50. Aufgeflogen (1)
Zu Hause angekommen habe ich nur kurz Zeit, mich frisch zu machen, bevor ich zur Schicht ins Restaurant meiner Großeltern aufbreche. Atemlos komme ich bei ihnen an, schlüpfe in meine Arbeitskleidung und binde mir die Haare zu einem Zopf zusammen. „Los geht's", sage ich zu mir selbst und hoffe, dass meine Großeltern nicht merken, wie abgehetzt ich bin. Aus den Augenwinkeln meine ich zu sehen, wie Nonna die Stirn runzelt und sich nachdenklich mit der Hand übers Kinn reibt. Im Gegensatz zu Grandpa, der mich gewinnend anlächelt.
Die Arbeit im Restaurant fällt mir an diesem Abend besonders schwer. Ich kann mich kaum konzentrieren. Eine bleierne Müdigkeit hat meine Glieder erfasst. Einmal bringe ich sogar das falsche Gericht zu einem Tisch. Obwohl es den Gästen eher wenig ausmacht, ist mir das unangenehm. Sie zeigen sich verständnisvoll und wollen das falsche Gericht einfach behalten. Ich bestehe jedoch darauf, ihnen das Richtige zu bringen.
„Das ist nicht schlimm", meint Grandpa zu mir, „das passiert jedem irgendwann einmal." Dadurch, dass auch er so viel Verständnis aufbringt, wird es allerdings noch unangenehmer. Nun fühle ich mich, als hätte ich nicht nur die Gäste, sondern auch meine Großeltern enttäuscht.
An diesem Abend schlafe ich nach der Arbeit sofort ein und am nächsten Morgen werde ich durch das Klingeln meines Handys geweckt. Verschlafen und blind taste ich danach. Dabei werfe ich es erst mal auf den Boden. Seufzend reibe ich mir über die Augen, die ich sofort wieder zusammenkneife, weil es viel zu hell in meinem Zimmer ist. Ich öffne erst nur das rechte Auge und schiele zu meinem Radiowecker herüber. Die Anzeige verrät mir, dass es bereits zehn Uhr ist. Sofort schrecke ich hoch, nur um dann wieder in mein Kissen zurück zu sinken. Wann habe ich zuletzt bis um 10 Uhr geschlafen? Das ist so lange her, dass ich mich nicht mehr wirklich daran erinnern kann. Ich strecke mich und reibe die letzten Schlafreste aus meinen Augen.
Dann schnappe ich mir mein Handy und schaue nach, wer mich angerufen hat. Pietro. Obwohl sich ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend ausbreitet, beschließe ich, mich erst einmal frisch zu machen und ihn dann aber sofort zurückzurufen.
Gerade als ich aus der Dusche steige, klingelt mein Handy erneut. Schnell wickele ich mich in ein Handtuch und schaue nach, wer mich diesmal anruft. Wieder ist es Pietro. Das ungute Gefühl in meinen Eingeweiden verstärkt sich. Oh je, vielleicht ist es etwas Wichtiges. Zum Glück sehe ich nun rechtzeitig, dass er anruft, bevor er wieder sauer wird. Ich will abnehmen, aber da meine Hände noch nass sind, flutscht das Handy wieder auf den Boden. Fluchend trockne ich mich ab und begutachte dann mein Mobiltelefon. Auf dem Display sind keine Risse zu sehen. Gottseidank! Erleichtert atme ich auf. Was ist denn bloß heute Morgen los? Maddie würde jetzt sagen: „Ist etwa Lass-dein-Handy-fallen-Freitag?". Ich kann ihre Stimme regelrecht in meinem Kopf hören.
Als ich in meine Kleidung schlüpfe, ruft Pietro mich ein drittes Mal an. Wow, das muss ja echt extrem wichtig sein. Diesmal nehme ich rechtzeitig ab. „Hallo", keuche ich atemlos.
„Brionny." Pietro klingt gehetzt. Was ist denn los? Ich befürchte schon, dass er wieder sauer auf mich ist, doch er atmet lediglich einmal tief ein. „Du musst zum Geheimbund kommen, es gibt Probleme."
„Welche Probleme?" Ein schlimmer Gedanke schießt mir durch den Kopf. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich bin ich davon überzeugt, dass Pietro über Lucca und mich Bescheid weiß. Hat er uns etwa gestern auf dem Motorrad gesehen? Oder gibt es Spione des Geheimbunds, die uns in Corniglia erspäht haben? Eine kalte Hand aus Angst krallt sich um mein Herz.
