Vorsichtig betrachte ich den Wasserpegel, der gleichmäßig steigt und sinkt. Vorsichtig blase ich ins Glas.
„Sehen wir uns wieder?" Eine Stimme dringt durch den blasenden Wind. Schritte nähern sich im Sand.
„Deine Stimme klingt wie Melodie in meinen Ohren", erwidere ich sanft. „Sage mir nur eins. Welche Stimme siehst du bei dem Klang der Traurigkeit?"
„Warum denkst du an Trauer?" Nun steht er hinter mir und ich blicke auf.
„Trauer ist etwas Schönes. Ich sehe weiß. Aber weiß steht für Unschuld und eigentlich ist schwarz die Farbe. Zumindest hier. Aber wenn ich an Freude denke, sehe ich Wellen. Lächelnde Kinder, die im Kreise springen. Wenn sie trauern durchfährt ein weißes Band die Truppe, doch am Ende sind sie vereint."
„Du betrachtest das Licht. Was siehst du in ihm?"
„Was ich in dem Licht sehe?" Vorsichtig betrachte ich wieder das Wasser, das vom Licht angestrahlt wird. „Ich sehe vieles. Möglichkeiten. Chancen. Wellen. Und weißt du, was hinter all dem steht? Weißt du, was das Licht am Ende vereint? Farben. Wie sehen nur Farben, weil ein Gegenstand Licht absorbieren, es schlucken und somit aufnehmen kann. Das Reflektierte nehmen wir als Licht wahr. So ähnlich geht es auch mit Stimmen, Klang, Melodie. Alles hat seine Wellenlängen. Alles besitzt Teilchen. Weißt du, wie kann ein Ton gleichzeitig eine Farbe als auch den Klang einer Stimme beschreiben? Wie kann es Klaviermusik, Noten, Nuancen vereinbaren? Die Antwort ist ganz gleich und für manche so schwer zugleich. Alles ist eins. Jede Stimme hat ihren Klang, ihre Melodie. Ihren Ton. Ihre eigene Note. Und schließlich bildet sie ihre eigene Farbe. Wir reden vom Leben, doch am Ende sprechen wir in Metaphern. Wenn alles eine Bedeutung hat, welche Bedeutung hat dann die Farbe deiner Stimme?"
„Ich weiß nicht. Werden wir uns wiedersehen?"
„Deine Stimme ist bittersüß, eine Nuance von Ebenholz. Oder Süßholz. Alles hat seinen Weg. Du raspelst sie hinunter. Deine Frage, als wäre sie nichts. Und in allem spaltet sie das Licht. Was ist wirklich? Wenn Licht reflektiert oder geschluckt wird und daraus Farben entstehen, wie viel können wir dann auf unsere Sinne bauen? Ein Klang von Unabhängigkeit. Blau. Orange, nein gelb. Pink, wie violette Wellen sich ihren Weg bahnen. Und am Ende stehen wir erst am Anfang. Du verlangst nach der Ewigkeit, fragst aber nach etwas komplett anderen. Du fragst nach der Ewigkeit. Du hast Fragen und ich weiß nicht, wie ich sie beantworten kann."
„Und wo stehen wir?"
„Am Anfang. Es ist, als würdest du Süßholz raspeln, deine Stimme so rau, so süß. Nein. Ich sehe, wie sich das Licht vor mir in Wellen bewegt. Und zwischen alledem stehen wir. Was sind wir mehr als störende Objekte, in einer Welle aus Wahrheit? Aus Reinheit? Aus Licht?"
„Und nach allem? Was siehst du da? Mit einem Worte, worauf willst du hinaus? Wir sind Menschen. Wir besitzen ein Maß an Gerechtigkeit und Würde. Und Menschlichkeit. Die kann dir keiner nehmen. Und wenn schon. Warum sollte Licht keine Daseinsberechtigung haben?"
„Das habe ich nicht gesagt. Aber am Ende ist alles Licht. Jede Farbe, die wir sehen, hat was mit Licht zu tun. Licht ist das, was alles vereint. Pigmente. Absorption. Reflexion. Was willst du mehr? Wir sind so wie wir sind, weil wir so sind, wie wir sind. Eine Farbe kann so viel mehr sein als ein einfaches Sehen. Farben können Bedeutungen in sich tragen. Hoffnung, Freude, Friede, Trauer, Verluste, Liebe. Und Liebe und Blut ist was wir fürs Leben brauchen. Beides ist bei uns rot. Auch wenn es auch weiße Blutkörperchen gibt. Liebe ist etwas endgültiges. Sie ist bis an ihr Ende gültig. Beides kann zu Verlusten führen. Beides können wir verlieren. Aber beides können wir durch Spender wiedergewinnen. Und irgendwann baut der Körper es von selbst wieder auf. Weihnachten. Zimt. Es gibt so vieles, was wir mit einer Farbe verbinden und doch hat jedes seine eigene Stimme, seinen eigenen Hauch, seinen eigenen Anklang, seine eigene Nuance. Am Ende sind wir nur Gestalten im Licht und alles um uns herum hat eine Farbe. Wenn du es so nehmen willst, hat deine Stimme eine Aura. Wenn sie in rot erstrahlt, liefert sie mir Wärme, aber die Farben des Meeres und des Frühlings haben ebenso ihre Daseinsberechtigung. In allem steht die Farbe deiner Stimme."
„Weil meine Stimme andere färben kann?"
„Genau deswegen." Ich blicke auf, sehe ihn an. Eine seiner Haarlocken fällt ihm ins Gesicht. Seine Augen strahlen Wissbegierde aus. Sie funkeln nahezu. Sie haben ihre Farbe. Alles hat seine Farbe. Alles und jeder. Auch ein Gegenstand. Selbst die Luft. Sauerstoff hat die Farbe des Lichts. Und hinter allem eröffnen sich neue Dimensionen. „Du hast Einfluss. Deine Stimme hat Einfluss. Sie verleiht der Farbe ihren Klang. Deine Stimme ist entscheidend. Wenn die Farbe in der Stimme ihren Platz findet, das Licht seinen Mengengehalt findet, wir werden uns wiedersehen. Das Licht reflektiert die Teilchen auf dem Wasser. Was ist eine Spiegelung viel anderes als eine Reflexion? Deine Stimme trägt eine Farbe in sich. Wie ein Faden der unter einem Farbbottich gespannt ist. Fällt der Bottich um, reißt der Faden, schüttet sich die ganze Farbe aus. Am Ende stehen wir hier und sind doch bei null angelangt. Wir werden uns wiedersehen, ganz gewiss."