Kapitel 14
William raste durch die Flure seines Anwesens. In vampirischer Geschwindigkeit flitzte er um die Ecken. Dass er dabei fast einen Diener umrannte, bemerkte er kaum. Einige Mitglieder seiner Dienerschaft sahen ihm hinterher. Es könnte ihm nicht egaler sein.
Vor jener Tür blieb er stehen. Mit zitternden Fingern schloss er sie auf, dann sprintete er die Treppe herunter. Noch nie hatte er die Tür des schwarzen Würfels so geschwind aufgeschlossen, und diesmal wartete er nicht ab, als er sie aufriss. William schlug sie hinter sich zu. Dann grinste er. Erst war es nur ein feines Lächeln, wie jenes, das er an den Tag legte, wenn er hinunterblickte auf die Dummköpfe im Vampirrat. Dann wurde es breiter. Er musste Muskeln anspannen, die er seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt hatte. Schließlich lachte er, er prustete und hielt sich den Bauch vor Lachen. Sogar Tränen traten in seine Wangen.
„Sie sind ...", prustete er. William stützte sich an der Tischkante ab. „Sie sind es nicht! Sie sink keine Seelenverwandten. Es ist eine Lüge." Er ließ sich auf den Stuhl fallen und kam zu Atem. „Du hättest sie sehen sollen, Bruder. Wie ihre Körpersprache sie verraten hat. Hat ganz große Augen bekommen, und plötzlich war sie nicht mehr so vorlaut. Und er..." William prustete vor Lachen. „Er hat sich verraten, als er wütend geworden ist. Seine Wut hat ihn verraten." William klatschte in die Hände. „Du hättest sie sehen sollen, es war göttlich."
„Bist du fertig?", schnaubte George, der auf der anderen Seite des Würfels stand, die Arme verschränkt, den Kopf zur Seite gelegt.
Ein letzter Lachanfall erschütterte Williams Körper, dann verschwieg er. „Ja, in der Tat. Nun kommen wir zu dem Teil, der uns eher Kopfschmerzen bereitet." „Dir, William", murrte George. „Ich habe keinen Kopf, der mir wehtun kann."
William machte eine wegwerfende Handbewegung. „Was auch immer. Ich brauche einen Beweis. Irgendwas Handfestes." Er stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab. „Wenn ich zu diesen Stümpern im Vampirrat gehe und erzähle, wie sich Lijanas Oberkörper auf dem Ball allen zugewendet hat, nur nicht ihrem ‚Seelenverwandten', reicht das angeblich nicht als Beweis. Ich befürchte", William blickte zu seinem Bruder, der von einer Seite des Raumes zum anderen tigerte. „Ich befürchte, ich muss dich wieder auf Wolfstein herumgeistern lassen. In der Hoffnung, dass du irgendetwas findest. Natürlich nur nachts", fügte er hinzu. „Nicht, dass du auf Ideen kommst, abzukratzen, solange ich dich noch brauche." Seine Eltern hätten ihn für den Gebrauch des Wortes ‚abkratzen' geohrfeigt, allerdings handelte es sich um seinen Bruder. Das würden ihre toten Seelen schon verschmerzen können.
George war nicht physisch dazu fähig, zu lachen, aber in diesem Moment gab er ein Geräusch von sich, das dem ziemlich nahekam.
„Und schon brauchst du mich wieder. Es ist faszinierend mitanzusehen. Du lässt mich hier jeden einzelnen Tag im Jahr versauern, speist mich mit Drogen ab, aber wenn dir mal jemand quer steht, dann bin ich auf einmal würdig, deine kostbare Zeit zu verschwenden." Zum Ende hin wurde er immer lauter.
„Wir sind also wütend heute, verstehe", murmelte William. An sich war das etwas Gutes: George machte schneller Fortschritte, wenn er wütend war. William war im Begriff zu gehen. Heute hatte er nicht das Bedürfnis, sich anschreien zu lassen. Aus seiner Tasche kramte er eine schwarze Box hervor, eine Miniversions des Raumes, in dem er stand. Er war nicht viel größer als ein Zauberwürfel. „Gewöhnt euch schon mal aneinander." George kniff die Augen zusammen.
„Ich habe Mutter und Vater sterben sehen", zischte George. „Ich habe gesehen, wie sie gelitten haben unter der Vampirkrankheit, wie der Tod ihnen Stück für Stück das Leben ausgesaugt hat." Seine Stimme schwoll an, je mehr er redete. Dennoch klang sie hohl.
William verdrehte die Augen. „Die alte Leier?"
„Und ich habe gesehen, wie sich der Boden unter ihnen aufgetan hat, und die Kreaturen der Hölle sie hinab gezerrt haben. Der Teufel selbst hat ihre Seelen ins Höllenfeuer begleitet. Und eines Tages, mein lieber Bruder, wird es dir genauso gehen. Und dann werde ich dir zusehen."
„Es gibt keine Hölle", knurrte William, was nicht ganz stimmte. Die Hölle existierte, und sie war jede Sekunde, die er mit seinem Bruder in einem Raum verbringen musste. „Bist du fertig?"
George riss die Augen auf. Er starrte in die Ecke links von ihm, wich zurück. Auf einem Schlag wich all der Zorn aus seinem Gesicht. William verdrehte die Augen. Er hätte ihm diesen kindischen Streich nicht zeigen sollen.
„George du machst dich lächerli – scheiße!"
