Beschützen
Eason
Auf dem gesamten Weg zurück zum Rudel konnte ich nur an den Fehler denken den ich begangen hatte. Wie hatte ich nur so sehr die Kontrolle verlieren können? Ich hatte einen Menschen gebissen verdammt! Einen Menschen! Er würde mit Sicherheit sterben und das alles nur wegen meiner verdammten Unfähigkeit Lark zu kontrollieren. Klar, er war ein wirklich starker und dominanter Wolf und ich hatte schon als Kind öfter Probleme gehabt aber seit ein paar Monaten hatte ich geglaubt ihn in den Griff bekommen zu haben. Er war nicht einfach ausgebrochen und hatte immer auf meine Meinung gehört. Aber seit dem Biss redete er nicht mal mehr mit mir. Er war noch nie besonders redselig gewesen aber so ignoriert hatte er mich auch noch nie. Er hatte sich soweit zurückgezogen, dass ich mich Zurückverwandeln musste sobald wir die Suche nach Jason aufgegeben hatten. Ben und Gideon, beide um einige Jahre älter als ich, hatten sich mir zuliebe ebenfalls Zurückverwandelt. Während Ben schweigend und seinen eigenen Gedanken folgend neben uns herlief, versuchte Gideon immer wieder mir weiszumachen, dass es schon nicht so schlimm gewesen war. Ich versuchte ihm Glauben zu schenken aber der Gedanke an das ganze Blut machte es mir schwer.
Endlich wieder beim Rudel angekommen machte ich mich gleich nach dem Gespräch mit Ace auf den Weg zu Mitch. Leise klopfte ich an die Tür auch wenn ich mir sicher war, dass sie mich schon gehört hatten. Die Tür wurde von Mitch selbst geöffnet und er führte mich wortlos zu dem auf dem Boden liegenden Menschen. Und erst in diesem Moment wurde mir das Ausmaß meines Fehlers so richtig bewusst. Dieser Mensch würde wegen mir schon bald sterben. Ich war Schuld an seinem Tod und es gab keine Möglichkeit das auch nur ansatzweise wieder gut zu machen.
„Es... es tut mir so leid...", flüsternd kniete ich mich neben ihn. Es war mir dabei völlig gleich, dass gerade drei Wölfe die zum Teil weit unter meinem Rang standen anwesend waren. Lark war gerade so oder so nicht wirklich präsent in mir und so konnte ich mir einen Moment der Schwäche erlauben.
Vorsichtig griff nach der Hand des Mannes und drückte sie. Sie wirkte so klein und zerbrechlich und ich fragte mich wie Lark einen Menschen wie ihn als Bedrohung hatte ansehen können. Er wäre ja nicht mal in der Lage dazu mir oder einem anderen aus diesem Rudel etwas anzutun. Dafür war er vom Körper schon viel zu schwach. Und trotzdem hatte ich ihn angegriffen. „Das hätte nicht passieren dürfen.... Es tut mir so unendlich leid.", die Sinnlosigkeit dieser Worte überrollte mich. Egal was ich sagen würde und egal wie oft ich mich entschuldigen würde, es würde ihn nicht retten können. Er konnte mich ja wahrscheinlich nicht mal hören. Ich merkte wie mir langsam eine Träne nach der anderen die Wange runterlief. Ich hatte noch nie geweint. Nicht als Kind, wenn ich mich verletzte und auch als ich älter wurde nicht. Es waren die ersten Tränen die ich weinte und das wegen eines Menschen. Eines Menschen der nicht einmal von unserer Existenz wusste. Eines Menschen den ich nicht mal kannte. Eines Menschen den ich auf dem Gewissen hatte. Und dennoch fühlte es sich an als ich hätte ich noch nie einen schlimmeren Schmerz verspürt. Ich legte meine zitternde Hand an seine Wange. Er fühlte sich so warm an. Er schwitzte und sein Gesicht schien nicht als würde er schlafen. Er schien Schmerzen zu haben. Schmerzen die ich ihm zugefügt hatte!
Eine plötzliche Wut überkam mich und eine Sekunde später saß ich als Wolf neben dem Bewusstlosen. Lark hatte meinen Moment der Schwäche genutzt und sich ganz plötzlich wieder in den Vordergrund gedrängt.- Was soll der Mist?! - schimpfte ich, doch er ignorierte mich weiter. Egal was ich versuchte, ich hatte keine Chance wieder die Oberhand zu gewinnen. Mir blieb keine andere Wahl, als zu warten bis er sich dazu entschloss mir wieder die Kontrolle zu geben. Und so musste ich tatenlos mit ansehen wie er sich gegen Mitch stellte, ihn anknurrte sobald dieser auch nur einen Schritt näher kam und schließlich dafür sorgte, dass er und die beiden Omega den Raum verließen. Erst da beruhigte er sich und ließ sich neben den Menschen nieder.
