* Kapitel 28 *
"Wir sind hier aus einem Grund hergekommen, lass es uns wenigstens versuchen", doch Vera hatte genug davon und versuchte, Lia aus dem Griff des Weisen zu befreien.
"Wir bitten um das Betreten der heiligen Quelle der Entschleierung." Rief die Prinzessin über Veras Schulter hinweg, ungestört davon, dass diese sie anzischte.
Die Augen des Mannes verloren ihre Trübe und seine Pupillen färbten sich zurück zu einem dunklen Kohlegrau. Er ließ los. Die beiden Frauen traten hastig einen Schritt zurück.
"Eisprinzessin", verneigte er sich mit vor der Brust verschränkten Armen die Hände auf die Schultern gelegt. Vera musste unterdrücken, die Augen zu verdrehen, diese Schlossbewohner und ihre Armhaltungen. All die Formalitäten, wie ein Handschlag auszuführen, wie eine Verbeugung umzusetzen war, gingen ihr seit dem ersten Tag auf die Nerven. Wenn sie sich nie wieder vor jemandem beugen musste, war dieser Tag noch zu weit weg.
Die Prinzessin trat um den Arm der Dienerin herum und richtete sich zu voller Größe vor dem Weisen auf.
"Ich bin Prinzessin Lia der Eislande und erbitte Einlass für mich und meine Zofe. Sie soll die Quelle der Entschleierung betreten."
Der Weise legte den Kopf schief, betrachtete sie beide von oben bis unten und schloss die Augen, was Veras Eindruck, dass er verrückt geworden war nur noch bestätigte. Dieser Besuch war eine gute Idee gewesen, aber weder das Risiko wert noch schien er sich auszuzahlen. Sie hatten einen gezeichneten Irren gefunden, keine Antworten.
„Das Wasser kann euch nichts geben, was ihr nicht bereits habt. Aber es kann einen Anstoß geben, das freizulegen, was noch verborgen liegt." Die Stimme des Mannes klang wie ein Singsang und wurde in der Höhle von den Wänden zurückgeworfen. Vera schauerte es. Lia neben ihr blieb beharrlich.
"Das verstehen wir, dennoch bitten wir um das Betreten der Quelle."
"Es gibt keine Möglichkeit zu beeinflussen, was ihr erfahrt. Es muss nicht sein, was ihr sucht."
"Wir bitten darum, die Quelle zu betreten."
"Was ihr findet, muss euch auch nicht gefallen."
"Wir bitten um Einlass in die Quelle."
Der Weise nickte andächtig.
"Viermal wurdet ihr belehrt, vier mal habt ihr gebeten. So sei es. Eine von euch darf nun die Quelle betreten. Folgt mir, Prinzessin."
Als wäre es eine völlig gewöhnliche Situation und Aufforderung tat Lia, wie ihr geheißen.Vera blickte sie ungläubig an, verharrte einen Moment länger, schloss dann jedoch zögernd und mit Skepsis im Sinn auf.
"Ein irrer Alter führt uns zu einem unterirdischen Tümpel, bist du sicher, dass das die Antwort auf unsere Fragen ist?", raunte sie Lia ins Ohr. Die Prinzessin erstickte fast an ihrem unterdrückten Kichern, schritt jedoch unbeirrt edel weiter. Vera konnte nur erahnen, wie sehr sie jeder Schritt eigentlich anstrengen musste, beim Zustand ihres Körpers. Auf der Treppe hatte Lia zwischenzeitlich schwer geatmet, es jedoch zu vertuschen versucht. Vera machte sich eine gedankliche Notiz, der Prinzessin anschließend Bettruhe zu verordnen. Solche Aktionen konnte sie sich nicht leisten.
Der Mann führte sie zwischen leuchtenden Stalagmiten und mit Eis überzogenen Stalaktiten vorbei an den Rand eines unnatürlich wirkenden, mit Dampf überzogenen Wassers. Türkis-bläulich waberte die Oberfläche obwohl in der unterirdischen Grotten kein Wind herrschte. Ein Licht schien von ihr auszugehen und strahlte Lias Gesicht von unten an.