„Was ist los?", hake ich nach, als Pietro mir nicht antwortet.
„Ich sag es dir, wenn du hier bist. Aber du solltest bald kommen. Giacomo ist wirklich nicht begeistert", meint Pietro. Nun ja, falls die Sache mit Lucca und mir raus ist, dürfte wohl niemand so wirklich begeistert sein. Auch Pietros Enttäuschung kann ich mir nur allzu gut vorstellen.
„Okay", antworte ich. Dann legen wir beide auf. Ich fühle mich etwas zittrig. Wird es viel Ärger geben? Bestimmt. Ich zittere leicht, während ich in die Küche hinunter stürze.
Hastig frühstücke ich ein paar Bissen, doch wirklich viel kriege ich nicht runter. Es ist, als wäre meine Kehle zugeschnürt. Bevor ich losfahre, poltere ich jedoch noch einmal die Stufen zu meinem Zimmer hinauf. In weiser Voraussicht packe ich das Notizbuch meines Vaters ein, falls ich direkt von der Villa Belluco nach Siena aufbrechen muss.
Ich schnappe mir das Auto meiner Großeltern und fahre mit klopfendem Herzen zur Villa Belluco. Auf dem Hof stehen lediglich die protzigen Karren der Familienmitglieder. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Hier scheint zumindest nicht mehr los zu sein als sonst.
Trotzdem schlägt mir das Herz bis zum Hals. Die Tür der Villa Belluco ist abgeschlossen. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen drücke ich die Klingel. Gaia Belluco öffnet mir. Sie wirkt reserviert, aber dennoch freundlich. In ihren Augen meine ich sogar etwas wie Bedauern zu erkennen. „Guten Morgen, Brionna. Schön, dass du so schnell kommen konntest."
„Guten Morgen, Gaia."
„Komm doch mit!", weist sie mich an. Ich folge ihr durch die Eingangshalle bis ins Esszimmer der Familie. An dem großen Esstisch sitzen Giacomo und seine Frau Susanna, Alessia, Philippe, sowie Alessandro und Pietro. Ein unangenehmes Schweigen liegt wie eine bleierne Decke in der Luft. Die Stimmung ist so angespannt, dass ich es fast greifen kann.
„Guten Morgen", sage ich beim Eintreten. Die Gesichter aller Anwesenden sehen ernst aus. Pietro blickt besonders schuldig und gehetzt drein. Ich hätte eher erwartet, dass er mich anklagend anschaut, deshalb wundere ich mich über diesen Ausdruck.
„Was ist denn los?", frage ich. Zuerst sollen mir die anderen erklären, warum sie mich hierher zitiert haben.
„Guten Morgen, Brionna. Setz dich bitte", weist Giacomo mich an. Er deutet auf den freien Platz neben Pietro. Ich schlucke und setze mich. Gaia verschwindet schnell in die Küche, um für mich einen Kaffee zu holen. Währenddessen schaue ich in die Gesichter aller Anwesenden. Bis auf Pietro erwidern sie meinen Blick mit einer anklagenden Nuance und Giacomo wirkt regelrecht wütend. Auch Philippe runzelt die Stirn und zieht die Augenbrauen zusammen, was ihm einen grimmigen Ausdruck verleiht.
„Es ist aufgeflogen", sagt Pietro mit schuldbewusstem Blick zu mir, „sie wissen Bescheid."
Ich hole tief Luft. Also doch. „Ich war das nicht. Ihr müsst irgendjemand anderen gesehen haben", sage ich schnell. Dann beiße ich mir auf die Lippen. Habe ich damit schon zu viel verraten? Vermutlich wäre es viel klüger gewesen, sich einfach dumm zu stellen.
„Was?", fragt Alessia und runzelt nun genau wie ihr Bruder die Stirn. Sie sieht nicht so aus, als wüsste sie, wovon ich spreche.
„Sag mal denkst du, dass wir bescheuert sind?!", bricht es aus Giacomo heraus. Seine Unterlippe zittert regelrecht und er wirkt, als könnte er sich nur schwer zusammenreißen. Fast schon energisch kratzt er sich in den Ellenbeugen. Der Blick aus seinen Augen ist so wütend, dass es mir fast ein bisschen Angst macht. „Pietro hat bereits alles gestanden. Es ist sinnlos, das jetzt zu leugnen." Erschrocken wirbele ich zu Pietro herum.
„Du hast was?!", fauche ich ihn an.