William zuckte zusammen. Beinahe hätte er aufgeschrien, doch er konnte einen Hustenanfall vortäuschen. Für einen Augenblick hörte er sogar seinen Herzschlag. „Sie müssen wirklich damit aufhören."
Eine Gestalt gehüllt in pechschwarzen Nebel füllte einer Seite des Raumes aus. Es war ein Mann mit hageren Gesichtszügen und ausfallenden Haaren. Doch seine Augen waren stechend. Das Hellblau, das zu glühen schien, bohrte sich einen Weg durch Williams Kopf geradewegs in seine Seele. Wie immer, wenn diese Kreatur erschien, zitterte er am ganzen Leib.
„Tut mir leid", sprach er mit samtweicher Stimme. Seine Worte waren dünn wie ein Windhauch, dennoch drang jedes davon in seine Ohren, wie kleine Parasiten. „Aber ich wollte sicherstellen, dass wir uns an einem Ort treffen, an dem wir ungestört sind."
„William", stammelte sein Bruder. „Wer ist das? Was hast du getan?"
William rief sich mit der Handfläche über die Augen. Fast war sein Bruder ihm peinlich. „George, das ist Richard van Halen. Wir machen Geschäfte miteinander." Nur dass er für jene Geschäfte öffentlich hingerichtet werden konnte.
„Und Mr van Halen", William machte eine Geste zu seinem Bruder, ohne diesen anzusehen. „Das ist George Blackstone. Der Stolz der Familie."
Richard nickte. „Ich habe schon von ihm gehört." Ein Augenblick verging, in dem sein stechender Blick die beiden Brüder musterte.
„Wie geht es voran mit Cai Winters Beseitigung? Gibt es Fortschritte?" William sprang auf. „Ja! Sie sind keine Seelenverwandten, er und seine Frau sind Betrüger."
Ein Lächeln umspielte Richards Mundwinkel. „Das habe ich mir gedacht. Wann wird er fallen?"
William brach der Schweiß aus, obwohl er am ganzen Leib zitterte. „Tja, wissen Sie, das ist so..." Er knetete die schweißnassen Hände. „Ich kann es nicht beweisen." Richards Augenbrauen senkten sich, was einen Schatten auf seine Augen warf. Entweder das, oder sie waren dunkler geworden. Der schwarze Nebel schwoll an. Seine dürren Finger nahmen den Raum ein und griffen nach William. Richards Miene zeigte keinerlei Regung.
In einer einzelnen fließenden Bewegung trat die Kreatur ihm so nahe, dass er das Narbengewebe auf Richards Gesicht sah. Vier feine Narben durchteilten sein Gesicht. „Hören Sie, es ist mir egal, wie Sie es machen. Setzen Sie die schmutzigsten Mittel ein, die Ihnen zu Verfügung stehen. Aber schaffen Sie mir Cai Winter vom Thron. Dann, und nur dann bekommen Sie ihre Waffen."
William hielt den Atem an. Erst als Richard ihm den Rücken zudrehte, atmete er aus. „Da ist noch eine Sache wegen der Waffen...", fing er an.
Richard fuhr herum. Der Nebel bauschte auf. Wie Gewitterwolken waberte er um William herum, jederzeit bereit, ihn mit Blitzen zu treffen. „Ja?" Ein Laut, wie ein Knurren, und nicht weniger grollend.
„Ich bräuchte eine Testprobe, um mich ihrer Tauglichkeit zu vergewissern. Und jetzt, wo die Werwölfe den Südstreifen durchbrochen haben..."
Richards Miene blieb unverändert. Sekunden, in denen Williams Herz stockte. „Meine Waffen sind die effizientesten, die Sie je bekommen werden." Er lächelte milde. „Aber Sie sollen ihre Kostprobe haben." Ein weiterer Moment verstrich, dann löste er sich auf in schwarzen Nebel.
William atmete aus, ließ er sich auf den Stuhl fallen und strich sich durch die Haare. Noch immer zitterte er am ganzen Leib. Er rieb sich über die Augen, ehe er bemerkte, dass er nicht alleine war.
„Was?"
George rührte sich nicht. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Dann murmelte er: „Ich glaube, du überschätzt dich. Dieser Kerl ..." George schüttelte den Kopf, ehe er sich hinhockte und gegen die Wand lehnte.
„Ich weiß, was ich tue", knurrte William. „Ich habe nichts zu verlieren. Wenn Winter vom Thron gestoßen wird, profitiert er, und ich bekommen Waffen, mit denen ich mich nie wieder mit diesen Kriegsstrategien herumschlagen muss."
Das entlockte George ein Lächeln. „Vater und Mutter haben dich gelehrt, Menschen zu lesen, wie ein offenes Buch, aber die Logik der Kriegsstrategien konnten sie dich nicht lehren. Oh, diese Ironie." Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand und grinste verstohlen. „Du kannst jetzt gehen. Mir verlangt es nach Einsamkeit."
William, der gerade dabei war, aufzustehen, murrte: „Ich gehe nicht wegen dir. Und ich werde wiederkommen."
„Und ich werde hier sein. Und du wirst in großen Schwierigkeiten stecken."
William verdrehte die Augen und murrte etwas Unverständliches, als er ging. Er würde diese Krone bekommen, und wenn er Cai Winter dafür töten musste. Und dann würde er den Nachtschattenkrieg beenden – auf seine eigene Art.