Ehrfürchtig hielt Vera den Atem an. Ob der Mann verrückt war oder nicht, magisch oder nicht, dieses Wasser vor ihnen war es auf jeden Fall. Schlitternd säuselte die Magie über ihre Haut, Begrüßte und Bewertete. Auch Lia atmete flacher, sah Vera an. Schlichen sich dort Zweifel in ihre Augen, war es Angst oder doch Überzeugung. Vera konnte sie nicht deuten.
"Ich war noch nicht oft hier unten, weil meine Magier sich hier seltsam anfühlt", gab sie zu.
"Kein Wunder, bei dem ganzen Stein zwischendrin und den magischen Quellen", denn daran, dass diese Quellen tatsächlich Kräfte besaßen bestand kein Zweifel mehr.
Vera kniete sich hin und fuhr mit der Hand über die Wasseroberfläche. Im Moment eines Wimpernschlags hatte der Ebel bereits ihre Hand verschluckt. Zu ihrer Verwunderung fühlte sich das Wasser nicht warm an, auch nicht kalt. Sie nahm seinen Widerstand, seine zähflüssige Trägheit war, aber wenn sie ihre Finger nicht bewegte, hinterließ es keinen Eindruck, als wäre es nicht ganz real, sondern nur eine Täuschung der Sinne.
Sie zog ihre Hand wieder heraus. Kurz troffen einige wenige Tropfen davon herab, doch es blieb keine Nässe zurück. Ihre Haut mit den Dienermahlen blieb trocken.
Ein Wasser, das nicht nass war, das man auch sonst nicht spürte.
"Einmal Kontakt hergestellt muss er erhalten bleiben", tönte es hinter ihr.
"Halt, bei den Geistern! Was tun Sie-" Lia.
Vera bemerkte, wie über die Kante glitt und Kopf vorraus in den Nebel eintauchte.
***
Weiß bläuliche Wände, umgaben sie. Ihre Sicht verschwamm wie durch Nebel. Menschen liefen. Nicht liefen, sie rannten. Ein Pfeil flog durch die Luft, knapp an ihr vorbei, doch sie spürte seinen Luftzug nicht. Als sie sich drehte, um ihm nachzuschauen verschwand die seltsame Szenerie und um sie herum glommen nur verschwommen die Stalagmiten der Grotte. Warum sah sie immer noch verschwommen? Vera blinzelte, doch ihre Sicht blieb die selbe. Ihre Lungen brannten in ihrer Brust und zarte Arme packten ihre Schultern. Geräusche drangen seltsam gedämpft zu ihr herunter und ihre Haut fühlte sich ungewöhnlich kalt und weich an. Das weiße Haar schwebte ihr vor dem Gesicht als hätte die Zeit angehalten. Vielleicht hatte sie das auch. An diesem von der Welt verborgenen Ort schien das nicht weiter wundersam.
Sie schloss die Augen wieder, um herauszufinden, was es mit den seltsamen Bildern von flüchtenden Menschen und durch die Luft fliegenden Pfeilen auf sich hatte.
Was war mit ihren Eltern geschehen und wo?
Lia riss Vera mit einem Ruck aus dem Wasser.
Mit aller Kraft versuchte diese sich an der Macht der Quelle festzuhalten.
NEIN! Bleib hier, bleib bei mir!
Das Nichts hallte zustimmend in einem stummen Ton.
Das Wasser gehorchte ihr.
Eisige Luft traf ihren brennenden Rachen. Vera hustete, mehr als sie wollte. Unterhalb ihrer Lunge ruhte noch immer die angenehme Kühle der Macht des Wassers, die sich weigerte ihren Körper zu verlassen. Wie war das geschehen? War es überhaupt möglich Macht aus der Quelle zu entwenden?
Wenn du nicht augenblicklich gehst, werde ich dich behalten. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte Vera schwören können, dass die Magie zur Antwort schnurrte.
Lia klopfte Vera auf den Rücken, um ihr Husten zu unterstützen und sie spie einen Schwall Wasser aus, doch die Macht blieb, wo sie war. Erst jetzt wurde sich Vera der Anwesenheit der Prinzessin wieder bewusst.
