Meernixen
Eine Gestalt löste sich von der Gruppe und schoss direkt auf Taunilus zu. „Freund!", dröhnte eine tiefe Männerstimme und riss den Meermann in eine Umarmung, dann erklang ein Grollen in Richtung der anderen Meermenschen und ein Gezischtes: „Nicht Freund" ertönte.
Die Königin hinter der Grenze flüsterte: „Bist du sicher, dass es so sein soll, mein Sohn? Der Thron bleibt unbesetzt. Das bedeutet viele Jahre Krieg unter unseren Völkern."
Mit erhobenem Kinn erwiderte Taunilus: „Ihr wollt es nicht anders, wenn ihr gegen mich seid. Ich gebe dem da nicht den Thron freiwillig." Die Wut in den Augen seiner Eltern war unübersehbar. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und die Gruppe verschwand in der Dunkelheit.
„Nicht gut", sagte die Meernixe neben ihnen und nahm Taunilus Hand. „Traurig?", fragte er. Der Meermann antwortete nicht, sondern schloss nur gequält die Augen.
„Irgendwann erklärst du mir bitte, was hier eigentlich los ist", flüsterte Anisa und legte anteilnehmend ihre Hand auf seine Schulter.
„Menschen", erklang eine andere, dieses Mal weibliche Stimme.
„Darf ich vorstellen. Meine Freunde: Anisa, Tobian und Irinia", stellte Taunilus sie der Reihe nach vor.
„Dürfen mitkommen", bestimmte eine weitere Meernixe, woraufhin sich die Gruppe in Bewegung setzte. Sie schwammen weg von der Grenze und nahmen die vier Grenzgänger in ihre Mitte.
Nach einer Weile erreichten sie den Strand. Anisa fiel auf, dass die neuen Meerwesen, wie sie Beine hatten und keine Fischschwänze. Unbekümmert gingen sie einfach an Land, während Taunilus zuerst zögerte, dann aber ebenfalls den Sand betrat, ohne sich vorher einzuschmieren.
„Wie kann das jetzt sein?", erkundigte sich Tobian entrüstet.
„Es ist meine Gabe. Aber es ist ein Geheimnis, nicht einmal meine Leute wissen das und denken, dass ich die Paste brauche. Tut mir leid, dass ich nichts gesagt habe", murmelte er verschämt und blickte entschuldigend zu Anisa.
„Ich hab mir das schon in Zinoka gedacht. Die Zeit war einfach zu lang. Außerdem wusstest du manchmal zu viel über uns, als dass du nicht doch öfter mit Menschen zusammen gestoßen bist", meinte das Mädchen aber nur lächelnd.
„Wir wissen", kommentierte die Meernixe stolz, die Taunilus zuerst begrüßt hatte.
Traurig nickte der Meermann: „Ich wohne seit einem halben Jahr in eurer Welt oder den Gebieten der Drachen, Meernixen und sogar Haiterritorien, um mich zu verstecken. Meine Leute wollen Krieg, aber ich bin dagegen und ohne mich oder einen anderen auf dem Meeresthron werden sie sich nicht vereinen. Es gibt leider nicht viele, die so denken wie ich. Aber immerhin die Meernixen, sind meine Verbündeten."
„Freund", bestätigte eine weitere Stimme.
Sie erreichten die ersten Palmen und Kinder tauchten in den Büschen vor ihnen auf. Kleine grüne Köpfe mit lila Haaren beäugten sie kritisch und liefen dann lachend davon.
„Kind sein schön", seufzte eine Stimme hinter ihnen und die Gruppe nickte andächtig.
„Selbst Kind, laufen mit", sagte jemand anderes und die Vier schauten sich an. Taunilus zog Anisas lachend mit sich. Tobian wollte ebenfalls Irinias Hand nehmen, die entzog sich ihm aber rasch und starrte ihn entrüstet an. „Keine Sorge. Ich kann das steuern", seufzte er.
