Pyramidenmarkt in Sendari - unterirdisch
Am Fuße der Treppe, die sie kurz hinabstiegen, war ein weiterer Raum mit verschiedenen Materialien, um die Fakirkunst auszuüben. Irinia blieb stehen und betrachtete die Auslagen fasziniert, während Anisa durch die große Fensterfront nach draußen starrte. Eine breite Straße die parallel zu der Ladenstraße oberhalb verlief, schlängelte sich an ihnen vorbei. Gegenüber war ebenfalls ein Schaufenster in einen Bäckerladen, der aber noch geschlossen war. Jedoch sah man durch die Schatten an den Vorhängen, dass dahinter schon geschäftiges Treiben vor sich ging.
An der Seite neben der Tür war eine kleine Zahl, ganz ähnlich der an den Ständen und Anisa versuchte sie zu entziffern: „8871".
„Wie viele Etagen führen hier noch hinab", erkundigte sie sich.
Der Fakir schüttelte den Kopf. „Fremde sollten nicht wissen, was hier geschieht. Fragt mich nicht weiter, ihr erhaltet keine Antwort", erwiderte er brüskiert.
„Ich war schon hier", bemerkte Irinia und warf ihr einen warnenden Blick zu. „Es ist nur schon so lange her, dass die Erinnerungen sich vermischen. Meine Mutter war damals mit mir noch weiter unten."
Die Züge des Mannes entspannten sich wieder.
„Dann frag nicht so blöd", fauchte er und deutete auf ein kleines Messer.
„Schneide dich in den Daumen", beschied er Anisa.
„Ehm, bitte was", kam die überraschte Antwort.
„Deshalb seid ihr doch hier? Oder nicht? Wir können auch wieder hochgehen", warnte der Mann verschlagen.
Anisa packte das Messer und stach sich sacht in den Daumen, so dass ein einzelner Blutstropfen austrat. Der Fakir fing den Tropfen auf und betrachtete ihn genau, dann schüttelte er den Kopf.
„Dich muss ich leider enttäuschen. Keine Fakirmagie in dir", verkündete er mit gehässigem Unterton und schluckte das Blut.
„Energie sollte man nie einfach verpuffen lassen", nuschelte er, während er das Messer Irinia reichte. Anisa starrte ihn entsetzt an, zum zweiten Mal hatte ihr jemand Blut gestohlen. Die Künstlerin nahm die kleine Waffe feierlich entgegen und stach sich ebenfalls vorsichtig in den Finger, aber sie überließ dem Mann nicht den Tropfen, sondern fing ihn tapfer selber auf. Er beugte sich herüber und betrachtete das Blut neugierig, dann sickerte es einfach zurück in Irinias Haut.
Verblüfft starrten die Mädchen auf die Handfläche, während der Fakir begeistert klatschte. „Nun denn. Ab in die nächste Etage", rief er.
Er pfiff drei Mal und eine weitere Tür öffnete sich. Sofort lief er eilig hinunter und die Zwei folgten ihm. Die Fensterscheibe war dieses Mal mit Papier abgeklebt und der Raum wirkte düster.
Hier brannte ein Kohleofen. Er stellte einen Kessel Wasser auf und legte drei Fladenbrote darauf. Danach schaufelte er Kohle aus einem riesigen Bottich in den Ofen, während er sie zu einem Tisch gestikulierte, an dem sie Platz nahmen.
Dann brachte er ihnen einen heißen Tee und warmes Brot.
Sie aßen schweigend und schließlich erhob sich der Fakir und betätigte einen Hebel am Ofen, so dass die glühenden Kohlen geräuschvoll in eine Schale rutschten.
Er nahm die Kohleschale auf und schüttete die Glut in ein Becken, dann trat er langsam hindurch. „Du bist dran", lud er Irinia mit einer huldvollen Verbeugung ein, als er hindurchgegangen war.
Das Mädchen starrte ihn an. „Aber, aber, das kann doch nicht dein Ernst sein?", flüsterte sie leise.
„Du weißt, ob es in Ordnung ist. Oder eben nicht", mahnte er ruhig.
„Ich glaube, wir sollten einfach gehen", mischte sich Anisa ein, aber der Fakir brachte sie mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen.
Das Mädchen zitterte und hielt ihre Hand über das Kohlebecken, ihre Haut kräuselte sich schmerzhaft vor Hitze und sie zog sie hastig zurück. Dann betrachteten alle die Brandwunde, die sich rasch zurückzog.
„Hmm", machte der Fakir und klatschte drei Mal, offensichtlich reichte ihm die Heilung der kleinen Brandwunden als Eignungsbestätigung bereits. Eine weitere Luke öffnete sich und sie wurden über eine Treppe in einen Raum geführt, in dem ein Nagelbrett lag.
„Ohoh", murmelte Irinia unsicher, während Anisa an das Schaufenster trat. Gegenüber war ein Blumengeschäft, wobei sie sich wunderte, wie an so einem dunklen Ort Pflanzen wachsen konnten, an dem eine weitere Zahl angebracht war: „8879".
„Wie ist das denn möglich?", flüsterte sie überrascht.
