DREIUNDZWANZIG
Mein Rücken schmerzte, während ich mich für das Frühstück fertig machte. Der Großteil war bereits über Nacht verheilt, aber trotzdem blieb das stechende Gefühl nicht aus.
Ich war die letzte, die sich an den Tisch setzte, während sich alle anderen in einem freundlichen Ton unterhielten. Danielle hatte anscheinend Recht behalten, als sie sagte, sie hätte ihren Teil des Plans erledigt.
„Oh, Anderia, Ihr seht ja wirklich blass aus. Konntet Uhr Euch gestern denn ausruhen?", fragte mich König Janis und ich schaute von meinem Teller auf.
Ja, ich war blass, aber nicht, weil ich krank war.
„Mir geht es schon besser heute, es war gut, dass ich im Schloss geblieben bin", murmelte ich und sah ihm dabei fest in die dunklen Augen, damit er meine Worte glaubte. Danielle musste feststellen, dass ich meine Aufgabe ab jetzt ernst nahm. Ein weiteres Mal würde ich diese seelische Tortur nicht überleben.
„Wirklich schade, es war ein wunderschöner Tag gestern", hielt mir König Janis vor und ein stechender Schmerz durchzuckte meine Brust.
Nach dem Frühstück folgte Danielle mir auf mein Zimmer, ich erzählte ihr von der Mauer und sagte ihr, dass ich heute Nacht erneut losgehen würde.
Ihre Reaktion war resigniert. Sie schien enttäuscht von meiner Leistung zu sein, aber gab es mir nicht noch einmal zu spüren. Selbst als ich etwas übertrieben darstellte, wie schlecht die Mauer war und wie leicht sie zu durchbrechen war, hielt sie die Information nicht für wertvoll.
Sie ließ mich schnell wieder allein, gab mir kaum Aufmerksamkeit, als wäre ihr Interesse an den Schwächten plötzlich verpufft.
Ich entschied mich dafür meinen Tag ruhig zu verbringen.
Ich wollte mehr über die mit Runen verzierten Dolche erfahren. Über die Waffe, die mir eine Sicherheit verschaffen könnten. Außerdem brauchten meine Wunden noch ein bisschen Zeit um zu heilen. Die Nacht hatte nicht ausgereicht, aber heute Abend würde ich zum größten Teil wieder voll auslastungsfähig sein.
Zunächst nahm ich mir das Buch mit den Runen zur Hand und überflog das erste Kapitel.
Vor vielen Jahrhunderten, als die Welt noch jung und die Menschen noch unerfahren waren, erschufen die ersten Könige eine mächtige Form von Schutz und Macht: die Runen. Diese geheimnisvollen Symbole wurden in Steine gemeißelt, auf die Häuser gezeichnet und sollten die Menschen vor den Kräften der Fae bewahren.
Die Runen wurden mit Bedacht gewählt. Jede Rune trug eine eigene Bedeutung und eine spezielle Kraft in sich. Einige Runen boten Schutz vor der Magie der Fae, während andere Stärke und Tapferkeit verliehen. Es wurde gesagt, dass die drei Könige, die die Runen schufen, sie mit den Elementen der Natur verbanden, um ihre Macht zu verstärken.
Im Laufe der Zeit lernten die Menschen, die Runen zu nutzen und zu respektieren. Sie trugen sie auf Amuletten und Schmuckstücken, um sich selbst und ihre Lieben zu schützen. Die Runen wurden zu einem Symbol der Hoffnung und des Glaubens an das Gute in der Welt.
Mit der Zeit gerieten die Runen in Vergessenheit. Dennoch blieben ihre Spuren in den sieben Dolchen, die die Könige als Waffe gegen die Fae erschufen, erhalten.
Scharf zog ich die Luft ein. Wenn dieses Buch die Wahrheit sprach, dann gab es Hoffnung für mich. Hoffnung für die Menschheit. Wie gebannt las ich weiter.
Vor Jahrhunderten regierten drei Menschenkönige, die alle über eine menschliche Magie verfügten, die heute nur noch sehr selten ist. Zu der Zeit konnten die Könige das Gleichgewicht der Welt aufrechterhalten.
Die drei Könige sahen die wachsende Bedrohung durch die Fae, jene geheimnisvollen Wesen, die hinter dem Faunland lauerten. Sie wussten, dass die Fae eine Gefahr für die Menschheit darstellten und dass sie nur durch die Stärke und Weisheit der Menschenkönige aufgehalten werden konnten.
So beschlossen die drei Könige, ein mächtiges Werkzeug zu schaffen, um die Fae zu besiegen. Sie vereinten ihre Kräfte und ihr Wissen über die Magie und schufen die Dolche der Runen. Jeder Dolch war mit den mächtigsten Runen versehen, die die Könige kannten. Diese Runen waren Symbole der Macht und des Schutzes, die in die Klingen der Dolche eingeätzt wurden, um sie zu Waffen gegen die Fae zu machen.
Die Dolche der Runen. Ehrfürchtig streichelte ich die Seite, auf der die Abbildung der sieben Dolche zierte. Sie waren alle unterschiedlich groß und hatten andere Farben. Gold, Silber, Rot, Violett, Bronze, Weiß und Schwarz. Auf jedem der Waffen waren drei unterschiedliche Runen eingraviert.
Je mehr ich über diese Waffe las, desto dringender war das Bedürfnisse, sie in der Hand zu halten. Mehr darüber zu erfahren. Ich wollte genau wissen, wie ich einen solchen Dolch finden konnte. Ich nahm mir fest vor das Buch zu einem anderen Zeitpunkt detailliert durchzugehen. Mir jedes Wort einzeln, genau durchzulesen. Aber gerade merkte ich, dass ich an die frische Luft musste.
Ich bemerkte, wie ich durch das ganze Lesen und Grübeln Kopfschmerzen bekam und ich wusste, dass sich auch meine Wunden nach frischer Luft sehnten.
Zwar dauerte das Verheilen der Wunden bei mir längst nicht so lang, wie bei Menschen und ich konnte bereits am Morgen wieder normal laufen, aber trotzdem sollte ich alles dafür tun den Heilungsprozess zu beschleunigen.
Zusammen mit Arthur ging ich in den Hofgarten. Wir liefen schweigend nebeneinanderher.
„Wie lang arbeiten Sie schon als Wache in Sywentha?", unterbrach ich die Stille, da ich in Redelaune war.
Ich hatte Arthur bis jetzt als eher schweigsam empfunden, ganz anders als Sam.
Seit wir uns gestern kurz über den Weg gelaufen waren, hatte ich Sam nicht mehr gesehen. Wenn ich es richtig verstanden hatte, war er zum persönlichen Leibwächter von Danielle konsultiert worden, er tat mir ein bisschen leid.
„Schon seit über 30 Jahren. Ich kannte noch den Vater von König Janis", antwortete Arthur mir.
Jetzt war meine Neugierde geweckt.
„Wie war der König so?" Langsam gingen wir auf den Rosengarten zu. Der Duft füllte sich bereits jetzt wie ein zarter Hauch in meiner Nase.
„Er war ein sehr gutherziger Mann, ist aber leider im Krieg verstorben. Genauso wie Eure Großeltern", sagte er knapp und verdeutlichte mir so, dass er nicht in Stimmung war über die Vergangenheit zu reden.
Ich merkte nicht an, dass Danielle nur meine Stiefmutter war und ich meine Großeltern kaum kannte. Strenggenommen war das ehemalige Königspaar nicht mit mir verwandt.
„Ist es nicht schön, dass Danielle und König Janis jetzt Frieden gefunden haben?", fragte ich weiter neugierig.
Vielleicht würde ich ihm irgendeine interessante Information entlocken. Aber Arthur brummte nur missmutig und schien mir nicht zuzustimmen.
„Aber es wäre doch gut, wenn Sywentha und Saleorien Verbündete wären, oder etwa nicht?", fragte ich erneut und versucht irgendwas aus ihm herauszukitzeln.
Wieder bekam ich nur ein missmutiges Brummen zur Antwort, weshalb ich mich dazu entschied das Thema zu wechseln. Arthur war anscheinend eine Sackgasse.
„Ich finde den Hofgarten wirklich wunderschön. Wer kümmert sich um die ganzen Pflanzen?"
„Der Hofgarten wird von unserer königlichen Gärtnerin Vivianna geführt. Sie ist eine Künstlerin, was Pflanzen und Natur angeht", erklärte er mir jetzt und ich war froh, dass er wieder anfing mir richtige Antworten zu geben. Auch wenn ich mich langsam fragte, ob meine ganzen Fragen ihn nicht nervten.
Wir unterhielten uns eine Weile über die Pflanzen und Bäume, mein Wächter schien bei diesem Thema wirklich aufzugehen.
Ein Kribbeln in meinem Nacken, riss mich aus dem netten Gespräch. Ich drehte mich um, suchte den Garten nach dem Fae ab. Woher der Instinkt rührte, woher ich wusste, dass dieses Kribbeln von der Anwesenheit des Faes entstand, konnte ich nicht einordnen. Aber ich sah, wie sich der Faemann mit einer der Wachen an der Mauer unterhielt.
Automatisch fing mein Herz an zu rasen. Ich war ihm mittlerweile zweimal begegnet und trotzdem machte mich sein Anblick noch immer nervös, obwohl mir noch nie etwas geschehen war. Er unterhielt sich wie ein normaler Mensch mit dem Wachmann.
„Wer ist das?", fragte ich Arthur, der meinen Blick verfolgte.
Dieser schaute nicht halb so interessiert, wie ich und wendete den Blick schnell wieder ab.
„Das ist Calix. Ein guter Freund von König Janis. Er kommt uns ab und zu im Schloss besuchen." Anscheinend fiel Arthur nicht auf, wie Besonders dieser Mann war. Dabei war er so eindeutig anders.
Ich überlegte, wie ich meine Wache am diskretesten nach diesem Fae fragen konnte. Anscheinend war Arthur keineswegs beeindruckt, dass eine solche Kreatur, die so bösartig war im Schloss herumlief.
„Hat er auch eine magische Fähigkeit, so wie König Janis?", fragte ich jetzt und hoffte, dass Arthur von meiner Neugierde nicht abgeschreckt war.
Ich wollte wissen, ob er überhaupt eine Ahnung hatte, dass vor uns ein Fae stand. Denn es schien nicht so.
„Nein, er ist ein ganz normaler Mensch", erwiderte er und ich kniff die Augen zusammen.
Entweder ich war verrückt, oder Arthur log mir gerade knallhart ins Gesicht.
Weil die Magie, die von diesem Mann ausging war gewaltig. Es war nicht vergleichbar mit der Magie, die König Janis umschloss. Auch bei ihm spürte man, dass er Magie besaß, aber bei diesem Fae, war sie noch viel, viel stärker.
„Woher wissen Sie das?"
Ich konnte mich nicht irren. Calix war ein Fae. Wenn ich mich täuschte, dann waren alle meine Instinkte nicht mehr zu gebrauchen. Und das wäre katastrophal.
„Ich habe mich schon ab und zu mal mit Calix unterhalten. Er ist sehr nett, aber ein normaler Mann aus Funkenheim. So oder so ist die menschliche Magie sehr selten und kaum noch verbreitet, das wisst Ihr doch, oder? König Janis ist der einzige Mensch, der noch Magie besitzt."
Ja, natürlich wusste ich das. Aber ich konnte Arthur ja schlecht fragen, ob Calix ein Fae war. Es wunderte mich, dass er die Magie, die ich auch jetzt gerade so präsent spürte, nicht bemerkte.
„Ja, ja das weiß ich."
„Wollt Ihr ihn kennenlernen? Wir können rüber laufen und..."
„Nein!", rief ich schnell.
Auf gar keinen Fall wollte ich näher an ihn heran als ich irgendwie vermeiden konnte. Auch wenn Arthur es nicht zu bemerken schien, war er gefährlich und definitiv kein normaler, netter Mann. Geschweige denn ein Mensch.
„Okay, Prinzessin. Ich dachte ja nur, ... Ihr scheint so interessiert an Calix", sagte Arthur abwehrend und zuckte mit seinen Schultern, um sich zu verteidigen.
„Ich wollte Euch wirklich nicht zu nahetreten."
Er war sichtlich überrascht, von meiner starken Reaktion, auf seinen Vorschlag.
„Ach alles gut, sind Sie nicht. Ich bin bloß schon sehr müde und würde wirklich gerne wieder zurück auf mein Zimmer." Mit einer knappen Bewegung deutete ich an, zurück zum Schloss zu laufen. Auf dem Rückweg sprachen wir kein Wort mehr miteinander.
Es kam mir zugute, da ich mir so in Ruhe Gedanken über Calix machen konnte.
Calix der einfache Mann aus Funkenheim. So ein Schwachsinn, hatte ich lang nicht mehr gehört.
Er war durch und durch Fae. Nicht nur, dass ich seine Magie spürte, ich hatte ja sogar den Beweis, dass er über das Faunland geflogen war.
Also täuschte er anscheinend alle Menschen, die in Sywentha lebten und spielte vor, dass er ein Mensch sei. Aber wie war das möglich? Seine Magie war so unglaublich stark, dass es mich einschüchterte. Wie konnte er es vor allen anderen Menschen verbergen?
Es schien als wäre seine Magie ein unsichtbarer Schleier, der sich sanft, aber gewaltig um seine Gestalt legte, doch für die Augen der anderen verborgen blieb. Außer für mich. Für mich war dieser Schleier sichtbar.
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