unserer Türe steht und ein Glücksgefühl macht sich in mir breit.
„Kian, ich gehe zu Alistair", sage ich schnell und eile zur Türe. Ich öffne sie einen Spalt, aber im nächsten Moment drückt Kian sie wieder zu.
„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Wenn du erwischt wirst ..."
„Das werde ich nicht", unterbreche ich und versuche ihn zu beruhigen. Verwirrt weshalb es ihm auf einmal etwas ausmacht, verschränke ich meine Arme vor der Brust und starre ihn fragend entgegen. „Was ist los?", will ich streng wissen.
„Ich denke einfach, dass es zu riskant ist. So kurz vor der Flucht."
„Flucht? Dir ist bewusst, dass der wichtigste Bestandteil unseres Planes ein großes Fragezeichen ist. Wir kommen von dieser Insel nicht runter. Wer weiß, vielleicht kann Alistair helfen", sage ich, um ihn davon zu überzeugen, mich gehen zu lassen.
Die letzten zehn Tage haben wir bestimmt hundert Möglichkeiten durchdacht von hier nach Merah zu gelangen. Doch ohne Geld, einem Boot oder Kontakte ist es unmöglich. Wir könnten versuchen uns im Landesinneren zu verstecken. Irgendwie an Geld kommen, um uns eine Überfahrt zu leisten oder mit Merah in Kontakt treten. Das würde entweder Jahre dauern oder wir würden schon die ersten Tage erwischt werden. Außerdem traue ich Willy kein Leben auf der Straße zu und ob meine Mutter damit einverstanden wäre ist unklar. Bis jetzt habe ich noch nichts von dem Fluchtplan erzählt. Nicht nur aufgrund mangelnder Privatsphäre, aber auch, weil ich das Gefühl habe, sie könnte es nicht gutheißen. Auch die Angst, dass sie mich zum Bleiben überreden würde. Ich werde sie nicht zurücklassen, selbst wenn ich sie zwingen muss.
„Also gut", sagt Kian, nachdem er über meine Worte nachgedacht hat. Ich öffne gerade die Türe, als er sie erneut zudrückt. „Eine Bedingung", sagt er streng. „Ich komme mit." Seine Worte lassen keine Widerrede gelten, aber ich versuche es trotzdem.
„Das geht nicht Kian. Das ist zu riskant", versuche ich zu argumentieren. Doch bekomme nur einen vielsagenden Blick und verstehe sofort, worauf er andeutet. „Ich meine, wenn wir zu zweit über den Gang schleichen", erkälte ich schnell.
„Entweder wir beide gehen oder wir bleiben beide hier." Für einen Augenblick vermisse ich, den in sich gekehrten Kian. Doch als mir bewusst wird, was ich da gerade denke, verwerfe ich es schnell wieder. Ich habe lieber den normalen Kian, anstatt den traumatisierten.
„Also gut", sage ich resigniert.
Mein Herz rast schneller als sonst und meine eigenen Schritte hallen lauter als die anderen Tage. Auch erfüllt mich eine Angst, die ich die anderen Male nicht gespürt habe. Angst um Kian. Immer wieder drehe ich mich panisch zu ihm, um sicherzugehen, dass er noch hinter mir ist. Im Gegensatz zu mir kennt er sich hier nicht aus. Schneller als sonst renne ich beinah zu Alistairs Zimmer und bete, dass uns niemand über den Weg läuft. Wir schaffen es tatsächlich ohne Vorfall bis zu dem Zimmer, des alten Mannes. Leise klopfe ich an und atme auf, als er mich hereinbittet.
„Oh, Emmelin. Ich dachte schon, du hast mich vergessen", sagt der alte Mann glücklich. Schnell kommt auch Kian ins Zimmer und ich verschließe die Türe hinter uns. Als Alistairs Blick auf Kian trifft, wirkt er kurz erschrocken. Seine Augenbrauen huschen in die Höhe und für einen Augenblick habe ich das Gefühl, dass er Kian erkennt.
„Wie ich sehe, hast du deinen Bruder mitgebracht. Hallo, ich bin Alistair", sagt der alte Mann fröhlich und deutet an uns zu setzen. Kurz geht mein Blick verwirrt zu Kian, der mich auch etwas ratlos anblickt. Dann drehe ich mich wieder zu dem alten Mann.
„Nein, Alistair. Ki... Er ist nicht mein Bruder. Das ist der Freund, von dem ich erzählt habe. Der, dessen Zeichnung ich dir gezeigt habe", erkläre ich schnell, um den Fehler, der ihm unterlaufen ist, zu korrigieren. Ich lasse mich ihm gegenüber im Schneidersitz auf das Bett nieder. Kian tut es mir gleich, wenn auch zögerlich.
