Kapitel 15b
Leise schleiche ich über den Flur, den ich inzwischen wiedererkenne. Jeder Schritt bedacht, um keinen Laut zu verursachen. Einige der Schlafsäle sind hier. Nicht die der Königsfamilie, so viel wusste ich. Aber trotzdem schläft hier sicher niemand dem ich über den Weg laufen möchte. Der kalte Boden fühlte sich unangenehm an meinen nackten Füssen an, doch erinnerte mich daran vorsichtig zu sein.
Um noch leiser schleichen zu können, entschloss ich mich barfuß zu gehen. Doch meine Füße sind inzwischen eiskalt und ich bereue meine Entscheidung. Zumindest Socken hätte ich mir überstreifen sollen. Gerade als ich an einer Türe vorbeikomme, vernehme ich lautes Husten. Die Art von Husten, die einem selbst fast den Atem nimmt. Laut, röcheln und nach Luft japsend. Sie zwingt mich zum Stillstand aus Angst, dass meine Schritte vielleicht doch zu laut sind. Erneut ertönte das unangenehme Husten. Gefolgt von einem lauten Knall. Erschrocken halte ich meine Hand vor den Mund. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
„Hallo, ist da jemand. Hilfe! Hallo?", höre ich eine ältere Männerstimme außer Atem rufen. Ganz leise dringen die Worte an mein Ohr. Wie ein Windhauch. Nur gefolgt von einem erneuten Husten. Panisch blickte ich mich um. Wer auch immer dort in dem Zimmer ist, braucht Hilfe. Was soll ich tun? Ich blicke mich um. Halte nach Wachmännern oder Bediensteten Ausschau, doch es ist lange nach vier Uhr und üblich ist niemand mehr unterwegs. Außerdem müsste ich dann meine Anwesenheit erklären. Erneut vernehme ich die klagende Hilfe rufe des alten Mannes. Ohne groß nachzudenken, öffne ich die Türe vorsichtig. Ich wollte mir eine Tasse Tee holen, bereite ich schon einmal eine Erklärung für meinen Nachtspaziergang vor.
„Hallo, brauchen Sie Hilfe?", frage ich schüchtern in die Dunkelheit. Erneut höre ich das röchelnde Husten und wende meinen Blick in die Richtung. Das seichte Licht einer Kerze lässt mich Schämen eines Bettes erkennen, doch ich sehe niemanden.
„Hallo", höre ich die schwache Stimme aus der Richtung des Hustens rufen. „Hier bin ich." Eine Hand taucht neben dem Bett auf und wedelt wild. Ohne zu zögern schreite ich zu der Person. Ein alter Mann, weit über siebzig, liegt zusammengeklappt neben seinem Bett in einem Pyjama. „Dem Himmel sei Dank. Ich dachte schon, ich müsse heute auf dem Boden schlafen", freut sich der alte Mann, als er mich sieht. Ein herzliches Lächeln ziert sein faltiges Gesicht.
„Was ist passiert? Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte ich immer noch schüchtern, da ich Konsequenzen für meinen Nachtausflug befürchte.
„Oh Mädchen, ich wollte mir nur etwas Wasser holen. Aber meine alten Beine haben nachgelassen. Meine Kraft ist nicht mehr dieselbe. Ich scheine ohne Hilfe nicht zurück in mein Bett zu kommen", gibt der alte Mann beschämt zu. Mit viel Anstrengung und mehreren Versuchen gelingt es mir den alten Mann wieder in sein Bett zu befördern.
„Danke dir, mein liebes Kind", bedankt er sich herzlich und streicht über meine Hand. Seine Haut, obwohl der vielen Falten, fühlt sie so zart an wie ich es noch nie gespürt habe. Der Gedanke lässt mich kurz meine Sorgen vergessen.