Noch 10 Tage bis zur Krönung. Meine mittlerweile wieder silbernen Haare fielen mir über die Schultern, und meine Glaskette wippte bei jedem Schritt. Ich tänzelte durch die Flure. Auf meinem Weg grüßte ich jeden, der mir begegnete, gleich der verstimmten Gesichter. So gut wie jeder war erschrocken darüber, dass die Werwölfe gleich an zwei Stellen die Grenze überqueren und die Vampire zurückgedrängt hatten. Meine pelzigen Freunde hatten mehrere vampirische Truppen vernichtet. Beim Gedanken, dass Calliope meine Strategien verwendet hatte, grinste ich. Wäre ich eine Windhexe, würde ich wohl über die Steinböden schweben.
Erhobenen Hauptes betrat ich den Kriegssaal, wo mein Blick sofort auf Cai fiel. Nach der Niederlage gestern müssten die Vampire neue Strategien entwickelt haben – Stoff für Calliope und Leroy. Ich hüpfte zu Cai, doch dieser erhob sich von seinem thronähnlichen Stuhl, kam auf mich zu und führte mich raus.
„Schatz, was tust du denn hier?", zischte er. Ich blinzelte, runzelte die Stirn.
„Was- was meinst du? Ich wollte dich besuchen. Ich hatte Sehnsucht nach dir." Ich legte etwas Honig in meine Stimme, da immer noch Wachen anwesend waren. Umso mehr Zeit ich mit Rhian verbrachte, desto leichter fiel mir das.
„Darling, ist dir entgangen, dass ein Anschlag auf dich verübt wurde? Du solltest auf deinen Gemächern bleiben, in Sicherheit." Darauf schwieg ich. Ja, der Schreck saß mir noch in den Knochen, und es wäre gelogen, hätte ich gesagt, dass ich nicht durch die Hallen spazieren würde, ohne mich umzusehen, und dass ich zusammenzuckte, wenn ein bewaffneter Gardist meinen Weg kreuzte.
„Gehe bitte zurück auf deine Gemächer. Ich komme später nach." Er hauchte mir einen Kuss auf die Wange, während ich den Kopf drehte, um einen Blick auf den steinernen Tisch zu erhaschen. Doch Cai blockierte mir die Sicht.
„Ich habe deine Familie benachrichtigt. Sie werden hierherkommen und dir emotionale Unterstützung leisten. Du brauchst sie jetzt am meisten."
„Was?!" Nein. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht wahr sein. Ich musste mich verhört haben. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, ohne den ich vermutlich das halbe Schloss zusammengeschrien hätte. „Aber du hast mir versprochen, dass sie nicht hierherkommen! Du hast mir gesagt, sie werden in der Villa bleiben. Cai, du hast es versprochen." Meine Stimme zitterte wie meine Hände. Tränen sammelten sich in meinen Augen, während der Schock wie Wellen durch mich hindurchfuhr.
Cai drehte den Kopf zum Kriegssaal. „Darling, ich muss gehen. Aber du brauchst jetzt jemanden, der dich liebt und unterstützt und dir zur Seite steht. Ich habe sie heute Morgen benachrichtigt. Sie müssten bald hier sein. Wachen, begleitet sie auf ihr Zimmer."
„Nein, nein, nein, bitte nicht." Als niemand mir Beachtung schenkte, realisierte ich, dass kein Laut meine Lippen verlassen hatte. Widerstandslos folgte ich den Wachen. Das durfte nicht wahr sein. Das war ein Albtraum. Ich war so kurz am Ziel gewesen. Nur noch zehn jämmerliche Tage, dann wäre ich frei gewesen. Ich hätte meine Zeit hier richtig ausnutzen und für die Werwölfe spionieren können. Ich hätte leben können. Doch jetzt war dieser Ort wieder ein Gefängnis, und sie warfen auch noch meine Familie hinein. Ich hielt meine Tränen zurück, bis die Türen meiner Gemächer hinter mir geschlossen wurde. Dann warf ich mich aufs Bett und heulte Rotz und Wasser. Mein Körper krümmte sich und ich kugelte mich zusammen. Wieso? Warum musste das passieren? Es lief so gut. Niemand schöpfte Verdacht, ich verbrachte viel Zeit mit Rhian und jetzt, wo die Rebellen mein Vertrauen gewonnen hatten, konnte ich wirklich etwas bewegen. Ich konnte den Vampiren in ihre Weichteile treten, ohne dass sie es merkten. Ich konnte ihnen schaden. Und jetzt, wo meine Familie zurückkommen würde ... Was würden sie mit mir tun? Was würde Magaret sagen, wenn sie sah, dass ich mich gehen lassen hatte? Und Patricia, wenn sie sah, dass ich den ganzen Tag in meinem Lieblingskleid herumlief? Und was würde sie erst sagen, wenn sie den ganzen Schmuck sah?
Dann traf mich eine jähe Schockwelle. Meine Familie kam hierher! Sie würde hier für die wohnen. Und ich hatte noch nichts vorbereitet. Ich sprang auf und sprintete aus meinen Gemächern. Auf dem Flur sprach ich die erste Zofe an, die mir über den Weg lief. „Wo sind die Räumlichkeiten, in denen meine Verwandten untergebracht werden?" Zuerst stammelte sie etwas, dann brachte sie mich zu den Räumen. Dass diese genau in meinem Flur lagen, traf mich wie ein Schlag in den Magen. Verdammter Cai!
