11. Kapitel - Heiler und Zauberer
So kam es, dass ich doch noch eine Anstellung als Heiler fand. Die Frau mit dem schlohweissen Haar, ihr Name war Viola Calendula, wie ich erfuhr, verkündete es vor den Dorfbewohnern von Schlucht und Archet und Max Birkenbaum, der Mann mit dem Schwert, der für die Bewohner von Schlucht sprach, hiess diese Anstellung gut. Er war der Meinung, dass die Schuld der Breeländer mir gegenüber damit beglichen sei und auch ich war damit zufrieden. Dennoch störte es mich, dass die Breeländer mich nur zu dulden schienen, mir jedoch nicht ganz vertrauten – sie liessen sich nur von mir behandeln, wenn Viola dabei war und auch dann nur, wenn es sich nicht um lebensbedrohliche Fälle handelte. Es war für mich kaum zu ertragen, zuzusehen, wenn jemand einer Verletzung oder einem Gebrechen erlag, das ich hätte behandeln können, wenn sie mich doch nur gelassen hätten. Und doch war ich froh darüber, dass ich jetzt im Breeland bleiben konnte, denn immer noch hoffte ich, Olórin hier anzutreffen. Wenn Viola und ich in Bree waren, suchte ich jeden Abend das Gasthaus Zum tänzelnden Pony auf und fragte den Wirt Butterblüm, ob Olórin – oder Gandalf, wie sie den alten Freund meines Vaters hier nannten – dagewesen sei. So tat ich es auch an einem Abend Ende Juni.
«Gandalf? Der sitzt da drüben, sehen Sie, Herr Cal? Der Alte mit Bart und grauem Mantel, der da bei den Zwergen», informierte mich Butterblüm. «Hab ihm Ihren Brief bereits übergeben.»
«Danke, Gerstel», bedankte ich mich beim Wirt und ging dann zu Gandalfs Tisch hinüber, nur um mich auf halbem Weg schnell an einen anderen, leeren Tisch zu setzten. Die Zwerge, Gandalfs Begleiter ... es waren alte Bekannte von mir. Es waren Ori und Nori, Bifur und sein Sohn Borin und der griesgrämige Dwalin, die ich alle bei meiner Überquerung des Nebelgebirges kennengelernt hatte. Dori und sein Sohn Glori waren nicht dabei, dafür aber ein paar andere Zwerge, die ich nicht kannte. Doch ob sie nun vollzählig waren oder nicht, ich hatte keine Lust meine Begegnung mit den Zwergen aufzufrischen.
Bob kam zu mir, um meine Bestellung aufzunehmen. Als er mir dann mein Bier brachte, hielt ich ihn auf. «Bob, wenn Sie das nächste Mal aus der Küche kommen, seien Sie bitte so freundlich und gehen Sie zu Gandalfs Tisch hinüber und richten Sie ihm aus, dass der Sohn eines ganz, ganz alten Freundes ihn in einer Stunde draussen sprechen möchte. Können Sie das für mich tun, Bob?», flüsterte ich dem Hobbit zu.
Bob nickte zögernd. «In Ordnung, ich richte ihm das von Ihnen aus, Herr Cal.»
«Nein, nicht von mir!», sagte ich hastig. «Sagen Sie einfach genau das: 'Herr Gandalf, der Sohn eines ganz, ganz alten Freundes möchte Sie in einer Stunde draussen sprechen.' Kein Wort von mir, Bob.»
Bob nickte wieder. «Also, ich sage: 'Herr Gandalf, der Sohn eines ganz, ganz alten Freundes möchte Sie in einer Stunde draussen sprechen.'»
Ich bestätigte und liess Bob dann weiter seine Arbeit verrichten. Unauffällig beobachtete ich, wie er, nachdem er eine Ladung Teller auf einem nahen Tisch abgegeben hatte, zu Gandalf hintrat und ihm die Botschaft übermittelte. Gandalf sah sich stirnrunzelnd um und nickte dann. Ich leerte langsam meinen Bierkrug und bestellte einen weiteren, wobei ich versuchte, möglichst unauffällig auszusehen. Dass sich einige Minuten später ein paar Männer aus Schlucht, unter ihnen Max Birkenbaum, zu mir an den Tisch setzten und mich fragten, was mich denn nach Bree führte – ein paar Kranke, die Violas Hilfe als beste Heilerin der Gegend in Anspruch nehmen wollten – und ich sie fragte, was sie ihrerseits hierhertrieb – der Markttag morgen, an dem sie Brot, Früchte und Getreide verkaufen wollten – half mir, den Zwergen und dem Zauberer nicht aufzufallen.