„Spinnst du?", sie konnte nicht fassen, dass Lia ihre Vision unterbrochen hatte. Jetzt würde es keinen Weg mehr geben zurückzukehren, denn ihr allein war der Zutritt zu diesen Grotten untersagt. Eigentlich durften ohnehin keine nicht königlichen oder Weisen, die heiligen Grotten im Land betreten und der Weise würde seine Zustimmung mit Sicherheit nicht wiederholen.
„Du warst zu lange da unten. Ich konnte nicht länger zusehen, wie du ertrinkst." Lia verschränkte ungewöhnlich stur die Arme vor der Brust. Den Weisen schien dies weitaus weniger zu kümmern. Er starrte nur mit verklärtem Blick zur Decke hinauf, als lägen dort alle Antworten und die beiden Frauen würden sie fälschlicherweise in den Tiefen der Grotten suchen. Hatte er sie bewusst in eine falsche Richtung gelenkt?
„Jede Macht hat ihren Preis. Informationen sind nichts anderes." Ließ er die Beiden mit emotionsloser Stimme wissen.
„Und der Preis wäre, dass sie stirbt?", fauchte Lia dem dünnen Mann angeekelt entgegen.
„Nicht sie, nur ihr aktueller Körper."
Lia schnaubte.
Vera schniefte Wasser aus ihrer Nase, obwohl der Rest ihres Körpers bereits wieder unnatürlich trocken war und murmelte: "Für mich wäre es das wert gewesen."
„Heißt das, du hast etwas erfahren?"
Sie konnte lügen. Es wäre fast zu einfach, doch Vera spürte erneut deutlich und mit großem Unbehagen, dass sie über den Punkt hinaus war, Lia zu misstrauen. Auch wenn sie nicht viel gesehen hatte, wusste sie ganz deutlich, dass es wichtig war und zusammen konnten sie womöglich herausfinden, wie genau dieses Teil ihnen weiterhalf. Vielleicht gab es Schriftrollen über Kämpfe oder flüchtende Siedlungen in der Bibliothek. Was auch immer ihren leiblichen Eltern widerfahren war und zu ihrer Verstoßung geführt hatte, sie würden es finden. Vera vertraute Lia und ihrem Gespür. Es hatte sie bis hier her gebracht und dieser Ort fühlte sich richtig an, was den Weisen jedoch nicht mit einschloss, der Zusammenhangslos vor sich in brabbelte und summte.
„Nur das es ziemlich dunkel ist dort unten. Ansonsten, jede Menge Nichts." Sie sah zu Lia auf und versuchte ihr mit den Augen zu signalisieren, dass das nicht die ganze Wahrheit war, doch diese stemmte nur die Hände in die Hüften und prustete frustriert Luft aus.
„Bei den Geistern."
Vera nahm sanft ihr Handgelenk und zog sie Richtung Grottenausgang. Eine formelle Entlassung vom Weisen konnten sie vergessen. Dieser streichelte gedankenverloren das Wasser der nebenliegenden dunklen Quelle vor sich. Hob abwechselnd seine Hände daraus hervor und senkte sie wieder hinab. Besah sich seine Haut, als hätte er sie noch nie gesehen. Er war völlig in Trance. Vera war sich nicht einmal sicher, ob er sich an ihre Anwesenheit erinnerte.
Besser so, was er nicht weiß kann er nicht verraten und es war klar, dass ihr kleiner Ausflug in die Grotten unbedingt geheim bleiben musste. Das hier war kein gemütlicher Spaziergang, hier ging es um seltsame Prophezeiungen, gestrichene Dokumente, Angriffe und verlorene Kinder.
Aus den Teilen, des Gefechts, das Vera gesehen hatte, ließ sich schließen, dass sie nicht die einzige Betroffene sein konnte. Es musste mehr Identitätslose dort draußen geben, die waren, wie sie. Dafür war der Kampf zu groß gewesen. Zu viel Chaos, zu viele beteiligte Menschen. Noch immer rasselten Resteindrücke auf sie ein. Schreie, rennende Schritte und über allem der Klang von einschlagenden Pfeilen in Fleisch.
