
Erinnerungen
Cale
Wir saßen jetzt zu fünft in einer Art Kreis beieinander. Mitch, die zwei jungen Männer, ein großgewachsener, angsteinflößender Mann und ich. Nervös knetete ich meine Finger. Ganz ruhig. Sie hatten dir nichts getan und das würden sie auch weiterhin nicht tun. Zumindest redete ich mir das ein.
»Wie gesagt, ich bin Mitch«, Mitch zeigt auf sich. »Und das ist mein Sohn Eddie mit seinem besten Freund Noah«, Eddie war derjenige, der mich vorhin zuerst angesprochen hatte. Noah saß still neben ihm. Sie waren beide ziemlich klein und sahen wirklich noch jung aus. Man sah die Ähnlichkeit zwischen Mitch und seinem Sohn sehr deutlich. Die gleichen braunen Augen und das gleiche sanfte Lächeln. Noah war hingegen blauäugig und sein schüchternes Lächeln hatte etwas ganz anderes an sich. Ich wusste, dass ich vor den beiden keine Angst zu haben brauchte.
»Der Große dort ist Gideon. Er sieht vielleicht gefährlich aus, ist aber eigentlich wirklich nett«, zeigte Mitch zum Schluss auf den wirklich großen Mann. Auch er schien noch recht jung, mit seinen schwarzen, etwas längeren Haaren. Sie waren zusammengebunden und fielen nur in vereinzelten Strähnen in seine dunklen, fast schwarzen Augen. Aber auch er lächelte mich an. Ich nickte nur. »Da du jetzt weißt, wer wir sind, wäre es nett, wenn du uns deinen Namen verraten könntest?«, fragte Mitch halb. Ich stockte. Bevor ich etwas über mich sagen würde, wollte ich erst einmal wissen, wo ich war und was genau sie von mir wollten. Und warum zur Hölle ich diesen Verband um meine heile Schulter trug?! Genau diese Gedanken sprach ich dann auch aus. Als Antwort bekam ich zuerst nur Schweigen. Bis Gideon leise das Wort erhob. »Woran erinnerst du dich denn noch?« Ich dachte nach. Ich erinnerte mich, dass ich Jason, entgegen meinen Vorsätzen, wieder in meine Wohnung gelassen hatte. Und daran, dass ich danach direkt schlafen gegangen war. Danach folgte Schwärze. »An nicht besonders viel. Nur daran, dass Jason bei mir gewesen war«, beantwortete ich seine Frage. Bei Jasons Namen zuckten sie alle zusammen. Und sofort sammelten sich Erinnerungen in meinem Kopf, die ich lange versucht hatte, zu vergessen. Erinnerungen daran, wie ich zu Boden gerissen wurde. Daran, wie mir ein Messer in den Oberschenkel gerammt wurde. Und daran, wie ich geschlagen und angeschrien wurde. Würde mir das auch hier passieren? Hatten sie mich entführt, um mich ganz in Ruhe befragen zu können? Damit niemand meine Schreie hören konnte? Verängstigt sah ich zu ihnen auf. Aber sie waren doch so nett.
»Egal, was Jason auch getan hat, ich weiß nichts davon! Wirklich! Ich habe ihn nur die Nacht aufgenommen, weil er meinte, er bräuchte Hilfe. Mehr nicht!«, versuchte ich mich zu erklären. Sie mussten mir glauben! Ansonsten war ich tot. Wenn sie mich einmal so in ihrer Gewalt hatten, dann würden sie mich sicher nicht einfach wieder laufen lassen. »Bitte, ihr müsst mir glauben! Bitte tut mir nicht weh! Ich kann das nicht nochmal ertragen! Nicht noch einmal!«, flehte ich und merkte, wie mir langsam die Tränen flossen. Die Augen zusammengekniffen wartete ich darauf, dass sie mein Flehen ignorierten und mich packten. Versuchte gleichzeitig die grausamen Erinnerungen wieder zu verdrängen, um alles nicht noch einmal zu durchleben. Ich konnte das nicht! Allerdings folgte auf mein Flehen nur Stille. Keine grobe Hand, die mich packte und auch kein lautes Gebrüll, welches mich verhörte. Einfach Stille. Ganz langsam öffnete ich erst das eine, dann das andere Auge. Und dann sah ich die vier Männer in betretenen Schweigen da sitzen. Sie sahen mich traurig an und keiner wagte es, sich auch nur zu rühren. »Was...?«, fragte ich sprachlos. War das ein Trick? Damit die Folter am Ende noch schlimmer war? Ich betete zu wem auch immer, dass dem nicht so war. »Wir werden dir nichts tun, versprochen«, sagte Gideon dann. Er sah mich mit einem Blick an, der so viel Ehrlichkeit besaß, dass ich nur glauben konnte. Die Anderen stimmten mit einem Nicken zu. »Aber was mache ich dann hier?«, meine Stimme war noch immer am Zittern. »Das ist... also das ist etwas schwer zu erklären...«, stotterte Eddie. Ich sah zu ihm, aber er mied meinen Blick. »Was ich dir sagen kann, ist, dass du verletzt warst und es keine andere Möglichkeit gab, als dich mitzunehmen.
«Deswegen also der Verband an der Schulter. Aber warum war dann keine Verletzung zu sehen und warum hatte ich keine Schmerzen? »Wie lange bin ich schon hier?!«, war ich schon so lange hier, dass eine Verletzung komplett heilen konnte? Und wie schwer war ich eigentlich verletzt gewesen? »Erst ein paar Tage. Die Verletzung war recht schwerwiegend und es stand sehr kritisch um dich«, antwortete mir jetzt Mitch. Im Gegensatz zu seinem Sohn sah er mir direkt in die Augen. »Fühlst du dich irgendwie schlapp oder schwach? Kommt dir etwas an deinem Körper anders vor als sonst?«, fragte er mich sogleich und lehnte sich ein Stück zu mir rüber. Ich wich ein Stück zurück, antwortete aber auf seine erste Frage. »Ich fühle mich körperlich tatsächlich recht fit.« »Das ist gut! Und sonst? Ist dir wirklich nichts anderes aufgefallen? Vielleicht eine Art Instinkt oder ein Verlangen, dem du unbedingt nachkommen musst?«, fragte er weiter. Und da fiel mir der Moment ein, indem ich mich nicht hatte aufrichten können. Es ging einfach nicht, weil mein Körper sich dagegen wehrte. Genauso wie das Vertrauen, das ich Eddie und Noah entgegenbrachte. Oder meine Ruhe momentan. Es war, als würde mir etwas sagen, ich bräuchte keine Angst zu haben. Dass ich in Sicherheit war. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich nur. Ich konnte meine Gedanken nicht weiter in Worte fassen und so musste er sich mit einer stillen Zustimmung abfinden.
»Das ist erstaunlich! Ich hätte mir nie erträumen lassen, so etwas mal miterleben zu dürfen!« Euphorisch sprang er auf und lief aufgeregt auf und ab. »Wenn es wirklich so ist, wie in den Aufzeichnungen, dann sollten sich schon bald mehr Anzeichen zeigen!«
Ich sah eingeschüchtert zu ihm auf. Wovon redete er da? »Was redest du da bitte?«, sprach Gideon meine Gedanken aus. Mitch blieb stehen. »Wovon ich rede?«, er schien ehrlich entsetzt über diese Frage. »Ich rede davon, dass dieser Mensch«, er zeigte auf mich. »Schon bald kein Mensch mehr sein wird. Nein. Er wird bald einer von uns sein!«
Einer von ihnen? Was hatte das zu bedeuten? Und was waren sie überhaupt? Die Anwesenden schienen mindestens genauso verwirrt wie ich. Diese stille Verwirrung hätte auch sicherlich noch etwas angedauert, wäre nicht in dem Moment die Tür aufgestoßen worden.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro