23. Kapitel - Ein einfacher Fischerjunge
Bereits vor Morgengrauen war ich wach, kleidete mich an – einfache Sachen, wie sie meiner neuen Rolle angemessen waren –, schulterte meinen Rucksack und verliess auf leisen Sohlen meine Kammer und die Goldene Halle. Die Wachen vor der Halle schenkten mir keine Beachtung.
In der Stadt begann sich langsam erstes Leben zu regen, als ich die Hauptstrasse hinuntereilte. Bei einem Bäcker kaufte ich etwas Brot als Frühstück und ging dann weiter. Die Sonne blinzelte gerade über den Horizont, als ich das Haupttor erreichte, das jeden Moment geöffnet werden würde. Unruhig trat ich von einem Bein aufs andere. Mein Plan war es, möglichst viele Meilen zwischen mich und Edoras zu bringen, bevor Théodred erwachte. Und danach noch einige mehr. Am Vorabend hatte ich den König noch gebeten, Théodred so lange nichts von meiner Abreise zu erzählen, bis er selbst danach fragte. Wenn ich Glück hatte, könnten bis dahin sogar noch ein oder zwei Tage vergehen, weil der Prinz sich schämte, aber ich glaubte nicht wirklich daran.
Endlich wurde das Tor geöffnet und ich schritt hindurch hinaus auf die weiten, grünen Ebenen Rohans. Ich folgte dem Torweg hinab zur Grossen Weststrasse und wandte mich gen Osten. Die Strasse war in gutem Zustand und bald verfiel ich in einen sanften Trab, den ich den ganzen Tag lang beibehalten konnte. Ich lief und lief, folgte der Strasse, die ihrerseits den Ausläufern der Berge folgte. Die Ered Nimrais, das Weisse Gebirge, so hiessen diese Gipfel laut meiner Karten.
Korak zog über mir seine Kreise, während ich immer weiterrannte und angespannt auf Hufgetrappel hinter mir lauschte. Oder auf einen Warnschrei des Raben. Doch alles blieb still.
Gegen Mittag zog ich mich von der Strasse zurück hinter einige grosse Felsbrocken, die von einem Felssturz stammen mussten, der hier irgendwann einmal niederging. Die Felsbrocken boten guten Sichtschutz. Nun war es an der Zeit, die Verwandlung endgültig zu vollziehen, die Identität von Calenna Rabenfrau endgültig abzulegen und zu Cal, einem jungen Fischerjungen aus Andrast zu werden. Das war die am weitesten von meinem Zielort Minas Tirith entlegene Gegend Gondors, die ich auf meinen Karten hatte finden können. Ich würde mich als Fischerjungen von etwa vierzehn Jahren ausgeben, der seinen Vater in einem Sturm auf See verloren hatte und seine Mutter wenige Wochen später im Kindbett. Seine Tante und deren Mann waren zu arm, um ihn und seine jüngeren Geschwister alle durchzufüttern und hatten Cal deswegen nach Minas Tirith geschickt, um sich als Soldat seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ich konnte nur hoffen, dass Gondor so junge Rekruten annahm, aber je jünger ich mich ausgab, desto länger würde ich bleiben können, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Und vierzehn war gerade das Alter, dass man mir noch knapp abnehmen würde. Meinen zierlichen Körperbau würde man meinem jungen Alter zuschreiben, meine geringe Körpergrösse hoffentlich der Mangelernährung. Cal würde der Älteste von acht Geschwistern sein.
Ich stellte meinen Rucksack ab und löste den Knoten, zu dem ich meine Haare zusammengebunden hatte, dann zog ich meinen Dolch und säbelte die Haare kurz ab. Der unregelmässige Schnitt würde die Armut, aus der ich kam, nur betonen. Der Zustand meiner Kleidung ... nun, wenn ich erst mit dem Staub und Schmutz einer langen Reise bedeckt war, würde sich darüber niemand mehr gross Gedanken machen. Aber es konnte nicht schaden, dem bereits jetzt etwas abzuhelfen ... Ich griff ins Gras, bohrte meine Finger in die Erde und strich mir etwas Dreck auf die Wangen. Dann liess ich die abgesäbelten langen, schwarzen Strähnen unter einem Stein verschwinden, bevor ich ein karges Mittagsmahl einnahm und mich wieder auf den Weg machte.
