Gestaltenwandler
Der Minotaurus rannte auf mich zu und ich drehte mich zur Seite, bevor er mich mit seiner Waffe traf. Der Morgenstern sirrte durch die Luft und blieb in der Wand stecken. Die schönen Gravuren wurden augenblicklich zerstört.
Ich nutzte den Moment und sprang auf den Rücken des Wesens. Ich hob meine Säbel und stieß sie mit einem Mal in den Rücken. Es knackte, aber der Minotaurus war noch nicht tot. Wutschnaubend rannte er rückwärts und stieß mit mir gegen eine Wand. Durch den schmerzvollen Aufprall verzog ich mein Gesicht und sank zu Boden.
Er drehte sich zu mir um und hob den Morgenstern erneut. Ich schloss schon die Augen, aber da hörte ich ein Sirren. Langsam öffnete ich sie wieder und sah, dass der Minotaurus einen Pfeil mitten im Herz zu stecken hatte. Sterbend fiel das Wesen zu Boden. Ich stand auf und spie auf ihn nieder.
»Verflucht sollst du sein!«, rief ich wütend.
»Da bin ich aber gerade noch rechtzeitig gekommen!« Susan lief auf mich zu. Sie trug ein rotes Kleid und ein Brustkettenhemd - wie beim letzten Besuch in Narnia. »Du bist aber auch ungeschützt.«
»Das tut jetzt nichts zu Sache. Wir müssen Lucy finden!« Ich rannte an ihr vorbei und sie folgte mir nickend.
Susan und ich schlichen langsam durch die Korridore. Zuallererst wollte ich zum Thronsaal. Vielleicht befanden sich dort Peter oder Edmund.
»Was ist überhaupt mit Kaspian los?«, fragte Susan mich plötzlich. »Lucy hat mir gestern davon erzählt.«
»Ich weiß es nicht«, gestand ich. »Aber er ist nicht mehr derselbe.«
»Wir sollten schleunigst herausfinden, was während deines Verschwinden mit ihm passiert ist!«
Ich pflichtete ihr stumm bei. Oder ob es Kaspian ist …
Wir liefen auf geraden Wege zum Saal. Zum Glück kamen uns keine weiteren Gegner entgegen. Wahrscheinlich dachten sie, dass die anderen vier ihre Arbeit erledigt hätten.
Falsch gedacht! Ich lebe noch.
Kurze Zeit später kamen Susan und ich vor der kleinen Tür der Halle an. Die Tür stand einen kleinen Spalt offen und wir lugten hinein, aber so, dass uns niemand sehen konnte. Innen drin befanden sich Kaspian und Peter. Sie hatten die Schwerter gezückt und standen vor dem großen Eingangstor.
Schnell rannte Susan und ich zu ihnen und genau diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen. Zehn Minotauren, einige Zwerge, Panther und Wölfen stürmten bewaffnet hinein.
»Wer schickt diese Typen?«, fragte ich wütend und nahm meinen Bogen zur Hand. Ich legte einen Pfeil auf die Sehne und wartete ab. Susan tat es mir gleich.
»Ich weiß es nicht. Aber sie wollen nicht Gutes«, antwortete Peter und stellte sich neben mich. Er warf einen kurzen Blick auf mich, nickte und rannte los.
Als erstes tötete er einen Zwerg und ich einen zweiten und so begann der Kampf. Peter und Kaspian rannten voran und Susan und ich hielten ihnen den Rücken frei. Das eigenartige war nur, dass Kaspian - da er ja ein sehr guter Kämpfer war - schon einige Male die Gelegenheit hatte, die Gegner zu töten, es aber nicht tat. Die Wesen hätten auch ein sehr oft verwunden können, an den Stellen, wo er ungedeckt war, doch er kam immer nur mit leichten Kratzern davon.
»Schnappt sie euch!«, knurrte ein schwarzer Wolf und sein Rudel rannte auf mich los. Ich tauschte meinen Bogen gegen meine Säbel und blieb wartend stehen, so dass sie mich umkreisen konnten.
»Sechs gegen einen. Nicht gerade clever.«
»Nicht clever von Ihnen, Eure Majestät«, meinte der Anführer. Er lief auf mich los und - ich traute meinen Augen kaum - verwandelte sich in einen Menschen.
»Kaspian?«, fragte ich. Vor mir stand mein Mann. Dunkle Haare, braune Augen, die Nase, Mund und Gesichtszüge - das war zu hundert Prozent er!
»Wieso hast du mich verlassen?« Er stand vor mir und wollte mein Gesicht berühren, als er sich erneut verwandelte.
»Peter ...«, flüsterte ich. Seine blauen Augen zogen mich in eine Art Trance und ich beugte mich zu ihm. Auch sein Gesicht kam immer näher an mich heran.