„Ja, ich hab den anderen gesagt, dass du da nicht mit drin steckst, aber sie wollten mir nicht glauben. Schließlich haben wir letzten Oktober hinter ihrem Rücken ja auch ein geheimes Ding gedreht", sagt er und schafft es dabei aber nicht, mir in die Augen zu sehen. Stattdessen schaut er auf seine ineinander gefalteten Hände hinab.
Fragend wende ich mich wieder den anderen zu. So langsam habe ich das Gefühl, dass auch ich nicht die leiseste Ahnung habe, wovon hier gerade gesprochen wird. Geht es am Ende gar nicht um Lucca und mich? Ich sollte mich mit weiteren Aussagen vielleicht erst mal zurückhalten.
Da holt Giacomo auf einmal ein altes, zerfleddertes Buch unter dem Tisch hervor. Es muss die ganze Zeit über auf seinem Schoß gelegen haben. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es sich dabei um Maria Veccas Tagebuch handelt. Ich runzele die Stirn. Wie kommt er denn bloß daran? Pietro hatte es doch? Da erst wird mir bewusst, was Pietro meinte mit: „Es ist aufgeflogen." Am liebsten hätte ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Wie konnte ich nur so schwer von Begriff sein?
„Ich möchte bitte wissen, wie zur Hölle ihr auf die Idee kommt, das Tagebuch meiner Mutter zu klauen, verdammt nochmal?!", bricht es aus Giacomo heraus. Seine Stimme zittert vor Wut. Ich kann erkennen, dass es ihm schwer fällt, sich zu beherrschen. Seine Augen funkeln regelrecht. Ich halte seinem Blick jedoch statt, während Pietro weiterhin schuldbewusst auf seine Hände schaut.
„Bestimmt hast du meinen Neffen dazu angestiftet, es zu klauen", antwortet Giacomo für mich. Noch immer ist sein Tonfall anklagend und kalt. „Das würde dir ähnlich sehen." Für einen Moment weiß ich gar nicht, wie ich reagieren soll. Am liebsten hätte ich laut losgelacht. So einfach ist das also. Giacomo hat lediglich herausgefunden, dass es keinen Maulwurf im Geheimbund gibt, sondern dass Pietro das Tagebuch geklaut hat.
„Brionna, warum musst du Pietro denn immer zu solch einem bescheuerten Unsinn anstiften?", donnert Giacomo und kratzt sich wieder in den Ellenbeugen.
„Wenn du alles schon so genau weißt, dann musst du ja auch nicht mehr nachfragen", entgegne ich darauf nur. Das bringt Giacomo nun endgültig auf die Palme. Er schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Seine Kinder und Pietro zucken erschrocken zusammen, doch ich rühre mich nicht. Giacomo ringt regelrecht mit der Fassung, kann sie dann aber bewahren.
„Ich glaube, euch beiden ist nicht klar, wie sehr ihr damit für Aufruhr gesorgt habt. Wir dachten, es gäbe einen beschissenen Maulwurf im Geheimbund. Wir haben all unsere Freunde verdächtigt, Informationen an Falcini weiterzugeben", spuckt er die Worte regelrecht aus.
„Ich glaube, Pietro ist es sehr wohl klar. Und er hat es nicht böse gemeint. Wir wollen bloß voran kommen", sage ich, „außerdem nervt es, dass ihr die ganze Zeit Geheimnisse habt und uns nicht einweihen wollt." Neben mir stößt Pietro einen erschrockenen Laut aus. Es ist ihm nicht recht, dass ich für ihn spreche, aber mir ist das egal. Immerhin bekommt er seine Zähne kaum auseinander und irgendjemand muss Giacomo schließlich die Stirn bieten.
„Deine Mutter hat das Tagebuch in meinem Zimmer versteckt, weil sie wollte, dass ich es finde. Also denke ich auch, dass es in Ordnung ist, wenn ich mir das Tagebuch noch einmal anschaue", füge ich hinzu, nachdem Giacomo mir nicht antwortet.
„Verdammt nochmal! So geht das aber trotzdem nicht! Uns im Glauben zu lassen, wir hätten hier ein Sicherheitsloch", ruft Giacomo aus. Dabei stemmt er die Hände auf die Stuhllehne, so als wollte er jeden Moment aufstehen.
„Und warum verschweigt ihr uns dann die ganze Zeit etwas?", frage ich. Meine Stimme klingt beinahe ebenso anklagend wie die von Giacomo. „Pietro und ich wissen von dem geheimen Archiv."
