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„Unser Lucca?", fragt Kate, „Lucca Telloni?" Ich muss lächeln. Unser Lucca. Sie kann ihn scheinbar genauso wenig als Feind betrachten wie ich.
„Ja... du... ich war nicht ganz ehrlich zu dir. Das tut mir leid. Also du erinnerst dich noch an den Brief von Maria, in dem stand, dass Leonardo noch am Leben ist, oder?"
„Ja klar."
„Und an das Buch, das ich bestellt habe?"
„Ja."
„Also Lucca und ich haben herausgefunden, dass in den Buch eine weitere Spur versteckt ist, die zu einem Mann führt... einem alten Bekannten von Maria Vecca." Hoffentlich bemerkt sie mein Stocken nicht. Trotzdem fällt es mir leichter, sie anzulügen, als ich erwartet habe. Die Worte kommen fast wie von selbst über meine Lippen. Scheinbar tut es mir doch gut, mich ihr anzuvertrauen. Zumindest teilweise. „Bei diesem Bekannten von Maria waren wir an dem Wochenende, als ich gesagt habe, ich sei bei Stella. Er hatte Informationen zu Leonardo Falcini."
„Wirklich?!", fragt Kate. Ihre Stimme klingt hell und begeistert. „Mega cool. Und warum erzählst du mir das nicht vorher? Ich hätte mitkommen können!"
„Ich ja... ich war mir nicht sicher, ob es gefährlich sein könnte. Deshalb sind Lucca und ich allein gefahren." Nachdem ich das ausgesprochen habe, fühle ich mich erleichtert, auch wenn ich ihr nur einen Teil der Wahrheit verraten habe. Es ist, als würde eine schwere Last von meinen Schultern genommen, von der ich vorher gar nicht gemerkt habe, dass ich sie mit mir herumtrug. Kate hat Recht, in letzter Zeit haben wir uns ziemlich voneinander entfernt. Das könnte sich nun wieder ändern.
„Und, habt ihr Leonardo gefunden?", will sie wissen.
„Nicht ganz. Marias Bekannter wusste auch nicht, wo Leonardo ist. Aber er hat mir seine Unterlagen mitgegeben." Dass ich mich am kommenden Wochenende wieder mit unserem Vater treffen werde, verrate ich ihr allerdings nicht.
„Und da hast du was gefunden?"
„Bisher noch nichts", gestehe ich.
„Oh Mann. Mega schade", sagt sie begeistert, „und Pietro weiß Bescheid?"
„Natürlich nicht. Ich dachte, es ist besser, wenn so wenig Leute wie möglich wissen, dass Leonardo noch lebt. Außerdem würde er ausrasten, wenn er erführe, dass ich mit Lucca unterwegs war."
„Oh ja, das würde er", kichert Kate, „ist vielleicht besser, wenn er das nicht weiß."
„Niemand sollte das wissen", schärfe ich ihr ein, „nicht Pietro und auch nicht seine Geschwister. Einfach niemand, hast du mich verstanden?" So gut es sich auch anfühlen mag, mit Kate über Lucca zu sprechen, ich bin mir trotzdem nicht sicher, wie lange sie dichthalten wird.
„Klar, ich werd's nicht weiter erzählen." Mit dem Zeige- und Ringfinger der rechten Hand formt sie ein V und legt sie an ihre Brust.
„Ich mein's ernst. Nicht so wie letztes Mal, als du dich betrunken wegen deines Elements verplappert hast."
Kate schmollt und verschränkt nun die Arme. „Das war einmal", erwidert sie, „außerdem bin ich erst fünfzehn. Ich darf sowieso keinen Alkohol trinken und daran halte ich mich auch." Nun klingt sie ein bisschen enttäuscht, aber ich hoffe, dass sie den Ernst der Lage verstanden hat. Für einen Moment schweigt sie. Scheinbar muss sie erst mal verarbeiten, was ich ihr soeben erzählt habe.
„Mit Lucca hast du dich aber vorgestern nochmal getroffen, oder?", fragt sie schließlich.
„Ja, hab ich", antworte ich knapp.
„Woher weißt du, dass du ihm vertrauen kannst?", fragt sie.
„Ich glaube, einen rationalen Grund habe ich nicht. Ich fühle es einfach. Außerdem kann er seinen Ohrring ausziehen. Ohne den kann er nicht über das fünfte Element herrschen", erkläre ich. Meine Schwester nimmt diese Argumentation kommentarlos hin. Ihr ist es schon immer leichter gefallen, anderen Menschen zu vertrauen als mir und wenn ich von Luccas Unschuld überzeugt bin, dann ist sie das erst recht.
„Und hat er dir auch was über Falcini und die Cinquenti verraten?"
„Unter anderem." Ich seufze und beginne, von Lucca zu erzählen. Wie ich mich bei ihm fühle und natürlich auch von dem, was da zwischen uns läuft. Die Erzählungen dauern so lange, dass Kate und ich noch im Auto sitzen bleiben, obwohl wir schon längst zu Hause angekommen sind. Meine Schwester strahlt übers ganze Gesicht.
„Wie schön das mit euch ist... so romantisch. Fast wie bei Romeo und Julia." Sie seufzt.
„Ich finde das nicht romantisch", erwidere ich nur. Auf die Rolle der tragischen Liebenden habe ich nicht besonders viel Lust. Wo soll das alles auch hinführen? Obwohl ich es nicht will, stelle ich mir diese Frage immer wieder.
„Aber er muss dich wirklich gern haben, wenn er sich dadurch gegen seine Familie stellt", meint sie.
„Ich glaube, dass er sich hauptsächlich wegen seiner Familie gegen Professor Falcini stellt. Seine Brüder stehen vollkommen unter Falcinis Kontrolle und er verweigert seiner Mutter Hilfe, die sie dringend benötigt."
„Aber auch voll süß, dass ihr euch Team Leonardo nennt. Das müsst ihr ihm unbedingt erzählen, wenn ihr ihn findet. Er kann ja dann Ehrengast bei eurer Hochzeit sein."
„Kate!", rufe ich entsetzt aus, „ich habe mich bisher nur ein paar Mal mit Lucca getroffen. Niemand spricht hier von einer Hochzeit. Überhaupt, es ist noch gar nicht klar, ob wir Leonardo überhaupt finden werden. Vielleicht hat Maria Vecca ihn ja so gut versteckt, dass niemand jemals seine wahre Identität herausfinden wird."
„Das glaube ich kaum. Leonardo ist ein Elementträger. Seine wahre Identität wird früher oder später ans Licht kommen. So eine Fähigkeit lässt sich nicht verstecken."
Ich bin froh, dass sie nicht schon wieder mit dem Heiraten anfängt, deshalb steige ich voll auf das Thema Leonardo ein. „Unser... also Marias Bekannter meint, Leonardo sei aufgewachsen, ohne zu wissen, wer er eigentlich ist. Er weiß nicht mal, dass es den Geheimbund gibt." Ein Mann mit einem Hund läuft vor uns über den Parkplatz. Erschrocken wechseln Kate und ich einen Blick, dann gehen wir schließlich doch ins Haus. Irgendwie fühlen wir uns in den eigenen vier Wänden sicherer und können ungestörter reden. Kate schleicht sich mit mir auf mein Zimmer. Wir ziehen unsere Pyjamas an, machen uns bettfertig und dann kuschelt meine Schwester sich neben mir unter die Decke. Obwohl es ziemlich heiß ist, lasse ich das Fenster geschlossen. Besser wir schwitzen, als dass uns jemand belauschen kann.
Gemeinsam tragen wir alle Informationen über Leonardo Falcini zusammen, die wir haben. Leider haben wir keine Ahnung, wie er überhaupt aussieht oder wie er spricht. Wer weiß, ob er überhaupt in Italien aufgewachsen ist. An Marias Stelle hätte ich ihn so weit weg wie nur möglich geschafft, um ihn auf jeden Fall in Sicherheit zu wissen.
Als ich das anmerke, muss Kate kichern. „Stellt dir vor, er ist Australier." Sie kriegt sich vor Lachen kaum noch ein. „G'day mate. I'm Leonardo Crocodile Dundee. I come from a land down-under", sagt sie und versucht dabei, einen australischen Akzent zu imitieren. Das klingt so daneben, dass selbst ich lachen muss.
„Oder er gehört zu einer Sekte, die keine Verbindungen zur Außenwelt hat. Vielleicht weiß er nicht mal, was Handys und moderne Telekommunikation sind. Da hätte ich ihn jedenfalls hingesteckt. Da wäre er auf jeden Fall sicher", überlegt sie weiter.
„Hm", brumme ich nur. Irgendwie klingt das ziemlich grausam. Ich weiß nicht, ob Maria ihren Enkel tatsächlich einer Sekte überlassen hätte. Andererseits hat sie es auch fertig gebracht, seinen Tod vorzutäuschen.
„Du...Nini", beginnt Kate. Ihr Kopf thront auf meinem Kissen. Die Augen hält sie fest geschlossen. Wenn sie es nicht mal schafft, die Augen offen zu halten, muss sie ziemlich müde sein. Ich kenne sie gut genug um zu wissen, dass sie gleich einschlafen wird. „Was hast du eigentlich gesagt, als du meintest, es gäbe keinen Maulwurf im Geheimbund?" Die Worte verlassen nur leise und in einem schwerfälligen Nuscheln ihre Lippen.
„Pietro hat Marias Tagebuch", antworte ich. Von dem Hinweis, den er gefunden hat, erzähle ich ihr nichts. Sie bekommt ohnehin nicht mehr viel mit. Bald darauf schläft sie nämlich schon tief und fest, während ich wach liege und ewig nicht einschlafen kann. In meinem Kopf kreisen die Gedanken, die sich regelrecht jagen. War es nicht doch etwas unfair, so essentielle Teile der Wahrheit vor meiner Schwester zu verbergen?
Am nächsten Morgen klingelt Kates Handywecker extrem früh. Obwohl ich mich als Frühaufsteherin bezeichnen würde, komme ich nur schwer aus dem Bett. Erst da fällt mir ein, dass meine Schwester ja zur Schule muss. Nach den paar Stunden Schlaf quäle ich mich regelrecht in die Küche, um mit Kate zu frühstücken. Am liebsten hätte ich mich danach noch einmal ins Bett gelegt und weiter geschlafen, aber es gibt auch für mich genug zu tun. Gemeinsam mit Kate gehe ich zu meinen Großeltern, leihe mir das Auto aus und fahre sie zur Schule. „So ein Luxus", kichert meine Schwester, „da hast du schon frei und bringst mich trotzdem zur Schule."
„So ganz uneigennützig ist das nicht", erkläre ich ihr und erzähle von dem Hinweis, den Pietro gefunden hat.
„Oha krass. Da wäre ich nie drauf gekommen. Zum Glück hast du so ein gutes Gedächtnis und saßt zufällig am richtigen Platz", staunt Kate. Daraufhin zucke ich nur mit den Schultern. Ob ich mit meiner Vermutung richtig liege, wird sich schließlich erst noch zeigen. Nachdem ich meine Schwester am Schülerparkplatz abgesetzt habe, umarmt mich Kate einmalschwungvoll. „Viel Glück wünsche ich dir. Sag mir heute Mittag, was du herausgefunden hast." Dann dreht sie sich um und winkt mir fröhlich lachend zu. Kaum eine Sekunde später hat sie sich bereits unter die in das Schulgebäude strömenden Schüler gemischt und unterhält sich wild gestikulierend mit der nächsten Person.
Unter dem Vorwand, ich hätte bei meiner Prüfung meine Armbanduhr im Klassenzimmer vergessen, bitte ich eine der Sekretärinnen, mir den Raum noch einmal aufzuschließen, in dem ich Marias Hinweis entdeckt habe. Tatsächlich finde ich den Tisch, auf dem ihre Initialen, sowie die Zahl eingraviert sind, recht schnell. So unauffällig wie möglich, notiere ich die Zahl mit einem Kuli auf meinem Unterarm. 05.12.1953. Ein Datum. Seltsam, was hat es damit wohl auf sich?
„Und, können Sie ihre Uhr finden?", fragt die Sekretärin, die mich neugierig beäugt. Scheinbar fragt sie sich, was ich gerade mache.
„Nein, leider nicht. Dann liegt sie wohl bei mir zu Hause. Aber vielen Dank!", sage ich zu ihr. Nachdem ich habe, was ich will, verlasse ich das Schulgebäude wieder. Dabei luge ich zu der Zahl auf meinem Unterarm hinab. 05.12.1953. Es gibt nur einen Weg, herauszufinden, was es mit diesem Datum auf sich hat.
Statt nach Hause zu fahren, mache ich mich auf den Weg in die Villa Belluco. Seit Giacomo einen Maulwurf im Geheimbund vermutet, ist die Tür zum Hauptquartier des Geheimbundes allerdings abgeschlossen. Deshalb klingele ich, woraufhin mir Gaia Belluco verwundert die Tür öffnet. „Guten Morgen, Brionna", sagt sie und klingt verwundert, „was führt dich zu uns?"
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