Die Sonne sank bereits dem Horizont entgegen, als ich Koraks Warnschrei hörte. Augenblicklich verliess ich die Strasse, rannte geduckt davon und warf mich dann flach ins hohe Gras. Korak war zum Glück geistesgegenwärtig genug, mir nicht zu folgen und stattdessen zur anderen Seite zu fliegen. Ich hoffte inständig, dass der Reiter, den Korak erspäht hatte, mich nicht bereits erblickt hatte – auf den flachen, baumlosen Ebenen der Ostfold konnte man meilenweit sehen.
Hufschläge näherten sich ... wurden langsamer ... hielten an ... Ich versuchte keinen Mucks von mir zu geben.
«Dort drüben», sagte eine unbekannte Stimme, männlich, aber das hiess nicht, dass es nicht derjenige war, den ich befürchtete. Vielleicht war Théodred einfach in Begleitung von jemandem, den ich nicht kannte.
«Ja, weshalb nicht», sagte eine andere Stimme, ebenfalls männlich, ebenfalls unbekannt. Erneute Hufschläge waren zu hören, dann das Rascheln von Gras, als sie die Strasse verliessen. Hatten sie die Stelle entdeckt, der ich von der Strasse abgewichen war?
«Hier ist gut», sagte der erste Mann, dann war ein Plumpsen zu hören, als etwas Schweres zu Boden fiel. «Ein guter Lagerplatz.»
«Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist ein wärmendes Feuer», sagte der zweite Mann.
Der erste Mann lachte. «Eine Nacht wirst du schon überleben ohne Feuer. Morgen Abend sind wir dann in Aldburg.»
Ich seufzte erleichtert. Nur zwei Reisende also. Trotzdem zog ich mich weiter zurück. Viele Jahre in der Wildnis hatten mich gelehrt, dass man als Alleinreisender besser vorsichtig und unentdeckt blieb.
Am nächsten Morgen erwachte ich früh, doch ich brach nicht gleich auf wie sonst, sondern wartete darauf, dass die beiden Reisenden sich zuerst auf den Weg machten. Es war mir lieber, sie vor mir zu wissen als hinter mir. Zu Pferd waren sie schneller als ich und ich wollte Abstand halten. Die beiden schliefen für meinen Geschmack viel zu lange und frühstückten danach ausgiebig. Von meinem Beobachtungsposten sah ich unruhig zwischen ihnen, dem Stand der Sonne und der Strasse hin und her. Sie kosteten mich Zeit, viel zu viel Zeit. Zeit die Théodred in die Hände spielen würde. Mittlerweile wusste er sicher, dass ich weg war. Zwar hatte ich niemandem gesagt, wohin ich ging, doch ich hatte mehr als einmal deutlich gemacht, dass Sauron für mich das wahre Problem war. Da musste er nur eins und eins zusammenzählen um zu wissen, wohin ich unterwegs war.
Endlich brachen die beiden Reiter auf und waren schliesslich auch weit genug entfernt, dass ich mich zurück auf die Strasse traute. Ich schlug ein etwas flotteres Tempo an, als am Vortag – immerhin hatte ich wertvolle Stunden verloren – und kam bis am frühen Nachmittag unbehelligt voran, dann erklang erneut Koraks Warnschrei und wieder versteckte ich mich im hohen Gras. Beim letzten Mal hatte es schliesslich sehr gut funktioniert.
Es waren mehr Reiter als am Vortag, ich hörte es am vielstimmigen Schlag der Hufe. Und wieder wurden sie ausgerechnet auf meiner Höhe langsamer.
«Hier führt eine Spur ins hohe Gras hinein, mein Prinz», rief eine Stimme. Oh nein! Die Stimme gehörte Halef, Théodreds Stellvertreter. Und 'mein Prinz' war kaum falsch zu verstehen.
«Sehr gut, Halef. Lasst uns nachsehen!», entschied Théodred.
Einige Reiter sassen ab und im nächsten Moment stapften sie bereits durchs hohe Gras auf mein Versteck zu. Was nun? Sollte ich wegrennen? Aber zu Pferd hätten sie mich ohnehin schnell eingeholt. Mir blieb nur eins und so rappelte ich mich auf und stellte mich den Männern entgegen. Sie waren mehrere Schritte entfernt, zu weit um mich genau mustern zu können.
Einer von ihnen lachte, als er mich entdeckte. «Nur ein schmutziger Junge. Ich fürchte, hier sind wir falsch, mein Prinz. Bist du allein?»
Ein wahrer Felsbrocken fiel mir vom Herzen. Sie hatten mich nicht erkannt. «Geht Euch nichts an!», rief ich trotzig zurück, was den Soldaten noch mehr zum Lachen brachte.