Als ich das sage, wechseln Giacomo und Alessandro einen erschrockenen Blick. Daraufhin schnaube ich nur wütend. So eine große Überraschung ist das nun auch nicht. Schließlich hat Pietro die beiden am Wochenende doch auf das Archiv angesprochen.
„Woher wisst ihr davon?", will Giacomo entsetzt wissen.
„Das ist nicht sonderlich schwer", antworte ich.
„Wir haben es aus euren Gesprächen herausgehört", fährt Pietro mit schwacher Stimme fort, ohne jedoch dabei den Blick von seinen Händen zu nehmen.
„Also, was ist das geheime Archiv?", frage ich herausfordernd. Giacomo und Alessandro sehen immer noch vollkommen ratlos aus. Deshalb wundert es mich auch nicht, dass es Alessia ist, die mir antwortet: „Das geheime Archiv ist ein Ort, an dem meine Großmutter Unterlagen über dem Geheimbund gelagert hat. Hier im Weinkeller. Wir wussten selbst nicht, dass dieser Ort existiert, bis ein Mitarbeiter von Alessandro ihn beim Putzen zufällig gefunden hat."
Für einen Moment bleibt mir die Spucke weg. Damit, dass uns jemand tatsächlich die Wahrheit erzählt, hätte ich so schnell nicht gerechnet. Meine Kinnlade klappt herunter und ich kann Alessia lediglich erstaunt anstarren. Nach dem ersten Herzschlag der Überraschung fange ich mich jedoch und erwidere Alessias Blick herausfordernd.
„Und warum habt ihr uns nicht schon früher davon erzählt?", möchte ich wissen. Schlimm genug, dass die Mitglieder des Geheimbundes meiner Schwester und den Zwillingen nichts von ihren Vorhaben erzählen, vor Pietro und mir halten sie auch wichtige Informationen zurück.
„Weil wir uns nicht sicher waren, was wir dort finden würden", antwortet Alessandro ausweichend, „es tut uns wirklich sehr leid, dass wir euch nicht früher davon erzählt haben." In seiner Stimme schwingt eine Portion Enttäuschung mit. Gleichzeitigt wirkt es jedoch, als fühlte er sich schuldig. Gut so, dann ist ihm wenigstens bewusst, dass es nicht fair war, uns die Wahrheit zu verschweigen.
„Wir können das trotzdem nicht einfach so durchgehen lassen", wirft Giacomo ein. Mittlerweile hat er sich wieder beruhigt. Nun scheint er vielmehr erschöpft zu sein. Sein Haar wirkt auf einmal schütterer und die Falten in seiner Haut tiefer. „Wenn ihr beiden euch so für das geheime Archiv interessiert, könntet ihr ja anfangen, dort aufzuräumen. Als Strafe sozusagen", fügt er hinzu.
Ich schnaube verärgert. Er will uns doch jetzt nicht ernsthaft dafür bestrafen, dass wir das Tagebuch geklaut haben? Wer ist denn derjenige, der hier ständig Geheimnisse hat? Gerade als ich etwas erwidern möchte, beiße ich mir jedoch auf die Zunge, denn mir wird plötzlich bewusst, dass auch ich gewissen Dinge für mich behalte, von denen Giacomo nichts weiß. Deshalb nicke ich lediglich. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, wenn Pietro und ich dieses geheime Archiv aufräumen müssen. Immerhin gibt uns das die Möglichkeit, zu erfahren, was Maria dort aufbewahrt hat.
Auch Pietro nickt. Nur vorsichtig hebt er den Blick von seinen Händen. Trotzdem traut er sich noch nicht, seinem Vater oder Onkel direkt in die Augen zu sehen. Solange dieses Verhör damit beendet ist, akzeptiert er glaube ich jede Strafe bereitwillig. Ein bisschen ärgert es mich, dass er so nachgiebig ist und nicht mehr Rückgrat beweist.
Giacomo seufzt und scheint nun allerdings nicht mehr so emotional geladen zu sein. Stattdessen versucht er es auf eine verständnisvollere Art und Weise. „Wir gehören doch alle zusammen, warum vertraut ihr uns denn nicht einfach?", fragt er. Daraufhin ziehe ich nur scharf die Luft ein.
„Wenn wir alle zusammen arbeiten, möchte ich auch, dass wir alle gleich involviert sind", gebe ich zu bedenken, „es ist nicht fair, dass du Marias Tagebuch direkt an dich genommen hast und wir uns das nicht mehr anschauen durften."