„Kann ich noch etwas für Sie tun?" Der alte Mann tut mir leid. Ganz offensichtlich ist er auf Hilfe angewiesen und die innere Hofdame in mir scheint wieder geweckt zu werden. In Merah arbeitete ich gerne als Hofdame, obwohl ich zuvor Bedenken hatte, da ich meine Routine aus Nima hinter mir lassen musste.
„Oh, wenn du mir ein Glas Wasser bringen könntest?", bittet er liebevoll. Erneut muss er husten und ich eile mit dem Glas von seinem Nachttisch in das Badezimmer. Ich reiche ihm das Glas und er nimmt einige tiefe Schlucke.
„Danke dir, Mädchen." Erneut schenkt er mir ein Lächeln, das dem von Kalea Konkurrenz machen kann. Kurz muss ich an das fröhliche Mädchen denken. Wie es ihr wohl geht?
„Ich bin Alistair. Ich glaube wir kennen uns noch nicht. Oder spielt mein alter Kopf wieder Spielchen mit mir?" Der Man lacht auf und tippt sich gegen die Schläfe.
„Oh, nein Sir. Wir hatten noch nicht das Vergnügen. Ich bin Emmelin." Ich schüttele seine Hand und bin erneut über seine weiche Haut überrascht. Sein warmer Gesichtsausdruck und nette Art verjagt die letzten Zweifel und somit die Angst.
„Tapfere Schildträgerin", murmelt er.
„Wie bitte, Sir?", frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Etwas an seinem Gesicht kommt mir bekannt und vertraut vor. Aber ich weiß nicht genau was und warum.
„Emmelin bedeutet tapfere Schildträgerin. Und nenne mich Alistair, liebes", sagte er liebevoll. Ich wusste nicht, dass mein Name eine Bedeutung hat. Tapfere Schildträger. Irgendwie hat es etwas Heldenhaftes. Doch eigentlich bin ich das komplette Gegenteil.
„Woher wissen Sie das?" Er hat die Neugier in mir geweckt.
„Oh Emmelin, es ist eines meiner vielen Hobbys. In den Jahren haben sich eine Reihe von Namen hier oben eingenistet." Er tippt auf seinen Kopf und grinst mir beinah spitzbübisch entgehen. „Und so lange es noch funktioniert, werde ich damit weitermachen. Sag liebes, was machst du denn so spät noch auf den Gängen?", fragt er neugierig aber nicht verurteilend. Er scheint nicht zu wissen, wer ich bin und daher nicht zu ahnen, dass ich eigentlich nichts auf den Fluren zu suchen habe. Deshalb entscheide ich mich gegen meine Tee-ausrede und für etwas, das der Wahrheit näher kommt.
„Ich wollte den Kopf etwas freibekommen", versuche ich möglichst unauffällig zu klingen.
„Ich sehe", sagt er nachdenklich. „Ich möchte dich nicht weiter stören. Aber vielleicht kann ich dir helfen, deinen Kopf freizubekommen. Als Dankeschön. Du musst wissen in den vielen Jahren hat sich so einiges wissen hier oben eingenistet." Wieder tippt er auf seinen Kopf und ich muss über seine Herzlichkeit lachen. Zum ersten Mal scheint die Herzlichkeit eines Menschen in diesem Palast tatsächlich ehrlich, aufrichtig und ohne Hintergedanken.
„Ich weiß nicht, ob Sie, mir helfen können bei diesem Problem, Alistair", spreche ich meine Gedanken laut aus.
„Wenn du willst, können wir es versuchen. Komm, setzt dich." Mühevoll rutsche er etwas auf die Seite und klopft neben sich aufs Bett. Seine offene und zutrauliche Art überrascht mich, doch ich heiße sie willkommen. Ich weiß nicht, was mich dazu verleitet sein Angebot anzunehmen. Wahrscheinlich seine Herzlichkeit und meine eigene Verzweiflung. Langsam lasse ich mich auf dem Bett nieder und schau dem alten Mann entgegen.