Lia ließ sich von ihr die steinernen Treppen wieder hoch ziehen. Ihre Robe huschte hauchend über den Boden.
Erst als sie sich wieder im kleinen Vorraum unter der Bibliothek befanden, hielt Vera an und horchte in die Gänge nach Weisen und Bediensteten. Ihre Ohren erfassten nichts. Besser würde die Gelegenheit nicht werden.
"Also was hast du wirklich gesehen?"
Vera stutzte.
"Du hast etwas vermutet."
"Natürlich, die warst unnatürlich lange dort unten, hättest eigentlich längst ertrunken sein sollen. Ich weiß nicht wie die Macht des Wassers wirkt, sie ist so anders als meine, aber ich weiß sehr genau, wann Magie im Spiel ist."
Die Dienerin und die Prinzessin sahen sich an. Zum ersten Mal ebenbürtig. Die Macht des Wassers und die Macht des Eises, durch einen Handgriff verbunden.
"Es stimmt. Ich habe etwas gesehen." Lia ließ Vera Zeit ihre Worte zu sammeln.
"Ich war in einem Gang aus Eis oder einem Raum. Er war groß. Es flogen Pfeile und Menschen rannten vor ihnen weg. Ich hörte Schreie. Als ich genauer hinsehen wollte, brach es jedoch ab, aber was auch immer dort geschehen ist, es muss Aufzeichnungen darüber geben."
Die Augen der Prinzessin weiteten sich und sie griff nach Veras freiem Arm.
"Und du bist sicher, dass es mit deinen Eltern zu tun haben muss?"
"Ich bin mit dem Gedanken an sie untergetaucht."
"Es hat tatsächlich funktioniert", hauchte Lia. Ihr Atem kristallisierte vor ihrer Nase. Dabei war es unter der Erde warm.
"Bei den Geistern, was auch immer der Weise getan hat, als er da in seinem Wasserbecken rührte. Es hat auf jeden Fall etwas ausgelöst", Vera rieb sich über die Brust, um ein seltsames Gefühl von Tiefe loszuwerden. Sie versuchte sich an Humor. Aktuell musste sie sich noch selbst an den Gedanken gewöhnen, nun die Macht des Wassers berührt zu haben.
Fast fühlte es sich an, als wäre etwas davon an ihr hängen geblieben, als hätte sie einen Teil der Magie entführt und er ruhte nun zwischen ihren unteren Rippen.
"Willkommen bei den Magiern, Freundin", Lia strahlte sie an. Mehr als froh, nicht mehr allein zu sein. Vera spürte ihre Macht in den Adern wabern und zwischen den Knochen liegen. Fürs Erste zufrieden, aber bereit genutzt zu werden. Wie ein eigenständiges Wesen.
Wie ein Monster, das die alten Götter in ihr zurückgelassen hatten.
Vera genoss es. Macht fühlte sich gut an, richtig.
Nicht wie eine Ergänzung, sondern wie ein zugehöriges Teil. Beim Gedanken daran, damit zu experimentieren und herauszufinden, wozu sie nun fähig war, musste auch die Weißhaarige lächeln.
"Wir sind also Freunde? Die hochgeborene, reine Prinzessin des Eises und die Mörderin ihres Wächters? Du freundest dich mit dem Pöbel an, das weißt du, oder?" Sie musste es von Lia bestätigt hören, um ihre letzten Zweifel zu vertreiben. Aus Angst vor Zurückweisung, versuchte sie es ihr mit ihrer Formulierung jedoch einfach zu machen. Die Prinzessin sah sie verschwörerisch an.
"Ja, das sind wir und noch etwas viel Wichtigeres. Wir sind Verbündete, die jetzt wissen, wonach sie in den Aufzeichnungen als nächstes Ausschau halten." Bereits wieder einen Schritt weiter begann Lia den langen Aufstieg. Vera blieb zurück, blickte über die Schulter, in die Dunkelheit der Grotten.
Was hatte der Weise gesagt? Sie war die Dunkelheit und Lia das Licht. Vera hoffte nur inständig, dass ihre Dunkelheit nicht Lias Licht erlöschen würde.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro