Kapitel 2
Metall zischte auf Knochen. Ein winziger Fluss aus rotglühendem Eisen ergoss sich in die wartende Mulde. Das Metall trat über sein Ufer und tropfte auf Vìns Hand. Sie biss die Zähne zusammen. Mit zitternden Fingern presste sie das Duygu-Horn gegen den Knochen. Mit einem der daumenlangen Nägel des Schmieds hatte sie eine Vertiefung hineingeritzt, das Gegenstück zu dem zahnförmigen Endstück des Knochens. Als Geweih auf Knochen traf, rann Metall an den Seiten des Horns hinunter wie Blut.
Vìn tauchte ihre Konstruktion in den Eimer mit getautem Schnee. Das Eisen fauchte, wehrte sich gegen die Kälte, die es in einen erstarrten Tod zwingen wollte. Beißender Gestank setzte sich in den Lumpen von Vìns Tunika fest. Das Eisen verlor. Als sie den Dolch aus dem Wasser hervorzog, waren Heft und Klinge fest miteinander verbunden.
Vìn strich über die feuchte Waffe. Todbringend war sie noch nicht. Der Griff aus Horn schmiegte sich in ihre Hand, als hätten zwei Liebende endlich zueinander gefunden. Doch die Klinge war kaum mehr als ein abgesplitterter Knochenstab. Vìn schob ihren zukünftigen Dolch in die dünne Lederschnur, die ihr als Gürtel diente. Sie packte das zweite Paar von Knochen und Horn, die sie auf dem Amboss bereitgelegt hatte. Mit nur einem Messer hätte sie kaum eine Chance gegen Angriffe von Soldaten. Wenn sie jedoch ihre Schnelligkeit, ihre Wendigkeit in vollem Maße ausnutzte, würde keiner der Männer noch auf sie herabsehen können.
Mit einem grimmigen Lächeln schmiedete sie ihren zweiten Dolch.
Das schwache Licht des Feuers tauchte die Hütte in einen roten Schein. Die Schatten in der Schmiede gingen tief, schwarze Seen flossen in den Ecken zusammen und Dunkelheit blutete auf den Boden. Der Hochofen neben Vìn wirkte im Zwielicht wie ein riesenhaftes Ungetüm. Sie zeigte dem vermeintlichen Monster die Zähne. Wenn ihre Messer erst geschärft waren, würde sie zum gefährlichsten Raubtier auf Zaarlos werden. Vìn quetschte sich zwischen die beiden Ambosse zu dem Regal, in dem der Schmied seine Werkzeuge aufbewahrte. Der breitschultrige Mann befand sich zu dieser Tageszeit in den Pavillons. Eingekesselt zwischen trägen Soldaten, mit einer Schale Eintopf vor der Nase, ahnte der Schmied nicht, was in seiner Hütte vor sich ging. Vìn blieb nicht viel Zeit, bis er zurückkehren würde. Ihre tastenden Finger stießen auf einen Wetzstein. Eilig zog sie sich von dem Regal zurück. Mit der Hüfte stieß sie gegen einen der Ambosse. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Erst in der Mitte der Hütte gelang es ihr, tief durchzuatmen. Ihr Blick huschte über die schwere Eisentür, die keinen Luftzug in die Schmiede hereinließ. Die Luft hier drin war schwer und stickig. Durch das Feuer war es warm wie am heißesten Sommertag. Vìn würde lieber erfrieren als länger als nötig in der Schmiede zu verweilen.
Sie stolperte auf den Ausgang zu. Metall schepperte, als sie an einem Kübel mit Schwertern hängenblieb. Fluchend schob sie die Waffen zurück an ihren Platz. Die Schwerter waren abgezählt und ihr Fehlen würde sofort bemerkt werden. Das hatte Vìn auf die harte Weise gelernt. Ihre Finger strichen über einen kühlen, glatten Stein. Sie zog eines der Schwerter aus dem Kübel heraus. Es war schwerer als die anderen Waffen. An seinem Knauf prangte ein riesiger Opal. Der Griff war mit Leder umwickelt und in die Klinge waren Ornamente geritzt. Im flackernden Schein des Feuers sah es aus, als tanzten die Wirbel über die Waffe. Vìn kannte keinen einfachen Soldaten, der so ein Schwert führte. Vielleicht hatte es sogar einen Namen. Nur die Waffen der erfahrensten Offiziere, die bereits die ein oder andere Schlacht geschlagen hatten, trugen Namen.