Als fast eine Stunde verstrichen war, erhob sich Gandalf von seinem Platz, wehrte die Angebote der Zwerge, ihn zu begleiten, ab und verliess die Schankstube. Ich wartete ein paar Minuten, bevor ich mich unter dem Vorwand, von Viola erwartet zu werden, von Max und seinen Freunden verabschiedete und Gandalf nach draussen folgte.
Der alte Magkylir ging bereits ungeduldig im Hof des Gasthofs auf und ab und blickte immer wieder zum Himmel hoch, wohl um die Zeit zu prüfen.
«Olórin», sprach ich ihn an und er zuckte zusammen. Hellgraue, durchdringliche Augen trafen auf meine schwarzen. Schweigend musterte der alte Mann mich.
«Wer bist du?», fragte er schliesslich.
«Ich bin Calenna, Alatars Tochter», flüsterte ich in der Sprache der Macht, wie sie im äussersten Westen jenseits der Meere gesprochen wurde.
Olórin nickte bedächtig. «Beweise es», verlangte er die Gemeinsprache nutzend.
Ich zog meinen Stab hervor, den ich, wie mein Vater und Aiwendil mir eingeschärft hatten, immer bei mir trug. Olórin musterte den Stab, nahm ihn mir schliesslich ab, um sich die Runen genauer anzuschauen und nickte dann. «Er sieht genau so aus, wie Alatars Stab, aber er ist von einer anderen Kraft durchdrungen. Hm... einer weiblichen und überaus starken Kraft. Gehe bedachtsam damit um ...»
Olórin räusperte sich: «Nun, liebe Nichte, dann erzähle mir, wie es deinem Vater geht und wie er zu einer Tochter gekommen ist. Ich lade dich gern auf einen grossen Krug von Butterblüms bestem Schwarzbier ein.»
Verlegen trat ich von einem Bein auf das andere. «Lieber nicht. Ich ... äh ... will nicht, dass die Zwerge mich erkennen.»
Das entlockte Olórin ein überraschtes Schmunzeln. «Dann bist du also der aus den Kerkern Erebors entflohene Ostling und Zauberer, mit dem meine zwergischen Freunde so viel Ärger hatten. Dann lass mich eben meinen Mantel und meine Pfeife holen und wir halten hier draussen ein Pläuschchen.»
Es dauerte nicht lange, bis Gandalf wieder zurück war, seine Pfeife stopfte und sie mit einem verstohlenen Blick um sich und einem Augenzwinkern zu mir mit einem gemurmelten Wort der Macht entzündete. Danach schlenderten wir gemütlich nebeneinander durch Brees Strassen und sprachen leise miteinander. Immer wieder fingen wir uns die scheelen Blicke der Breeländer ein und ich wusste, dass Viola noch vor dem Morgengrauen von meinem Treffen mit Olórin erfahren würde, aber das liess sich nun nicht mehr ändern. Ich erzählte Gandalf von meinem Leben weit im Osten von Mittelerde, vom Volk von Cuiviénen, dessen Anführerin meine Mutter war, und von meinem Vater, dem blauen Zauberer Alatar, der mein magisches Erbe entdeckte, als ich sechs Jahre alt war und mich seither zur Magkylira ausgebildet hatte. Ich erzählte ihm von meinen Geschwistern, meiner Schwester und meinen Brüdern, die allesamt das elbische Erbe meiner Mutter angetreten hatten.
«Und ihr führt eure Erblinie auf Finwe, den ersten Fürsten der Noldor, und sein erstes Kind und seine einzige Tochter zurück, die mit ihrer Mutter in Cuiviénen verblieben ist, als der Rest ihres Volkes nach Westen zog», sagte Gandalf ehrfürchtig. «Damit bist du eine entfernte Cousine von Elrond, dem Halbelben, wusstest du das?»
Nein, wusste ich nicht und es interessierte mich auch nicht sonderlich. Das brachte mich nicht weiter. Gandalf schmunzelte darüber und fragte mich dann, weshalb mein Vater mich nach Westen geschickt hatte, wo mein Volk meine Hilfe im Kampf gegen Sauron doch dringend benötigte.
«Cuiviénen hat bereits einmal gegen einen Maiar bestanden, ganz ohne die Hilfe zweier Magkylir, hat meine Mutter gesagt, und mit deren Hilfe werden sie es dieses Mal auf jeden Fall schaffen, da brauchen sie nicht unbedingt eine dritte Magkylira, wenn diese eine wichtigere Aufgabe im Westen zu erledigen hat.» Ich lächelte müde – trotz ihrer Beteuerungen war ich mir da nicht sicher.
Gandalf horchte auf. «Eine dritte Magkylira? Bedeutet das ... Pallando ...?»
«Ja, er ist noch am Leben und soweit ich weiss, geht es ihm gut. Er ist von Cuiviénen weiter nach Süden gezogen, nach Murmenalda, wo die ersten Menschen erwachten. Dort hat er einige von ihnen um sich geschart und kämpft ebenfalls gegen den Feind.»
Gandalf sah erleichtert aus. «Das sind die besten Neuigkeiten, die ich seit langem erhalten habe. Aber ... weshalb hat Alatar dich nach Westen geschickt?»
Ich erzählte ihm von meinem Auftrag, mich Curumo, dem Obersten des Ordens der Magkylir, vorzustellen, um von ihm in eben jenen Orden aufgenommen zu werden, dass ich aber das Schreiben meines Vaters verloren hatte – es vermutlich von Langfinger gestohlen worden war – und davon, dass Aiwendil mir erklärt hatte, dass Curumo mich ohne dieses Schreibens wohl kaum aufnehmen würde. «Es sei denn, du bürgst für mich», erklärte ich und sah Gandalf forschend an.
Nachdenklich sah Gandalf mich an. «Auch das wird Curumo – oder Saruman, wie ihn die Menschen nennen – wohl nicht überzeugen, wenn er es sich in den Kopf setzt. Er ist sehr stur und besonders in letzter Zeit lässt er kaum mit sich reden. Ich kann für dich bürgen, wenn du das möchtest, Calenna, aber schlussendlich ist es ganz und gar Sarumans Entscheidung und ich muss dir ehrlich sagen, dass ich nicht sicher bin, ob er gewillt ist, eine Frau in unseren Orden aufzunehmen, selbst wenn es sich bei ihr um eine so begabte, junge Istari handelt, wie es bei dir zweifellos der Fall ist.»
Ich nickte, betrübt ob dieser Antwort.
«Aber du solltest es auf jeden Fall versuchen», ermutigte mich Gandalf. «Mehr als eine Abfuhr kann er dir nicht erteilen und selbst dann kannst du immer noch gegen den Feind vorgehen.»
«Aber wie?», fragte ich verzweifelt. «Ich kann nicht nur die Verwüstung aufräumen, die er hinterlässt. Ich will etwas gegen ihn tun, gegen ihn direkt.»
Gandalf nickte verstehend. «Du könntest dich den Soldaten Gondors anschliessen. Sie kämpfen Tag und Nacht gegen den Feind. Sie können jedes Schwert gebrauchen, das sich ihnen anschliesst, besonders, wenn es in so erfahrenen Händen liegt. Und ein bisschen Zauberei würde ihnen ebenfalls helfen, auch wenn ich dich warnen muss: Sie sind sehr misstrauisch gegen jegliche Art der Magie. Und natürlich wirst du dich weiterhin als junger Mann ausgeben müssen. Du könntest dich ihnen als junger Rekrut von ... sagen wir fünfzehn Jahren anschliessen.»
Ich seufzte. Es war nicht gerade einfach, meine Weiblichkeit zu verbergen, wenn ich über längere Zeit unter Leuten war. Meine Monatsblutungen machten es mir jedes Mal ziemlich schwer. Es grenzte an ein Wunder, dass Viola als Heilerin und Frau bisher keinen Verdacht geschöpft hatte.
«Nur Mut», sagte Gandalf. «Du wirst einen Weg finden zu kämpfen, da bin ich mir sicher. Schlafe ein paar Nächte darüber. Ich werde in nächster Zeit öfters hier sein, dann können wir das alles genauer besprechen. Ich bin zu einer Party eingeladen und muss noch bei einigen Vorbereitungen helfen. Ein Freund von mir wird bald seinen einhundertelfzigsten Geburtstag feiern, ein stolzes Alter für einen Hobbit und das will natürlich gefeiert werden», sagte er schmunzelnd.