«Wir sollten weitersuchen, Prinz», schlug er vor und machte kehrt.
«Wartet, Gunnar, wir können ihn nicht einfach allein zurücklassen», erklärte Théodred. «Komm her, Junge.»
«Ich komme gut allein zurecht», erklärte ich in dem trotzigen Tonfall, den Éomer so oft angeschlagen hatte.
«Zwing mich nicht, dich holen zu kommen!», drohte der Prinz und sah mich auffordernd an. Lieber Himmel, nein!
«Komm, Théodred, wir verschwenden unsere Zeit», sagte nun Halef und legte Théodred eine Hand auf die Schulter.
Genau, hör auf Halef, betete ich inständig. Doch Théodred streifte seine Hand ab.
«Ich zähle bis zehn, und wenn du dann nicht hier bist, Junge ...», er liess den Satz in der Luft hängen und begann zu zählen: «Eins ... zwei ... drei ...»
Als ich bei sieben immer noch keinen Wank getan hatte, begann Théodred mit grossen Schritten auf mich zuzulaufen. Ich drehte mich um und rannte mit den leichtfüssigen Schritten einer Elbin davon. Ich rannte so schnell ich konnte. Zwar würde ich dieses Tempo nicht besonders lange durchhalten, anders als den leichten Trab, den ich während meiner Tagesmärsche anschlug, aber ich hoffte, es würde reichen um Théodred abzuschütteln. Hätte es vielleicht auch getan, wären da nicht ... die Reiter gewesen. Das Schnalzen von Zügeln und gerufene Befehle waren zu hören, dann preschten jene, die nicht abgestiegen waren hinter mir her und hatten mich viel zu bald eingeholt. Sie kreisten mich ein und schnitten mir jeden Fluchtweg ab. Ich hielt an. Wenn ich gewollt hätte, dann hätte ich jetzt meinen Stab zum Einsatz bringen können. Mit meiner Magie hätte ich sie abschütteln können, genau wie ich im Erebor die Zwerge der Torwache niedergeworfen hatte und auf dem Weg von Bruchtal nach Bree die Wegelagerer, aber die Reiter Rohans würden vermutlich nicht so schnell aufgeben und mich erneut einholen, es war also zwecklos. Und ich wollte sie mir nicht zum Feind machen.
Auf meinen Stab gestützt blieb ich stehen und schnappte keuchend nach Luft, während wir darauf warteten, dass Théodred und die Soldaten, die mich zu Fuss verfolgt hatten, aufschlossen. Sie kamen gerade heran, als Korak sich mit einem lauten Krächzen auf meiner Schulter niederliess.
«Hallo, mein Freund», sagte ich leise zu dem Raben und streichelte sein schwarzes Gefieder. Die weit aufgerissenen Augen des Prinzen, dessen Blick zwischen Korak, meinem Stab und meinem dreckverschmierten Gesicht hin und her glitt, versuchte ich zu ignorieren.
«Calenna! Was ist geschehen?!», rief er aus und war mit wenigen Schritten bei mir. «Wurdet Ihr überfallen? Ihr kommt augenblicklich mit mir zurück nach Edoras!»
«Das werde ich nicht!», sagte ich entschlossen und Korak krächzte empört.
«Oh doch, das werdet Ihr. Ihr seht aus, als wärt Ihr irgendwelchen Wegelagerern und Banditen in die Hände gefallen und nur mit Mühe entkommen», sagte er mit zusammengebissenen Zähnen und umschloss meine Arme. «Ihr könnt nicht allein hierbleiben.»
«Lasst mich los!», zischte ich und, als Théodred nicht sofort losliess, riss ich mich los. Schneller als der Prinz reagieren konnte, hatte ich meinen Dolch gezogen und nun lag kaltes Metall an seiner Kehle. Die Reiter und Soldaten um uns wurden unruhig. «Ich werde nicht nach Edoras zurückkehren. Ich habe eine Aufgabe zu erledigen und Ihr werdet mich nicht davon abhalten, verstanden?», flüsterte ich an seinem Ohr, dann liess ich den Dolch sinken. Nur um Augenblicke später selbst kaltes Metall an meiner Kehle liegen zu finden.
«Lasst sie», befahl Théodred dem Soldaten müde, der mich widerwillig losliess. «Wir lagern hier», entschied der Prinz. «Bringt die Pferde her.»
Meiner Meinung nach war es noch viel zu früh, aber ich hielt mich zurück.
Théodred führte mich etwas zur Seite, während die Reiter das Lager aufbauten. «Bitte, Calenna, kommt mit mir zurück nach Edoras.»