Vìn atmete scharf ein, als sie realisierte, was sie in der Hand hielt. Das musste der Preis sein, dem der Gewinner des nächsten Kampfes zustand. Morgen würde der Mond voll über Zaarlos stehen. Morgen würden die Soldaten gegeneinander antreten. Und Vìn würde sie allesamt besiegen.
Mit dem Schwert konnte sie nicht viel anfangen. Viele der Soldaten würden ihren rechten Arm für so eine Waffe geben. Oder, noch besser, ihre Eintopfrationen für den gesamten nächsten Winter. Vìn müsste sich endlich keine Sorgen mehr machen, wie sie ihre jüngsten Geschwister über die Runden bringen konnte. Vielleicht ließ sich das Schwert auch gegen Stiefel und Umhänge eintauschen. Vìns älteste Schwester, Elèn, hatte im letzten Mond erst ihren Mantel an Senia weitergegeben. Wenn sie nachts mit pochendem Herzen wachlag, hörte Vìn das Klappern von Elèns Zähnen. Sie strich ein letztes Mal über das Schwert, bevor sie es zwischen die einfachen Waffen schob. Ihre Berührung war ein Abschied, und ein Versprechen. Morgen schon würde sie das Schwert erneut in der Hand halten. Ohne dafür zur Mittagszeit in die düstere Schmiede schleichen zu müssen.
Vìn trat in das Lager hinaus und sog tief die Luft ein. Der Wind kam aus dem Westen und brachte die würzige Süße des Nadelwalds mit sich. Der kalte, feuchte Schneegeruch fehlte. Mit etwas Glück würden die Wolken, die über den Nordbergen drohten, am Lager vorbeiziehen. Schwer und grau rollten sie über den Himmel. Vìn würde einige weitere Bretter über dem Unterschlupf der Bastarde festnageln, um sicher zu gehen.
Stimmen hallten um die Wand der Schmiede herum. Vìn huschte in den Schatten des Haupthauses, um den Soldaten zu entgehen. Die Steinhütten im Norden des Lagers waren den Offizieren und hochrangigen Legionären vorbehalten. Schon zwischen den hölzernen Soldatenbarracken wurde Vìn im Bestfall nur geduldet. Hier oben hatte sie mit Peitschenhieben zu rechnen, wenn sie erwischt wurde.
Die Soldaten strömten zu Dutzenden aus den Pavillons. Nicht mehr lang, und ihre Trainingseinheiten würden beginnen. Vìn sprintete über den Weg, der vom Haupthaus zum Übungsplatz führte. Ein Soldat stieß einen Schrei aus. Vìn ließ sich fallen und schlitterte unter das Holzpodest, das für den morgigen Kampf bereits aufgebaut war. Unter den Planken war sie in Sicherheit. Mit stockendem Atem verharrte sie im kalten Gras. Zwischen den Lücken des Holzes malte blasses Licht schmale Streifen in die Luft. Vìn schob sich zur Vorderseite des Gestells. Von hier aus hatte sie einen freien Blick auf den Hauptplatz. Die beiden Pavillons grenzten ihn zu den Seiten ab. Dazwischen tummelten sich noch zu viele Soldaten. Gerade, als Vìn zur Seite kriechen wollte, knarrte hinter ihr Holz. Wie eine Schlange fuhr sie herum. Staub rieselte von den Planken auf sie herab. Auf den Stufen zum Podest polterten Stiefel. Das Holz bog sich unter dem Gewicht eines Mannes – eines Kriegers – durch. Über Vìns Kopf hielten die Stiefel inne.
»Einen Moment, meine Herren.«
Die Stimme war sanft und leise, beinahe ein Schnurren. Vìn konnte sehen, wie die Soldaten auf dem Platz allesamt innehielten. Der, der da sprach, war ihr Befehlshaber. Vìns Fäuste zitterten. Nicht aus Angst – nicht vor ihm, niemals. Aus Hass. Es gab keinen Mann, den sie mehr verachtete als den Krieger auf dem Podest.