„Erzähl, Kindchen", fordert er mich liebevoll auf. Ich weiß nicht genau, wie ich mein Dilemma beschreiben kann, ohne zu viel Verdacht zu schöpfen. Der Mann erinnerte mich an meinen Vater. Eine ältere Version natürlich, aber seine Art ist dieselbe. Liebevoll, offen und mit dem Drang zu helfen.
„Es geht um etwas, das mir jemand verheimlicht. Antworten auf Fragen, die mich schon eine ganze Zeit quälen. Eine Person, der ich anscheinend gefalle, hat diese Antworten. Will sie mir jedoch nicht geben? Obwohl, ihm bewusst ist wie sehr es mich quält. Es sind Antworten auf Fragen, die für mich wichtig sind, die mich befreien könnten. Aber trotzdem scheint er sie mir nicht anzuvertrauen. Ich weiß einfach nicht, was ich tun kann, um an sie zu kommen." Meine Erklärung halt ich, absichtliche wage. Immerhin weiß ich nicht wer dieser alte Mann ist. Auch wenn er herzensgut scheint, kann ich ihm nicht zu viel vertrauen. Er schaut mich nachdenklich an.
„Liebchen, es scheint als wolle dieser junge Mann dir die Antworten vielleicht zu deinem Schutz verheimlichen. Vielleicht fürchtet er was sie mit dir machen könnten. Wenn er dich wirklich mag, möchte er sie dir nicht aufbürden." Wenn ich meine Situation nicht kennen würde, könnte es wahrscheinlich genauso wirken. Wieder erkenne ich meinen Vater in seinen Worten.
„Aber sollte diese Entscheidung nicht bei mir liegen? Es geht immerhin um mein Leben. Sollte ich nicht das Recht auf die Entscheidung haben?" Ich werde etwas aufgewühlter, doch meine Stimme bleibt ein lautes Flüstern. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass von Alistair keine Gefahr ausgeht, kann ich das nicht von vorbeikommenden Personen sagen.
„Manchmal wissen wir nicht, was das Beste für uns ist. Wir brauchen Menschen denen wir wichtig sind, um auf uns achtzugeben." Unwillkürlich gehen meine Gedanken zu meiner Mutter. Auch sie weiß etwas, dass sie mir nicht sagen will. Weiß sie so viel wie Beynon? Verheimlichen sie mir die Dinge wirklich zu meinem Schutz? Doch was könnte so schlimm sein, dass es besser ist im Ungewissen zu bleiben? Die Worte des alten Mannes lassen mich nachgrübeln, aber die Wut auf Beynon nicht die Antworten zu erhalten bleibt.
„Vielleicht haben Sie recht, Alistair", sage ich nachdenklich. Überzeugt bin ich nicht. Aber gewollt mit dem Gedanken zu spielen.
„Denk darüber nach, mein Kind. Aber jetzt solltest du erst einmal ins Bett. Es ist schon sehr spät." Ich bedanke mich bei dem Mann und trete zur Türe. Bevor ich den Raum verlassen höre ich noch einmal seine liebevolle Stimme.
„Emmelin, wann immer du ein offenes Ohr brauchst, komm jederzeit vorbei. Ich freu mich immer über Besuch. Es kann ganz schön einsam hier werden", sagt er mir noch zum Abschied. Seine Einladung rührt mich und seine offensichtliche Einsamkeit stimmt mich traurig.
Mit schnellen Schritten schreite ich zurück in das Zimmer und schließe die Türe leise hinter mir. Zwar habe ich nicht das gefunden wonach ich gesucht habe, aber ich scheine etwas näher gekommen zu sein. Beynon hat Caspians Journal, dafür gibt es einen Grund. Wer weiß vielleicht hat er noch mehr Unterlagen in seinem Arbeitszimmer? Auch das Treffen mit dem alten Alistair hebt meine Stimmung. Ein letztes Mal geht mein Blick zur Uhr. Kurz nach fünf. Viel Schlaf werde ich diese Nacht nicht mehr bekommen.
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