14. Kapitel - Jorge
Mein Hintern donnerte auf den Boden und ich verzog mein Gesicht. Ein stechender Schmerz durchfuhr mein Steißbein. Die spitzen Kieselsteine konnte ich sogar durch den Stoff meiner Hose spüren, wie sie versuchten, sich in mein Fleisch zu bohren. Im nächsten Moment sah ich auf und blickte in blaue Augen, die mich so stark an meine erinnerten.
"Das nennst du kämpfen?", mein Vater sah mich an, "Ich würde es eher auf den Hintern fliegen nennen", lachte er mir entgegen und reichte mir seine Hand. Grummelnd saß ich im Dreck und biss auf meiner Lippe herum. Jedoch nahm ich seine Hand an, die wartend über mir schwebte, wobei sie rau war, anschließend wurde ich nach oben gezogen. Bevor ich jedoch wieder auf meinen Beinen stand, ließ mein Vater meine Hand los. Mein Hintern knallte abermals auf den Boden.
Ich hatte es nicht einmal mehr geschafft, mich mit meinen Händen abzufangen. Demnach knallte ich zusätzlich mit meinem Rücken auf den Boden und die Luft entwich meiner Lunge.
Hmpf!
"Das ist unfair!", hisste ich und hustete Staub, da mein Aufprall ihn in die Luft aufgewirbelt hatte.
"Das Leben ist unfair", sprach Vater seinen Lieblingssatz, den ich schon seit Jahren hörte.
"Nein, es ist unfair, dass ich gegen dich kämpfe!", ich rappelte mich auf und klopfte den Dreck von meiner Hose ab, "Du bist größer als ich."
"Und?", seine tiefe, amüsierte Stimme dröhnte mir entgegen, "Denkst du, dass dir bei den Missionen nur Gegner in deiner Größe entgegentreten werden?", witzelte er und ich nuschelte kleinlaut vor mich hin. Wie ich es hasste, wenn er recht hatte.
"Schon gut, ich habe verstanden.", ich sah zu ihm, wobei er mir durch meine Haare wuschelte und ich trotzig meine Arme vor meiner Brust verschränkte.
"Lass das!", maulte ich.
Er hob nur eine Braue und sah auf mich hinab. Ich ging ihm gerade einmal bis zur Mitte seiner Brust, aber ich war auch erst zwölf Jahre alt, also würde ich noch wachsen.
Gerade, als Vater etwas erwidern wollte, trat jemand an uns heran. Es war ein Mann mit blonden Haaren, die unter seiner Kappe hervorschauten. Seine blauen Augen wurden von einer Sonnenbrille verdeckt und er hatte eine breite, trainierte Figur. Ein ernster Ausdruck zierte sein Gesicht und etwas abseits blieb der Mann stehen. Mein Vater ließ von mir ab, sah abwartend zum jungen Mann, der Marc hieß.
"Vince, es gibt Neuigkeiten", erklang seine Stimme und deutete auf unser Kommunikationszelt, in das ich nicht hineindurfte. Eigentlich nicht einmal wissen durfte, dass dort allerlei Zeug zur Kommunikation drinnen war. Ich musste natürlich nicht erwähnen, dass ich mich schon einmal hineingeschlichen hatte, als es Nacht gewesen war.
"Ich schau's mir an", sprach mein Vater, ging somit seinen Anführer-Aufgaben nach. Meistens redete er da mit seinen engsten Vertrauten über Pläne und Missionen, wobei ich beim Zweiteren nie dabei sein durfte, was mich störte. Ich nahm es aber hin, ließ es über mich ergehen, denn ich verstand, dass Vater wichtige Aufgaben zu erledigen hatte.
So blieb ich zurück und sah den beiden hinterher, wie sie im Zelt verschwanden. Als sie aus meiner Sicht waren, beschloss ich, meinen normalen Tätigkeiten nachzugehen, und so schlenderte ich durch unser Lager, um mir meine Zeit zu vertreiben.
Meine Füße trugen mich durchs Lager. Der Himmel war ein endloses Blau, durchzogen von der gleißenden Hitze der trockenen Bergregion. Inmitten dieser kargen Landschaft thronte das Lager, eine Oase der Menschlichkeit inmitten der wüstenähnlichen Umgebung. Umgeben von zerklüfteten Felsen und staubigen Pfaden erstreckte sich eine Ansammlung von Zelten. Der Boden war von verblasstem Sand und felsigem Untergrund geprägt, der die Spuren unzähliger Fußstapfen und Räder trug.
