Kapitel 4
Nielema steckte sich einen Finger zwischen den Kragen seiner Uniform und seinen Hals. Er konnte es nicht leiden, dass der Kragen so eng anliegen musste. Er hatte das Gefühl, dass er bald zu ersticken drohte. Der Ballsaal war mit Leuten gefüllt, die jede Bewegung der Prinzen und den Bräuten genaustens beobachteten. Er fühlte sich, als ob er in einem Schaukasten stand und jeder wartete nur darauf, dass er explodierte.
Erneut versuchte er den Kragen zu lockern.
„Mir geht es genauso.", murrte Jefrandt neben ihm.
Auch er zerrte mehr als einmal an der schwarzen Uniform, um sie bequemer zu machen.
„Als ob es die Frauen interessiert, ob wir eine Uniform tragen oder nicht. Ich könnte nackt hier stehen und es würde sich niemand für mich interessieren.", beschwerte sich Nielema.
Jefrandt zeigte mit dem Kinn zu der Dreiergruppe, dich kichernd zusammen stand.
„Nun, Lili und ihre Freundinnen scheint das sehr wohl zu interessieren. Ich bin mir sicher, sie würden einen nackten Nielema bevorzugen. Besonders bei Lili bin ich mir da sicher. Immerhin war sie auch praktisch nackt, als sie sich auf Calarion stürzte."
Nielema schnaubte leise.
Wenn er eines wusste, dann war es das, dass gerade diese drei ihn nicht sonderlich interessierten.
„Ich bedaure schon den Mann, der Lili abbekommt. Ich habe keine Ahnung, wer es sein könnte und ihr scheint es egal zu sein. Hauptsache, sie hat einen Drachenprinz an der Seite. Nun ja, außer mir. Ich bin ihr wohl doch zu gefährlich."
Jefrandt grinste.
„Genauso wenig, wie zu mir. Ich befürchte, wir werden die letzten sein, für die sich eine Frau entscheidet."
Nielema hoffte das nicht. Er musste zugeben, dass er in der letzten Zeit immer wieder nach Immi suchte. Natürlich würde er das nie zugeben, aber sie schwirrte ihm im Kopf herum und er freute sich, wenn er sie auch nur von Weitem sah.
Auch jetzt sah er sich unauffällig um, ob sie schon hier im Ballsaal war, doch bisher war sie noch nicht erschienen.
„Vorsicht! Ärger naht.", murmelte Jefrandt und drehte sich zu den großen Fenstern um.
Nielema seufzte, als Töfur hämisch grinsend vor ihm auftauchte.
„Das hätte ich mir denken können, dass niemand mit dir redet."
Nielema zeigte mit seinem Daumen auf Jefrandt, der leise vor sich hin kicherte.
„Jefrandt als einen Niemand zu bezeichnen, ist nicht unbedingt nett. Außerdem könnte es sich auch als sehr ungesund erweisen, wenn man ihn verärgert. Todesdrache. Du weißt schon, Töfur."
Töfur verdrehte genervt die Augen.
„Ich meine doch nicht ihn! Ich meine eine Frau!"
Nielema zuckte mit den Schultern und wunderte sich insgeheim, dass er nicht wütend wurde. Aber die Freude darüber, mit Immi zu tanzen, überwiegte das innere Toben.
„Es ist ja noch früh am Abend. Lass die Damen erst essen, bevor sie sich mit uns abgeben müssen."
Töfur war sichtlich verwirrt, dass sein älterer Bruder nicht in Wut ausbrach, sondern ruhig und vernünftig mit ihm redete.
Nielema stellte fest, dass es nun Töfur war, der wütend wurde. Offensichtlich hatte er hier einen Eklat provozieren wollen, doch er hatte nicht erwartet, dass Nielema nicht darauf einging.
Töfur schnaubte und seine Augen waren zusammengekniffen. Er konnte seine Wut kaum unter Kontrolle halten.