»Mir sind einige Vorkommnisse zu Ohren gekommen, die ich gern mit euch besprechen würde«, sagte er. Das Holzgestell hätte seine Stimme abfangen müssen. Sie hätte dumpf klingen müssen, schwammig, als wäre sie nichts als eine Erinnerung. Vìn hörte jedes Wort, als hätte der Mann es direkt in ihr Ohr gewispert. Colonel Kostya. Die Soldaten waren diejenigen, die Vìn Tag für Tag angriffen, beleidigten, bestahlen. Doch sie waren allesamt nur Marionetten des Colonels. Er zog im Hintergrund die Fäden und ließ sie alle nach seinem Willen tanzen. In ihren ersten neun Wintern hatte Vìn noch sorglos gelebt, von den Soldaten kaum beachtet. Dann war Colonel Kostya auf Zaarlos angekommen und hatte die Regeln umgeschrieben. Er war es gewesen, der die Bastard-Gesetze eingeführt hatte. Durch ihn waren Vìn und ihre Geschwister zu einem Leben im Dreck verdammt. Und das machte ihn zum Mörder ihrer Brüder und Schwestern – der fünf Kinder, die Kälte und Hunger nicht überlebt hatten. Hätte Vìn sich doch die Zeit genommen, ihre Dolche in der Schmiede zu schleifen. Dann könnte sie hier und jetzt eine Klinge in das Herz des Colonels rammen.
»Mögen folgende Soldaten vortreten.« Colonel Kostya wusste nichts von derGefahr, die unter ihm lauerte. Er sprach, als hätte er alle Zeit der Welt.»Útlag. Vargr. Bodhí. Roekk.«
Der letzte Name ließ Vìn zusammenzucken. Sie kannte den Mann, der sich aus dem Pavillon löste. Die kleinen schwarzen Augen, die über einem Rauschbart funkelten, würde sie nie vergessen. Der Soldat war erst seit wenigen Monden auf Zaarlos. Seitdem der Sommer die Eisinseln verlassen hatte, vergriff Roekk sich immer wieder an dem wenigen Besitz, den die Bastarde mühsam zusammengeklaubt hatten. Vìn und ihren Bruder Milos hatte er kein einziges Mal angegriffen. Er wartete, bis die schwächeren, jüngeren Bastarde allein unterwegs waren. Nicht einmal vor Kámi machte er Halt, die gerade einmal vier Winter gesehen hatte. Ihr hatte Roekk auch noch das letzte Hemd vom Körper gestohlen. Colonel Kostya konnte davon nichts wissen. Hätte ihm jemand diese Verbrechen zugetragen, hätte er Roekk mit Gratulationen überhäuft. Vìn wusste, dass der Colonel keine Glückwünsche für die vier Männer übrighatte, die vor dem Podest Aufstellung nahmen. Roekk ahnte davon noch nichts. Mit verschränkten Armen starrte er zu Colonel Kostya nach oben.
»Männer, mir sind interessante Berichte über zugetragen worden.« DerColonel verriet mit keinem Wort seinen Zorn. Seine Stimme war rein und klar wie ein Bergbrach. Und doch spürte Vìn seine Wut, die das Holz über ihrem Kopf zum Vibrieren brachte.
»In euren Betten liegen Wolldecken. In euren Kisten sammelt sich Dörrfleisch. Auf euren Schultern ruhen Fellmäntel.«
»Wie sonst sollen wir den Winter in diesem Drecksloch überstehen?«, brüllte Roekk. Die übrigen Soldaten lachten. Sie waren blind gegenüber dem Gewitter, das in dem Colonel drohte. Hinter den vier Männer versammelte sich der Rest der Zaarlos-Armee. Ihre Mienen waren neugierig, hungrig auf ein Schauspiel, arglos. Keiner von ihnen ahnte, was auf sie zukam. Für einige Atemzüge war Colonel Kostya still.
