Die Elfenköniginnen
„Ich wähle die Elfen", sagte sie fest. Sofort flatterten die Vier zu ihr und umschwirrten sie dankbar. Ihre sich überschlagenden Stimmen konnte sie nicht auseinanderhalten und verstand so nur ein einziges Wort von dem leisen Geschnatter: Blümchen. Sie hielt jedoch gleichzeitig dem Blick Tobians Vater stand, der emotionslos langsam nickte. Dann öffnete sich die Tür.
„Du bist auf dich allein gestellt, das bringt deine Entscheidung mit sich. Viel Glück, Überwacherin", beschied der Bibliothekar ihr, verneigte sich knapp und trat zur Seite.
Der Überwacher hatte Tränen in den Augen und flüsterte zum Abschied ein paar Entschuldigungsworte. Er war viel zu beschäftigt mit seinem Geständnis, als dass er auf die Situation eingehen hätte können.
Entschlossen schritt Anisa durch das Portal und stand in einem Meer aus Blumen. Alles um sie herum war von Pflanzen bedeckt und leuchtete in jedem erdenklichen Grünton. Das Grün war mit bunten Punkten durchzogen, was die Blütenblätter darstellte und den Blick wie einen Wirbelwind durch die Umgebung führte.
So bemerkte sie erst verspätet, dass der Hügel vor ihr nicht zur Landschaft gehörte, sondern zu einer riesigen Elfenstadt, die vor Leben pulsierte, und deren geschäftig hin und her eilenden Bewohner sie für Blütenblätter gehalten hatte.
Andererseits wurde sie nun nach und nach entdeckt und die Elfen hielten inne in ihrem Treiben, um sie ihrerseits fassungslos zu betrachten.
Einige kamen neugierig näher, bis eine Wache herbei eilte und sie unsicher ansprach: „Ehm, Große? Woher kommst du denn so plötzlich? Hast du eine Genehmigung?"
Anisa legte den Kopf schief und fragte: „Verzeiht, ich wusste nicht, dass ich eine Genehmigung brauche. Kann ich eine Audienz bei eurer Elfenkönnigin haben?"
Die Wache schaute sich um und entdeckte eine Elfe, die krampfhaft versuchte, sich hinter einem Beerenstand zu verstecken. „Ah, Lillis. Du kannst das doch bestimmt übernehmen." An Anisa gewendet erklärte der kleine Mann erleichtert: „Die Beraterin der Königin." Gleich darauf stürzte er durch ein Fenster davon, wobei bei genauerer Betrachtung auch da fraglich war, ob es sich nicht um eine Tür handelte. Bei den Elfen schien das ein und dasselbe zu sein, da sie fliegen konnten.
Die erschrockene Elfe richtete sich auf und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Eh ja, ehm gern", erwiderte sie überhaupt nicht glücklich.
„Wen darf ich denn ankündigen?", fragte sie schließlich, nachdem sie hilfesuchend in die Runde geschaut hatte, sich aber niemand bemüßigt fühlte, einzuschreiten. Jeder schien plötzlich wieder sehr beschäftigt.
„Anisa eine Freundin der Wasiliana", erklärte das Mädchen und versuchte, selbstbewusst auszusehen. Sie log ja nicht, denn bisher hatte sie Irinia tatsächlich als ihre Freundin bezeichnet.
„Oh", entfuhr es der Elfe. „Nun denn, wartet bitte hier."
Dann flatterte auch sie davon. Die anderen taten so, als wäre das Mädchen nicht anwesend, nur vereinzelt erhaschte Anisa Blicke, die sie neugierig prüften.
Es dauerte eine Weile, bis die Beraterin mit einer weiteren Elfe zurückkehrte.
„Ah, da ist ja diese Freundin", kommentierte der Neuankömmling abfällig.
„Wasiliana hat dich noch nie erwähnt", stellte sie dann fest. „Woher kennst du sie?"
„Aus Banteas Villa. Ich war da eingesperrt und sie ist mit mir geflohen", es war immer gut so nah, wie möglich an der Wahrheit zu bleiben.
Die Elfe nickte gnädig. „Nun gut, was willst du hier?", erkundigte sie sich etwas höflicher.
