Kapitel 10
Naoki gewöhnte sich überraschend schnell an das Leben bei den Drachen. Seolan und Reolan waren die meisten Zeit unterwegs, weshalb sie sich entschieden hatte, etwas zu tun. Anfangs hatte sie einem jungen Drachen namens Shikarao beim Kochen geholfen, doch ihr ging es nicht gut, wenn sie zu lange in einem Gebäude war.
Obwohl Shikarao sehr nett war und ihr auch vieles zeigte, hatte sie sich doch eine weitere Beschäftigung gesucht. Draußen im Garten.
Dort arbeitete Nasorao. Er war schon älter, doch sehr geduldig und ein wenig langsam.
Naoki störte sich nicht daran. Er erinnerte sie an die alten Magier, die nicht mehr ganz Teil dieser Welt waren.
Nasorao war überraschend gesprächig, während sie ihm half die Bäume zu pflegen, die Früchte zu ernten oder Unkraut zu jäten.
Naoki erfuhr viel über die Drachen. Unter anderem, dass diese zum Teil der Natur wurden, sobald sie starben. Aus ihnen entstanden Gebirge, Flüsse, Seen, Wiesen und Wälder. Dieses ganze Gebirge war nicht nur der Ort, wie die Drachen lebten, sondern auch ein Friedhof.
Ein sehr gruseliger Gedanke, doch für Naoki war das alles so weit weg, dass ihre Vorstellung nicht reichte, um ihr einen Schauer einzujagen.
Schritte wurden laut und ein junger Mann mit kindlichem Gesicht und wild zerzausten, schwarzen Haaren kam den Weg ins Tal hinuntergerannt. „Naoki", rief er und winkte ihr sogar zu.
Naoki, die vor sich einen Korb mit Unkraut hatte, legte die Harke zurück und erhob sich, um Kario zuzuwinken. Er war gleich am zweiten Tag zu ihr gekommen und hatte sich bei ihr für seine Heilung bedankt. Darüber, dass er in der Nacht immer zu ihr kuscheln kam, hatte er jedoch kein Wort verloren. Naoki konnte den frechen, aufgeweckten Jungen also nicht mit dem kleinen, schmusebedürftigen Drachen in ihrem Bett in Verbindung bringen.
„Guten Morgen, Kario", grüßte sie mit einem Lächeln.
Kario rannte weiter auf sie zu, bevor er vor ihr zum Stehen kam. Ihm war nicht anzusehen, ob er vom Rennen erschöpft war, stattdessen strahlte er übers ganze Gesicht. „Reolan und Seolan sind zurück. Sie haben die was mitgebracht", sagte er ganz aufgeregt.
Naoki blickte ihn überrascht an und sah dann kurz zu Nasorao. Dieser deutete ihr an, dass er sich um den Rest kümmerte und sie ruhig gehen sollte.
Aufgeregt folgte Naoki Kario. Sie fragte sich, was die beiden Männer ihr mitgebracht hatten und warum sie generell gegangen waren. Nach der Unterhaltung mit Reolan, versuchte sie nicht mehr daran zu denken, dass sie Teil irgendeiner Prophezeiung war. Sie hatte furchtbare Angst davor und doch wusste sie, dass ihr Leben hier nicht lange so friedlich weitergehen konnte. Nicht nur, weil sie Angst hatte, dass ihre Vergangenheit sie einholte. Die Seuche, die durch Askan wanderte, drohte diesem Gebiet immer näherzukommen. Die meisten Drachen waren angespannt und flogen regelmäßig ihre Runden.
Es war schön, den Drachen dabei zuzusehen, allerdings hatte Naoki auch ein zunehmend beklemmenderes Gefühl. Immer, wenn sie sah, wie Drachen von den Mauern abflogen, hatte sie Angst, dass sie verletzt, wie Kario zurückkehrten. Oder gar nicht.
Kario hatte ihr erzählt, dass er ein Dorf ausgekundschaftet hatte. Es hätte nicht gefährlich sein sollen, da er nicht gelandet war, doch etwas hatte ihn aus der Entfernung verletzt.
Naoki lief hinter Kario her und spürte schon jetzt, wie die Kraft sie verließ. Die Strecken, die sie hier zurücklegen musste, waren nicht zu vergleichen mit denen zuhause. Ihr Schloss war zwar auch groß gewesen, doch hier hatte sie eher das Gefühl, sie müsste einmal durch eine gesamte Stadt. Für Drachen war das kein Problem, doch sie war nur ein Mensch. Als Magierin konnte sie zwar ihren Körper heilen und neue Kraft gewinnen, doch auf Dauer war das auch nicht gut. Sie tat es, in der Hoffnung, ihren Körper so ein wenig zu kräftigen. Bisher spürte sie noch keinen Fortschritt, doch aufgeben wollte sie auch noch nicht. Das war jetzt ihre Heimat. Sie wollte nicht so schnell wieder weg.
Endlich im Hof angekommen, japste sie nach Luft und brauchte erst einmal einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen. Ihre Oberschenkel taten weh, weil sie die Strecke heute schon einmal gelaufen war.
Als sie Seolan erblickte, verstand sie nicht sofort, was sie sah. Stirnrunzelnd musterte sie den Mann, der den Arm voller Stoffe hatte. Waren das etwa Kleider oder nur Stoffe? Sie wusste, dass es wohl auch einen Drachen gab, der Kleidung herstellen konnte, doch meistens versuchten sie ihre Kleider von Menschen zu erwerben.
Naoki hatte herausgefunden, dass die Drachen hier zwar Geld hatten, doch lieber Tauschhandel betrieben.
Für Fisch oder Fleisch war gesorgt, doch gerade Stoffe oder andere, verarbeitete Güter, wie Bretter und Werkzeuge, waren hier schwer herzustellen.
Obwohl es recht viele Drachen hier gab, hatten nicht alle von ihnen eine menschliche Gestalt. Damit fielen sie als Arbeitskräfte weg. Meist halfen sie mit ihrer Drachenmagie oder bauten Steine und Kristalle ab, aber für Feinarbeiten waren sie nicht zu gebrauchen.
„Die hier sind für dich", sagte Seolan, der Naoki den Stapel an Stoffen reichte.
Überfordert hielt sie die Arme auf und betrachtete die verschiedenen Farben, als Seolan sie ihr überreichte. „Danke. Was ist das?", fragte sie, da sie nicht die Möglichkeit hatte, sie jetzt hier zu betrachten, ohne sie fallen zu lassen.
„Warte ich helf dir", bemerkte Kario, bevor Seolan etwas sagen konnte. Der junge Drache nahm ihr einige der Stoffe aus der Hand, sodass Naoki die, die nun noch in ihren lagen, betrachten konnte. Sie erkannte sowohl zusammengefalteten Stoff, aber auch ein fertiges Kleid.
„Kleider und Stoff, damit du nicht die von uns anziehen musst", bemerkte Seolan ein wenig peinlich berührt.
Naoki sah kurz an sich hinab. Sie trug ein weites Oberteil, das sie von Kario hatte. Die Hose hatte ihr Seolan gegeben und der leichte Mantel, den sie darüber trug, gehörte Shikarao. „Das ist ... liebt", sagte sie ein wenig überfordert. Was sollte sie denn mit den Stoffen anfangen?
„Wenn du selbst keine Kleider machen kannst, kannst du mit den Stoffen zu Orion gehen", bot Seolan an, denn das war ihr Schneider. Er hatte zwar alle Hände voll zu tun, wollte aber Naoki gern kennenlernen. Nur traute er sich nicht.
„Oh. Wo finde ich Orion denn?", fragte sie, denn dann könnte sie von ihm vielleicht sogar das Schneidern lernen. Dann wäre sie noch hilfreicher.
„Bringen wir die Sachen erst einmal in dem Zimmer. Dann kannst du dich umziehen und dann bringe ich dich zu Orion", schlug Kario hilfsbereit vor. Obwohl er fast hinter dem Berg an Stoffen und Kleidern verschwand, hatte er keine Probleme damit, sie zu tragen.
„Bevor du gehst", hielt Seolan sie zurück, griff aber nicht nach ihr, damit er sie nicht aus dem Konzept brachte. Er sah ihr an, dass sie überfordert war und das tat ihm leid. Eigentlich hatte er gehofft, ihr mit den Kleidern eine Freude zu machen.
Naoki blieb stehen und drehte sich zu Seolan. „Ja?", fragte sie, wobei sie leicht lächelte und sogar ein wenig rot wurde, weil ihr durchaus bewusst war, dass er ihr damit eine Freude machen wollte. Außerdem freute sie sich auch darüber.
„Heute Abend möchte Reolan mit dir ... fliegen", sagte er, wobei er nicht wusste, wie genau er sagen sollte, was der König wollte. Es war nicht nur fliegen, doch das sollte Reolan ihr selbst sagen.
„Fliegen?", fragte Naoki mit strahlenden Augen. „Wohin denn?", wollte sie neugierig wissen und konnte es kaum erwarten. Sie war schon so lange nicht mehr geflogen, dass die Aussicht darauf ihren Bauch kribbeln ließ. Aufregung packte sie und auf einmal konnte sie es nicht erwarten, dass es Abend wurde.
„Das ... wird er dir dann selbst sagen", meinte Seolan ausweichend. Er wollte ihr keine Angst machen, indem er ihr sagte, dass Reolan mit ihr in die Dörfer wollte, die verseucht waren. Er hoffte, dass sie ihm bei der Suche nach dem Auslöser helfen konnte. Allerdings wollte der König sie auch vorsichtig heranführen und erst einmal darüber fliegen. Seolan hätte sie lieber weiterhin hier. Sie war eine gute Hilfe und sollte ein Drache befallen werden, konnte sie diesen heilen. Kario hatte keinerlei Anzeichen gezeigt, dass es ihm nach der Heilung schlecht ging, weshalb Seolan zuversichtlich war, dass die Krankheit wirklich geheilt war.
Es hatte eine lange Zeit gegeben, da hatte kein Drache geglaubt, dass es wirklich eine Heilung geben könnte. Eine Infizierung war einem Todesurteil gleichgekommen, doch mittlerweile frage sich Seolan, wie viele Drachen sie hätten retten können, wenn sie nach Naoki gesucht hätten, statt zu warten, bis sie zu ihnen kam. Allerdings vermutete er, dass sie noch gar nicht so alt war, dass es einen Unterschied machte. Mit ihren jungen Jahren war ihr Leben auf dieser Welt erst ein Augenwinkern für einen Drachen.
Naoki nickte, bevor sie sich auf den Weg machte, um die Kleidungsstücke in ihr Zimmer zu bringen. Wenn Reolan wirklich mit ihr fliegen wollte, dann sollte sie sich warm anziehen. Vielleicht fand sie etwas unter den ganzen Sachen.
Im Zimmer angekommen, warf sie diese erst einmal auf das Bett. Kario tat es ihr gleich, bevor er neugierig zusah, wie sie diese durchsuchte. Es gab viele verschiedene Stoffe und auch einige fertige Kleider. Alle recht einfach und passend für das, was sie hier tat. Darunter war jedoch auch eines, das sie nicht ganz verstand. Es war edel und sah aus, als würde es von Adligen getragen. Dieses legte sie vorsichtig zur Seite, bevor sie ihre Suche nach einem, zum Fliegen geeigneten, Kleid fortsetzte.
Schließlich fand sie ein Unterkleid und ein Kleid, das sie warmhalten würde. Darunter könnte sie die Hose anziehen. Das war gut.
„Weißt du, wo Reolan mit mir hin will?", fragte Naoki an Kario gerichtet, während sie sich umzog. Dabei störte sie sich nicht daran, dass er noch im Zimmer war.
Wie Shao es ihm empfohlen hatte, blickte Kario weg und trat an das Fenster heran. „Nicht genau. Aber ich schätze, dass er dir unser altes Reich zeigen will", bemerkte Kario, der es nicht lassen konnte und leicht über seine Schulter schielte.
Naoki hatte ihm den Rücken zugedreht, der nun nackt war, weil sie sich das Unterkleid noch nicht übergezogen hatte.
Ihre Haut war blass und rein. Wie Kario wusste, fühlte sie sich sanft und seidig an. Zumindest tat sie das, wenn Naoki Kario kraulte. Also ging er davon aus, dass auch der Rest ihres Körpers so seidig war.
Schließlich drehte sich Naoki angezogen zu ihm um. „Und?", fragte sie und streckte die Arme etwas von sich. Das Kleid war schlicht und angenehm zu tragen.
Es war sehr süß von Seolan und Reolan, dass sie ihr Kleider besorgt hatten, doch sie hatte auch nichts gegen die Hosen und Oberteile der Männer gehabt. Darin hatte sie sich sogar recht wohlgefühlt.
Kario drehte sich um, musterte sie kurz und räusperte sich dann. „Du siehst ... gut aus", sagte er, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Er hatte keine Ahnung, was in so einem Moment angebracht war. Was wollte Naoki hören? War seine Antwort richtig gewesen.
Naoki lachte leise. „Danke. Ich mag die Kleider und geh mich schnell bei Seolan bedanken. Sehen wir uns dann gleich beim Abendessen?", fragte sie, denn heute war neben Shikarao auch Kario dran, um das Essen für alle vorzubereiten.
Die Drachen, die keine menschliche Gestalt hatten, aßen draußen gefangene Tiere, während die anderen gemeinsam kochten und am Tisch aßen. Heute sollte es einen einfachen Eintopf geben.
„Ja", stimmte Kario zu, der sie anstarrte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie angenehme, weibliche Rundungen hatte. Die Kleider vorher hatten diese eher verdeckt. „Ich kann dir heute Abend wieder etwas Wasser warm machen", bot er zuvorkommend an.
Seitdem sie ihn gerettet hatte, war er oft an ihrer Seite und half ihr. Manchmal glaubte Naoki, dass er sie irgendwie beeindrucken wollte. Allerdings versicherte Kario, dass er das gern machte und ihr einfach nur das Leben hier angenehm gestalten wollte.
Dass er sich dafür so viel Mühe machte, sorgte dafür, dass er einen besonderen Platz in ihrem Herzen hatte. Irgendwie war er für sie wie ein kleiner Bruder.
„Danke dir", erwiderte sie lächelnd, bevor sich ihre Wege trennten und Naoki sich auf die Suche nach Seolan machte.
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