Diener und Zofen bezogen die Betten. Ich bekam fast einen Herzinfarkt.
„Vergesst die Betten! Ihr müsst hier Staub wischen. Guckt euch das an." Ich trat an ein Gemälde und wischte oben über den Rahmen. „Und hängt mehr Kleiderbügel in die Schränke. Viel mehr Kleiderbügel. Am besten, ihr holt gleich noch einen Schrank." Ich fuhr mir durch die Haare. Als ich sie senkte, lagen Haare zwischen meinen Fingern. Ich schüttelte sie ab, nur um sie sofort vom Teppich aufzuklauben und in einen Eimer zu werfen.
„Blumen! Die Zimmer brauchen Blumen. Ich will riesige Blumensträuße in jedem Raum. Und wechselt die Gardinen! Los!" Mein Herz raste, als ich die gleiche Prozedur bei den anderen Räumen durchzog. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich konnte keinen von ihnen fassen. Als meinen Blick einen Spiegel streifte, erschrak ich zutiefst. Wie ich aussah! Sie würden es niemals gutheißen, wenn sie sahen, wie ich herumlief. Also flitzte ich in meine Gemächer, streifte mir das Kleid ab und zwängte mich in eins dieser beigefarbenen Kleider, die Nikita so gerne mochte. Der arme Gardist hatte Mühe, mit mir Schritt zu halten.
Dies war das erste Mal, das ich Wolfsteins Haupttore zu Gesicht bekam. Ich stand mit ein paar Dienern in der prachtvollen Eingangshalle und trat von einem Bein aufs andere. Mein Herz raste, obwohl ich nur stand.
Die Türen öffneten sich, und herein trat meine Familie. Celesté und Patricia hatten wohl darum gekämpft, wer sich mehr Make Up ins Gesicht schmieren konnte. Patricia hatte gewonnen. Auch trug sie edleren Schmuck als ihre Tochter. Um ihren Hals lag ein Smaradghalsband, Celestés Hals zierte nur eine Perlenkette. Meinem Cousin Michael hatten sie eine ganze Tube Haargel in die Locken geschmiert, um sie zu bändigen, und er trug einen Anzug mit Fliege, was an einem Achtjährigen wirklich putzig aussah.
Dann betrat Großmutter Magaret das Schloss. Ihr Blick glitt durch die Eingangshalle, ihr Gesicht war eine Maske aus Stein. Ich hielt den Atem an. Sofort senkte ich den Kopf, und erst dann trat ich vor, um sie zu begrüßen. Der Kloß in meinem Hals pochte.
„Tante Patricia! Großmutter Magaret! Liebe Celesté. Wie schön, euch zu sehen." Ich umarmte Patricia, küsste ihre Wangen und versuchte nicht in ihrer Parfümwolke zu ersticken.
„Hallo, Kind. Du bist ganz schön dick geworden. Hast wohl zu sehr zugelangt, was? Celesté, pass du auf, dass dir das nicht passiert." Sie lachte, dann kniff sie mich in die Seite. Röte schoss mir in die Wangen. Ja, ich hatte in den letzten Tagen an Gewicht zugenommen, aber es war mir egal gewesen. Ich hatte mich gut gefühlt. Was war denn falsch daran? ‚Das kommt alles nur von dieser Mousse au Chocolat!', zischte Patricias Stimme in meinem Kopf. ‚Das hat deine Figur ruiniert. Für immer! Du warst mal schön, und schau dich jetzt an, Pummelchen."
Meine Finger berührten Magaret kaum, als ich sie umarmte und ihre Wangen küsste. Sie trug eins ihrer roten Kleider, und ein Seidenjäckchen, dass das Licht reflektierte. Ihre Lippen und Wangen erstrahlten in einem ähnlichen Rotton. Eine Kette mit drei roten Klunkern zierte ihren faltigen Hals. Die Augen unter der Mascara und dem blauen Lidschatten zeigte keine Regung. Kaum hatte ich sie begrüßt, trat ich einen Schritt zurück und faltete die Hände vor dem Körper, die Schultern gesenkt, den Rücken gerade.
„Grässlich. Diese Gemälde. Wer sollen diese Leute sein? Sie sehen so tot aus." Ich zuckte zusammen. Celesté umarmte ich nur kurz, und im Stillen dankte ich ihr, dass sie schwieg. Wahrscheinlich fiel es ihr schwer, einen bissigen Kommentar für sich zu behalten.
„Kommt, ich bringe euch zu euren Zimmern", murmelte ich, doch sie waren schon an mir vorbeigegangen, genauso wie ein paar Diener, die ihre Koffer schleppten. Ich huschte voran und zeigte ihnen den Weg zu ihren Gemächern.
Ich zog die Schultern hoch, ehe ich das Zimmer betrat. Jeder Raum war beinahe staubfrei, die breiten Fenster waren gewischt und die Gardinen sowie das Bettzeug gewechselt worden. Auf einem Tisch in jedem Zimmer stand ein prächtiger Blumenstrauß. Als Magaret ihr Zimmer betrat, hielt ich die Luft an. Sie inspizierte alle Räume, stellte ihr Rollköfferchen mitten im Raum ab und sah sich um. „Naja, die neuste Einrichtung ist das nicht. Und die Tapete ist viel zu dunkel. Was habe ich über dunkle Tapeten gesagt, Lijana? Sie machen einen Raum gleich so düster. Aber vielleicht hast du sie ja passend zu deiner Miene ausgesucht."
