Wut
Am nächsten Morgen wurde ich danach geweckt, dass jemand mich kräftig rüttelte. "Steh endlich auf, sonst kommst du noch zu spät.", sagte Feli, als sie merkte, dass meine Augen sich langsam öffnenten.
Langsam setzte ich mich auf und schälte mich aus meinem Schlafsack. Ich war hundemüde. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass ich gestern erst sehr spät eingeschlafen bin.
Ich rollte den Schlafsack zusammen, zog mir meine Wechselklamotten an und verließ gemeinsam mit Lily und Feli das Zimmer.
Zuerst gingen wir zu Frau Johanson, um ihr den Schlafsack zurückzugeben. "Viel Glück mit Kia.", wünschte sie mir. Danach verabschiedeten wir uns und liefen weiter zum Waschraum.
Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber je näher wir dem Waschraum kamen, desto nervöser wurde ich. Auch wenn mir klar war, dass ich heute mit Kia reden musste, hoffte ich, dass sie nicht darin war.
Lily und Feli schienen zu merken, wie es mir ging und redeten auf mich ein, was sehr nett war, aber nicht wirklich half.
Ängstlich öffnete ich die Tür, sah hinein und stellte fest, dass ich tatsächlich Glück hatte. Kia war nirgendwo zu sehen. Nur Laura, Emma, Sophie und Milena aus meiner Klasse, sowie ein paar andere Mädchen, die ich nicht kannte. Ein Mädchen schien in der selben Klasse zu sein, wie Lily und Feli. Sie war recht klein, hatte braune Augen und glatte braune Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten. Sie war gerade dabei, diese in Zöpfe zu verwandeln. Das Mädchen hieß anscheinend Tara.
Erleichtert griff ich nach meiner Zahnbürste und putzte meine Zähne. Danach wusch ich mir das Gesicht und zum Schluss bürstete ich meine Haare.
Als ich mit allem fertig war und eigentlich nur noch gemeinsam mit Lily auf Feli wartete, die gerade Tara mit ihren Zöpfen half, passierte es.
Eigentlich habe ich zu den Zeitpunkt schon geglaubt, Kia erst beim Frühstück oder mit etwas Glück sogar im Unterricht sehen zu müssen. Wie gesagt war ich schon fertig. Doch dann öffnete sich die Tür zum Waschraum und sie kam herein.
Sie sah mich an. Ich sah sie an. Ich spürte, wie die Wut von gestern zurückkehrte, doch ich sagte nichts Gemeines zu Kia und schrie sie auch nicht an. Stattdessen sagte ich zu Lily, dass ich draußen warten würde. Sie nickte knapp und ich verließ schnell den Waschraum.
Wenig später war Feli zum Glück fertig, sodass wir in den Speisesaal verschwinden konnten, wo wir belegte Brote aßen und Tee tranken. Danach mussten wir uns auch schon wieder verabschieden, da der Unterricht begann.
Kunst bei Frau Steiner. In der Stunde begannen wir eine neue Arbeit, für die wir bis zum Notenschluss Zeit bekamen: wir sollten in Einzelarbeit Hüte basteln, die wie Tiere oder Pflanzen aussehen sollten. Ich selbst entschied mich für eine Schildkröte. Das Hutgestell sollte aus mehreren Schichten Papier bestehen, die ich mit meinem Klebestift zusammenkleben wollte. Danach wollte ich noch Körperteile aus Papier anfertigen und diese am Hut befestigen. Zum Schluss sollte alles noch angemalt werden. Es machte eine Menge Spaß und lenkte mich sogar ein wenig von meinem Streit mit Kia ab. Leider klingelte es viel zu schnell zur Pause, sodass ich aufhören musste.
Auf dem Schulhof setzte ich mich auf eine leere Bank und hing in aller Ruhe meinen Gedanken nach. Nach einer Weile setzte sich Kia neben mich. Ich stand sofort auf, um mich zu verdrücken.
"Lia, bitte bleib hier.", bat sie mich. Wütend funkelte ich sie an. "Warum sollte ich? Du hast mir gestern ohne Grund Vorwürfe gemacht. Ich habe dir überhaupt nichts getan!"
"Ich weiß.", sagte Kia. "Ich bin gestern komplett durchgedreht, nachdem Chiara hier aufgetaucht ist. Ich konnte nicht mehr klar denken. Das...Das war einfach zu viel für mich. Meine Gefühle haben mich komplett überrannt."
Ich fand es zwar irgendwie schön, dass Kia sich entschuldigte, doch ich war trotzdem noch sauer auf sie.
"Ach, und deswegen musstest du mich so behandeln? Und mich als Psychopathin bezeichnen?", warf ich ihr vor.
Kia ließ den Kopf hängen. "Das war echt nicht in Ordnung von mir. Du bist keine Psychopathin, sondern das coolste und netteste Mädchen auf der Welt. Ich hätte dir vertrauen sollen. Du bist doch meine Schwester. Ich weiß, dass du Chiara niemals zu mir gebracht hättest."
"Warum sollte ich dir das jetzt glauben?", fragte ich. "Gestern klangst du so, als wärst du fest vom Gegenteil überzeugt."
"Weil ich die Wahrheit sage. Ich habe nicht nachgedacht. Chiara hat...Sie hat mich wieder an den Grund erinnert, warum ich sie nicht sehen will. Das hat mir Angst gemacht und dann...Das hat in meinem Kopf alles durcheinander gebracht.", flehte Kia.
Da waren sie wieder. Die seltsamen Andeutungen, die Kia von sich gab. Was hatten die nur zu bedeuten? Was war Kias Geheimnis?
"Was für ein Grund? Was hat dir solche Angst gemacht, dass du mir solche Sachen an den Kopf geworfen hast?", fragte ich wütend. "Sag es mir endlich."
"Ich...Ich kann nicht. Versteh doch. Es geht einfach nicht!", erklärte Kia wieder, doch nachdem sie sich mir gegenüber dermaßen asozial verhalten hatte, ließ ich mich nicht so leicht abwimmeln. "Antworte mir! Warum hast du mich gestern Abend so behandelt? Was hat Chiara in dir ausgelöst?"
Kia versuchte noch ein paar Mal, sich zu drücken, doch letztendlich sah sie ein, dass es nicht brachte. "Na gut. Ich erzähle es dir. Aber nicht hier. Lass uns in unser Zimmer gehen. Da haben wir mehr Ruhe und können reden."
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