„Ach so, tut mir leid. Du hattest mir von deinem Bruder erzählt und da dachte ich, dass es sich um diesen jungen Burschen handelt. Wie heißt du, mein Junge?" Ich habe zuvor absichtlich gestoppt, als ich ihm beinah den Namen sagte, weil ich mir nicht sicher bin, ob der alte Mann nicht wüsste, dass es sich um den Prinzen von Merah handelt. Ich sehe Kian an, dass er dieselben Bedenken hat und nach einer Lösung sucht. Kurz tritt eine unangenehme Stille auf.
„Jayden", sagt Kian schnell. Bei der Erwähnung jagt mir ein Schmerz durchs Herz und ich ziehe hastig die Luft ein. Erschrocken schaue ich zu Kian, der mir mitleidig entgegenblickt und um Verzeihung bittet. Ich spüre wie sich Tränen ihren Weg an die Oberfläche kämpfen und schließe kurz meine Lider, um sie zu unterdrücken. Kurz sehe ich Jaydens himmelblaue Augen vor mir, wie sie mir glücklich entgegen blicken. Bevor sich das Bild ändern kann, öffne ich meine Augen wieder und atme tief durch.
„Gespaltener König", höher ich die tiefe, sanfte Stimme von Alistair, welche mein Herz langsam beruhigt.
„Was?", höher ich Kian erschrocken fragen. Ich nehme einen Atemzug und setze wieder ein Lächeln auf.
„Alistair sammelt Namen und ihre Bedeutungen. Ich nehme an, deiner bedeutet, gespaltener König", erkläre ich und schaue fragend zu Alistair. Überrascht wie genau die Bedeutung zu ihm passt, obwohl er nicht seinen Name genannt hat, gehen meine Augenbrauen kurz nach oben.
„Genau mein Kind." Er schaut zu Kian mit einem Blick, den ich nicht ganz deuten kann. Vielleicht etwas misstrauen, gemischt mit Verwirrung. Ob er weiß, dass er lügt?
„Kennst du die Bedeutung von allen Namen?", fragt Kian fasziniert und ich sehe die gleiche Bewunderung, die ich damals hatte.
„Oh, nein mein Junge. Nicht alle, doch viele. Ich vermag zu sagen, alle in diesem Palast." Alistair lockert sich etwas und die Bewunderung, die Kian ihm schenkt, lässt ihn etwas von dem Misstrauen ablegen.
„Was bedeutet, Leander?", will Kian wissen und ich schaue ihn mahnend an. Wie kommt er auf die Idee nach der Bedeutung von Leanders Namen zu fragen? Was denkt er sich nur? Kian blickt mir spitzbübisch entgegen, doch das Lächeln weicht, als Alistair ihm mahnend entgegnet.
„Du meinst Prinz Leander", sagt Alistair etwas neckisch und ich sehe, wie Kian sich anspannt. Doch Alistair lacht auf. Er hat wohl gesehen, dass Kian mich neckt und ist mir zur Hilfe gekommen. Ich mag den alten Mann.
„Leander, bedeutet Mann des Volkes. Wenn du mich fragst, trifft das nicht ganz auf den jungen Mann zu. Oberflächlich wahrlich ein Herz zu groß um König zu sein. Aber etwas an ihm hat mich schon immer etwas rätseln lassen", erklärt Alistair ruhig. Verwirrt blickt Kian zu mir. Nachdem die beiden sich eine Weile über das Zeichnen und Malen unterhalten haben, ist die anfängliche Anspannung abgefallen. Ich lausche den beiden, wie sie sich fachmännisch über das Handwerk unterhalten und freue mich über die Begeisterung in Kians Stimme. Es gibt keinen Zweifel mehr darüber, dass ich Kian zurück habe.
„Ich muss sagen, deine Augen sind wirklich interessant, mein Junge", bemerkt der alte Mann nach einiger Zeit. Ich muss kurz schmunzeln. Dasselbe hatte er auch zu mir gesagt. Ein weiteres Interesse muss das menschliche Auge sein, belächelt mein Verstand, den alten Mann. Kian ist überfordert mit dem Kompliment und schaut verloren zu mir.
„Alistair... Also eigentlich hat es einen Grund, weshalb wir heute hier sind", nehme ich mir den Mut zusammen. Ich kann immer noch nicht mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sagen, dass der alte Mann nichts ahnt oder uns nicht verraten wird. Aber ich habe das Gefühl, dass ich ihm vertrauen kann.
„Sprich schon, mein Kind", fordert mich der alte Mann mit einem breiten Grinsen auf. Kurz blicke ich noch einmal zu Kian, dem auch die Sorge im Gesicht steht.
„Also... Sagen wir jemand möchte von Evrem... Also... Das Land verlassen und nach... Sagen wir mal... Nach Merah reisen... Hat aber weder Geld noch ein Boot. Wüsstest du wie man das schaffen könnte?", druckse ich etwas herum. Kurz schaut mich der alte Mann skeptisch an. Ich sehe Trauer und Besorgnis aufblitzen, gefolgt von etwas beruhigendem.
