Kapitel 7
Velion starrte entsetzt in die Höhle.
So hatte sein Bruder und die anderen schwarzen Drachen jahrelang leben müssen? Nun verstand er, dass sich Jefrandt oft selbst als ein wildes Tier bezeichnete. Hier konnte man doch nicht einfach so leben.
Es war demütigend, vor allem, wenn man wusste, wie die anderen Drachen im Schloss lebten. Nun wunderte Velion sich überhaupt nicht mehr, warum die schwarzen Drachen vpr Jefrandt so verbittert waren. Es war nicht nur die Einsamkeit, sondern auch das Wissen, dass die anderen in einen gewissen Luxus lebten, während sie wie ein Höhlenmensch ihr Dasein fristeten.
Bevor er hierher kam, hatte sein Drache Wikuna noch einige Male überflogen. Velion hatte auf eine Nachricht von seinen Brüdern gehofft, doch sie blieben stumm und er konnte es ihnen nicht einmal verübeln. Dennoch hatte er auch noch nicht vernommen, dass Calarion gestorben wäre, worüber er sehr froh war.
Velion hatte keine Ahnung, was er dann tun würde, wenn sein Bruder es nicht überlebte. Langsam trat er weiter in die Höhle ein und sah sich um.
Das würde also nun sein Zuhause werden.
Die Gemeinschaft der Drachen war zerstört und es war seine Schuld. Verflucht, wie hatte er sich nur so gehen lassen können. Er wart doch immer als der ruhigste Drache bekannt, der ab und zu mal bockig war. Doch nun war er ausgeflippt, hatte seinen Bruder auf die feigste Art angegriffen und den Drachenjäger wohl einen Vorteil verschafft. Das hatte er nicht gewollt.
Er kramte in einer Truhe und holte sich Kleidung seines Bruders heraus. Er hatte schon von Jefrandt gehört, dass er meist nackt hier war, aber Velion konnte das nicht. Noch nicht. Er legte sich auf die Pritsche und sendete einen Blitz auf die Feuerstelle, so dass schnell Licht die Wände der Höhle erhellte.
Er schloss die Augen und sofort stieg ihm Lavendelduft in die Nase.
"Lili. Ich bin so ein Feigling.", murmelte er leise und allein der Gedanke an Lili ließ ihn etwas ruhiger werden.
Zwar traute er sich nicht, Lili zu suchen, aber als Calarion den Verdacht äußerte, dass sie mit den Drachenjäger gemeinsame Sache machen könnte, wurde er sehr wütend. Calarion hatte kein Recht gehabt, Lili so zu verurteilen.
Verflucht, er kannte diese Frau nicht einmal, aber er war sich sicher, dass sie nichts mit Racola zu tun hatte.
Er schnaubte leise.
Was tat er nur hier, während sie irgendwo im Drachenjägerland gefangen gehalten wurde?
Wenn er es schon mit seinen Brüdern verbockt hatte, dann sollte er wenigstens Lili retten und ins Schloss bringen. Zwar würde er nicht willkommen sein, aber hier konnte er Lili auf keinen Fall leben lassen.
Ja, das war ein guter Plan. Er würde Lili holen und sie in Sicherheit bringen. Danach konnte er sich wieder zurückziehen und wie Jefrandt einsames Leben führen. Für Lili würde gesorgt werden, da war er sich sicher.
Schnell zog er sich aus und legte die Kleidung auf das Lager, bevor er wieder die Höhle verließ und sich in seinen Drachen verwandelte.
Einen Moment schickte er Lili seine Gedanken, obwohl er wusste, dass sie es nicht vernehmen würde, aber irgendwie wollte er ihr versichern, dass er sie holen würde.
Ich komme und hole dich!
Lili schreckte auf, als sie ein leises Klopfen hörte.
Aber das war es nicht, was sie geweckt hatte. Irgendjemand hatte zu ihr gesprochen und sie war sicher, dass es Velion gewesen ist.
Nachdem Racola sie in ihr Gemach zurück gebracht hatte, fand Lili ihr altes Kleid. Thekla, die Alte von der Waschküche, hatte ihr Wort gehalten und es gereinigt und geflickt. Es sah nicht mehr so schön aus, wie am Anfang, aber sie hatte es wieder.
Lili hatte sich in den Sessel vor dem Kamins gekuschelt und das Kleid vor ihre Nase gehalten. Dabei war sie eingeschlafen.
Der Schlüssel wurde im Schloss umgedreht und nach einer Weile betrat ihr Bruder das Gemach.