Das Lager war von großen Bergen umgeben, zumindest waren die Hänge für mich gigantisch. Die anderen hatten mir erzählt, dass es weitaus höhere Berge gab, doch diese waren bereits Giganten für mich.
Ihre trockenen Hänge ragten in den Himmel. Auf ihnen wuchs allerlei Vegetation, die in der Brandwüste überleben konnte. Unser Lager befand sich inmitten einer kleinen Schlucht und ein zentraler Platz wurde von einem improvisierten Lagerfeuer dominiert. Ein Hauch von Rauch stieg in die Luft auf, sich mit der Wüstenbrise vermischend. Männer und Frauen, gekleidet in abgenutzten Stoffen, waren mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt; einige reparierten Ausrüstung, andere hantierten mit Karten oder sammelten knappe Wasserreserven.
Wieder andere bewachten das Lager und schritten mit Gewehren durch die Gegend. Diese Personen bewunderte ich.
Ich will auch auf Missionen gehen.
Seitdem ich klein war, wusste ich, dass mein Vater der Anführer des Rechten Arms war. Wir lebten in einer Welt, in der es eine böse Organisation namens Wicked gab. Sie entführte Kinder, um aus ihnen ein Heilmittel zu machen. Gleichzeitig waren ihr die Menschen egal, die in Armut in den zerstörten Städten lebten.
Für mich war diese Welt jedoch normal. Ich kannte sie nicht anders, denn als ich geboren worden war, hatte die Sonne bereits die Erde verbrannt. Ich war im Widerstand aufgewachsen. Meine Mutter war am Brand erkrankt, als ich drei Jahre alt gewesen war.
Der Brand...
Ein Virus, das Menschen in Monster verwandelte. Die anderen nannten sie Cranks, doch ich hatte noch nie einen gesehen. Vater ließ mich den Rechten Arm nicht verlassen, zumindest bis ich mich selbst verteidigen könnte. Meiner Meinung nach war ich jedoch schon alt genug.
Seit ein paar Wochen trainierte Vater zumindest mit mir. Als Ausbildung konnte man das jedoch nicht bezeichnen. Erst, wenn ich vierzehn wäre, würde ich das Kämpfen lernen dürfen. Einstweilen lernte ich nur, mich zu verteidigen, und hin und wieder erklärte mir Marc technische Grundlagen.
Schießen ließ mich Vater jedoch nicht, noch nicht. Und auf Missionen dürfte ich erst mit achtzehn. Sechzehn, wenn ich mich bis dahin gut anstellen sollte.
Ja, mein Leben ist öde.
Schnief...
Mit verschränkten Armen und nur etwas trotzig schritt ich weiter durchs Lager. Die Zelte waren aus grobem Stoff gefertigt und in verschiedenen Stufen des Gebrauchs abgenutzt. Hier und da hingen bunte Tücher als improvisierte Sonnenschutzüberdachungen über den Eingängen. In der Ferne erstreckte sich ein Bereich mit Nahrungsmittelvorräten, sorgfältig abgeschirmt vor den schädlichen Strahlen der Sonne. Inmitten dieser Szenerie schlängelten sich schmale Pfade zwischen den Zelten hindurch, von Menschen belebt, die ihren täglichen Beschäftigungen nachgingen.
Die Luft war erfüllt von einer Mischung aus staubiger Trockenheit und dem schwachen Hauch von Lagerfeuerrauch. Die Sonne strahlte erbarmungslos herab. In dieser rauen Bergwüste hatten die Bewohner ihren Platz gefunden, an dem sie trotz der Herausforderungen des Ödlandes zusammenhielten.
Der Rechte Arm änderte jedoch alle paar Wochen bis Monate seinen Standpunkt. Wahrscheinlich würden wir bald umziehen, denn in zwei Wochen sollte ein Transport von Wicked überfallen werden. Mein Vater und die anderen, welche die Mission leiteten, würden zum neuen Lager nachkommen.
Kinder würden aus den Fängen Wickeds befreit werden. Das tat der Arm, um die Kinder zu retten, gleichzeitig, um Wicked zu schaden. Aus diesem Grund befanden sich immer Kinder im Lager, doch noch nie hatte ich mich für sie interessiert. Ich wollte einfach wie mein Vater sein.
Mit diesem Gedanken fuhr ich mir über meine Stirn. Es war ungemein heiß, warum ich folglich in mein Zelt ging. Es war ein großes Zelt, das ich mir mit meinem Vater teilte. Im Vorraum standen allerlei Dinge herum. Waffen lagen auch im ganzen Lager verteilt, doch ich wusste, dass Vater mich umbringen würde, wenn ich eine anfassen würde. Zumindest wusste ich, wie man mit Waffen umging. Nur für den Notfall, denn richtiges Schießen dürfte ich erst später lernen.