Aber niemand beachtete sie. Der Fakir zeigte Irinia gerade, wie man das Brett mit den äußerst spitz anmutenden Nägeln betrat.
Vorsichtig wagte die Künstlerin sich auf die Nadelspitzen und verteilte ihr Gewicht, um den Schmerz nicht auf einen Punkt zu konzentrieren, so wie der Fakir es ihr kurz zuvor geraten hatte.
Sie legte sich hin und überall, wo die Nadeln sie gestochen hatten, blieben rote Stellen zurück, die gleich darauf verschwanden.
„Komm hoch", befahl der Mann und stampfte drei Mal. Erneut kamen sie in einen neuen Raum, der mit lauter Fackeln an den Wänden ausgeschmückt war. Eine düstere Stimmung herrschte vor, in deren Mitte eine schwarz gekleidete Frau stand und die Feuer um ihren Körper herumwirbelte. Dazu nutze sie Stöcke oder Metallschalen und vollführte dabei akrobatische Bewegungen.
Die Flammen zogen Schlieren um ihre Gestalt, während die Mädchen staunend verharrten. „Wunderschön", murmelte Anisa und Irinia war einmal sprachlos.
Plötzlich klopfte es an die Scheibe. Tobian stand davor und winkte. Neben ihm befand sich mit skeptischer Mimik Zanzia. Immerhin Glühbirnchen war weit und breit nicht auszumachen.
Die ehemalige Bibliotheksanwärterin lief hinüber und bemerkte das Schildchen gegenüber, das an einem Bücherladen angebracht war: „8877".
„Oh", entfuhr es Anisa und sie deutete auf das Schild. „Wir sind jetzt in der 8888."
„Das kann doch gar nicht sein", maulte Irinia.
„Doch das stimmt", erklärte die feuerwerfende Frau und kam zum Stillstand.
Die Ladentür öffnete sich und Tobian und Zanzia stürmten herein. Die Freunde fielen sich erleichtert in die Arme und Anisa meinte schließlich: „Hier. Ich muss euch noch Irinia vorstellen. Ohne sie wäre ich jetzt nicht hier. Sie hat mir aus meinem Gefängnis bei Bantea geholfen."
Tobian zog sie kurzerhand ebenfalls in eine Umarmung und murmelte so etwas, wie „Anisas Freunde sind auch meine Freunde."
„Du hast mir gar nicht gesagt, dass sie bei Bantea war", beschwerte sich Zanzia, der das zu viel Gefühlsduselei war.
„Wann denn? Wir sind doch gerade erst Glühbirnchen los", meinte der Bibliotheksanwärter, woraufhin die Scheinautorin ihn prüfend betrachtete und dann schnippisch hinwarf: „Durch Egios zum Beispiel?"
„Wir sollten wieder hoch gehen", unterbrach Anisa die beiden. „Noch ein Freund wartet da, weil wir nicht ganz sicher waren, ob ihr hier runterkommt."
„Was denkst du denn?", antwortete Zanzia entrüstet. „Wir Scheinautoren haben überall unsere Finger im Spiel."
Ein Hüsteln erklang. Der Fakir bemerkte Irinia: „Die Prüfung des Feuers ist die letzte – vorerst. Bei Bestehen wirst du in unsere Schule aufgenommen."
Die Künstlerin blickte auf die Metallgefäße und dann fast schüchtern zu Anisa. „Ich würde es gerne versuchen", verkündete sie und trat zu der Frau, die alles, ohne eine Regung zu zeigen, beobachtet hatte.
Diese überließ ihr eine Feuerschale und meinte: „Fass hinein."
Irinia zögerte nicht lange und kam der Aufforderung nach. Erschrocken zuckte ihre Hand zurück und sie sahen alle geschockt, wie sich ihre Haut schälte und Brandblasen warf. Ein gequälter Laut entfuhr der Künstlerin.
„Das ist doch Wahnsinn", rief Tobian und Anisa schnappte sich die verwundete Stelle und pustete zaghaft. Es dauerte nicht lange und die Haut bildete sich neu und ein paar Sekunden später, war es, als wäre nichts passiert.
„Das ist ja unglaublich", rief Irinia voller Enthusiasmus.
„Ich finde es ekelerregend. Aber jeder, wie ihm beliebt", kommentierte Zanzia trocken.
„Beim Wustu. Du bist nicht verletzt", freute sich Anisa und Tobian starrte nur argwöhnisch auf die Hand, so als ob sie jeden Moment wieder Blasen werfen würde.
Der Fakir klatsche. „Wunderbar. Trania bringt dich in die Akademie", bestimmte er und klopfte sich drei Mal auf den Oberschenkel. Da öffnete sich nicht eine Treppe nach unten, sondern nach oben und die Geräusche des Marktes drangen zu ihnen.
„Danke", sagte Irinia. „Aber nein Danke."
„Das ist inakzeptabel", erwiderte der Mann, jedoch unterbrach die Frau ihn kurzerhand: „Falls du es dir anders überlegst. Unsere Tür steht dir offen."
Dann wandte sie sich wieder ihrem Feuertanz zu. Der Fakir starrte die Künstlerin voller Wut an, aber er rührte sich nicht. Die Gruppe verließ die beiden schließlich und erklomm die Treppe.
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