Kapitel 17b
„Maisie, beruhig dich. Ich kann das erklären." Endlich fängt sie sich wieder und ihr Blick wird härter als ich es gewohnt bin. Sie verschränkt die Arme vor der Brust und starrt mir entgegen.
„Das solltest du lieber, wenn du nicht möchtest, dass ich Beynon oder Leander von deinem Besuch berichtet." Sie hört sich fast enttäuscht an. Ich bin erleichtert, dass sie die Situation falsch versteht oder Kian zumindest nicht erkannt hat.
„Okay mach ich. Warte kurz hier, damit ich mich umziehen kann und dann erklär ich es dir. Okay?" Sie nickt und schaut mir misstrauisch entgegen. Schnell verschwinde ich wieder in dem Raum und eile zum Kleiderschrank. Umgezogen und mit rasenden Gedanken trete ich aus dem Badezimmer. Kian erwartet mich bereits und schaut mir immer noch mit dem überraschten Gesichtsausdruck entgegen.
„Es ist kompliziert. Ich erkläre es dir später", sage ich schnell und verschwinde wieder aus dem Raum. Maisie steht an der gegenüberliegenden Wand gelehnt. Immer noch mit demselben misstrauischen Gesichtsausdruck. Auch Tal steht wieder neben der Türe. Wo warst du als ich dich gebraucht habe? Schimpfe ich in Gedanken mit dem Wachmann. Seine Anwesenheit scheint Maisie nicht zu verwirren. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt mir.
„Okay, ich bin bereit", sage ich schüchtern, weil Maisie wie versteinert auf mich starrt. Kurz schnaubt sie und beginnt den Gang entlangzugehen. Alles Vertrauen ist mit einem Schlag verschwunden. Leise folge ich ihr in einen Raum, mit einem Kamin und zwei großen roten Sofas davor. Zwar ist es nicht wirklich kalt, aber die Wärme des Feuers und das Knistern heiße ich trotzdem willkommen. Wir lassen uns auf das Sofa gegenüber voneinander fallen. Ich spüre ihren Blick immer noch auf mir, aber meiner gilt den lodernden Flammen. Eine Weile herrscht eine unangenehme Stille. Nur das leise Knacken des Feuers ist zu hören.
„Also?", fragt Maisie argwöhnisch. Ich nehme einen tiefen Atemzug und richte meine Augen zu ihr.
„Es ist nicht wie du denkst", sage ich erneut.
„Ach nicht? Ich mag in deinen Augen vielleicht ein Kind sein, aber mir ist durchaus bewusst was ein junger Mann und ein Mädchen ... machen ... die ganze Nacht." Erst jetzt fällt mir ein was ich ihr beim Frühstück berichtet habe. Für sie muss das ganze tatsächlich sehr offensichtlich sein. Aber wieso ist sie so sauer? Ist es wirklich ihrer Brüder willen?
„Ich sagte doch, es ist nicht wie du denkst. Ich habe nicht mit Ki...", beinah sage ich seinen Namen, stoppe mich gerade noch im letzten Moment. „Ich habe nicht mit dem jungen Mann geschlafen, Maisie." Ich erkenne an dem Zucken ihrer Augenbraue, dass sie erkennt, dass ich die Wahrheit sage.
„Was macht er am frühen Morgen in deinem Bett?", fragt sie mehr verwirrt als misstrauisch. Mir fällt einfach keine gute Erklärung ein. Die Wahrheit darf ich ihr nicht sagen, doch alles andere würde keinen Sinn ergeben.
„Es ist kompliziert, Maisie", versuche ich mein Glück, doch ohne Erfolg.
„Versuch es oder ich Bericht Beynon davon, sobald er zurückkommt", sagt sie herausfordern. Als sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen schleicht, wirkt sie noch verwirrter.
„Maisie, glaub mir, Beynon weiß über ihn Bescheid", sage ich mit einer gewissen Erleichterung. Nun ist es Maisie, die ihren Blick an die Flammen wendet und in Gedanken versinkt. Ich hoffe, ich habe nicht schon zu viel gesagt. Etwa eine halbe Stunde verharren wir schweigend, als mir die Situation zu unangenehm wird.