„Das ist geheim. Können wir irgendwo ungestört reden?", erklärte Anisa verlegen. Die Elfe nickte genervt und flog an ihr vorbei in die andere Richtung. Langsam folgte das Mädchen ihr. Irgendwann erreichten sie eine bunte Blumenwiese. In einer der Blüten ließ die Elfenkönigin sich nieder und bedeutete Anisa sich ebenfalls zu setzen. Sie wedelte mit ihrem Zauberstab und die Blumen machten dem Mädchen Platz, bevor diese sich hinsetzen konnte.
„Nun", forderte die Königin streng.
Anisa holte Pritana heraus. „Der Libros soll in das Versteck geschafft werden. Wasiliana hat betont, dass dies heute Nacht geschehen muss und ich einen roten Libros einsammeln darf."
„Du weißt von dem Versteck", erwiderte die Königin verblüfft, jedoch fasste sie sich schnell wieder und schaute verärgert in ihre Richtung.
„Wie ist mein Name?", erkundigte sie sich. Anisa blickte die Elfenkönigin starr an, die langsam zu lächeln anfing. Das war überhaupt das erste Mal, dass sie glücklich zu sein schien.
Die Überwacherin hob die Hand und taxierte das Wesen vor sich, dann erwiderte sie selbstsicher: „Blümchen."
Das Lächeln erlosch.
„Dann folge mir", seufzte die Königin theatralisch und flog weiter. Es gab keinen Weg, jedoch entfernten sie sich von der Elfenstadt.
Nach einer Weile erreichten sie einen See und die Elfe schwang erneut ihren Stab. Das Wasser floss zur Seite und gab einen Weg in einer weitentfernten am Grund liegenden Höhle frei. Ein aus Steinen gelegter Pfad führte hinunter, dem sie eine ganze Weile folgten, bis sie den Höhleneingang betraten. Es war ein weiterer Schlenker mit dem Zauberstab, der das Seewasser zurückfließen ließ. Jedoch blieb es in einem Becken, das ihnen den Rückweg versperrte. Der See war tief und Anisa war sich nicht sicher, ob sie tauchend die Oberfläche erreichen konnte. Mit einem mulmigen Gefühl folgte sie der bereits Weitergeeilten.
Sie betraten eine karge Höhle, in der ein Feuer brannte.
Ein Bücherregal stand darin und die Elfe deutete darauf. „Dort findest du, was du suchst", erklärte sie vage. Anisa trat näher und wusste sofort, dass hier keine Libros lagerten. „Hier sind keine Libros? Wo sind sie?", fragte sie.
Die Königin lächelte. „Na, wenn du das nicht weißt. Kann ich dir leider auch nicht helfen", erwiderte sie nun wieder sehr freundlich grinsend und dann begann sie langsam von zehn runter zu zählen. „10 – 9", säuselte sie.
In ihrem Kopf meinte Pritana: „Ich kann sie spüren. Sie sagen, du musst das Feuer löschen."
„8 – 7 – 6", erklang es lieblich von der Königin.
Anisa sah sich um und nahm eine Gießkanne aus dem Regal, schlenderte zum Becken und füllte diese. Blümchens Blick verfinsterte sich wieder zusehends. Jedoch zählte sie schnell weiter: „5 – 4."
Die Flammen erloschen und das Licht veränderte sich bläulich. Mörderisch starrte die Königin das Mädchen an und folgte jeder ihrer Schritte.
„Da sind sie", murmelte Pritana in ihrem Kopf und Anisa eilte zum Bücherregal. Mitten in der Bewegung hielt sie jedoch inne, als sich quietschend eine Tür öffnete.
Wütend stemmte die Elfenkönigin die Hände in ihre Seite. „Du bleibst hier. Ich bin eine Weile weg, aber ich komme wieder", befahl sie und lief durch die Tür. Ihr Libros verlor keine Sekunde, als sich der Durchgang zu schließen begann. Sie verwandelte sich und flatterte der Elfe hinterher. Mit einem letzten Aufseufzen schloss sich die geheime Tür und die Wand wirkte, als hätte nie ein Portal existiert.