Ich presste die Lippen zusammen und trat zurück. Der Kloß in meinem Hals machte mich stumm. Was hätte ich denn tun sollen? Komplett neu tapezieren? Alle Räume in diesem Schloss hatten dunkle Tapeten. Und natürlich war die Einrichtung alt – das Schloss war uralt.
Ich nickte nur und setzte ein Lächeln auf, dann sah ich nach Tante Patricia. Schon von Weiten hörte ich Celesté und Michael streiten. „Ich will nicht mit dir in einem Zimmer schlafen! Blöde Kuh! Ich will mein eigenes Zimmer. Mit einem Pool." Ich verdrehte die Augen, bevor ich das Zimmer betrat, das sich Celesté und Michael teilen sollten.
„Denkst du, ich will mit dir in einem Zimmer sein, du kleine, nervige Kröte?", zeterte Celesté und warf ihre goldblonden Locken zurück. Da fiel ihr Blick auf mich. „Ist doch nicht mein Problem, dass ihr Mann zu arm ist, um sich vier Gästezimmer zu leisten. Kläre das mit Lijana. Ich bleibe hier." Ich zog den Kopf ein und kämpfte gegen den Drang an, wegzurennen und mich in meinen Gemächern einzuschließen.
„Michael, du kannst gerne ein anderes Zimmer bekommen." Ja, und zwar eins im Keller. „Komm mit, wir suchen dir eins aus." Ich setzte ein Lächeln auf und reichte ihm meine Hand. Doch Michael verschränkte die Arme und stapfte an mir vorbei, wobei er mich anrempelte. Als ich die Tür schloss, trafen sich Celestés und mein Blick.
„Und was ist mit mir?", klagte sie. „Du willst mich doch nicht wirklich in dieser Baracke hausen lassen. Warum kriege ich kein anderes Zimmer?"
Da riss mir der Gedultsfaden. Ich ballte die Hände. Dann schlug ich die Tür hinter mir zu, packte Celesté an der Kehle und riss ihr die Perlenkette vom Hals. Der Raum hatte ein gewaltiges Fenster. Mit der freien Hand öffnete ich es und stürzte sie hinab. Schreiend stürzte sie in den Tod. Und als Patricia und Magaret ins Zimmer platzten, da-
„Hallo, was ist jetzt?", rief Celesté. „Kriege ich ein anderes Zimmer, oder nicht?"
Ich schnaubte. „Nein, tut mir leid. Mein Mann ist zu arm, um sich ein Schloss mit mehr als vier Gästezimmern zu leisten." Dann knallte ich die Tür hinter mir zu und stapfte zu Tante Patricia. Als ich sie fragte, ob alles zu ihrer Zufriedenheit sei, erwiderte sie: „Na, wenn das die Zimmer sind, in denen du deine Familie unterbringen willst, sei es drum. Deine Entscheidung."
Ich stapfte zu meinen Gemächern, mit hochrotem Kopf und zitternden Fäusten.
Fürs Abendessen hatte ich mich in eines von Nikitas liebsten Kleidern gezwängt. Als die Zofe mir beim Anziehen half – leider war sie nicht Rhian, die hatte ich schon viel zu lange nicht mehr gesehen und gerade jetzt brauchte ich ihren Beistand -, kam ich nicht darum, mir über den Bauch zu fahren und ihn zu kneten. Tatsächlich zeichnete sich ein Speckgürtel ab. Da mied ich es, mich im Spiegel anzusehen. Am liebsten hätte ich mir ein Messer genommen und das Fett aus dem Bauch herausgeschnitten. Ich atmete auf, als das Kleid meinen Körper bedeckte.
Dann geleiteten die Gardisten uns zum Saal. Gabriel mit seiner tabletttragenden Schar Küchenjungen erwartete uns. Ich wünschte, ich könnte mich für alles entschuldigen, was kam, doch ich setzte mich stumm an den Kopf der Tafel.
Da räusperte Magaret sich. Ich runzelte die Stirn, sah hoch zu meiner Familie, die alle noch standen. Auf einen Schlag traf mich die Erkenntnis. Hastig sprang ich auf und trat zurück. Selbst mein Dekolletee brannte vor Scham. Gemächlich wartete Magaret, bis der Koch ihr den Stuhl zurückschob, ehe sie sich am Kopf der Tafel niederließ. Erst dann setzten wir anderen uns. Ich setzte mich neben Celesté, faltete die Hände im Schoß und streckte den Rücken gerade.
„Guten Abend meine Damen, mein Name ist Gabriel Francois, und ich habe das außerordentliche Vergnügen, für Sie kochen zu dürfen. Was darf ich Ihnen anbieten? Wir haben Wachtel an gezuckerten Karotten ..." Bei jedem Wort lief mir das Wasser im Munde zusammen, und als die Küchenjungen das dazu passende Gericht aufdeckten, musste ich all meinen Willen aufwenden, mich nicht drauf zu stürzen.
Magaret wartete, bis Gabriel geendet hatte, ehe sie antwortete: „Mir ist nur nach einem Salat, danke."
Seine Miene fror ein und das Leuchten in seinem Blick erlitt einen herben Dämpfer. „Aber die anderen Damen kann ich doch bestimmt mit einem meiner Gerichte erfreuen, oder?" „Nein", meinte Patricia, „Wir nehmen auch einen Salat, danke!"