„Maisie, können wir das nicht einfach vergessen und den Mädelstag beginnen?", schlage ich hoffnungsvoll vor. Ich kann tatsächlich etwas Abwechslung gebrauchen. Wie sehr wünsche ich mir das Rosalee und Kalea hier wären. Kurz zuckt sie zusammen. Sie muss tief in Gedanken gewesen sein.
„Ich weiß, dass es Dinge gibt, die mir meine Brüder nicht sagen", beginnt sie, ihren Blick immer noch in die Flammen gerichtet. „Ich weiß, sie haben Geheimnisse vor mir. Sie denken sie schützen mich. Aber sie bauen dadurch eine Mauer zwischen uns. Sie wissen es nicht. Ihre Entscheidung beraubt mich meiner eigenen. Es sollte meine Entscheidung sein, ob sie mir Dinge zutrauen." Ihre weisen Worte überraschen mich und auch der Schmerz in ihrer Stimme. Beinah dieselben Worte habe ich vor zwei Tagen zu Alistair gesagt.
„Manchmal brauchen wir Menschen, die uns lieben, um solche Entscheidungen für uns zu treffen. Sie scheinen für uns nicht erkenntlich, aber dienen zu unserem Schutz", versuche ich die ungefähren Worte von Alistair wiederzugeben. Ich meine die Worte ehrlich. Denn in ihrer Situation sind sie wahr. Sie schützen sie vor der Grausamkeit ihres Vaters und ihrer Brüder. Sie würde sie nie wieder so sehen, wie jetzt. Maisie denkt über meine Worte nach.
„Mein Bruder, hat dich gebeten mir nichts zu sagen, nicht wahr?" Ich muss schlucken. Ich weiß nicht wie sie es macht, aber diese Auffassungsgabe könnte ich auch gebrauchen. Unfähig ihre Frage zu beantworten, nicke ich leicht. Sie atmet einmal tief durch und ihre Miene locker sich etwas. Der Hauch eines Lächelns legt sich auf ihre Lippen und ich atme tief durch.
„Also gut", sagt sie und erhebt sich vom Sofa. „Dann bist es nicht du, auf die ich sauer sein sollte. Ich werde nichts verraten. Ich sage meinen Brüdern nichts. Aber von jetzt an sind wir ehrlich. Wenn es etwas gibt, das du nicht sagen darfst, dann sag es direkt. Okay?", sagt sie und streckt mir ihre Hand entgegen.
„Ausgemacht", sage ich und sehe wie die fröhlichen Gesichtszüge wieder langsam ihr Gesicht übernehmen.
Was auch immer ich mir unter einem Mädchentag vorgestellt habe kommt nicht dem gleich, was ich erlebe. Nachdem wir das Zimmer mit dem Kamin verlassen, schnappt sich Maisie Pfeil und Bogen und wir gehen in den hinteren Garten, wo sie mir eine Weile die Grundkenntnisse des Bogenschießens beibringt. Danach geht es eine hohe Kletterwand hinauf, gefolgt von einem kleinen Hindernislauf. All die Parcours und Anlagen sind im hinteren Garten des Palastes aufgebaut, weshalb ich sie bis heute noch nicht gesehen habe.
Ich kämpfe mich gerade unter einem Netz durch den Matsch, als ich Maisie Motivation-rufe höre. Am Ende lasse ich mich auf den Rücken rollen und bewege mich nicht mehr. Selbst im ausgeschlafenen Zustand wäre das eine Tortur gewesen.
„Komm schon Ems, du hast es fast geschafft", höre ich ihre fröhliche Stimme. Bei der Erwähnung des Spitznamens zucke ich zusammen. Nur Charlotte hat mich je so genannt und sofort verspüre ich wieder Heimweh. Ich unterdrücke die Tränen, um nicht von Maisie ausgequetscht zu werden.
„Maisie, ich kann nicht mehr", entgegne ich dem Mädchen, die über mir steht.
„Du musst nur noch über die Holzmauer, dann hast du es geschafft", versucht sie mich zu motivieren. Als ich keine Anstalten mache mich aufzurappeln, zerrt sie an meinem Arm.