*****
Wie ich erwartet hatte, hatte Viola bereits von meinem Spaziergang mit dem grauen Zauberer erfahren, als ich spät abends – oder früh morgens, je nachdem, wie man das betrachten wollte – ins Haus des Heilers von Bree, bei dem wir während unseren Besuchen hier unterkamen, zurückkehrte. Und wie ich ebenfalls erwartet hatte, war sie alles andere als erfreut.
«Wenn du willst, dass die Leute hier dir vertrauen, Cal, ist es keine gute Idee, sich mit Landstreichern und zwielichtigem Pack wie diesem angeblichen Zauberer abzugeben. Du musst dir bewusst sein, welchen Eindruck du damit machst. So wirst du auch in den nächsten Jahren nichts anderes zu tun bekommen, als heisses Wasser zu kochen und schmutzige Tücher zu waschen, ganz egal, wie beeindruckend deine Fähigkeiten sind.»
«Gandalf ist ein alter Freund meines Vaters. Es wäre unhöflich gewesen, nicht mit ihm zu sprechen», verteidigte ich mich.
Viola sah mich schockiert an. Ich sprach selten, eigentlich nie, von meiner Familie und sie schien nicht gerade erfreut zu erfahren, dass mein Vater sich in solchen Kreisen bewegte. «Du solltest es dennoch unterlassen», sagte sie streng. «Und jetzt leg dich schlafen, wir haben morgen viel zu tun.»
In einem Punkt behielt sie auf jeden Fall recht. Die Leute begegneten mir am nächsten Morgen misstrauischer als sonst und die junge Frau, der wir kurzfristig bei der Geburt ihres Kindes helfen sollten, bei der es Komplikationen gab, wollte sich von mir nicht helfen lassen. Es war schrecklich mitanzusehen, wie sie schrie und die Schreie dann immer leiser wurden, je länger die Prozedur andauerte und je mehr Blut sie verlor. Viola und auch die Schwägerin der werdenden Mutter und die Mutter deren Mannes konnten nichts anderes tun, als die junge Frau immer wieder zum Pressen zu ermutigen und ihr zu versichern, dass sie es fast geschafft hatte und es gleich vorbei sein würde. Doch es ging nicht vorbei. Es dauerte viel zu lange. Ich bat die Frauen, mich der werdenden Mutter helfen zu lassen, doch sie wiesen mich zurück: Als 'Mann' und noch dazu als Fremder, sollte ich eigentlich gar nicht mit ihnen im Raum sein. Und so konnte ich nichts anderes tun als zuzusehen, wie die Frau immer schwächer wurde und langsam starb, während sich ihr Kind auf die Welt quälte und schliesslich der Schrei des Säuglings die Anspannung im Raum zerschnitt.
Die drei Frauen atmeten erleichtert auf, als wenigstens das Leben des Säuglings gerettet war. Viola schickte die frischgebackene Tante und Grossmutter mit dem Säugling aus dem Zimmer, um das Kind dem Vater und dem Rest der Familie zu präsentieren. Nach einem kurzen, letzten Blick auf die Sterbende verliess auch Viola den Raum, um dem Vater beizubringen, dass er jetzt zwar ein Kind hatte, seine Frau jedoch starb.
Nun war ich allein mit der jungen Frau im Zimmer, die bereits alle Farbe verlor. Ich eilte zu ihr hinüber und kniete mich neben sie, missachtete ihre schwachen Proteste und legte ihr die Hand auf die Stirn. Und dann geschah es wieder, wie bereits bei Gilraen in Bruchtal.
Ihr Name war Iliane. Wie die meisten anderen lebte sie bereits ihr ganzes Leben lang im Breeland, doch anders als die meisten anderen, hatte sie das Leben ausserhalb dieses kleinen Fleckens schon immer fasziniert. Als Kind hatte sie sich manchmal unbemerkt ins Gasthaus zum Tänzelnden Pony geschlichen und den Geschichten gelauscht, die die Fremden dort erzählten. Der Wirt hatte sie öfters erwischt als sie zählen konnte, war aber meistens ziemlich nachsichtig gewesen, wenn er sie herausgeworfen hatte und hatte zu ihrem Glück ihrem Vater nie etwas davon erzählt. Nein, es war ein junger Mann aus Bree gewesen, der sie einmal erwischt und zu ihrem Vater geschleift hatte. Es war das Schlimmste gewesen, das sie jemals erlebt hatte, als ihr Vater auf sie losgegangen war, nachdem er erfahren hatte, dass sie sich spät abends in dem Gasthaus umhertrieb, das im ganzen Breeland die meisten Fremdländer anlockte.
Ob sie denn keinerlei Ehrgefühl habe, sich unter all diesen fremden und schmutzigen Männern zu bewegen. Ein leichtes Mädchen würde sie werden, wenn sie so weitermachte. Oder war sie schon eins? War sie schon eins, Töchterchen? Seine Schläge waren brutal gewesen und der junge Mann, der sie zu ihrem Vater geschleift hatte und immer noch da war, kam ihr nicht zu Hilfe. Der Mann, der später einmal ihr Ehemann werden sollte und sie keinen Deut besser behandelte, als ihr Vater es getan hatte. Auch er schlug sie und durch die Heirat mit ihm war sie für immer an ihn, sein Haus und diesen winzigen Flecken Erde, der sich das Breeland nannte, gefesselt. Jeglicher Traum von Abenteuern, den sie als kleines Mädchen gehegt hatte, war für immer vernichtet. Dann hatte er ihr gewaltsam dieses Kind aufgebürdet und nun würde dieses kleine, unschuldige Wesen, dass sie liebgewonnen hatte, bevor es überhaupt geboren wurde – ganz egal unter welch schrecklichen Umständen dieses Leben zustande gekommen war – diesem Rüpel hilflos ausgeliefert sein. Sie fühlte sich schuldig, ihr Kind im Stich zu lassen und war doch gleichzeitig froh, dass es endlich vorbei sein würde, dass das Leiden endlich zu Ende war. Endlich wich der Schmerz aus ihren Gliedern, der schon viel zu lange dort verharrte. Ihre Gedanken wurden klarer und ihr wurde die heisse Hand bewusst, die auf ihrer Stirn lag und die schwarzen Augen des jungen Heilers, den sie eben noch bestimmt vom Kindbett weggewiesen hatte. Nun war er der Einzige, der noch bei ihr war, während ihre Schwägerin und ihre Schwiegermutter sie bereits aufgegeben hatten. Genau wie die Heilerin. Nur der junge Mann mit diesem makellosen, jungen Gesicht, dem irgendwie süssen, strubbeligen, schwarzem Haar und diesen faszinierenden, unergründlichen Augen so schwarz wie die Nacht.
Mit einem Zischen zog ich die Hand weg, als hätte ich mich verbrannt. Das war mehr gewesen, als ich mit meiner Magie eigentlich bezwecken wollte. Und vermutlich würde die junge Mutter – Iliane – es auf Dauer auch nicht zu schätzen wissen. Dieser Mann, ihr Ehemann, dessen Aufgabe es eigentlich war sie zu beschützen und der sie so schändlich behandelte... Am liebsten hätte ich nach meinem Schwert gegriffen und den Mann dazu gebracht, Iliane nie wieder so zu behandeln, aber leider – oder zum Glück – hatte ich es im Haus des Heilers zurückgelassen. Aber ich hatte immer noch meinen Dolch ... und natürlich meinen Stab, den ich nun ergriff. Ich hatte mehr getan, als gut war und die Leute würden misstrauisch sein, soviel war klar.
«Schlaf, Iliane, schlaf!», murmelte ich. Das letzte Wort sprach ich in der Sprache der Macht und augenblicklich fielen der jungen Frau die Augen zu.
Keine Sekunde zu früh, denn bereits im nächsten Moment kam ein vierschrötiger Kerl in den Raum gestürmt und lief mit hochrotem Gesicht zu Iliane hinüber, wobei er mich grob zur Seite stiess.
«Nein! Du darfst nicht sterben! Du darfst nicht!», schrie er und ballte die Hand zur Faust. Wütend wollte er sie auf Ilianes Brust niedersausen lassen, doch ich war schneller und riss seinen Arm zur Seite.
Warnend sah ich ihn an. «Wenn sie Glück hat, wird sie es überleben – aber nicht, wenn du sie weiterhin so behandelt wie bisher. Sie ist eine Frau, ein Mensch wie du, also behandele sie auch so und nicht wie ein Stück Vieh!», zischte ich.
«Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein, Junge!», knurrte der Mann zurück. «Und jetzt verschwinde, ich habe nicht zugestimmt, dass du mein Weib behandelst!»
Mir blieb nichts anderes übrig, als seinem Befehl Folge zu leisten. Mit einem letzten wütenden Blick in seine Richtung und einem besorgten in Ilianes verliess ich den Raum und das Haus.
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