Mein Weg führte mich in mein Zelt, wo ich meinen Hut aufsetzte, anschließend griff ich nach meinem Messer. Ich setzte mich vors Zelt unter den Sonnenschutz und schnitzte an einem Löffel weiter, den ich gestern begonnen hatte. So verging ein weiterer Tag im Rechten Arm, doch dieser war nur ein winziger Bruchteil meiner Kindheit.
Ich schüttelte die Gedanken an meine letzte zurückkehrte Erinnerung ab, die mir diese Nacht erschienen war, und fokussierte mich aufs Geschehen vor mir. Links und rechts von uns waren die Cranks, die nach uns schnappten, es versuchten. Deshalb musste ich nicht erwähnen, dass ich diesem Mädchen auf Schritt und Tritt folgte. Sie schlenderte einen Pfad entlang, wo die Cranks uns nicht erwischen konnten. Auch Liv schien ähnliche Gedanken wie ich zu pflegen, da ein angewidertes Geräusch ihre Kehle verließ, als wir an einem sehr stark verfaulten Crank vorbeigingen.
Nach unserer Reise durch das Crank-Meer schritten wir durch die Tür am Ende der kleinen Halle und kamen in einer Art Lagerhalle an. Nur, dass hier anstatt den Cranks echte Menschen lebten. Es wirkte wie eine kleine Kolonie und wir gingen auf eine Treppe zu. Gingen vorbei an den Menschen, die uns alle interessiert, aber auch misstrauisch ansahen. Ich bekam sofort ein mulmiges Gefühl. Die vielen Augenpaare, die auf uns lagen, machten es nicht angenehmer.
"Kommt, Jorge will euch kennenlernen!", rief das Mädchen über seine Schulter unserer Gruppe zu und schritt die Treppen hinauf. Kurz sah sie uns an und im spärlichen Licht der Halle konnte ich sie zum ersten Mal gut betrachten. Sie war ungefähr so groß wie ich, etwas kleiner. Ihre Haare waren kurzgeschoren, was ihre Ohren größer wirken ließ, doch sie war immer noch hübsch; ihre kurzen Haare verdeutlichten ihr symmetrisches Gesicht.
Das Mädchen hatte dunkle, große Augen, die unter dünnen Augenbrauen saßen. Ihre Nase war eine etwas größere Stupsnase, darunter waren volle, schön geschwungene Lippen. Ihr Gesicht war nicht kantig, mehr von der runden Sorte und ihre Haut ohne jegliche Unreinheiten.
Allein ihre Kleidung lässt darauf schließen, dass ihre Gruppe nicht zu den Reichsten der Brandwüste gehört, dachte ich.
Das Mädchen trug ein dünnes gestricktes Oberteil, das von einem dunklen Rot war und ein paar Löcher aufwies. Darüber trug es eine dunkelgraue Jacke und eine dunkle Hose.
"Wer ist Jorge?", fragte Thomas interessiert von neben mir und sah das Mädchen an. Dieses wandte sich nicht einmal Thomas zu, sondern antwortete ihm, während es weiterhin geradeaus blickte: "Wirst du gleich sehen."
Ihre überaus hilfreiche Antwort ließ Thomas Luft aus seiner Nase ausstoßen und im nächsten Moment gingen wir einen kleinen Gang entlang, wobei rechts und links von uns viele Menschen standen. Sie hatten sich neben Tonnen versammelt, in denen Feuer brannte, was die Halle in ein warmes Licht tauchte.
"Ihr habt ihn neugierig gemacht", setzte das Mädchen fort, "Es ist schon lange niemand mehr über die Brandwüste gekommen.", dann schmunzelte sie und fügte hinzu, dass auch sie neugierig war. Und, als ob das ein Signal gewesen wäre, sah ich, dass uns plötzlich die anderen Menschen verfolgten. Ihre dunklen Gestalten setzten sich in Bewegung, saßen uns im Nacken.
"Geht's noch wem anderen so, oder fühlt sich noch wer dezent unwohl?", äußerte sich Newt und ich konnte ihm nur zustimmen.
"Ich find's eigentlich ganz gemütlich, ich hab' schon lange nicht mehr mit Fremden gekuschelt", spottete Liv und sah argwöhnisch über ihre Schulter, wo die vielen Schritte der Verfolger erklangen.
"Lasst uns sehen, was dieser Jorge zu sagen hat", schlug Thomas vor, obwohl ich mir sicher war, dass wir auch ohne unser Einverständnis Jorge kennenlernen würden.