„Komm schon. Sogar der kleine Willy stellt sich besser an als du", beschwert sie sich.
„Willy ist hier auch schon durch?", frage ich schockiert. Ich kann mir den Kleinen kaum vorstellen, wie er das meistern könnte. Auf der anderen Seite hat er ganz schön viel Energie.
„Mit Hilfe, aber ja. Sogar schon hunderte Male. Das ist wie ein Spielplatz für ihn. Wann immer meine Brüder trainieren, will auch er mitmachen. Das ist echt süß. Das musst du echt sehen", erzählt sie belustigt.
„Also ist das alles hier eigentlich für deine Brüder gedacht?", frage ich um mich noch etwas auszuruhen.
„Aber hallo. Wenn mein Vater wüsste, dass ich hier bin, würde er in die Luft gehen. So etwas gehört sich nicht für eine Dame", äfft sie die Worte ihres Vaters nach. Jetzt verstehe ich, weshalb sie all diese wilden Aktivitäten heute tut. Wie ihr das alles Spaß machen kann, verstehe ich trotzdem nicht. Mühevoll rappele ich mich auf und klettere noch über die letzte Mauer und durchs Ziel.
„Also unter einem Mädchentag habe ich mir etwas anderes vorgestellt. Vielleicht etwas ruhiger", gebe ich erschöpft zu.
„Keine Sorge, da kommen wir noch zu", verkündet sie fröhlich.
Und tatsächlich, als Nächstes zerrt sie mich in einen Teil des Palastes, den ich bis jetzt nicht kenne. Eine Art Erholungsoase. Sie reicht mir einen flauschigen weißen Bademantel und fordert mich auf, mir die Matsche getränkte Kleidung auszuziehen. Wenige Minuten später stehe ich in dem Bademantel vor einer riesigen Dusche.
„Der Bademantel war eigentlich für nach der Dusche gedacht", sagt Maisie, die splitternackt neben mir steht. Mir fällt eine große Narbe an ihrer rechten Leiste auf, die sich bis zu ihrem Bauch zieht. Bevor ich sie danach fragen kann, plappert sie schon weiter. „Ich hol dir einen neuen sauberen", sagt sie kichernd und verschwindet. Einige Minuten später reicht sie mir einen frischen Bademantel.
Der Wasserstrahl wäscht jede meiner Poren sauber und ich spüre wie der ganze Matsch von mir geschleudert wird. Die Seife duftet himmlisch nach Rosen und entführt mich für einen Augenblick in den Garten von Merah und in die Arme von Jayden.
„Wenn du das schon gut findest, dann warte mal ab", höre ich Maisie sagen, die im Bademantel vor meiner Dusche steht. Kurz habe ich Angst, dass sie das blaue Zeichen auf meinem Arm sieht. Aber so wie all die anderen scheint sie es nicht sehen zu können und ich atme erleichtert auf. Schnell streife auch ich mir den Bademantel über.
Als Nächstes verbringen wir einige Zeit in einem heißen Blubberbad. Das Wasser wird so stark aufgesprudelt, dass es meine schmerzenden Muskeln massiert. Beinah fallen mir die Augen zu, doch Maisie hält mich mit ihrem Geplapper wach. Sie spricht von ihrer Schule und ihren Freunden. Ich höre ihr nur am Rande zu und genieße die körperliche Ruhe.
„Also was machst du gerne in deiner Freizeit?", richtet sie die Frage an mich. Freizeit. Bis vor kurzem hatte ich noch nicht viel Freizeit. In Nima arbeitete ich meist an den freien Tagen im Ari-Haus mit und in der wenigen freien Zeit tat ich nicht wirklich etwas. Bei Nacht starrte ich die Sterne an. Im Palast habe ich die freie Zeit im Garten oder in Amrox verbracht. Amrox. Die Erinnerung verleiht mir einen kleinen Stich. Wie es Jaydens Familie geht? Wieder einer dieser Fragen, die ich verdrängen muss, weil ich hier keine Antwort darauf finden werde. Ich zucke mit den Schultern.