Entschieden schüttelte ich den Kopf.
«Bitte, tut es für mich. Tut es für Éowyn. Sie liebt Euch wie eine grosse Schwester. Sie kann es nicht ertragen von euch getrennt zu sein. Und ... ich kann es auch nicht ertragen. Ich liebe Euch, Calenna ... ich liebe dich», gestand Théodred leise.
Ein tiefes Seufzen entwand sich meiner Kehle. «Ach, Théodred ...»
«Ihr liebt mich nicht», stellte der Prinz ernüchtert fest und schaute betreten zur Seite.
«Ich mag dich, Théodred», sagte ich und nahm seine Hände in meine. «Mehr auch nicht.» Sanft lächelte ich ihn an. «Freundschaft muss dir bei mir genügen. Aber ich bin sicher, du wirst jemanden finden, der dich genauso liebt, wie du es verdienst. Und eure Liebe wird so stark sein, dass sie jedem Unheil trotzt, jeder Angst und jeder Gefahr widersteht. So tief und wahr und unauslöschlich, dass nichts und niemand sie zerstören kann. Eine so mächtige Liebe, dass sie dein Leben für immer verändert und dich nie wieder loslässt, ganz egal was auch geschehen mag.»
«Wer ist er? Derjenige, den du so sehr liebst?», fragte Théodred bedrückt.
Ein trauriges Lächeln legte sich auf meine Lippen. «Sein Name war Miro. Er ist schon vor vielen Jahren im Kampf gefallen.»
«Oh ... das tut mir aufrichtig leid», sagte der Prinz leise.
«Mir auch.»
«Und dein Herz hängt immer noch zu sehr an ihm, um einem anderen Einlass zu gewähren ...», resümierte er.
«Théodred ...», sagte ich mahnend.
Abwehrend hob der Prinz seine Hände. «Was ich eigentlich sagen wollte: Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht so in ... Bedrängnis bringen. Ich hätte es einfach bei dem bewenden lassen sollen, was du mir bereitwillig gegeben hast.» Beschämt sah er zu Boden.
«Ja, das hättest du», sagte ich ernst und nahm dann erneut eine seiner Hände. «Es war eine schöne Nacht, aber mehr war und wird es nie sein, einfach eine Nacht.»
«In Ordnung», sagte der Prinz, zog mich dann überraschend zu sich und schloss mich in die Arme. «Aber ich werde dich trotzdem nicht einfach so ziehen lassen.»
Ich wollte protestieren, doch Théodred legte mir einen Finger auf die Lippen. «Bis zur Grenze werde ich dich begleiten, danach kannst du allein weiterreisen.» Mit diesen Worten küsste er mich sanft auf die Stirn und zog mich wieder näher an sich, bis meine Wange an seiner Brust lag.
Théodred hielt Wort und weigerte sich standhaft, mich alleine gehen zu lassen, bevor wir nicht die Grenze Rohans erreicht hatten. Um ehrlich zu sein, hatte ich auch nichts gegen seine Begleitung einzuwenden. Ich war gern mit ihm zusammen, solange er nicht versuchte, mich von meinem Vorhaben abzubringen – was er nicht tat – und gemeinsam mit Théodred auf Bregos Rücken reitend kam ich um einiges schneller voran als zu Fuss.
Dann erreichten wir den Mering-Strom, der hier die Grenze zwischen Rohan und Gondor markierte und ich sass ab. Théodred folgte meinem Beispiel und reichte Halef Bregos Zügel.
«Bist du dir wirklich sicher, Calenna?», fragte der Prinz.
«Cal», entgegnete ich fest. «Ich heisse Cal und bin ein junger Fischersohn aus Andrast, der seine Eltern verloren hat.»
Théodred seufzte und sah mich eindringlich an. «Du weisst, dass ich es noch einmal versuchen muss?», fragte er.
Bevor ich fragen konnte, was er damit meinte war er nähergetreten und legte seine Lippen auf meine. Küsste mich, dass mir hören und sehen verging und die Glut und der Hunger in mir sich regten.
«Nicht», flüsterte ich in den Kuss hinein und schob ihn sanft, aber bestimmt von mir.
«Ich musste es versuchen», sagte Théodred leise, seine Stirn an meine gelegt.
«Ich weiss», erwiderte ich sanft. Er wäre nicht er, wenn er es nicht getan hätte. «Versprich mir zwei Dinge, Théodred.»
«Wenn es in meiner Macht liegt, Cal, dann werde ich das tun.»
«Tut es. Versprich mir, dass du auf Éowyn aufpasst und auch mehr Zeit mit ihr verbringst. Sie vermisst dich. Und auch Éomer. Ihr beide und der König seid die Einzigen, die ihr noch geblieben sind. Du könntest ihren Schwertkampfunterricht fortführen, wenn du dazu Zeit findest – ich denke, das würde ihr gefallen», schlug ich vor.
Théodred lachte. «Das würde es bestimmt. Nun gut, ich denke darüber nach und werde auf jeden Fall mehr darauf achten, Zeit mit ihr zu verbringen. Und das zweite Versprechen?»
«Klammere dich nicht mit deinem Herzen an mir fest. Sei offen für eine neue Liebe», sagte ich.
Er seufzte. «Nun gut, ich werde mein Bestes tun.»
Dankbar lächelte ich den Prinzen an. «Dann lebe wohl, Théodred.»
«Lebe wohl, Calenna– ich meine Cal.» Er lächelte traurig. «Pass auf dich auf.»
«Mach ich. Und Korak wird mir dabei helfen.» Der Rabe krächzte zustimmend und flog voraus, während ich ihm auf der Strasse folgte und bald wieder in mein übliches, zügiges Tempo verfiel.
Wie lange Théodred noch dort stand und mir nachsah, wusste ich nicht. Ich blickte nicht zurück.
Andrast lag südlich des Weissen Gebirges, also wäre es doch recht auffällig, wenn ich mich Minas Tirith von Norden her näherte. Somit blieb nur eines: Ich musste mich um die Befestigungsmauern der Stadt herumschleichen und diese dann von Süden her betreten. Das bedeutete einen weiten Umweg durch feindliches Gebiet auf der östlichen Seite des Anduin, des Grossen Stroms, der die Grenze zwischen den freien Landen von Gondor und den vom Feind besetzten Gebieten markierte. Allerdings machte ich mir deswegen nicht allzu grosse Sorgen. Ich war schon oft durch feindliches Gebiet geschlichen und hatte Erfahrung darin mich zu verbergen, notfalls auch mit Magie, und mit Korak hatte ich einen unschätzbaren Begleiter und Führer. So gelange es mir auch diesmal ohne grössere Schwierigkeiten.
Nach mehreren Tagesmärschen erreichte ich die grosse Südstrasse am westlichen Anduinufer und machte mich auf den Weg zum südlichen Tor. Mittlerweile sah ich wirklich so zerkratzt und abgerissen aus wie ein bettelarmer Fischerjunge aus Andrast nach einer langen Reise aus seiner Heimat zur Hauptstadt.
Als ich die grosse Aussenmauer erreichte, die die Felder des Pelennor umfassten, wurde ich wie alle Reisenden von den Soldaten aufgehalten. Ich erzählte ihnen meine Geschichte und dass ich mich dem Heer anschliessen wollte. Die beiden wachhabenden Soldaten sahen sich kurz an und liessen mich dann mit einem mitleidigen Blick durch. Ganz ähnlich erging es mir, als ich schliesslich das Grosse Tor der äusseren Stadtbefestigung erreichte: Auch hier fragten die Soldaten mich wieder, woher ich kam und was ich in Minas Tirith wollte. Erneut erzählte ich meine Geschichte und was mich in die Hauptstadt führten.
Die Soldaten sahen sich an und dann fragte einer: «Bist du sicher, Junge, dass du dein Leben einfach so fortwerfen willst? Du bist noch viel zu jung, um als Soldat zu sterben. Sicher findest du eine andere Möglichkeit, deinen Lebensunterhalt zu verdienen.»
«Was für eine, Herr? Mein Vater ist tot und hat meiner Familie nicht viel hinterlassen und meine Tante und mein Onkel müssen sich bereits um meine jüngeren Geschwister kümmern. Sie können sich nicht auch noch mit mir befassen. Und auch niemand anderes wird sich mit mir belasten wollen. Ich habe das Schwert meines Vaters und kann einigermassen damit umgehen», erwiderte ich und versuchte bei den letzten Worten möglichste grossspurig und von mir selbst überzeugt zu klingen, wie ich es bei Éomer so oft gehört hatte.
Die beiden Soldaten wechselten erneut einen zögernden Blick. «Nun gut, Junge», sagte dann der eine. «Du findest die Garnison im zweiten Ring, gleich nach dem Tor. Melde dich dort.»
«Vielen Dank, Herr», bedankte ich mich höflich und betrat die Stadt.
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