Wir gingen eine Treppe hinauf und kamen in einem Raum an. Dieser war groß und musste sich genau unterm Dach befinden. Es standen allerlei Dinge herum. Tische und abgenutzte Sofas waren ebenfalls zu sehen. Lampen aller Art beleuchteten schwach den Raum, während draußen immer noch das Gewitter tobte. Der Holzboden knarrte unter unserem Gewicht, doch mir blieb keine Zeit, mich im Raum umzusehen, in welchem sich auch die anderen Männer aufteilten. Mein Blick fiel auf einen Mann, der mit seinem Rücken zu uns vor einem Tisch stand. Sofort hatte ich das Gefühl, dass dies Jorge war, und so beobachtete ich den Mann misstrauisch. Vor ihm war ein Funkgerät zu sehen und er drehte an irgendwelchen Rädern herum.
"Jorge, sie sind da!", das Mädchen ließ sich auf einer Couch nieder.
Jorge seufzte folglich und steckte das Gerät aus, welches nicht zu funktionieren schien. Der Mann drehte sich zu uns um, erhob seine ruhige Stimme: "Habt ihr auch manchmal das Gefühl, als ob die ganze Welt gegen euch wäre?", er machte eine Pause und ich konnte sehen, wie sich Mino und Thomas verwirrt ansahen.
Ich jedoch musterte Jorge von Kopf bis Fuß. Er hatte eine dunkle Hautfarbe, in seinen Haaren samt Bart waren weiße Haare auszumachen, die wie Streuseln auf einem Kuchen lagen. Er war dunkel gekleidet und an seinem Oberkörper konnte ich eine goldene Kette ausmachen, die wahrscheinlich zu einer Taschenuhr gehörte. Seine Kleidung war, für die Brandwüste, elegant. Sein langer Ledermantel hatte einen Kragen, doch er zog ihn sich langsam aus, legte ihn auf eine Stuhllehne. Darunter trug er eine dunkelbraune Anzugweste aus rauem Leder. Seine Hose war, wie sein Mantel, ebenfalls schwarz.
"Ich habe drei Fragen", Jorge sah uns aus dunklen Augen an, wobei er eine Glasflasche mit Alkohol in seiner rechten Hand hielt, da er sich gerade ein Glas von der Flüssigkeit einschenkte, das vor ihm auf dem Tisch stand, "Wo seid ihr herkommen? Wo wollt ihr hin? Was hab' ich davon?", er endete und schwieg darauf, anschließend nahm er einen Schluck von seinem Glas, sah uns erwartungsvoll an.
"Nicht alle auf einmal", sprach der Anführer belustigt auf unsere Reaktion, unser Schweigen, da ihm niemand antwortete.
Thomas erhob seine Stimme: "Wir wollen zu den Bergen, zum Rechten Arm.", plötzlich wurde es ruhig, nun, bis alle Anwesenden lachten.
"Der Rechte Arm", wiederholte Jorge Thomas' Worte und sah belustigt aus, "ihr sucht Geister, aber nun die zweite Frage: Wo seid ihr hergekommen?", er ging einen Schritt auf uns zu.
"Das ist nicht von Belang", hatte Minho geantwortet, doch dies schien dem Mann zu missfallen.
Wie aufs Kommando wurden wir folglich von seinen Männern überwältigt und auf die Knie gedrückt. Ich schlug meinem Angreifer meinen Ellenbogen in die Magengrube und trat ihm gegen sein Schienbein.
Kurz war ich von meiner Reaktion selbst überrascht, da ich nicht wusste, dass ich mich so wehren konnte. Doch in dem Moment, als ich mich über mich selbst wunderte, kam ein anderer Mann auf mich zu, packte mich an meinem Haaren und trat mir in meine Kniekehle, sodass ich neben den anderen am Boden landete.
Im nächsten Augenblick sah ich, wie das Mädchen irgendein Gerät über Thomas' Nacken zog und sie nannte Thomas ein Riesenbaby. Sofort wusste ich, welches Gerät das war. Mir wurde bewusst, dass wir gerade unser Todesurteil unterschrieben hatten.
Das Mädchen reichte Jorge unglaubwürdig das Gerät, der es ihr entgegennahm und überrascht auf dessen Bildschirm blickte.
"Wie's aussieht wurdet ihr markiert", ein böses Grinsen umrundete seine Lippen, "Ihr kommt von Wicked und das bedeutet, dass ihr unglaublich wertvoll seid.", danach wurde es still und wieder kamen die Männer auf uns zu.
Das wird nicht gut für uns ausgehen...
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