„Das Risiko geh ich nicht ein", zischte die Künstlerin und schritt erhobenen Hauptes weiter, während Tobian den anderen beiden nachstürmte. Einige der erwachsenen Meernixen tobten ebenfalls hinterher, allerdings blieben auch ein paar zurück, um höflich mit Irinia zu laufen.
Als sich alle zwischen einfachen Holzhütten wiederfanden, gab es eine fröhliche Vorstellungsrunde. Die Kinder hingen an ihnen wie Kletten und riefen unverständliches Kauderwelsch. Lachten über ihre seltsamen Namen und zogen mal an ihrer Kleidung, ihren Taschen oder anderen Gegenständen. Auch die helle Haut der Besucher war Ursache ausgelassener Diskussionen. Sie kniffen ihnen in die Wangen und rieben über verschiedene Hautstellen und zwirbelten gleichzeitig verträumt an ihren Haaren.
Dabei war die grüne Haut der Meernixen und deren lila Haarpracht mindestens genauso faszinierend. Natürlich war die Reisegruppe an menschliche Hautfarben und ihre unterschiedlichen Brauntöne gewöhnt, Nasikhaut war blau und ein gewöhnlicher Anblick für sie alle. Der grünlich schimmernde Teint ihrer Gastgeber, in Abstimmung mit dem lila Haarschopf, wirkte jedoch fremdartig auf sie. Nur Taunilus schien unbekümmert und verhielt sich zunehmend ausgelassen.
Irgendwann steuerte eine Gruppe älterer Meernixen auf sie zu und blieb in einiger Entfernung stehen, während sie jeden einzelnen der Neuankömmlinge aus dem Meer ausgiebig musterte. Nach und nach legte sich Stille über den Platz.
Ein Mann trat vor, verbeugte sich und sagte zu Tobian: „Tauscht Gedanken."
Zu Irinia gewandt meinte er knapp: „Körper heilt. Schreiberin." Dann drehte er sich zu Anisa und betrachtete sie lange, bis er schließlich andächtig flüsterte: „Verbindung zu Buch. Mächtig." Dann zog ein wohlwollendes Lächeln über sein Gesicht und im Abwenden, murmelte er: „Grün."
„Ich dachte, dass ich keine Gabe habe", erwiderte das Mädchen überrascht und taumelte ein paar Schritte rückwärts. Taunilus neben ihr, fasste nach ihrer Hand und drückte sie sanft: „Das ist auch so. Es ist auf jeden Fall keine magische Gabe, sonst hätte ich sie gesehen."
„Wie gesagt. Du hättest dich mehr mit Zauberliteraten beschäftigen sollen, so wie ich es dir geraten habe", erklang da eine ihnen wohlbekannte Stimme, die sie hier aber überhaupt nicht erwartet hatten.
„Zanzia!", riefen alle durcheinander und starrten zu der Scheinautorin, die um die Ecke einer Hütte gebogen war und sich vor ihnen aufbaute. Die Meernixen zückten ihre Harpunen und richteten sie auf das unerwartet aufgetauchte Wesen.
Pritana flatterte in die absurde Situation als Schmetterling aus Anisas Tasche und setzte sich auf den Boden, dann schlug sie sich als Buch auf. Da stand:
Sie hat ein schwarzes Buch dabei!
„Stimmt", bestätigte Zanzia, nachdem Anisa den Satz laut vorgelesen hatte. „Zumindest war Gritos mal ein Schwarzer. Das ist aber Jahrhunderte her, jetzt ist er ein Libros, wie Pritana und Egios."
Sie hob die Hände und fasste in ihren Umhang und zog einen pechschwarzen Buchband heraus. Gleichzeitig kommentierte der Mann, der auch die Gaben der anderen benannt hatte:
„Wandlerin. Schreiberin."
„Schreiberin soll wahre Autorin heißen, oder?", erkundigte sich Tobian überrascht.
Der Mann sah ihn verständnislos und irritierte an. „Schreiberin. Verbindung zu allen Büchern", bekräftigte er stoisch und in einer Art und Weise, als ob der Bibliotheksanwärter nicht ganz richtig im Kopf sei, ihn nicht zu verstehen.
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