"Siko!", rief sie und warf sich in seine Arme. Er hielt sie lange Zeit fest und murmelte Entschuldigungen.
Sie ging einen Schritt zurück.
"Warum entschuldigst du dich?"
Er atmete tief ein.
"Ich entschuldige mich, weil ich ein Idiot bin. Ich habe Kaya geholfen. Mehrere Male. Ich dachte wirklich, es wäre die Pflicht als ihr Bruder, ihren Plan auszuführen. Erst vor ein paar Wochen erfuhr ich, dass sie mich nur ausnutzte. Und dann warst du hier und du sahst schrecklich aus."
Lili schnaubte und schlug ihn hart gegen die Schulter.
"Du wusstest, dass ich hier bin? Und ich musste erst Numa schicken, damit du mir helfen kommst?"
Siko senkte den Kopf.
"Ich schäme mich, weil ich so dämlich war. Deswegen kam ich nicht zu dir."
Lili holte tief Luft und trat ans Feuer.
"Wo ist Kaya?"
Siko zuckte mit den Schultern.
"Sie floh vor den Drachen hier her, doch man verwechselte sie mit dir. Du bist nicht sehr beliebt."
Lili schnaubte.
"Erzähle mir etwas Neues. Was ist mit ihr? Haben sie Kaya auch in ein Erdloch gesteckt?"
Siko schüttelte den Kopf.
"Sie ist tot. In einem Dorf wurde sie zu Tode geschleift. Du hast nur das Glück, dass du unter Racolas Schutz stehst. Ansonsten hätten sie dich auch schon umgebracht."
Numa kam mit Thekla ins Gemach. Die Alte kam zu Lili und strich ihr über die Wange.
"Ich habe dir ein Bündel gepackt. Dein Wallach ist gesattelt."
Lili starrte alle verblüfft an.
"Ich kann aber nicht reiten. Und wohin soll ich denn reiten? Ich kenne mich hier doch gar nicht aus."
Numa schnaubte.
"Du musst nur über die Grenze kommen. Es ist nicht weit. Aber je länger du hier bleibst, desto größer ist die Gefahr, dass jemand anderes hier herein stürmt, um dich umzubringen. Viele sind der Meinung, dass Racola dich töten sollte. Wer weiß, wie lange unser Anführer seine Männer im Griff hat. Sie können nicht verstehen, warum er dich verschont, obwohl du eine Drachenbraut bist. Es geht sogar das Gerücht herum, dass du ihn verhext hast und man will dich deswegen brennen sehen. Glaub mir, je schneller du von hier weg kommst, desto besser ist es für dich."
Siko nickte.
"Du musst so schnell wie möglich verschwinden. Racola wird bald auf sein Schloss aufbrechen und dich hier lassen. Er will dort alles auf deine Ankunft vorbereiten, aber er ahnt nicht, dass du hier keineswegs sicher bist. Du bist dann seinen Männern hilflos ausgeliefert."
Sie nickte.
"Gut. Dann jetzt, so lange ich noch den Mut habe."
Nun ging alles schnell. Thekla stopfte das Kleid in das Bündel mit der zusätzlichen warmen Kleidung und Obst. Sie hatte ihr auch einen warmen Umhang mit Kapuze mitgebracht.
Numa hielt ihr ein Messer hin.
"Steche hier herein!"
Er zeigte auf eine Stelle unterhalb seiner Rippen.
"Was? Warum sollte ich das tun?"
Er grinste sie an.
"Ich hänge an meinem Leben, Drachenliebchen. Was glaubst du, passiert, wenn du weg bist und ich unverletzt bin? Racola wird mich umbringen. So wird mich jemand finden und ich werde ein paar Tage das Bett hüten müssen."
Lili holte tief Luft und stach zu.
Numa fluchte, ging dann aber in den Gang und setzte sich auf den Boden. Er sah sehr blass aus.
"Jetzt geh! Bald ist Wachablösung und sie werden kommen."
Lili strich ihm sanft über die Wange.
"Gehab dich wohl, Drachenjäger. Und lass die Drachen in Ruhe. Sie haben dir nichts getan."
Er lachte leise, hielt sich aber die Seite und verzog schmerzhaft das Gesicht.
"Verschwinde einfach. Ich hoffe, ich sehe dich nicht wieder."
Sein Grinsen entschärfte die harten Worte.
Siko scheuchte sie in die Waschküche, wo Thekla schon an einer Luke wartete, die in den Stall führte.
"Beeile dich, Mädchen. Sobald sie Numa finden, werden sie dich suchen. Ich versuche sie natürlich so lange wie möglich aufzuhalten, aber das wird nicht ewig dauern."