„Niemand wird dich auffordern, Nielema! Du bist nichts und alle fürchten sich vor dir.", zischte er und trat noch einen Schritt näher an ihn heran.
„Am besten wäre es, wenn du wieder gehst. Keiner braucht einen Kriegsdrachen, der so ein Versager ist, wie du. Wann siehst du es endlich ein, dass man gut auf dich verzichten kann?"
Nielema hörte, wie Jefrandt neben ihm zischend Luft in die Lunge zog. Auch seine Stimmung kippte nun, aber eine kleine Hand bewahrte ihn vor irgendeiner Peinlichkeit, denn sie streckte sich zwischen ihm und Töfur aus und Nielema fing an zu lächeln, als er Immi sah.
„Du hast mir einen Tanz versprochen, Prinz Nielema. Ich denke, ich würde ihn nun gerne einfordern."
Nielema wusste nicht, wer verblüffter war, Töfur oder Jefrandt, aber er nahm Immis Hand in seine und legte sie auf seinen Arm.
„Natürlich, Immi. Sehr gerne."
Er nickte Jefrandt zu und erhob sein Kinn, als er mit Immi an Töfur vorbeilief. Ein hämisches Grinsen konnte er dabei nicht vermeiden.
Himmel, vor einer Sekunde war er noch nahe dran gewesen, seine Beherrschung zu verlieren und nun wollte er unbedingt mit Immi tanzen. Was war das für ein Zauber, den sie in sich hatte?
Er wartete einen Moment, bevor er sprach. Immer noch wurde er beobachtet und er wollte Immi wenigstens etwas vor dem Tratsch schützen, der unvermeidlich am anderen Tag die Runde machen würde.
„Du hast mich gerettet, Immi. Er hatte mich beinahe so weit.", sagte er leise, als sie beinahe die Tanzfläche erreicht hatten.
Sie sah ihn ernst an.
„Das habe ich gesehen und bin deswegen so schnell gekommen. Ich spürte deine Wut schon, da war ich noch gar nciht im Ballsaal. Es war von mir nur peinlich, denn es sah so aus, als ob ich es nicht erwarten könne, dich zu sehen."
Er nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken. Wie schon beim letzten Mal gab sie ein niedliches kleines Geräusch von sich.
„Das würde mich aber auch freuen, Immi."
Er liebte es, ihren Namen auszusprechen. Er liebte es, sie in diesem Kleid zu sehen, dass ihr wirklich ausgezeichnet stand, aber er liebte sie auch in diesem unscheinbaren Kittel, den sie immer bevorzugte, wenn sie sich auf den Weg zu den Armen machte, um ihnen zu helfen. Er liebte ihre ruhige Art. Er liebte alles an ihr.
Was machte er sich noch vor?
Er liebte Immi.
Sein Vater hatte ihm einmal erklärt, dass der rote Drache sich sehr schnell in seine Gefährtin verlieben würde und das war wohl geschehen. Dennoch traute er sich nicht, ihr seine Gefühle zu gestehen.
Immi war so klein und so zart. Nur eine unbedachte Bewegung und ihre Haut würde blaue Flecken bekommen. Nur eine falsche Drehung von ihm und er könnte sie verletzen. Sie war eine zierliche Elfe, während er eher der grobe Riese war.
Er stellte sich mit ihr zum Tanz auf und hielt sie sehr vorsichtig in seinen Armen.
Sie lachte ihn an.
„Du bist heute irgendwie seltsam, Nielema."
Er hob eine Augenbraue.
„Wie meinst du das?"
Sie legte den Kopf etwas schief.
„Nun, du behandelst mich gerade, als ob ich eine Puppe aus Porzellan wäre. Ich bin ja gewohnt, dass du sehr vorsichtig bist, aber gerade jetzt..."
Sie sah ihn in die Augen.
„Hat dich Töfur doch aus der Fassung gebracht? Ich dachte eigentlich, du wärst sehr ruhig gewesen."
Er holte tief Luft und sah ihr in die Augen.
„Das ist es nicht. Du siehst wunderschön in diesem Kleid aus."
Sie sah an sich herunter.
„Oh, danke schön. Ich finde es auch sehr schön. Doro hat mir dieses Kleid gegeben und umgenäht. Du brauchst also nicht darauf aufpassen. Sie hat es mir geschenkt."
Er stöhnte innerlich.
„Ich habe dir gerade ein Kompliment gemacht und war nicht in Sorge um dein Kleid."
Sie richtete sich auf.
„Oh? Ohhh!"
Sie kam näher an ihn heran.
„Verzeih mir. Ich bekam noch nie ein Kompliment in der Art. Ich muss aber sagen, dass die Uniform dir auch ungemein steht."
Er verzog das Gesicht.
„Ich kann sie nicht leiden. Der Kragen ist so eng und es kratzt. Die Hose ebenfalls. Ich bin mir sicher, wenn ich in die Knie gehe, platzt eine Naht. Oder auch zwei."
Sie grinste und er spürte, wie sie auf einmal die Führung übernahm und auf die große Fensterfront zu steuerte, die in den Garten führte. er war neugierig, was sie vorhatte und ließ sie deswegen gewähren.
„Ich habe da etwas gehört, Nielema."
Er hob fragend eine Augenbraue.
„Was denn?"
Er sah, wie sich ein blassroter Schimmer sich über ihr Gesicht legte.
„Es heißt, dass wenn ihr euch in Drachen verwandelt, eure Kleidung zu nichts mehr zu gebrauchen ist."
Er nickte.
„Das ist richtig. Ich weiß aber nicht, was das mit meiner Uniform...oh."
Sie reckte ihren Hals zu ihm.
„Ich würde zu gerne mit einem Drachen fliegen. Lana schwärmt immer davon."
Nielema schluckte hart.
„Du willst...mit mir fliegen?"
Sie nickte.
„Ja. Ich tanze doch gerade mit dir, oder nicht? Nun, ich könnte auch jemanden anderes fragen, aber..."
Er schnaubte leise.
„Wage das ja nicht! Ich werde mit dir fliegen."
Nielema sah sich im Ballsaal um. Keiner schien die beiden im Moment zu beachten. Er nahm Immis Hand und rannte mit ihr nach draußen, bevor sich das änderte.
Fu schien sich auf den Ausflug zu freuen, denn dieses Mal erschien er nicht mit lauten Gebrüll und Getöse, sondern verwandelte sich in aller Ruhe und neigte sich so weit herunter, dass Immi auf ihn steigen konnte. Erst als sie gut saß, schwang er sich in die Lüfte.
Immi schmiegte sich an Fus Hals.
Er ging genauso vorsichtig mit ihr um, wie Nielema es getan hatte. Heute würde sie es wagen, ihm davon zu erzählen, dass sie Visionen hatte. Sie hatte in seinen Augen gesehen, dass sich etwas verändert hatte. Sie waren nicht mehr nur Freunde, das war mehr.
„Nielema? Lana erzählt mir, dass sie sich mit Calarion unterhalten kann, obwohl er sich in Rion verwandelt. Ist das bei dir auch so?"
Ich höre dich gerade. Es scheint auch bei mir zu funktionieren.
Sie legte ihren Kopf auf den Hals des Drachen.
„Ich muss dir etwas erzählen. Oder besser, ich muss etwas gestehen. Und ich weiß nicht, ob du dann noch bereit dazu bist, mit mir zu reden."
Fu drehte neugierig den Kopf in ihre Richtung.
Was willst du mir sagen?
Immi holte tief Luft.
„Ich weiß, wer deine Braut ist."
Sie hörte ein leises Lachen, das sowohl vom Drachen herkam, wie auch in ihrem Kopf erschallte. Gerade in diesen Moment fiel ihr auf, dass Nielema und Fu eine Einheit bildeten. Sie gehörten zusammen, dem musste sich eine Frau bewusst sein.
Wir wissen es auch, Immi.