»Belle, pass auf!«, brüllte jemand. Der Peter, der vor mir stand zuckte zusammen, als ein Schwert seinen Rücken traf, und brach in sich zusammen. Er verwandelte sich in ein hässliches Wesen und ich wich angewidert zurück.
Der echte Peter hatte es geworfen. Er stand einige Meter von mir entfernt und starrte mich schockiert an.
Bevor die Wölfe mich angreifen konnten, hob ich meine Säbel und tötete einen nach dem anderen. Auf einmal riss einer seinen Kopf in die Höhe und heulte. Er holte Verstärkung! Es dauerte nicht lange und erneut rannten Wölfe und andere Wesen in die Halle - und es wurden immer mehr!
Susan versuchte krampfhaft einige Raubtiere von mir fernzuhalten, doch dann griff einen Minotaurus sie an. Er schlug sie mit der bloßen Hand zur Seite, so dass sie stöhnend zu Boden sank.
Peter holte sein Schwert und stürzte sich wieder in den Kampf. Da kam Kaspian zu mir und hielt mich am Handgelenk fest.
»Komm mit!«
»Nein!«, beharrte ich und wollte mich losreißen, doch er war stärker.
»Komm mit!«, wiederholte er lauter. »Ich muss dich in Sicherheit bringen!«
»Das bist nicht du, Kaspian! Du warst nie so ungerecht und aggressiv! Glaubst du, du kannst das vor mir verbergen?«, fragte ich ihn.
Er grinste mich böse an. »Du hast recht. Aber wenn du Kaspian retten möchtest, solltest du mitkommen! Oder er und dein Freunde werden sterben!«
Ich wehrte mich stärker, doch es half nichts. Da fiel er aber plötzlich zu Boden. Hinter ihm stand Peter, der mit seinem Schwertknauf auf Kaspians Kopf geschlagen hatte.
»Komm! Wir müssen gehen. Alleine schaffen wir das nicht!«, sagte er und nahm meine Hand. »Susan?« Seine Schwester rannte leicht wankend auf uns zu und wir stürmten durch die kleine Tür raus. Peter schloss sie hastig, befahl uns, einige Schritte zurückzutreten, und platzierte etwas kleines rundes.
»Was ist das, Peter?«, fragte Susan.
»Eine kleine Bombe vom Professor«, antwortete er.
Peter nahm zwei Steine, die neben ihm lagen, und schlug sie schnell aneinander. Augenblicklich kamen Funken heraus und er richtete sie auf die Bombe. Das alles ging so schnell, dass ich mich fragte, wann er das geübt hatte. Wir liefen noch einige Schritte zurück, es krachte und die Explosion holte die halbe Decke hinunter.
»Gut, hier lang werden sie sicherlich nicht mehr kommen!« Peter drehte sich um und sprintete mit uns den Korridor entlang.
»Wir müssen Edmund finden. Und Lucy«, erklärte ich.
Wir blieben stehen und Peter klopfte an einer Wand herum.
»Ich«, entgegnete der Mann. »Ihr werdet aus dem Schloss verschwinden!«
»Das kannst du vergessen. Ich werde dich nicht verlassen!«, protestierte ich.
Der junge Mann drückte auf einen Stein und ein versteckter Weg öffnete sich. Woher kennt er den Weg, wenn ich ihn nicht einmal kenne?
Eine Treppe kam zum Vorschein, die tiefer hinunter führte.
»Belle, hör mir zu: Ich werde nicht zulassen, dass euch etwas passiert. Also versprich mir, dass du mit Susan den Weg aus dem Schloss nimmst. Wenn ihr draußen seid, wartet dort jemand auf euch. Geht so weit weg, wie möglich. Ich flehe dich an.«
Ich sah ihn unentschlossen an. Doch dann nickte ich. »Versprochen ...« Ich blickte den Gang hinunter und wir wollten gehen. Da drehte ich mich aber noch einmal zu Peter um und umarmte ihn. »Pass auf dich auf!«, flüsterte ich in sein Ohr.
Ich löste mich von ihm und Susan und ich stiegen mit einer Fackel, die an der Wand gehangen hatte, in die Tiefe hinab. Hinter uns schloss Peter den Weg wieder und ich zuckte zusammen, als es rumpelte.
»Glaubst du, Kaspian wird wieder normal?«, fragte Susan nach einer Weile.
»Es ist nicht Kaspian.«
»Wie bitte?« Sie hinter mir, so dass ich ihr Gesicht nicht sah.
»Es ist nicht Kaspian. Ich glaube, es ist ein Gestaltenwandler und Kaspian wurde gefangen genommen.«
»Ich hoffe, es geht ihm gut«, flüsterte das Mädchen und ich pflichtete ihr stumm bei.
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