Kapitel 18
Die Befehle von oben wurden immer seltsamer. Doch was sollte Barclay tun? Solange sie sie auf dem Schlachtfeld weiterbrachten, war ihm alles recht. Dennoch wurde er langsam unruhig und seine Beine begannen zu schmerzen, als er einen Ast über ihm erklomm. Er, sowie drei weitere Rudel, hockten rund 30 Meter auf Bäumen und blickten auf den Waldboden. Die vampirischen Truppen sollten hier schon vor einer halben Stunde vorbeigekommen sein, doch gesehen hatten sie nur ein paar Tiere. Barclays Bein war eingeschlafen, und sein Sitzfleisch tat ihm weh. Er schielte hinüber zu David, der unter ihm hockte.
„Wie lange, denkst du, wird das noch dauern?", zischte er. David zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich, aber mein Hintern juckt, also möglichst bald."
Vielleicht wäre es ja ertragbar gewesen, stundenlang auf Bäumen zu hocken, aber da war dieser Gestank, der ihm in die Nase stach. Bevor sie hier raufgeklettert waren, mussten sie sich mit einem Sekret einreiben, was ihren Werwolfsgeruch überdeckte. Hoffentlich wirkte es.
Ein Zeichen ging durch die Rudel, ein stummer Impuls. Barclay spitzte die Ohren. Da hörte er sie.
In über natürlicher Geschwindigkeit flitzten Gestalten unter ihm hindurch. Jemand heulte. Barclay trank das Elixier. Die Wirkung setzte ein und der Ast unter ihm brach. Mit den Krallen in der Rinde vergraben, lief er den Stamm hinunter, dann sprang er und attackierte einen Vampir. Sein Kiefer zerbiss ihn wie ein Streichholz. Neben ihm landete David und zerbiss einen Soldaten in der Mitte. Überall sprangen Wölfe von den Bäumen und attackierten die Vampirsoldaten. Kaum jemand hatte Zeit, sein Gewehr zu ziehen.
Schüsse knallten, doch die Schreie waren lauter. Barclay biss in einen Vampir und schleuderte ihn weg. Neben ihm zückte einer sein Gewehr, doch der Werwolf schleuderte ihn gegen einen Stamm. Noch ein Vampir wollte vor ihm wegrennen. Barclay nahm die Verfolgung auf. In zwei Sätzen hatte er ihn gefasst und ausgeschaltet. Aus den Reihen ertönten die ersten Schreie. „Rückzug! Rückzug!"
Doch dieser Schrei verstummte. Stattdessen schrie jemand: „Lasst die Waffe frei."
Waffe?
Der Alphawolf und Barclay wechselten einen raschen Blick. Dann traf Ascanius etwas in der Seite. Er jaulte auf und fiel. Mit einem Satz war Barclay bei ihm. Aus seinem Bauch ragte eine pechschwarze Spitze. Es war, als hätte man Stein flüssig gemacht in die Form eines Dolches gepresst.
Ascanius versuchte, aufzustehen, sackte aber zusammen. Blut befleckte sein Fell und den Waldboden, und das Licht in seinen Augen flackerte. Überrollt von Schmerz und Trauer, hob Barclay den Kopf und heulte. Neben ihm sackte ein zweiter Werwolf zusammen. Eine ähnliche Spitze ragte aus seinem Kopf.
Barclay fuhr herum. Wo kamen diese Spitzen her? Was für eine Waffe war das? Was nun? Barclay musste weiterkämpfen. Also schnappte er sich einen Vampir, zerbiss ihn, machte weiter.
Ein weiterer Werwolf sackte zusammen, direkt neben ihm. Barclay drehte den Kopf und fand sich umringt von sterbenden Werwölfen wieder. Diesmal konnte er die Quelle ausmachen. Es war ein Mann, gekleidet wie ein Soldat der Vampire. Doch er roch nicht wie einer. Ein Werwolf jagte auf ihn zu, da streckte der Mann die Hand aus. Ein schwarzer Dolch schoss aus seiner Hand geradewegs in die Brust des Wolfes. Der Mann fuhr herum, erwischte einen anderen Wolf an der Flanke und durchbohrte einem weiteren den Kopf.
Barclay gegenüber stand David. Der Wolf spannte die Flanken an, fixierte die Gestalt. Da rannte David los und sprang.
David, nein!
Die Gestalt fuhr herum. Wolf und Mann sahen sich direkt in die Augen, Angesicht zu Angesicht. Dann streckte die Gestalt die Hände aus. Ein schwarzer Dolch schoss durch Davids Brust.
Nein!
Barclay legte die Ohren an. Seine Pfoten machten einen halben Satz nach vorne. Er musste zu ihm, musste seinem Freund helfen. Da fuhr die Gestalt herum. Die silbernen Augen fixierten nun ihn. Ein Schauder jagte durch Barclays Körper. Nein, er musste leben. Für seine Familie. Für seine Tochter. Doch in diesem Augenblick hob die Gestalt die Hände. Er erstarrte.
Ein neuer Tag, eine neue Teeparty. Bis zur Krönung waren es noch fünf Tage, und an jedem von ihnen wuchs mein Selbstvertrauen. Ich konnte es schaffen. Die letzten Tage brachen an, die Krönung war zum Greifen nahe. Ich konnte meine Freiheit schon auf der Zunge schmecken. Einer gemeinsamen Zukunft mit Rhian irgendwo auf den Hügeln Irlands stand nichts mehr im Weg, und ich hatte mich schon über das Kinderheim informiert, in dem meine Schwestern und ich getrennt wurden. Was könnte jetzt noch schief gehen? Wir hatten es so weit geschafft, die letzten Tage schafften wir auch noch. Niemand schöpfte Verdacht, sie alle schwärmten vom Liebespaar Cai und Lijana Winter. Nur noch fünf Tage, dann entkam ich meiner Familie und Wolfstein. Ich schwebte nur so über den Boden. Und so protestierte ich auch nicht, als Magaret eine Teeparty veranstaltete. Ich trug mein hellblaues Lieblingskleid, die Glaskette und offene Haare, und naschte eifrig von den Keksen. Heute hatte ich nicht vor, meine Tante und Cousine äußerlich zu übertreffen. Der Fokus sollte ganz auf meiner Tante liegen.
Natürlich missbilligte meine Verwandtschaft mein Erscheinen, doch was wollten sie tun? Ich betrat den Teesalon in dem Moment, in dem auch die Gäste ankamen, und es wäre doch unhöflich gewesen, mich zu bitten, ich solle mich umziehen. Also saß ich auf dem Sofa, tunkte meinen Keks in den Tee und badete in ihren missbilligenden Blicken.
„Lady Magaret, ich habe gehört, Ihre Familie plant den Kauf einer Diamantenmine", fragte irgendein Herzog, vermutlich einer der armen Teufel, die meine Tante versucht hatte, mit Celesté zu verheiraten. Dumm nur, dass er eine Seelenverwandte hatte, die, anders als er, die Zeit hier zu genießen schien.
Die Augen meiner Großmutter leuchteten auf. „Ja, wisst Ihr, das Grundstück befindet sich fast wieder in unserem Besitz. Mein Schwiegersohn..." Und es folgte eine Anekdote, wie mein Vater die Mine erwarb. Ich schweifte ab.
Stattdessen konzentrierte ich mich auf Patricias Kleid. Genauso wie ihre Tochter sah sie hinreißend aus, vollkommen overdressed beim Versuch, mich zu übertreffen. Doch ich erinnerte mich gut daran, ihr blassgrünes Kleid gestern noch unter Rhians Fingern gesehen zu haben. Um mein Grinsen zu verbergen, trank ich einen Schluck Tee.
„Das hört sich wirklich interessant an. Plant Ihr denn, noch ein Grundstück dieser Art zu erwerben?"
Ich bezweifelte, dass dies überhaupt möglich war, aber die Wangen meiner Großmutter glühten rosa. „Ja, das haben wir in der Tat. Ich dachte an eine Insel der Karibik, Ihr wisst ja, nichts Großes." Funken von Wut entfachten in mir. Natürlich wollte sie den Geldtopf, auf dem sie saß, so lange und intensiv wie möglich ausschöpfen. Ich spannte die Kiefermuskeln an.
Da beugte sich Patricia vor, griff nach der Kanne und wollte den Gästen Tee nachschenken. „Wollt ihr noch etwas-"
Ein Ratschen ertönte. Patricias Augen weitete sich, ihr fiel fast die Teekanne aus der Hand. Der Stoff ihres Kleides war gerissen und offenbarte ihren Büstenhalter. Ihr Gesicht lief puterrot an. „Entschuldigt mich." Sie sprang auf und verließ den Salon. Sobald die Glastür sich hinter ihr schloss, setzte das Gemurmel ein.
„Ich helfe ihr", murmelte ich, stand auf und folgte ihr. Doch anstatt des Hauptweges, öffnete ich eine Geheimtür und schlich den Geheimgang entlang. Mittlerweile entwickelte ich ein Gefühl für die Geheimwege, und so erwischte ich sofort die richtige Tür.
Nur einen Spalt öffnete ich sie und lugte in Patricias Zimmer. „Verflixter Mist, das darf doch nicht wahr sein. Nein, nein, nein!" Sie hantierte am kaputten Stoff herum, dann warf sie die die Hände in die Luft und ließ sich aufs Bett sinken. „Warum nur?" Sie verbarg das Gesicht in den Händen. „Wieso passiert das mir? Warum ausgerechnet jetzt?" Ihre Stimme brach ab. Ein Schluchzen drang an mein Ohr und ihr Oberkörper erzitterte.
Breit grinsend schloss ich die Tür, nur um sie dann wieder einen Spalt breit zu öffnen. Meine Tante gedemütigt zu sehen, nach all den Jahren, in denen sie mich gepeinigt hatte, entfachte das kalte Feuer in mir. Lichterloh entflammte es in meinen Eingeweiden. Diesmal schloss ich die Tür endgültig und tanzte im Flur. Ich lächelte, lachte und sprang auf und ab. Als ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, glühten meine Wangen, und ich musste mir die Hände auf den Mund pressen, um nicht loszukichern. Ich kugelte mich vor stummen Lachanfällen und dem Gefühl des Triumphes.
Irgendwann erinnerte ich mich an die Teeparty und daran, dass man bestimmt auf mich wartete. Ich sollte zurückgehen. Auf der anderen Seite könnte ich vor Glück platzen. Also schlich ich über den Hauptflur in meine Gemächer und verschloss die Tür. Ich tänzelte über den Teppich und tanzte durch den Raum. Schließlich griff ich mir einen Zettel und Bleistift und kritzelte wahllos Worte auf Papier. Sie hatten keinen direkten Inhalt, es waren nur ein paar wahllos zusammengewürfelte Sätze, die meine Glücksgefühle ausdrückten. Selbst als die Seite voll war, konnte ich nicht aufhören zu grinsen. Das kalte Feuer in mir sprühte Funken. Da griff ich mir noch eins. Ein paar Mal trommele ich mit dem Ende auf meinem Daumennagel herum, dann schrieb ich Rhians Namen oben links aufs Papier. Eine Welle ungeahnten Glückes überrollte mich, und ich konnte mir nicht anders helfen, als all meine Gedanken und Gefühle für sie aufzuschreiben. Ich kicherte wie ein verliebter Teenager und wollte gar nicht mehr aufhören. Zeile um Zeile füllte ich mit meinen Anschmachtungen und Liebesbekenntnissen. Die Wörter flogen mir nur so zu. Als ich geendet hatte, war ich außer Atem.
Ich wollte den Brief Rhian geben. Ich wollte sie auf ein Date einladen, wollte sie fein ausführen, sie in einem edlen Kleid sehen. Wollte ihr etwas von der glamourösen Welt zeigen, die ich meine nannte. Wollte mit ihr Hand in Hand durch Wolfsteins Straßen spazieren und ihr jeden Wunsch erfüllen. Und es traf mich ein kleiner Schlag, dass das niemals möglich sein würde. Nicht, solange ich Cai Winters Frau war. Dann mussten wir uns weiterhin in meinen Gemächern treffen. Ach, solange wir zusammen waren, konnten wir uns überall treffen!
Ich legte den Brief auf dem Tisch ab, dann verließ ich meine Gemächer und zusammen mit Adorjan betrat ich die königlichen Gärten. Die Sonne war schon untergegangen, daher war ich froh, dass er mich begleitete. Mit einer Schere trat ich an die Rosenbeete und schnitt die schönsten Blüten ab. Ich pflückte ein paar violette Rosen, Rhians Lieblingsblumen, und als ich einige rote Blüten entdeckte, konnte ich nicht widerstehen.
„Da wird Cai sich bestimmt freuen", meinte Adorjan. Ich nickte eifrig, dann lief ich weiter.
Das letzte Licht des Abendrotes erhellte den Himmel, als ich mich auf einen Brunnenrand setzte. Mein Körper reagierte sofort auf die Lebensenergie. Ich lockerte die Schultern und entspannte den Rücken. Als ich meine Finger durch das kalte Nass fuhr, schwammen Fische an die Oberfläche. Trotz des schwachen Lichtes glitzerten ihre Schuppen golden.
„Goldene Fische – was sagt man dazu!", murmelte ich und bewegte die Fäden der Lebensenergie, sodass kleine Wirbel entstanden.
„Das war einer von Cais ersten Befehlen", meinte Adorjan. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff.
„Cai hat befohlen, die Fische anmalen zu lassen?" Er nickte. „Er wollte dir damit eine Freude machen. Damit du dich hier wohler fühlst." Er grinste, und Grübchen zeichneten sich in seinen Wangen ab. „Um ehrlich zu sein war er echt nervös wegen deiner Ankunft hier. Er hat alles auf den Kopf gestellt, nur um es dir recht zu machen. Das Becken, in dem du betest? War mal sein privates Schwimmbad. Er liebt es zu schwimmen." Adorjan sah den Fischen hinterher. „Ihr passt wirklich gut zueinander."
Etwas an seinen Worten rührte etwas tief in mir. Es stimmte: Deshalb teilten Cai und ich uns kein Zimmer. Weil er mir Freiraum lassen wollte, damit ich mich nicht eingeengt fühlte. Deshalb hatte er mich gefragt, was wir organisieren konnten, um die Lüge aufrechtzuerhalten. Deswegen hatte er den Tempel herrichten lassen, Arthur weggeschickt, Rhian und meine Familie hier einziehen lassen. Zugegeben, letzteres ging nach hinten los, aber es war die Geste, die mir das Herz erwärmte. Er hätte keines dieser Dinge tun müssen. Dennoch hatte er es. Als ich zurück zu meinen Gemächern wankte, war ich ein anderer Mensch.
Ich stellte die Blumen in eine hübsche Vase und legte meinen Brief daneben. Immer wieder schielte ich auf die Uhr oder zur Geheimtür. Wo nur blieb Rhian? War ihr etwas zugestoßen? Ich nestelte am Lederband meiner Kette herum. Vielleicht sollte ich-
Da stieß jemand die Tür auf. Ich fuhr herum.
Rhian stand in der Tür, mit verquollenen Augen und tränennassen Wangen. „Rhian, was ist passiert?" Ich stolperte auf sie zu und umarmte sie. Ihr Körper war ganz kalt und sie zitterte.
„Es ... es gab einen Vor-Vorfall an der ... Südgrenze. Das Rudel von meinem Vater, es ... es wurde angegriffen. Irgendetwas hat fast das ganze Rudel ausgelöscht." Ich schrak zusammen. Das ganze Rudel? Wie konnte das sein? Welches Wesen hatte eine solche Macht?
„Was, wenn mein Vater es nicht geschafft hat?", wimmerte Rhian und klammerte sich an meinem Kleid fest. Ihr Körper erzitterte. Ich strich ihr über den Rücken. So hatte ich sie noch nie erlebt. Es zerbrach mir das Herz. „Rhian, ich bin mir sicher, er konnte fliehen und es geht ihm gut."
„Aber was, wenn nicht? Wenn er tot auf dem Waldboden ist, seine Leiche eine unter tausenden?" Sie schrie und stieß mich von sich weg. Ihr Gesicht und Hals waren ganz fleckig. Tränen liefen ihr über die Wangen.
Mein Blick huschte hin und her. Ich fühlte mich hilflos. Was sollte ich tun? „Mach dir keine Sorgen, Rhian. Schau mal, in fünf Tagen ist die Krönung. Dann sind wir frei und können zur Grenze reisen und ihn suchen." Ich nahm ihre Hände in meine und drückte sie. „Und dann ziehen wir mit deinen Eltern und meinen Schwestern nach Irland und-"
„Und wie bitteschön sollen wir ihn finden?", schrie sie. Ich biss die Zähne zusammen. „Sein Name ist einer unter zehntausenden. Sein Rudel, oder das, was davon übrig ist, zieht jeden Tag in ein anderes Gebiet. Dein Name, dein Titel bedeutet den Werwölfen gar nichts! Was also denkst du, kannst du schon erreichen? Mein Vater ist tot!" Ihre Beine knickten ein. „Er ist tot. Die einzige Möglichkeit für meine Mom, jemals wieder auf eigenen Beinen zu stehen..." Sie brach ab.
Ich hockte mich zu ihr auf den Boden und nahm sie in den Arm. Was sollte ich jetzt tun? „Aber ich kann euch doch Geld geben. Ich kann-"
„Verstehst du es nicht? Du wirst niemals frei sein. Und meine Mutter und ich werden uns nicht von dir abhängig machen, Lijana." Das traf mich. Ich ließ meine Hand sinken, biss mir auf die Lippe. Was sollte ich denn tun? In diesem Augenblick fühlte ich mich machtloser denn je.
Rhian rappelte sich auf, unsere Blicke trafen sich. „Du musst hierbleiben! Du musst weiter für die Werwölfe spionieren, nur so kann ich meinen Vater retten. Bitte, Lijana!" „Aber ... aber wir wollten doch hier verschwinden." Ich biss mir auf die Zunge. Das konnte Rhian doch nicht ernst meinen. Wieso sollte sie wollen, dass ich hierblieb, an einem Ort, der mich in Ketten legte? Sie hatte mir doch zugesagt, dass wir uns nach der Krönung eine Zukunft aufbauten. Nein, das hatte sie nicht ernst gemeint. Bestimmt war ihr das nur so rausgerutscht. Doch ihre Stimme war fest gewesen, und sie hatte mir direkt in die Augen gesehen. Ich wollte etwas sagen, da stürmte Rhian an mir vorbei und verschwand im Geheimgang.
William wippte auf den Fußballen. Zum zehnten Mal wanderte sein Blick auf die Taschenuhr. Wo blieb er? Die Nacht war vorbei, die Sonne würde bald aufgehen. Er trommelte gegen das Gehäuse und tigerte in dem winzigen Raum auf und ab. Die Wände bestanden aus einfachem Holz, und der Platz war vollgestellt mit Möbeln, die unter einem Staubtuch abgeschirmt waren. Außerdem zog es schrecklich. Wahrlich keine angenehme Umgebung.
Eine Gestalt löste sich aus den Wänden, blass und fast ganz durchsichtig. Sie schwebte auf William zu, lächelte.
„Wieso kommst du zu spät? Hast du irgendwas gefunden, was ich verwerten kann?" William rieb die Fingerspitzen aneinander, einen dieser Angewohnheiten, die er immer häufiger an den Tag legte, je näher der Tag der Krönung kam. Das Grinsen auf Georges Gesicht wurde breiter. „Oh, es wird dir gefallen, was ich gefunden habe. Aber erst den Stoff."
William verdrehte die Augen. „Und woher will ich wissen, dass du nicht abhaust, sobald du deine Drogen hast? Ich will Informationen. Jetzt."
Da lachte George. Es klang furchtbar hohl und seine Gesichtszüge hätten jedem anderen einen Schauder den Rücken herunterrieseln lassen. „Schön, wie du willst. Unsere unschuldige, kleine Lijana hat eine Affäre."
Für einen Moment verlor William die Beherrschung über sich. Er grinste, doch er hätte auch in die Luft springen und jubeln können. „Das ist perfekt! Wer ist es? Ein Adeliger? Hast du Beweise, um ihn zu belasten?"
„Oh, der beste Part kommt noch." George lächelte, legte den Kopf schief. Betont langsam trat er zurück und schlenderte durch die Möbelstücke. „Denn Lijanas kleines Betthäschen ist eine Frau. Eine Bedienstete, um genau zu sein." George drehte sich zu seinem Bruder.
Dieser lief ihm nach und stolperte durch die Unordnung. Sein, wenn auch sehr langsames Herz schlug wie wild in seiner Brust. „Und? Gibt es Beweise? Irgendwas Handfestes? Hast du was gefunden?" Schweiß brach auf Williams Stirn aus. Er meinte, die Krone schon auf seinem Haupt zu spüren.
„Ja, da gibt es etwas." George lief durch einen Schrank, verschwand in der Wand. William zuckte zusammen. Doch sogleich tauchte sein Bruder vor ihm auf.
„Was ist es? Sag es mir, George!", rief William
Sein Bruder legte den Kopf schief und lächelte genüsslich, um die Spannung seines Bruders bis zum letzten Bisschen auszukosten. George war nicht mehr in der Lage, echte Gefühle zu fühlen, doch dieser Augenblick erfüllte ihn mit einem Anflug von Genugtuung. Ein willkommener Kontrast in seinem untoten Dasein.
Doch schließlich siegte der nagende Drang nach Drogen, und so verriet George: „Es gibt einen Brief. Einen Liebesbrief mit Namen und Unterschrift und allem. Wirklich süß. Ich hab ihn gelesen. Er-"
„Und wo ist dieser Brief?", schrie William.
George hatte sich geirrt. Es wurde noch besser. „Der Brief, der Cai Winters Seelenverwandtschaft als einen Schwindel aufdecken, ihn vom Thron stoßen und dir zur Krone verhelfen wird..." Er machte eine Pause. Sein Bruder hätte ihn schütteln können. „...liegt, für alle offen zugänglich auf einem Tisch in Lady Lijanas Gemächern."
William lachte. Sein Oberkörper krümmte sich, er konnte nicht anders. Es brach einfach aus ihm heraus. Als er sich gefangen hatte, blickte er zu George. Jenes süffisante Lächeln war von seinen Lippen gewischt worden, ehe William den Versuch hätte starten können, es ihm vom Gesicht zu prügeln. „Und jetzt gib mir den Stoff", flehte er.
„Erst will ich den Brief sehen. Hol ihn her. Bis zum Sonnenaufgang ist noch Zeit."
„Das geht nicht, schon vergessen? Zwar kann ich durch Wände gehen, aber das gilt nicht für feste Materie. Du musst ihn holen."
William ballte die Fäuste. „Wenn du mich belügst, dann sperre ich dich in die Box und verstecke sie in den Katakomben des Schlosses." Er griff in seine Tasche und warf seinem Bruder ein Tütchen zu. Gierig riss er es auf und schüttete sich den Inhalt in den Rachen. Dann öffnete William die schwarze Box. Der Körper seines Bruders verformte sich, er wurde in das Ding gesogen, bis sich darin nur noch eine graue Masse bewegte. Angewidert schloss William den Deckel.
Doch schon kehrte sein Lächeln zurück. Ein Liebesbrief. Genau den Beweis, den er brauchte. Oh, er konnte die Krone schon auf seinem Haupt spüren, und den Ruhm in seinem Namen, wann immer er ausgesprochen wurde. Vampirkönig William Blackstone, der im Nachtschattenkrieg über die Werwölfe triumphiert hatte. Und dass Richards Waffen funktionierten, hatten die neusten Vorkommen am Südstreifen bewiesen.
„Braucht Ihr einen Augenzeugen?"
William schrak auf. Er fuhr herum. Ihm fiel fast die Box aus der Hand.
In der geöffneten Tür stand eine Frau. Das Licht von draußen warf Schatten auf ihre Silhouette. Erst als sie ins Licht der verstaubten Glühbirne trat, erkannte William ihr Gesicht. Sie trug ein edles Kleid, als sei sie gerade von einer Feier zurückgekommen. Einzelne Strähnen fielen aus ihrem Dutt.
„Wer bist du? Was hast du hier zu suchen?"
Er machte den Rücken gerade und hob den Kopf. Die Hände verschränkte er hinterm Rücken. Seine Stimme war eine schneidende Klinge, die sich nicht anmerken ließ, wie sehr ihn der Gedanke erschrak, dass dieses Mädchen gerade seinen ganzen Plan mitbekommen hatte. Der Duft nach Mensch stieg ihm in die Nase, zusammen mit Unmengen an Parfüm, das ihm in der Nase stach. Naja, notgedrungen konnte er sich ihrer entledigen.
„Mein Name ist Celesté Dawkins, und der Grund, warum Ihr mein Gesicht noch nicht kennt, ist meine Cousine Lijana."
Celesté Dawkins. Der Name sagte ihm etwas, aber nur in Verbindung mit unschönen Gerüchten. „Gut, rede weiter."
Sie hob ihr Kinn, und ballte die Fäuste, als sie weitersprach. Als ob er nicht die flackernden Augen bemerkte, die darum kämpften, Blickkontakt zu halten? Was auch immer es war, ihr Vorhaben ängstigte sie. „Seitdem wir hier angekommen sind, macht sie uns das Leben schwer. Lijana hat Gerüchte über mich verbreitet, und jetzt schaut keiner der Vampire mich auch nur mit dem Allerwertesten an. Meine einzige Chance, einen reichen Ehemann zu finden, und damit meine Mutter endlich Ruhe gibt, hat sie mir genommen. Sie bekommt alles, was mir zustand, hinterhergeworfen." Ihre Kiefermuskeln spannten sich an. Frustration. Verzweiflung.
Es war eine rhetorische Frage, dennoch musste William Gewissheit haben. „Du weißt von dem Schwindel."
„Ich weiß von dem Pakt, den mein Onkel mit Cai Winter geschlossen hat. Ich war da, als der Brief ankam. Ich habe zugesehen, wie unsere Kammerzofe immer mehr Zeit mit Lijana verbracht hat. Ich weiß von allem." Ihre Stimme und ihr Nacken zitterten. Dennoch hielt sie den Blick stand, diesmal ohne flackernde Augen. Die Nervosität war verschwunden. Jetzt war da nur noch Wut.
Sonst hätte er es niemals zugelassen, derart Kontrolle über seine Körperhaltung zu verlieren, doch ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus.
„Und du bist bereit, gegen deine Cousine auszusagen?" Er hob die Augenbraue und trat einen Schritt auf sie zu, um ihre Reaktion zu sehen. Celesté hielt stand.
„Ja. Ich will alles erzählen. Vom Pakt, von der Affäre. Und ich weiß, dass Ihr den Thron für Euch wollt. Ich bin Eure Zeugin. Wenn es Lijana von ihrem hohen Ross wirft, bin ich dabei. Unter einer Bedingung." Sie rang die Hände vor der Brust. „Ich will, dass Ihr mir einen Ehemann besorgt. Egal wer, nur reich muss er sein." Diesmal wandte sie den Blick ab. Sie schämte sich für ihren Wunsch Es war wohl nicht ihr eigener, was ihm herzlich egal war. Williams Lächeln wurde eine Spur breiter.
„Celesté, meine Teure, Euch schickt der Himmel. Wie wäre es, wenn wir diesen grausigen Ort verlassen und uns ein bisschen unterhalten? Ich habe das Gefühl, wir werden uns prächtig verstehen." Er hielt ihr den Unterarm hin und sie hakte sich ein.
„Mit wem habt Ihr eigentlich gerade gesprochen?", fragte Celesté und sah sich über die Schulter im Raum um.
William lächelte verschwörerisch. „Mit den Geistern dieses Schlosses, meine Liebe." Dann schloss er die Tür.
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