Weiter sagte Nielema nichts, aber Immi hob ihren Kopf.
„Du verstehst es nicht, Nielema. Ich habe Visionen."
Du hast mich gesehen, richtig? Und das machte dir Angst. Ich machte dir Angst. Aber nun hast du keine Angst mehr vor mir, oder?
Sie lächelte und schmiegte sich wieder an den Hals des Drachens.
„Ja, ich hatte Angst vor dir. Die erste Vision zeigte sich in brutalster Weise. Nicht als Drache, sondern als Krieger. Du warst rot vor Blut. Ich sah, wie du in der einen Hand ein Schwert und in der anderen den Kopf eines Feindes hieltst. Du hast deine Wut hinaus gebrüllt."
Nielema schwieg eine Weile.
Du bist noch nie mit so etwas konfrontiert worden, Immi. Natürlich macht es dir Angst, aber ich schwöre dir, wenn du mich erhören wirst, werde ich dich beschützen. Du wirst mich so nicht sehen, wenn ich es verhindern kann. Es stimmt, dass ich der Kriegsdrache bin und ich habe schon viele schreckliche Dinge getan. Aber ich hatte dich da noch nicht an meiner Seite. Nur du bist fähig, meine Wut zu kontrollieren und das nur, wenn du bei mir bist. Was macht dir noch Angst? Habe ich dir nicht bewiesen, dass ich dich nie verletzen könnte?
Sie nickte.
„Das hast du. Aber meine Visionen..."
Immi, ist das dein Ernst? Ich wiederhole es noch einmal. Ich bin der Kriegsdrache. Deine Visionen können mich warnen. Was wäre ich für ein Mann, wenn ich das nicht zu schätzen wüsste?
Ihr stockte der Atem.
„Es macht dir nichts aus?"
Wieder hörte sie Nielema und Fu lachen und es klang herrlich in ihren Ohren.
Fu sank langsam hinab und Immi sah einen Steinkreis, wie ihn Lana schon beschrieben hatte. Kaum hatte Fu eine seiner Pfoten auf die Erde gesetzt, wandelte er sich wieder zurück und Immi wurde gleich in eine Umarmung gezogen.
Lana hatte ihr ja gesagt, dass die Drachenprinzen nackt waren, wenn sie sich wandelten und dass Calarion in der Hinsicht sehr zurückhaltend war, doch Nielema schien es nicht zu stören, dass er keine Kleidung anhatte. Er drückte sie an seinen harten Körper und versteckte sein Gesicht in ihren Hals.
„Wähle mich, Immi. Ich weiß, dass ich nicht der Mann bin, den sich eine Frau wünscht, aber ich werde dich immer ehren und lieben, so lange ich lebe."
Sie hielt seine Hüfte umschlungen und rieb ihr Gesicht an seiner Brust.
„Noch vor einigen Wochen war ich der Meinung, ich würde im Tempel den alten Drachen huldigen. Doch nun muss ich feststellen, dass ich lieber einen der jetzigen Drachen huldigen will. Ja, ich wähle dich, Nielema."
Er hob sie hoch und wirbelte mit ihr herum.
„Du wirst es nicht bereuen, meine kleine Elfe."
Sie nahm sein Gesicht in die Hand und küsste ihn auf den Mund. Nielema starrte sie einen Augenblick an, bis er ihren Kuss erwiderte.
„Weißt du was, mein Mädchen? Du bist mutiger, als es den Anschein hat. Du wählst den roten Drachen, du küsst ihn und du beruhigst ihn immer wieder."
Sie zuckte mit den Schultern.
„Das hat nichts mit Mut zu tun. Es ist wohl eine Gabe, dass ich jeden beruhigen kann."
Er grinste sie an.
„Oh doch. Neben Jefrandt bin ich der Drachenprinz, den keine der Frauen haben will."
Sie hob einen Finger in die Höhe.
„Das ist auch richtig so. Du bist mein Drachenprinz."
Er küsste sie erneut und behielt sie in seinen Armen.
„So sei es!"
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