„Hypothetisch?", fragt mich der Mann mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Natürlich", sage ich schnell, erkenne jedoch, dass er meinem Wort nicht glaubt. Ein Lächeln legt sich wieder auf seinen Lippen.
„Also wenn es hypothetisch Bürgern von Evrem erlaubt wäre nach Merah zu reisen - Was es natürlich nicht ist - Wäre es ganz schön schwierig ohne Schmiergeld oder einem Schiff. Die kleinen Fischerboote schaffen denn langen Weg nach Merah nicht. Auch ist die See zu stürmisch für die kleinen Dinger. Nur große Schiffe kommen über den Ozean. Handelsschiffe oder das des Königs. Hypothetisch könnte man mit einer schönen Summe bestimmt auf einem der Handelsschiffe unterkommen. Oder bei den Piraten. Hypothetisch. Doch ohne Geld sehe ich leider keinen Weg. Und das Schiff des Königshauses. Na ja da musst du wohl einer der Prinzen oder der König sein. Also ich kann dir da leider nicht helfe, mein Kind", sagt der alte Mann traurig und ich bin froh, dass er nicht nach dem Grund fragt.
Traurig schaue ich zu Kian und auch er ist enttäuscht. Alistair bemerkt die traurige Stimmung und ich sehe ihm an, dass er versuchen will uns zu erheitern. Doch seine nächsten Worte trüben die Stimmung noch mehr.
„Oh, ich habe heute früh erfahren, dass es in acht Tagen eine Hochzeit zu feiern gibt. Zwar machen alle ein Geheimnis um das glückliche Paar, aber das wird sicher ein fröhliches Treiben. Ich hoffe ich sehe auch dich Emmelin dort. Vielleicht erhalte ich einen Tanz. Ich habe dich auf der Tanzfläche schweben sehen", sagt er fröhlich mit einem stolzen Unterton. Unter anderen Umständen wäre sein Kompliment durchaus willkommen, doch erneut erhalte ich an diesem Tag einen Stich durchs Herz. Nur noch eine Woche bleibt uns, um den Palast zu verlassen. Eine Woche in der wir irgendwie einen Weg finden müssen. Eine Woche, die viel zu schnell näher kommt. Ich spüre wie sich wieder Tränen an die Oberfläche kämpfen wollen.
„Ist alles in Ordnung, mein Kind?", fragt Alistair besorgt, als er mein Unwohlsein bemerkt. Schnell lege ich ein Lächeln auf. Versuche sie, Trauer und Angst aus meinem Gesicht zu verbannen und im Moment zu leben.
„Ja, es war ein langer Tag. Tut mir leid." Kurz schaue ich auf die Uhr und bin überrascht, dass sie fast drei Uhr zeigt. Die Zeit mit dem alten Mann fliegt jedes Mal. Leider verlasse ich heute sein Zimmer nicht mit demselben Frieden wie sonst.
Langsamer als beim Hinweg schleichen wir zurück aufs Zimmer. Um nicht für Aufsehen zu sorgen, kann ich spüren wie sich Kian seine Worte unterdrückt, doch sobald ich die Türe hinter uns schließe, sprudelt es aus ihm heraus.
„Es tut mir leid, Emmelin. Als der alte Mann nach meinem Namen gefragt hat, wusste ich nicht, ob es eine gute Idee ist meinen richtigen zu nehmen. Sein Name war das einzige, was mir so schnell eingefallen ist. Es tut mir so leid." Ich versuche ihm entgegen zulächeln. Ich weiß, dass er es nicht absichtlich getan hat und tatsächlich ist das nicht der Grund meiner getrübten Stimmung.
„Ist schon in Ordnung. Ich denke es war besser so", sage ich traurig immer noch bei dem Problem mit dem Schiff und der Hochzeit, die immer näherzukommen scheint. Muss ich wirklich heiraten? Werden wir es nicht schaffen?
„Wir finden einen Weg", höre ich Kians sanfte Stimme, als habe er meine Gedanken gelesen. Doch in diesem Moment, gelingt es nicht einmal ihm, meine Stimmung zu heben.
„Wie denn? Es sind nur noch acht Tage bis zur Hochzeit und anscheinend gibt es keinen Weg von dieser Insel", sage ich verzweifelt und lasse mich aufs Bett. Ich lege meine Arme beruhigend um mich, um das aufsteigende Zittern zu unterbinden. Wieder kämpfen sich Tränen an die Oberfläche, dieses Mal kämpfe ich nicht gegen sie an.
„Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf." Mit diesen Worten gelingt es Kian wieder etwas Kampfgeist in mich zu hauchen. Seine Worte sind so stark und sprühen von Selbstsicherheit über, dass ich nicht anders kann, als ihm zu glauben.
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