Pyramidenmarkt in Sendari - oberirdisch
Rasch schritte sie den beiden hinterher. Es war Irinias Idee gewesen, sich hier mit Tobian zu treffen. Er wollte sich ebenfalls von der Bibliothek absetzen, um mit Egios nach Zinoka zu reisen. Dafür brauchte er Hilfe.
Die Künstlerin war schon viele Male in die Pyramidenstadt gereist und kannte sich bestens aus. Sie hatte auch den Vorschlag mit der Standnummer als Treffpunkt gemacht. Sie schlichen durch die verlassenen Gassen und setzten sich schließlich in die abgebrannten Überreste eines alten Stalles, wo sie den Rest der Nacht verbringen wollten.
Leise murmelten sie noch eine Weile und planten ihre nächsten Schritte für den folgenden Tag. Dann wurde es still und sie nickten nacheinander ein.
„Verschwindet hier", zischte plötzlich eine weibliche Stimme und sie alle schreckten hoch. Eine dunkel gekleidete Gestalt stand im Schatten einer fast vollständig eingestürzten Wand und rührte sich nicht.
„Warum sollten wir?", erwiderte Taunilus bedrohlich und sprang auf, er war groß und überragte den Eindringling um mindestens zwei Köpfe.
„Passt schon", mischte sich Irinia ein und packte gehetzt ihre Sachen zusammen. „Waren niemals hier."
„Aber warum? Wir sind drei und sie nur eine, zudem", entgegnete der Meermann unwillig, jedoch unterbrach die Künstlerin ihn rüde und zog ihre zwei Begleiter mit sich.
Als sie die Umrisse der Ruine aus dem Blickfeld verloren hatten, atmete Irinia sichtlich aus.
„Verdammt. Hier macht ihr, was ich sage. Diese Stadt wird von den Assassinen beherrscht. Wenn dir hier jemand, der dunkel und unheimlich aussieht, sagt, dass du etwas tun sollst, dann tust du das, ok!?", erklärte sie, immer noch unsicher um sich schauend.
Anisa starrte daraufhin ebenfalls ängstlich herum. „Assassinen. Oh beim Wustu", jammerte sie.
„Ehm, was sind Assassinen?", wollte Taunilus nüchtern wissen. „Ok, ihr habt beide Angst, aber ein Mann kann doch nicht so schlimm sein. Oder haben sie Magie? Verdammt, warum hast du das nicht gleich gesagt", herrschte er sie an.
„Sie haben keine Magie und trotzdem zählen sie zu den gefährlichsten Wesen ganz Aktunostras. Sie schlagen zu, wenn du nicht damit rechnest. Normalerweise, zeigen sie sich dir gar nicht", erklärte Anisa und Irinia fügte an: „Auftragskiller mit Gewissen. Niemand weiß wirklich etwas über sie."
„Faszinierend", kommentierte der Meermann.
„Die Sonne geht bald auf. Vielleicht gehen wir einfach zum Markt und holen uns ein frühes Frühstück", schlug die Künstlerin vor.
„Falls wir nicht auf der Strecke von diesen Assassinanten angegriffen werden. Wer weiß, was der wollte!", murmelte Taunilus.
Am großen Pyramidenmarkt schlenderten sie durch die Stände. Noch nicht alle waren geöffnete, aber ein paar Nachtgeschäfte gab es. Sie verspeisten ein Backfischfladen und setzten sich dann müde an den Rand.
Irinia machte sie auf die kleinen Zahlen aufmerksam, die jeder Stand an seiner Seite aufgemalt hatte, und so schlängelten sie sich auf der Suche nach der „8888" – ihrem Treffpunkt – über die riesige Freifläche.
Es dauerte etwas, bis sie das System teilweise verstanden hatten. Alle Stände bestanden aus vier Ziffern und begangen mit einer „8" im Tausender, was sie vermuten ließ, dass der Markt diese Nummer hatte.
Der Hunderter richtete sich nach den zehn Reihen, die Gassen bildeten.
Die nächste Zahl war auch noch leicht zu bestimmen, denn der Zehner bestimmte die Nummer innerhalb der Zeile, in der sie sich befanden. Jedoch auf der rechten Seite zählten gerade Zahlen aufwärts an der linken die Ungeraden.
Aber die letzte Zahl erschloss sich ihnen nicht. Der komplette Markt hatte immer eine „0" als hinterste Ziffer.
„Wieso ist dir das nicht aufgefallen?", schimpfte Anisa mit Irinia.
Diese wehrte sich und behauptete steif und fest, dass sie sich an alle Zahlen im Einer erinnerte, als sie als Kind den Markt besucht hatte.
„Vielleicht haben sie etwas geändert?", vermutete Taunilus.
So standen sie schließlich vor der „8880". Ein eher unscheinbarer Laden, an dem ein Fakir saß und sein Können lustlos auf einer Bühne feilbot.
Eine überdimensionale Werbung war aufgestellt und warb für die Fakirschule in Sendari. Der Mann lief barfuß über brennende Kohlen, schluckte Schwerter und legte sich schließlich auf ein Nagelbrett, als er bemerkte, dass sie stehen geblieben waren.
Der Meermann beobachtete mit offenem Mund, wie jede Wunde nach kurzer Zeit wieder heilte.
„Ich kann auch den ganzen Arm abschneiden", rief der Fakir ihnen zu und grinste von einem Ohr zum anderen. „Aber dann müsst ihr euch schon hier ausprobieren. Wir suchen immer Neuanwärter und gerade junge Obdachlose. Jedoch braucht es Mut für den Eignungstest."
„Wir sind doch keine Obdachlosen!", rief Irinia entgeistert und versuchte, die beiden weiterzuschieben. Aber Taunilus blieb stehen. „Was passiert, wenn du ihn dir abschneidest?", wollte er wissen und deutete auf den Arm.
Irritiert erwiderte der Mann den neugierigen Blick und Anisa flüsterte: „Er wächst nach." In die Richtung des Fakirs erklärte sie: „Er meint, wie das funktioniert mit dem Nachwachsen. Ist da Magie im Spiel?"
„Ich antworte nur, wenn ihr mit nach unten kommt", verlangte der Mann und verschränkte die Arme. „Die ersten Tests sind nicht schlimm und die meisten fallen gleich durch."
„Nach unten?", hakte Irinia sofort interessiert nach.
„Ihr wisst auch wirklich gar nichts, oder? Eigentlich sollte ich mich nicht mit euch aufhalten, aber hab gerade nix besseres zu tun", seufzte er und schnippte drei Mal mit dem Fingern. Kurz darauf öffnete sich eine Luke in die Erde und ein Kopf tauchte auf.
„Gibt es tatsächlich Kundschaft?", fragte dieser und bemerkte sie auch schon.
„Wie außergewöhnlich", flötete er und nahm den Platz auf dem Nagelbrett ein. Der erste Fakir deutete mit einem Kopfnicken an, ihm zu folgen, dann verschwand er in der Bodenöffnung.
„Es muss im Untergrund mehrere Stockwerke geben", murmelte Irinia aufgeregt. „Das erklärt, dass ich das Gefühl hatte nach oben und unten gegangen zu sein."
„Das sagst du natürlich erst jetzt", seufzte Anisa und verdrehte genervt die Augen.
„Ihr zwei solltet gehen, Irinia kann schließlich, was der Typ da kann", raunte Taunilus ihnen zu.
„Da runter bringen mich keine zehn Haie, da ist haufenweise Magie. Ich für meinen Teil halte wirklich lieber hier die Stellung. Tobian kommt sicher auch hierher." Die Mädchen starrten ihn entgeistert an. „Und das sagst du erst jetzt", zischte Anisa. „Wir müssen dringend an unserer Kommunikation arbeiten."
„Wieso, du hast doch nicht gefragt?", erwiderte Taunilus entrüstet, während Irinia fasziniert ihre Hände anstarrte und sie hin und her wandte.
„Pritana frag ihn mal", murmelte Anisa in ihre Tasche, spürte aber nicht den Bedarf des Libros, ihr etwas mitzuteilen.
„So schnell gibt es wohl keine Antwort", erklärte sie leise.
„Dann bleib halt hier, Angstfisch. Ich mag jetzt unbedingt mehr erfahren", meinte Irinia und grinste über ihren eigenen Witz den Meermann an.
„Wann hast du dich das letzte Mal eigentlich eingeschmiert?", erkundigte sich Anisa. „Ist es wirklich ne gute Idee hier oben zu bleiben?"
Taunilus stotterte überrascht: „Ich – ich – ja das passt. Als ihr geschlafen habt, konnte ich mich einreiben. Das reicht noch ne Weile." Dann verschränkte er die Arme vor der Brust und sah gar nicht glücklich aus.
„Dann bis später. Man ist das aufregend", verkündete Irinia und folgte dem Fakir, der inzwischen seinen Kopf aus dem Loch streckte und sie neugierig beobachtete.
„Ich finde nicht gut, wenn wir uns trennen", überlegte Anisa.
„Einer sollte hier bleiben. Da hat er schon recht und wir sollten nachschauen, ob Tobian hier ist", rief die Künstlerin von unten.
Das Mädchen seufzte und meinte: „Das letzte Mal war auch keine gute Idee."
„Ich bleibe hier, mach dir keine Sorgen", erklärte Taunilus unbehaglich.
„Ok", raunte Anisa und hörte Irinia von unten den Fakir fragen, ob er einen anderen Jungen getroffen hatte, der nach ihnen Ausschau gehalten hatte. Aber die Anfrage wurde verwundert verneint.
„Bis später", murmelte der Meermann.
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