„Ich will Pommes!", rief Michael und steckte Messern und Gabeln auf seinem Teller zusammen. Die gefaltete Servierte lag zerknüllt auf dem Boden.
Der Koch klappte den Mund auf, dann lächelte er. Sein Lächeln erinnerte mich an mich selbst, wenn ich im Spiegel übte, eins vorzutäuschen. „Sehr gerne. Salat und Pommes", wiederholte er zähneknirschend. Mit geballten Fäusten zog er von Dannen.
„Also, das ist die Person, die dich jeden Tag bekocht hat", fragte Magaret. Ich nickte, doch sie schien meine Antwort gar nicht abgewartet zu haben: „Offensichtlich. Schaut euch sein Wams an. Kein Wunder, dass er dich so gemästet hat, Lijana. Ich wette, er will, dass alle seine Gäste so unansehnlich aussehen wie sie." Patricia lachte auf, und Celesté kicherte. Michael stahl sich die Gabeln von den unbesetzten Plätzen und fügte sie seiner Figur hinzu. Ich ballte die Fäuste. Wieso sagte Magaret so etwas? Gabriel war ein Vampir; er aß nichts.
„Und er hatte diesen komischen Akzent. Bestimmt ein Ausländer", fuhr Patricia fort. Sie kicherte, ihre Tochter lachte höflich. Die Miene meiner Großmutter rührte sich nicht.
Ich dachte, es könne nicht noch schlimmer werden, da betrat Cai den Saal. Er begrüßte meine Familie mit Handkuss und Michael mit einem High Five, dann setzte er sich. Mich ignorierte er vollkommen. Natürlich! Warum auch? Sie alle wussten von der Lüge, selbst Michael, aber ich bezweifelte, ob er es überhaupt verstand. Beinahe wäre es mir lieber, sie wüssten es nicht.
„Das ist ein wundervolles Schloss, in dem Ihr lebt", säuselte Magaret. „Ich bin ganz angetan von den vielen alten Bilder." „Ja, die sind mir auch gleich aufgefallen", fing nun auch noch meine Tante an. „Was für schönen Schmuck man damals getragen hatte. Celesté hat die ganze Zeit von den Bilder geschwärmt, nicht wahr, Celesté?" Patricia stupste ihre Tochter an. Diese nickte eifrig, und lehnte sich in Cais Richtung. Ich biss mir auf die Lippen, um den Reflex zu unterdrücken, nach Luft zu schnappen. Was dachte sie sich dabei?
Patricia redete weiter: „Ach, sie ist ja so künstlerisch. Sind das Verwandte von Euch auf den Bildern?"
Cai lächelte. Natürlich tat er das. Für ihn war sie nur eine Lady mit Tochter im heiratsfähigen Alter. „Nein", sagte er. „Vampire adoptieren ihren Nachwuchs aus dem Volk. Es ist also daher eher unwahrscheinlich, dass-" „In der Villa meines fünften Mannes hatten wir auch so viele Gemälde. Von irgendwelchen Herzogen und dergleichen, aber auch von mir. Er hat mich so gerne malen lassen. Das ging so lange, bis sich herausstellte, dass er mich mit der Malerin betrog", unterbrach Magaret ihn.
Cais Miene wechselte von freundlich zu erschrocken. „Oh, das tut mir furchtbar leid. Ich-"
„Das braucht es nicht, mein Lieber. Ich habe ja wieder geheiratet." Dann begann sie von ihrer letzten Ehe zu erzählen, und wie sie hinter dessen Affäre gekommen war. Ihre Lieblingsgeschichte, denn wie man es drehte, sie war entweder die Heldin oder das Opfer. Und Magaret liebte diese Rollen fast noch mehr, als die der Einflussreichen.
„Wie geht's am Südstreifen voran?", murmelte ich. Doch Cai war ganz auf die Geschichte meiner Großmutter fixiert und antwortete nicht.
Endlich brachte Gabriel uns die Salate. Es war der gleiche, den er auch mir an meinem ersten Tag serviert hatte. Ich betrachtete die Salatblätter, und sehnte mich nach der Rinderleber und dem Braten zurück.
Ich griff nach meinem Besteck. Im letzten Moment traf mich die Erkenntnis. Sofort legte ich meine Hand wieder in den Schoß und sah zu Magaret, die zwischen zwei Sätzen ihre Gabel nahm und sich eine Tomate in den Mund schob. Erst dann griff ich zum Besteck.
Immer wieder schielte ich auf Michaels Pommes. Mit den bloßen Fingern – sechs Wochen Hausarrest, wenn ich das gemacht hätte – stopfte er sie sich in den Mund. Da rief er: „Wo ist Ketchup? Ich will Ketchup!" Über Gabriels Gesicht jagte ein Schaudern. „Wir haben keinen Ketchup. Aber ich kann dir Mayonnaise anbieten, wenn du das magst?" „Ich will keine Mayonnaise. Mayonnaise ist eine blöde Kuh. Ich. Will. Ketchup." Dann fegte er die Pommes vom Tisch und seine Besteckskulptur gleich mit. Dumpf trafen sie auf dem Teppich auf. Michael stand auf, schmiss seinen Stuhl um, und begann zu weinen. Und als Patricia ihn hochheben wollte, um ihn zu trösten, schlug er sie mit seinen Fäustchen gegen ihre Beine. Ich seufzte.