„Ich beobachte gerne die Sterne", sage ich verträumt bei dem Gedanken.
„Und was sonst? Du musst doch irgendwelche Hobbys haben. Tanzen? Musik? Oder vielleicht Malen?", fragt sie entsetzt.
„Ich hatte noch nie viel Zeit dafür. Zu viel Arbeit. Mein Vater hat oft mit mir getanzt. Wir haben uns Geschichten erzählt und kleine Abenteuer erlebt. Ab und zu auch Schach gespielt", sag ich in Gedanken. Ich bemerke erst nicht, dass ich meine Gedanken laut ausspreche.
„Deine Eltern müssen dich sicher vermissen, wenn du schon so lange hier bist", sagt sie traurig und betrachtet mich.
„Mein Vater ist tot und meine Mutter ...", beinahe sage ich, dass sie normalerweise hier ist, halt mich aber im letzten Moment noch zurück. „Sag mal, vermisst du deine Brüder und Willy nicht schrecklich, wenn du in der Schule bist?", wechsele ich das Thema, um nicht weiter Gefahr zu laufen etwas Falsches zu sagen.
„Natürlich vermisse ich die Blödmänner", sagt sie belustigt. „Aber so ist es nun mal. Immerhin habe ich meine Mutter und meine Schwester bei mir." Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand von seiner Familie getrennt sein muss, wenn sie eine Wahl haben.
„Wo wir gerade bei meinen Brüdern sind...", sagt sie verschwörerisch und ich kann mir schon denken was als Nächstes kommt. „Dir ist klar, dass du dich für einen von beiden entscheiden musst", lacht sie laut auf. Kurz schockiert mich ihre Aussage, als mir wieder einfällt, dass sie nichts über die Hochzeitspläne weiß. Nichts darüber, dass die Entscheidung für mich getroffen wird. Ich wende meinen Blick von ihr ab und an die Decke, an der kleine Lichter funkeln. Wie Sterne schimmern sie.
„Welchen von beiden magst du denn mehr? Beynon hat ein großes Herz und Leander weiß immer, was jemand braucht", plappert sie weiter. Der Gedanke an die beiden verleiht mir einen kleinen Stich. Ich mag keinen der beiden auf die weiße, die sie andeutet. Wie auch? Entführt und gefangen gehalten werde ich hier. Aber das kann ich ihr nicht sagen. Natürlich genieße ich einzelne Momente mit den beiden. Aber es sind nicht die Brüder, sondern das etwas Normalität, das ich in dem Moment spüre. Ab und zu gelingt es den beiden mich tatsächlich zu verzaubern, doch wie soll das mehr als einen Moment halten. Sobald ich mich daran erinnere, weshalb ich hier bin, zerplatzt die Blase sofort. Meine Gedanken driften kurz zu dem Moment im Abstellraum in Merah. Dem Moment, als Jayden mich küsste.
„Du magst einen anderen?", höre ich plötzlich Maisie nachdenklich murmeln. Abrupt geht mein Blick zu ihr und mit aufgerissenen Augen starre ich ihr entgegen.
„Nein", rufe ich übertrieben laut, doch fühle mich ertappt. Maisie hebt ihre Augenbrauen in Unglauben und inspizieren mein Gesicht. Wie macht sie das nur?
„Ich sehe es dir an, Emmelin. Wir haben gesagt, keine Lügen", sagt sie vorwurfsvoll. Ihr Blick ist streng. Beinah so wie früher der meiner Mutter, wenn ich etwas angestellt habe. „Mag er dich auch?", fragt sie und ich brauche einen Moment um zu verstehen, von wem sie spricht. Ich weiß selbst nicht was ich fühle, woher soll ich das denn wissen? Aber es ist sowieso egal.
„Er ist tot", sage ich neutraler, als erwartet und blicke wieder an die Decke. Es war damals außer Frage, dass er mich mochte. Doch mochte ich ihn auf dieselbe weiße? Oder genieße ich das Gefühl gemocht zu werden? Lieben bedeutet zu Leiden. Wieso sollte ich also? Ich spüre Maisie traurigen Blick auf mich, doch ich bin froh über das Ende der Fragestunde.
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