4.
Für einen Moment kann ich es nur fassungslos betrachten. Das ist das Schmuckstück, nach dem Matteo und Linea suchen.
Ich lasse es schnell wieder in meiner Tasche verschwinden. Hitze steigt mir ins Gesicht und Schweiß bricht auf meiner Stirn aus.
Das ist schlecht, das ist wirklich richtig schlecht.
Tief durchatmen. Niemand soll mitbekommen, dass mich etwas aufwühlt.
Ich schaue mich um. Vielleicht könnte ich einfach gehen. Matteo scheint ohnehin nicht mehr an meiner Anwesenheit interessiert zu sein.
Meine Beine zittern, als ich auf den Ausgang zugehe, doch gerade, als ich an dem Festsaal vorbeikomme, öffnen sich die Türen und ein Strom von Leuten in Abendgarderobe ergießt sich ins Foyer.
Wenn ich jetzt versuchen würde, das Gebäude zu verlassen, würde ich in dem Meer an Menschen untergehen. Also wende ich mich ab und gehe in eine andere Richtung. Hier wird es sicherlich noch einen zweiten Ausgang geben.
Ich lande in einem Korridor und dann in einem Treppenhaus, das jedoch nur nach oben führt.
Was bleibt mir anderes übrig, als die Stufen nach oben zu nehmen? So erfülle ich wenigstens wieder einen meiner Neujahrsvorsätze.
Das bedeutet allerdings nicht, dass ich nicht keuche, als ich am oberen Ende der Treppe durch eine Metalltür platze. In einer wärmeren Jahreszeit hält man hier sicherlich Partys ab, wie mir der Pool und die geschlossene Bar verraten. Doch an diesem Tag bin ich allein.
Tausende Lichter schweben in der Dunkelheit der Stadt. Erleuchtete Fenster in den Häusern.
Ich trete an das Geländer heran und der scharfe Wind peitscht mir ins Gesicht. In meiner Tasche umklammere ich das Schmuckstück und vor meinem inneren Auge taucht der Lockenschopf auf, der mich am Anfang des Abends so unachtsam angerempelt hat. Ich denke, ich habe die Antwort gefunden, wie ich an die Flamme des Ozeans gelangt bin. Auch hier wurde ich verwechselt.
Ein Krachen ertönt hinter mir.
Ich nehme die Hände hastig aus den Taschen und wirbele herum. Linea ist in der Tür aufgetaucht und hat diese so weit aufgerissen, dass sie gegen die Wand gedonnert ist.
Sie wirft mir nur einen Blick zu und hastet an mir vorbei. Ohne abzubremsen, springt sie über die Brüstung des Daches.
Ein Aufschrei entfährt mir und ich hechte nach vorn. Zwar kenne ich sie kaum, aber ich will doch nicht, dass sie stirbt. Aber als ich nach unten blicke, ist sie in der Dunkelheit verschwunden.
»Mach dir keine Gedanken«, sagt eine Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und blicke in Matteos graue Augen. »Ich habe ihr eine Fälschung des Edelsteins untergeschmuggelt und das hier war ihr schnellster Weg, zu entkommen.«
»Aber –« Ich setze zum Protest an, doch Matteo deutet auf etwas, das ich übersehen habe: einen schmalen Haken aus Metall, der in der Brüstung befestigt ist und von dem ein dünnes schwarzes Seil in die Tiefe führt.
»Meistens weiß Linea, was sie tut«, sagt er. »In einigen Stunden wird sie bemerken, dass es nur eine Fälschung ist, und mir erneut das Leben schwermachen.«
Er schenkt mir ein Lächeln, das mich beinahe vergessen lässt, durch welches Chaos mich die letzten Stunden geschickt haben. Es steckt mich sofort an.
Ein Knall erklingt hinter mir. Ich zuckte zusammen und wirbele herum.
Lichter glühen am Himmel auf. Ein weiterer Knall und noch mehr Lichter.
»Frohes neues Jahr«, sagt Matteo und erst mit einiger Verspätung kommt in meinem Kopf an, dass es keine Schüsse sind, sondern das Silvesterfeuerwerk.
»Frohes neues Jahr«, flüstere ich. Eigentlich beginnt es fast, wie ich es mir am Anfang des Abends vorgestellt hatte. Der Weg ist nur ein anderer geworden.
Eine Berührung an meinem Arm lässt mich zu Matteo sehen. Die bunten Lichter spiegeln sich in seinen Augen und Wärme entzündet sich in meiner Brust, obwohl der Wind hier auf dem Dach kühl war.
»Ich habe mich an diesem Tag nicht von meiner besten Seite gezeigt«, sagt er und streckt mir seine Hand entgegen. »Wollen wir es vielleicht nochmal neu versuchen? Mein Name ist Matteo.«
Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen und ich ergreife die Hand. »Lina«, stelle ich mir auch erneut vor. Irgendwie seltsam, da wir uns nun doch schon kennen und den gesamten Abend miteinander verbracht haben.
»Ich würde diesen Abend gern gut machen«, sagt er und zieht mich ein Stück zu sich, um einen Arm um meine Schulter zu legen.
In dieser kalten Nacht strahlt er eine angenehme Wärme aus und ich lehne mich ein wenig zu ihm.
»Möchtest du auf ein zweites erstes Date mit mir gehen?«, fragt er. »Diesmal ohne Doppelgänger oder Diebstähle.«
Ich weiß nicht, was es ist, das mich letztlich nicken lässt. Alles, was wir an diesem Abend überstanden haben, die Surrealität der ganzen Lage, das glitzernde Feuerwerk über unseren Köpfen. Oder vielleicht auch nur mein Neujahrsvorsatz, endlich spontaner zu sein und mein Leben in den Griff zu bekommen.
Denn trotz all der Gefahren, die ich an diesem Tag erlebt habe, kann ich mir keinen besseren Start in das neue Jahr vorstellen.
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