2. Ein Licht geht auf
Julian war überrascht als sie ihm die Wahrheit sagte. Und ich genau genommen auch, denn sie sagte sonst nicht viel. »Wir kennen uns, wir waren früher auf der gleichen Schule.« Ein Satz und so viel Kälte lag in ihm. Desinteresse. Verachtung. Selbst wenn unsere Welten zusammenprallten, machten sie anscheinend so weiter wie bisher - als hätte es den anderen, das alles, nie gegeben. Und genau das wünschte ich mir auch in diesem Moment. Trotzdem lächelte und bat sie herein, ins Wohnzimmer mit der schwarzen Ledercouch und den samtroten Vorhängen.
»Du kannst hier dein Gepäck abstellen, Julian zeigt dir nachher dein Zimmer. Abendessen ist schon fertig, wir sollten uns beeilen, bevor es kalt wird«, erklärte ich lustlos. Dabei wollte ich doch wirklich nur, dass alle verschwanden - sie, Julian und diese blöde Idee vom Zusammenleben. Nein, ich hasste es jetzt schon. Wollte wieder allein sein, wusste, dass ich alles nur getan hatte, weil jeder es so machte. Eine Beziehung, Heiraten und Kinder kriegen. Das war das, was immer von mir erwartet wurde, von allen. Von der Gesellschaft, die einen sonst als schrullige, alte Jungfer abstempelte, von den Nachbarn, die sich sonst das Maul darüber zerissen, was genau an einem nicht stimmte und die Verwandten, die über dein Leben meckerten und es grundlos kritisierten. Abschaum. Nerviges Pack. Unzufriedene Idioten.
Ich schäumte vor Wut, während ich sie in die Küche führte. Julian hatte schon den Tisch gedeckt, es gab Nudeln mit Soße. Wir setzten uns hin, keiner wagte zu sprechen. Es roch nach heißem Wasser, Nudelteig und Tomaten. Sie rückte an ihrem Besteck, starrte auf den Teller. Schließlich begann ich, uns allen etwas von dem heißen Essen aufzufüllen und zu verspeisen. Ich hatte keinen Hunger, dachte die ganze Zeit nach. Über mein Leben, über sie und Julian, der jetzt peinlichst versuchte eine normale Konversation zwischen uns aufzubauen. Und zum ersten Mal, seit ich auf dieser Erde wandelte, hatte ich keine Lust mehr auf dieses Leben; immer hatte ich es mir einfach gemacht. In der Schule hatte ein Test angestanden, ich lernte. Die langweiligen Mädchen aus meiner Schule scharrten sich um mich, ich spielte einfach nicht. Ein beliebte Junge lud mich ein, ich ging mit ihm aus - so war es immer gewesen, auch jetzt noch und ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht. Uni, Arbeit, Beziehung … All das war von mor erwartet worden, wie es von jedem erwartet wurde. Das war normal, das war »Glück«. Aber jetzt, hier an diesem Tisch, war es ein leichtes zu bemerken, dass das nicht war, was ich wollte. Fast zu einfach drängte sich mir dieser Gedanke auf, ließ mich beklommen und träge werden. Ich legte mein Besteck beiseite, mein Teller war nichtmal zur Hälfte leer gegessen. Julian bemerkte es und sah mich fragend an. Ich lächelte ihm zu, signalisierte ein okay, auch wenn es alles andere als das war. Plötzlich hasste ich den Mann, der mir da gegenüber saß und sich Nudeln in den Mund schaufelte, während er abwechselnd einen Schluck Wein nahm. Mir war noch nie aufgefallen, wie viel er eigentlich essen konnte. Vielleicht aber auch nur, weil er mich nicht interessierte. Genau wie sie, die gerade lustlos mit der Gabel auf ihrem Teller herum stocherte. Nein, mir wurde etwas klar an diesem Abend; Lange genug hatte ich in dieser Farce mitgespielt, hatte nach der Pfeife aller Menschen um mich getanzt. Ich wollte nicht mehr perfekt sein. Auch wenn ich noch nicht wusste, wie ich das anstellen sollte.
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