Lili umarmte die alte Frau und schlüpfte durch die Luke.
Siko half ihr auf das Pferd.
"Du solltest mitkommen."
Er schüttelte den Kopf.
"Nein. Ich bin es gewesen, der die Braut des goldenen Drachen entführt hat. Deswegen kann ich mich nicht in der Drachenstadt blicken lassen. Aber keine Sorge. Ich lege eine falsche Spur und verschwinde dann. So schnell werden sie mich nicht finden."
Er nahm ihre Hand.
"Es tut mir alles so leid, Lili. Ich wollte nicht, das es so kommt. Ich könnte alles auf Kaya schieben, aber ich hätte meine eigenen Kopf benutzen sollen."
Schnell nahm er die Zügel des Wallachs und führte Lili durch einen dunklen Gang vor die Ruine. Die Dunkelheit half ihnen unbemerkt zu entkommen.
Siko zeigte in eine Richtung.
"Du musst nur in diese Richtung reiten, weg vom Nordstern. Irgendwann kommst du an einen Wald. Das ist die natürliche Grenze zu Wikuna. Wenn du den Wald durchquert hast, bist du in Sicherheit."
Ohne eine große Verabschiedung, schlug er dem Wallach auf die Flanke und das Tier preschte in einem rasenden Tempo nach vorne.
Erst nach einer Weile gewöhnte sich Lili an das Tempo, hielt sich aber dennoch verbissen an der Mähne fest und hoffte darauf, dass das Tier sie weiterhin in die richtige Richtung bringen würde.
Für so ein eher kleines Pferd, hatte der Wallach eine lange Ausdauer und wenn Lili nach den Sternen ging, war schon geraume Zeit vergangen, als der Wallach langsamer wurde und schließlich stehen blieb. Lili rutschte stöhnend vom Rücken des Tieres und ließ sich ins Gras fallen, Arme und Beine von sich gestreckt.
"Dafür, dass ich das erste Mal auf einem Pferd saß, stelle ich mich wohl nicht übel an."
Der Wallach keuchte leicht und trottete dann auf einen Bach zu, den man plätschern hören konnte.
"Ich muss weiter, Pferd. Tu mir einen Gefallen und lauf in eine ganz andere Richtung. Ich glaube, ich höre schon die Bäume rauschen."
Sie nahm das Bündel und machte sich auf den Weg zu dem Rauschen. Es war noch immer stockdunkel und sie musste sich auf ihr Gehör verlassen.
"Nun, Velion, ich bin auch auf dem Weg und werde bald am Wald sein. Ich hoffe doch, du hältst dein Versprechen."
Ich werde da sein.
Sie hielt verdutzt inne.
Schon einmal hatte sie seine Stimme gehört, war allerdings der Meinung, sie hätte es sich nur eingebildet.
Lachend schüttelte sie den Kopf.
Die Gefangenschaft schien schlimmer gewesen zu sein, als sie angenommen hatte. Dieser kurze Augenblick, den sie und Velion hatten, konnte kaum so eine enge Verbindung hervorbringen.
Als sie gegen den ersten Baum stieß, kicherte sie.
So weit, so gut.
Sie war nahe, aber Velion wusste, dass er sich beeilen musste.
Er nicht genau sagen, wie es geschehen war, aber er hatte ihren Plan zur Flucht in seinem Kopf, als ob er ihn selbst ersonnen hätte. Er wusste auch, dass sie den Wald schon erreicht hatte, der eine Grenze zwischen Wikuna und dem Land der Drachenjäger bildete.
Doch der Morgen würde bald anbrechen und Velion hatte keine Ahnung, aus welchem Teil des Waldes Lili auftauchen könnte.
Er ahnte, dass Racola hinter ihr her sein würde. Sie war eine wertvolle Gefangene, denn wenn er keine Braut bekam, bedeutete das ein endgültiges Aus der Drachengemeinschaft.
Er würde sie zwar nicht zur Frau nehmen können, aber in seinem Inneren anerkennen und somit seine Brüder retten. Lili konnte im Schloss leben, während er in der Einsamkeit bleiben musste, um seine Schuld zu büßen. Er hoffte nur, dass die anderen Lili nicht dafür bestrafen würden, was er angestellt hatte. Und er hoffte, dass Lili genau das war, wie er sie in dem kurzen Augenblick wahrgenommen hatte. Eine nette Frau und ganz anders als die falsche Lili.
Aber zuerst musste er sie finden. Und er musste sich damit beeilen.
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