————
Ich erwachte, weil mich etwas im Gesicht traf. Verwirrt öffnete ich die Augen und stellte zu erst fest, dass ich wieder ein Mensch war. Lark hatte sich also zurückgezogen. Ich konnte ihn auch nicht besonders deutlich spüren. Wieder traf mich etwas. Diesmal in die Seite. Als ich mich aufsetzte erkannte ich auch, was mich da getroffen hatte. Es war der Arm des Menschen gewesen. Er bewegte sich ziemlich komisch. Und so unkoordiniert. Oh verdammt! Er krampfte! „Schieße!", plötzlich hellwach sprang ich auf und rannte zur Tür. „Mitch! Ich brauche dich hier!", keine Minute später tauchte er, gefolgt von Eddie und Ace, auf. Sie folgten mir direkt und sobald sie sahen was passierte brach eine Art Hektik los. Mitch hechtete zu dem Menschen und gab Eddie irgendwelche Anweisungen, Ace rief nach Gideon und Ben während ich nur da stehen konnte und dem Geschehen zu sah. Gleichzeitig spürte ich wie Lark sich wieder zu mir an die Oberfläche drängte. Doch fürs erste gelang es mir ihn unter Kontrolle zu halten. Er durfte mich nicht schon wieder verdrängen!
„Eddie du musst ihn fester halten, sonst reißt er sich den Biss wieder auf!", rief Mitch angestrengt. Er hatte alle Mühe die Beine des Menschen festzuhalten. Mitch versuchte ihn an den Armen zu halten doch der Körper des Menschen zuckte so unkontrollierbar, dass er sichtlich Probleme damit hatte. Ich wollte gerade helfen als Ben und Gideon an mir vorbeistürmten und sich praktisch auf den Mann warfen. Für sie beide schien es um einiges einfacher. „Habt ihr ihn?", Ace wollte sich den anderen gerade nähern als sich aus dem Nichts Lark in den Vordergrund drängte, sich verwandelte und eine Sekunde später Knurrend zwischen Ace und den Anderen stand. Ace stockte für einen Moment bevor er mich packte und einige Meter weiter gegen die Wand schleuderte. Knurrend stand Lark wieder auf.
- Lark! Es reicht! Er ist unser Alpha, wir dürfen ihn nicht angreifen! Er könnte uns problemlos töten!-, verzweifelt versuchte ich auf meinen Wolf einzureden.
-Was ist los mit dir? Du bist noch schlimmer drauf als sonst!-, so schlimm hatte es sich noch nie benommen. Er hatte es nicht einmal gewagt sich gegen den Alpha zu stellen.
-Beschützen-, war das einzige was ich als Antwort bekam. Er war ja schon immer etwas wortkarg gewesen.
-Was willst du beschützen? Den Menschen?-, eine weitere Antwort bekam ich nicht und bevor ich hätte weiter fragen können wurde Lark von Ace auf den Boden gedrückt und quasi dazu gezwungen sich zu unterwerfen. Und dennoch ließ er mich nicht wieder an die Oberfläche. Wir lagen unter unserem Alpha, der knurrend und ziemlich wütend auf uns herabsah.
-Komm schon Lark! Wir werden das klären aber dafür musst du dich jetzt unterwerfen und mich an die Oberfläche lassen. Anders wird Ace nicht nachgeben!-, versuchte ich es erneut. Er knurrte auf. -Beschützen!-, und damit ließ er mich tatsächlich wieder zurück. Nun in menschlicher Form spürte ich das Gewicht von Ace noch deutlicher und stöhnte gequält auf. Kurz darauf ließ Ace von mir ab und wandelte sich ebenfalls. Wütend sah er zu mir. „Was zur Hölle war das gerade?!", er packte mich am Kragen. „Ich habe keine Ahnung. Lark hat mich einfach zurückgedrängt und sich gegen dich gestellt. Egal was ich gesagt habe, er hat nicht locker gelassen. Er meinte nur „beschützen", er wollte, dass ich ihn", ich deutete in Richtung des Menschen, „beschütze". Auch Ace drehte sich wieder in Richtung der anderen.
Dort hatte der Mensch gerade aufgehört zu krampfen und fiel nun schlaff in die Arme der Wölfe die ihn hielten. Mit einem mal war Lark wieder da. Ganz dicht an der Oberfläche aber er hielt sich zurück. Langsam trat ich auf das Bündel zu und kniete mich neben ihn. Er wirkte jetzt noch um so viel zerbrechlicher als zuvor. Vorsichtig streckte ich die Hand in seine Richtung und strich sacht über seine erhitzte Wange. Mit der anderen Hand wischte ich die schweißnassen Strähnen seiner braunen Haare aus seiner Stirn. Die anderen um mich nahm ich gar nicht mehr war. Jetzt gerade waren es nur wir beide. Eine innere Ruhe, die ich bisher noch nie empfunden hatte, kam in mir auf. Das erste mal, seit ich denken konnte, war Lark nicht drängend in mir zu spüren. Er war entspannt und schien völlig zufrieden mit sich selbst. Ich konnte endlich einmal ganz in Ruhe durchatmen. Und dann sprang der Abgrund auf. Ein tosender, wilder und grausamer Abgrund in den ich ohne Vorwarnung gestoßen wurde. Plötzlich war die Ruhe von gerade verschwunden und wich einer grausam lauten Stille die ich kaum ertragen konnte. Ich fiel und fiel und schien doch nicht auf dem Grund anzukommen. Ein endloser Fall des Schmerzes und der Verzweiflung der ganz sicher mein Ende bedeuten würde...
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