Durch das was passiert war, nachdem ich am Donnerstag das Internat verlassen hatte, hatte ich den Grund für meinen Ausflug völlig vergessen. Es war einfach so viel passiert. Erst als Frau Johanson ein paar Tage später in unser Zimmer kam, fiel es mir wieder ein. "Lia, du hast Post bekommen.", sagte sie und reichte mir einen Briefumschlag.

"Von wem ist der denn?", fragte Kia, als Frau Johanson wieder weg war. Ich erzählte es ihr. Kia gefiel die Idee. "Ich glaube, ich schreibe meinen Eltern auch mal einen Brief. Hast du noch Briefmarken und Umschläge?", fragte sie begeistert und ich gab ihr alles, was sie brauchte. Während Kia sofort damit begann, den Brief an ihre Eltern zu schreiben, öffnete ich den von Katharina.

Hallo Lia,
Ich bin so froh, dass du mir den Brief geschickt hast. Mega coole Idee. Das ist ja wirklich schöner, als eine WhatsApp. Das fällt mir gerade auf. Vielleicht sollten wir einfach so weitermachen, wenn du im Internat bist (ab und zu wäre es schon ganz gut, mal zu telefonieren, aber Briefe können wir uns trotzdem schreiben). Ich vermisse dich auch wie verrückt, aber ich kann es auch verstehen. Du willst deine leibliche Familie kennenlernen. Das kann ich voll verstehen, obwohl ich nicht adoptiert bin und auch noch nichts ähnliches erlebt habe. Es klingt überhaupt nicht verrückt, dass du dich mit deiner Schwester so gut verstehst. Ich wäre viel überraschter, wenn es anders wäre. Ich bin echt froh, dass alles so gut für dich läuft und, dass du sowohl deine Mutter, als auch neue Freundinnen gefunden hast. Erzähl doch mal ein bisschen was über deine Freunde und dein neues Leben an sich. Bei mir sieht das ein wenig anders aus. Ich mache zwar viel mit Zoe und Philipp, aber das ist nicht das gleiche, wie mit dir. Gestern haben wir den Test rausbekommen, den wir an deinem letzten Schultag geschrieben haben. Ich hatte eine 4 (eigentlich hätte ich mit einer 5 gerechnet). Ansonsten ist nicht viel los. Alles ist so normal wie immer. Nur mit dem Unterschied, dass du weg bist. Ich freue mich schon riesig darauf, dich in den Ferien wiederzusehen.
Liebe Grüße
Katharina

Nachdem ich den Brief gelesen hatte, setzte ich mich neben Kia und begann damit, einen Brief an Katharina zu schreiben.

Hallo Katharina,
Klar können wir uns öfter Briefe schreiben. Ich bin sofort dabei. Es freut mich, dass dir das so gut gefällt. Ich bin so froh, dass ich den Test nicht schreiben musste. Zum Glück habe ich nicht mehr Herr Graus in Physik und Mathe. Mein neuer Lehrer heißt Herr Polker (den habe ich auch noch in Bio und Chemie). Ich wette, Herr Graus würde in Ohnmacht fallen, wenn er auf Herr Polker treffen würde. Der Typ ist total cool. Er ist übrigens einer meiner beiden Klassenlehrer. Unsere zweite Klassenlehrerin ist Frau Tieg. Sie Unterrichtet Deutsch, Englisch und Französisch. Sie ist auch ganz in Ordnung. In Deutsch lesen wir gerade übrigens das Buch Löcher. Erinnerst du dich noch daran? Das haben wir letztes Jahr auch für die Schule lesen müssen. Darum läuft es für mich sehr gut in Deutsch. Lest ihr eigentlich immer noch Hüter der Erinnerung in Deutsch? Ich überlege echt, das Buch privat fertigzulesen. Das war gar nicht übel. Erzähl doch auch mal was von zu Hause und von der Schule. Das ist vielleicht nicht so krass wie das, was ich hier erlebe, aber es wäre echt schön, mal wieder was von meiner alten Schule und meinen Freunden zu hören. Ich bin hier mit Lily, Feli und Sophie befreundet. Lily und Feli gehen in die fünfte Klasse und Sophie ist in meiner Klasse, genau wie Felis großer Bruder. Er heißt Oliver. Mit ihm habe ich mich bisher aber noch nicht wirklich unterhalten. Mit Kia habe ich mich vor ein paar Tagen gestritten. Ich habe mich nämlich verlaufen, als ich den Brief abgeschickt habe. Chiara hat mich letztendlich gefunden und zurückgebracht. Kia will aber keinen Kontakt zu ihr und war gar nicht begeistert, als sie aufgetaucht ist. Das war echt übel. Es ist aber zum Glück wieder alles gut.
Mit freundlichen Grüßen
Deine Lia

Als ich fertig war, faltete ich das Blatt zusammen und steckte es in einen Briefumschlag. Dann Klebte ich eine Briefmarke drauf und schreib meine und Katharinas Adresse auf den Umschlag.

"Wenn du fertig bist, lass uns die Briefe gleich einwerfen", bat Kia, während sie schon ihre Schuhe anzog. Lachend stimmte ich zu und zog ebenfalls meine Schuhe an. Bevor ich mein Handy einsteckte, schaute ich noch auf den Akku. 78%. Das Gerät war diesmal definitiv geladen. Ich steckte es in meine Hosentasche und stand auf. Danach gingen wir los, um unsere Briefe einzuwerfen.