Es schmeckte gut, keine Frage, doch bei jedem Bissen erwartete mein Körper ein saftiges Stück Truthahnbrust oder Kartoffelpüree, und jedes Mal wurde er bitter enttäuscht. Als ich fertig war, war ich immer noch hungrig. Doch ich legte das Besteck noch nicht aus der Hand. Wieder blickte ich zu Magaret. Ihr Teller war noch hab voll. Sie hatte die Kunst, selbst die kleinste Mahlzeit endlos lang zu ziehen, vor allem wenn sie dabei erzählte.
Ihr Teller wurde auch nicht leer, denn als sie ihr Besteck ablegte – und ich somit endlich auch – befanden sich immer noch einige Salatblätter darauf. Gabriel räumte ab mit einem deutlichen missbilligenden Blick auf den halb leeren Teller und fragte uns, ob es uns geschmeckt habe.
„Also, da fehlte ein Spritzer Zitrone im Dressing. Haben Sie das schon mal versucht? In Florenz habe ich einmal einen Salat gegessen, der war wir dieser hier, aber so köstlich! Und das, obwohl er von Windhexen gemacht wurde." Gabriels Kiefermuskeln spannten sich an. Sein Lächeln wirkte wie bei einer Puppe, ehe er die Teller mitnahm und ging. Auch Cai erhob sich und wollte den Saal verlassen, da fragte Magaret: „Wollt Ihr wirklich schon gehen? Wir könnten uns doch noch etwas unterhalten."
Cai zuckte die Schultern. „Tut mir sehr leid, aber ich muss arbeiten. Ich habe noch zu tun." Doch bevor er sich umdrehen konnte, fragte sie weiter: „Erinnert Ihr euch noch an die Diamantenmine, die der arme Teufel meiner toten Nichte verkaufen musste?" Ein Stich fuhr durch meinen Brustkorb, als Magaret meine toten Eltern erwähnte, und ich krallte meine Finger in die Tischplatte.
„Ja", antwortete Cai, obwohl es eher wie eine Frage klang.
„Wäre es möglich, diese käuflich zurück zu erwerben?"
Ich schnappte nach Luft. Wie konnte diese alte Schachtel es wagen, so etwas zu verlangen? Nach all der Zeit, die sie dieses Grundstück verspottet hatte, wollte sie es wieder zurück? Und Cai sollte dafür bezahlen? Wofür? Ich konnte mir denken, wofür; damit sie angeben konnte, dass ihre Familie ein Grundstück besaß.
Cai hielt inne, dann nickte er. „Ja, das müsste gehen. Und wie bereits gesagt: Sie dürfen auf einen Teil meiner Finanzen zurückgreifen. Das war Teil des Paktes. Ich wünsche noch einen schönen Abend."
Als er ging, starrte ich ihm hinterher.
Jenes geizige Funkeln trat in Patricias Augen, kaum hatte Cai den Saal verlassen, und sie schnappte hörbar nach Luft, was nach ihren ‚Ach' und ‚Och' – Ausrufen die Eigenschaft war, die ich am zweitwenigsten leiden konnte. Sie rieb sich die Hände und zischte: „Celesté, hast du das gehört?" Sie kicherte. „Morgen gehen wir shoppen."
Innerlich kochte ich vor Wut. Was dachten sie sich? Ich war diejenige, die diesen Druck aushalten musste. Ich musste so tun, als ob Cai mein Seelenverwandter war. Und sie, die niemals etwas für mich getan, mich nur benutzt hatten, profitierte nun davon? Meine Finger schmerzten, so sehr ballte ich sie. Eiskaltes Feuer stieg in mir auf. Ich schielte zum Steakmesser, deren Zacken sich im Licht spiegelten.
Und Magaret? Die trank einen Schluck Rotwein und schwenkte den Rest im Glas mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen.
Das war zu viel. Das eiskalte Feuer nahm Überhand. Ich griff nach dem Steakmesser, packte erst Celesté an der Perlenkette und stach ihr das Messer in die Kehle. Blut spritzte. Wie Butter schnitt die Klinge durchs Fleisch. Ihre Leiche warf ich weg, dann sprang ich über die Tafel zu Patricia. Sie schrie, rührte sich aber nicht. Ich griff das Messer, hackte zu. Ich stach ihre Augen aus, dann riss ich ihre Kette vom Leib. Sie schrie noch immer, als ich mich von ihr abwandte. Ihre Laute erzeugten bei mir eine Gänsehaut. Mein letztes Opfer saß mit weit aufgerissenen Augen auf ihrem – meinem – Stuhl. Magaret wollte ich leiden lassen. Also nahm ich die Kerze und warf sie auf ihr Kleid. In meiner Fantasie brannte es wie Zunder. Und in meiner Vorstellung saß ich lächelnd auf der Tafel, bedeckt mit dem Blut meiner Cousine, und badete im Schein meiner brennenden Großmutter und Patricias Schreien.
Nur war es ihre reale Stimme, die mich in die Wirklichkeit holten. „...Ich habe gehört, die Vampire sind Großmeister der Schmiedekunst, und das gilt auch für Schmuck. Du weißt, was das bedeutet, Celesté?" Diese nickte.
„Jetzt vergesst doch mal den Schmuck!" Magarets Stimme ließ selbst meine Gedanken verstummen. „Dank Cai Winter werden wir wieder über die Diamantenmine verfügen. Und wisst ihr, was das bedeutet? Dass der Name Dawkins wieder eine Bedeutung haben wird, wir werden wieder zu Feiern eingeladen. Unser Name wird Wert haben, etwas bedeuten. Selbst wenn Lijanas Lüge rauskommt, haben wir immer noch etwas, auf das wir zurückgreifen können."
Mir klappte der Mund auf. „Was...?", entfuhr es mir. Mein Körper zitterte, erfüllt von einer unbarmherzigen Wut, die alles in mir in Brand setzte. Ich wollte schreien, fluchen, die Tafel umwerfen und auf sie alle mit dem Steakmesser einstechen.
„Ja, richtig. Ich erwarte nicht, dass du deine Farce lange aufrechterhalten wirst, zumal du ja auch nicht die hellste bist, wenn es um so etwas geht. Irgendwann wirst du einen Fehler machen, und dann ... nun ja."
Meine Fingernägel bohrten sich in mein Fleisch. Ich zischte: „Würde euer Name dann nicht auch in den Dreck gezogen werden, wenn ich mich als Heuchlerin herausstelle?"
Magaret leerte ihr Weinglas in einem Zug. Dennoch schwenkte sie es zwischen den rot lackierten Fingern. „Nun, es versteht sich von selbst, dass wir dann verkünden müssen, dass du ja keine wirkliche Dawkins bist. Wir müssten ja unseren Ruf retten."
Ihre Worte trafen mich wie einen Schlag. Mein Mund öffnete sich. Sie würden wirklich dieses Geheimnis, das sie seit Jahren nur hinter verschlossener Tür murmelten, an die Öffentlichkeit bringen? Kaltes Feuer entflammte in mir, als wären ihre Worte Benzin. Und dennoch kämpfte mein Geist darum, sich zu beherrschen. Ich lehnte mich zurück. Einatmen. Ausatmen. Ich müsste keinen von ihnen je wiedersehen, wenn ich nur noch diese zehn verdammten Tage durchhielt. Zehn Tage. Ich hatte beinahe zehn Jahre mit ihnen ausgehalten, was waren da zehn läppische Tage! Tränen traten mir in die Augen. Doch was sollte ich tun? Was konnte ich gegen meine Großmutter ausrichten? Halte durch! Nur noch zehn Tage. Dann ist die Krönung. Dann ziehen Rhian und ich nach Irland und leben so frei, wie es trotz meines Ehebundes möglich ist.
Ich zwang mich, sitzen zu bleiben, bis Magaret entschied, sie habe uns genug mit ihren Geschichten gelangweilt. Ich erhob mich. Mein Körper fühlte sich steif und taub an.
Als meine Familie von den Wachen zurückgeleitet wurde, blieb ich stehen. Dann lief ich zurück zum Saal und suchte nach der Küche. Hinter einer Schiebetür fand ich sie. Der blitzweiße Raum war erfüllt von Herden und Schubladen. Sogar einen Grill konnte ich entdecken. Töpfe hingen von der Decke. Ich witterte Braten, Süßkartoffeln und Kürbis. Einige Küchenjungen liefen herum, spülten Töpfe oder putzten den Boden.
Meine Absätze klackerten, als ich über die Fliesen stakste. Bald schon hatte ich gefunden, was ich gesucht hatte.
„ ‚Da fehlt ein Spritzer Zitrone im Dressing. Haben Sie das mal versucht?' Für wen hält diese alte Schachtel mich – für einen Amateur? Ich bin Gabriel Francois, Meisterkoch und-"
„Entschuldigen Sie bitte?"
Gabriel fuhr herum. Er ließ den Topf los, der klappernd in die Spüle fiel.
Bevor er den Mund öffnen konnte, sprach ich: „Gabriel, es tut mir so unendlich leid, wirklich. Meine Familie ist ... nun ja, Sie haben sie erlebt. Ich schäme mich so unglaublich für sie. Und es tut mir vom ganzen Herzen leid, dass sie Sie gekränkt haben." Ich musste lauter sprechen, um den Lärm in der Küche zu übertönen.
Der erschrockene Gesichtsausdruck Gabriels wich einem Lächeln, und er lockerte die Schultern, ehe er sprach: „Ihr habt ein gutes Herz und einen guten Appetit, Mylady. Selbstverständlich verzeihe ich Euch. Aber das erklärt wirklich einiges." Wir beide wussten, er dachte an meinen ersten Tag hier, und eine Welle von schlechtem Gewissen überrollte mich, als ich daran dachte, sein Essen wieder hochgewürgt zu haben.
Dann zierte jenes breite Grinsen sein Gesicht, das mir allzu gut bekannt war. „Wisst Ihr, Mylady, wenn es euch nichts ausmacht, kann ich euch ab und zu ein Lunchpaket zuschicken mit, sagen wir, kleinen Köstlichkeiten? Rebhuhn? Glasierte Karrotten? Mousse au Chocolat?" Ich grinste breit. „Das würden Sie wirklich für mich tun? Danke, danke, danke!"
„Für jemanden, der meine Kreationen zu würdigen weiß, tue ich doch alles." Ich wäre ihm fast um den Hals gefallen.
Als ich zu meinen Gemächern zurücklief, fühlte ich mich besser. Für einen Moment erreichte ich es sogar, meine Wut und die Hilflosigkeit zu verdrängen. Aber dieser kurze Moment eben hatte mich an etwas erinnert, das ich beinahe vergessen hatte. Erhobenen Hauptes stolzierte ich die Flure entlang.
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