„Wie stellst du dir das denn vor?", fragt Giacomo, „im Geheimbund sind so viele Leute, da kann nicht jeder mitentscheiden."
„Ich finde, sie hat Recht", gibt Alessia zu bedenken, bevor ich die Gelegenheit bekomme, zu antworten. „Brionny ist eine Elementträgerin und Kate auch. Ich finde, die beiden sollten mehr Mitbestimmungsrechte bekommen, auch wenn sie noch nicht so lange dabei sind." Giacomo verdreht die Augen und sieht seine Tochter wütend an. Stumm tragen die beiden ein Blickduell aus, das Alessia gewinnt, denn nach mehreren Sekunden, die mir wie halbe Ewigkeiten vorkommen, blinzelt Giacomo und sieht dann zu mir herüber.
„Darüber reden wir morgen", nuschelt er. Na da bin ich mal gespannt, ob Alessias Vorschlag tatsächlich nachgibt. Vorstellen kann ich es mir noch nicht. Aber wer weiß, vielleicht überrascht er mich ja noch.
Neben mir entspannt sich Pietro merklich. Es ist, als würde eine große Last von seinen Schultern genommen. Er sackt sogar in sich zusammen. „Ich finde es trotzdem schade, dass ihr mit eurem Anliegen nicht früher zu mir gekommen seid", fährt Giacomo fort.
„Die Hauptsache ist doch, dass wir jetzt alles geklärt haben", sagt Gaia beschwichtigend, bevor ich noch etwas darauf erwidern kann. Scheinbar ist ihr die Situation genauso unangenehm wie Pietro.
Nachdem Giacomo und Alessandro wiederholt haben, wie enttäuscht sie von uns sind, führt Giacomo uns in das Bürohaus neben der Villa. Dort laufen wir eine schmale Treppe in den Keller hinunter, in dem die Weinfässer lagern. Eines davon ist riesig und an die Wand gelehnt. Man kann eine Tür öffnen, die in das Innere des Weinfasses führt. Es ist beinahe, als wäre das Fass ein riesiger Gang, der in einen dunklen Kellerraum mündet.
Hier stehen überall Regale mit Kisten und Akten herum. Lediglich eine kahle Glühbirne ohne Lampenschirm spendet ein schummriges Licht. Ein bisschen erinnert mich dieses Archiv an den geheimen Raum in den Ruinen und gleichzeitig auch an den Lagerraum eines Polizeireviers aus einer Krimiserie im Fernsehen. Über allem liegt eine zentimeterdicke Staubschicht. Schon beim Eintreten wirbeln wir so viel davon auf, dass ich husten muss. Giacomo erwischt es noch schlimmer. Er bekommt einen Niesanfall. Mit tränenden Augen, tropfender Nase und nach Luft schnappend verlässt er das Archiv.
„Na toll", raune ich und verdrehe die Augen. Pietro und ich folgen seinem Onkel wieder in den Weinkeller. Der reibt sich über die leicht geröteten Augen und putzt sich die Nase. „Entschuldigt", nuschelt er, „da drinnen war bestimmt schon seit den Neunzigern niemand mehr. Damals hat meine Mutter alle Informationen, die ihr wertvoll erschienen, aus dem geheimen Archiv in den Ruinen hierher gebracht, damit die Cinquenti nicht daran kommen können."
„Wie hat sie das geschafft ohne die Hilfe eines Elementträgers oder einer Elementträgerin?", frage ich erstaunt. Schließlich ist die Magie eines Elements die einzige Möglichkeit, in den geheimen Raum in den Ruinen zu gelangen. Und Maria beherrschte keines der Elemente.
„Ich weiß es nicht", gibt Giacomo zu , „sie hatte viele Geheimnisse und das war wohl eines davon. Vielleicht könnt ihr ja hier mehr darüber herausfinden. Damit würdet ihr den Schaden wieder gutmachen, den ihr angerichtet habt."
Ich schnaube. Was für einen Schaden haben wir denn bitteschön angerichtet? Trotzdem sage ich nichts, sondern tue es Pietro gleich und nicke nur. Was bleibt mir auch anderes übrig? Außerdem finde ich das Archiv ziemlich spannend und ich bin neugierig. Bisher habe ich angenommen, dass sich alle Unterlagen des Geheimbundes in Alessandro Bellucos Büro befänden. Mit dem Archiv hier eröffnet sich eine ganz neue Welt.
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