»Wie sonst?«, echote er. »Mit Mut im Herzen. Mit Kraft in den Muskeln. Mit Verstand in euren kleinen, armseligen Köpfen.«
Er sprach die Beleidigung so ruhig aus, dass die Soldaten eine Weile brauchten, ehe sie die Worte realisierten. Der Mann neben Roekk wich einen Schritt zurück. Die Bewegung war winzig, kaum eine Gewichtsverlagerung. Vìn dachte für einen Moment, sie wäre die Einzige, der die Angst des Soldaten aufgefallen war.
»Lauft nur«, höhnte Kostya. »Versteckt euch. Vielleicht überlebt ihr dann den Winter auf den Eisinseln.«
Die vier Soldaten warfen sich unruhige Blicke zu. Vìn hörte den Colonel seufzen. Mit einem Mal wurde sein Ton zu einem tiefen Knurren. »Rennt. Rennt, bis eure Beine euch nicht mehr tragen können. Schwächlinge wie euch brauche ich in meinem Heer nicht lebend.«
Etwas in Vìn reagierte auf das animalische Grollen in der Stimme des Colonels. Ihr Monster hob seinen Kopf. Und heulte dem Colonel seine Antwort entgegen. Vìn biss die Zähne zusammen. Sie musste unentdeckt bleiben. Sie konnte dem Monster nicht erlauben, aus dem Käfig unter ihrem Herzen zu entkommen. Dem Ungeheuer war es zu verdanken, dass Vìn niemals vor Soldaten kuschte. Es trieb sie an, schürte das Feuer ihres Zorns und ließ sie selbst Auge in Auge mit fleischgewordenen Albträumen ihre Stellung halten. Der Preis für seine Unerbittlichkeit war die Wut der Soldaten, die sich gegen Vìn mehr als gegen alle anderen Bastarde richtete. Vìn hätte diesen Zoll wieder und wieder bezahlt. Ihr Monster war jede Wunde wert.
Keiner der Soldaten teilte die Wildheit, die durch Vìns Adern floss. Bei Colonel Kostyas Drohung drehten die vier Angeklagten sich allesamt um. Keiner von ihnen wandte sich nach rechts oder links. Blindlings stürmten sie den Hauptweg durch das Lager entlang. Sie kamen nicht weit.
Holz knarzte. Der Colonel verlagerte sein Gewicht. Eine Klinge blitzte in der Luft auf, einen Wimpernschlag, bevor sie sich in den Hinterkopf eines Soldaten bohrte. Der Flüchtende ging zu Boden. Roekk schrie auf. Er war der nächste, der fiel. Nach zwei Herzschlägen waren alle vier Soldaten tot, getroffen von den Wurfmessern Kostyas.
»Erbärmlich.« Er klang wieder so gelassen, als befände er sich auf einemSpaziergang über die Bergwiesen. »Möchte mich noch jemand nach einer zweiten Decke fragen?«
Nicht ein einziger Soldat auf dem Hauptplatz wagte eine Bewegung. Die Hälfte von ihnen hatte sich von den gefällten Männern abgewandt. Vìn hörte, wie sich ein Soldat übergab. Zu seinem Glück stand er außerhalb ihrer Sichtweite, und damit außer Sichtweite des Colonels. Plötzlich zuckten die Männer zusammen. Kostya musste eine Handbewegung gemacht haben. Sie drückten sich gegen die Wände der Baracken, huschten auf den Hauptweg und flohen hinter die Pavillons. Das Holzpodest erzitterte unter Colonel Kostyas Schritten. Vìn verschwand, bevor er doch noch einen Blick unter die Planken werfen konnte. Selbst wenn – sie wäre nicht gerannt. Sie hätte seine Wurfmesser abgewehrt. Wenn er sie töten wollte, musste er so dicht an sie herankommen, dass sie sein Herz rasen hören konnte. Und dann würde sie ihn zerfetzen.
Dieses Kapitel habe ich im Nachhinein hinzugefügt, für Kostyas Entwicklungsbogen und um den bevorstehenden Kampf noch einmal näher zu beleuchten. Was sagt ihr, fügt es sich passend in die Storyline ein?
(Also, I love Kostya with all my heart.)
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