Anisa schnappte sich ein Libros und las da weiter. In hellgrünen Lettern stand dort geschrieben:
Die Königin lief zornig durch die Tür und bemerkte den Schmetterling nicht, der ihr folgte und sich hinter einer Pflanzenranke an einem Wasserfall versteckte. Der Raum war nur durch ein Feuer erleuchtet, das Blümchen mit einem Wink ihres Zauberstabs erlöschen ließ. Eine zweite Tür öffnete sich und die Elfenkönigin lief aufgebracht weiter. Erneut folgte Pritana ihr kurz bevor die Tür sich schloss. In diesem Raum nun, standen Rosen, deren Geflecht sich in jede Ecke, unter alle Decken und am ganzen Boden ausbreitete. Die Rosenblüten hatten unterschiedliche Farben und schienen aus sich selbst zu strahlen. Kleine gleichfarbige Flammen züngelten über den einzelnen Blüten, die Blümchen nun nach und nach mit ihrem Stab erlöschen ließ. Jedes Mal öffnete sich die Knospen darunter, eine ihrer Schwestern erwachte und fing an, sich genüsslich zu recken und zu strecken. Jede Elfenschwester rief der Königin nach ihrem Erwachen zu: „Ach Liebste, hast du immer noch nicht genug? Magst du uns nicht endlich an deiner Seite?" Doch die murmelte nur: „Nimm es mir nicht krumm, aber nein. Noch bin ich nicht müde. Eine Stunde sollt ihr haben – nicht mehr aber auch nicht weniger." Als die letzte Flamme erlosch, öffnete sich eine schneeweiße Blüte in der Mitte des Raumes und Blümchen schlüpfte rasch hinein, bevor sie sich wieder schloss und ein weißes Feuer entflammte. „Eine Stunde, wie immer ist das viel zu kurz", jammerte eine Elfenkönigin und setzte sich an einen Spiegel, um sich zu kämmen. Eine andere rief: „Wie wahr, ich werde kaum genug Zeit haben für mein Training." Schon begann sie im Raum herumzurennen. Die nächste streckte sich verschlafen und meinte müde: „Ach wäre die Stunde nur rum, so dass ich weiterschlafen kann." Dafür erntete sie allerdings nur vernichtende Blicke. Der Schmetterling setzte sich vor die Kämmende und verwandelte sich wieder in ein Buch, das sich aufschlug. „Frag sie, ob sie an den Zauberstab kommt?", rief Anisa aufgeregt. Pritana schrieb:Kommst du an den Zauberstab? Die Elfenkönigin blickte irritiert auf das riesige Buch mit der sich bildenden Schrift und ging dann hinüber zu der weißen Blüte. Fasste hinein und hatte den Stab in der Hand. Triumphierend drehte sie sich zu ihren Schwestern, die sie erstaunt ansahen. „Hach wie einfach. Daran hat ja noch keine von uns gedacht", freuten sich eine von ihnen. „Doch", rief eine andere. „Aber es hat noch nie funktioniert." Ein Tumult brach aus, weil sie sich nicht entscheiden konnten, was sie als Nächstes tun sollten. Bis wieder eine auf das Buch sah, dauerte es etwas.Da stand: Öffnet die Tür!Doch das funktionierte nicht. Neue Schrift bildete sich:Beschreibe den Raum.Hier gibt es nichts außer der Rosen, einen Spiegel und das Feuer über der Blüte. Da hinten fließt ein Wasserfall über die Wand, wie in dem Raum davor. Die Rosen haben nicht viele Dornen.„Stacheln", rief Anisa. Wie bitte?, erkundigte sich Pritana.
„Rosen haben Stacheln, aber unwichtig. Der Wasserfall: könnt ihr ihn umleiten?", wollte Anisa ungeduldig wissen.
Die Königin mit dem Stab wischte mit ihm augenblicklich das Wasser zur Seite, nachdem sie die Frage von Pritana übermittelt bekommen hatten. Zum Vorschein kam ein Durchgang, den sie durchquerten. Der Libros hatte sich wieder in einen Schmetterling verwandelt und die Mädchen jubelten ihm zu.
Im nächsten Raum fanden sie noch ein Rosennest und die Königinnen fingen aufgeregt zu flüstern an. „Das Nest unserer Kinder. Jetzt wird alles gut", riefen sie und fielen sich glücklich in die Arme. Sie nahmen die Knospen vorsichtig an sich und wickelten sie in Taschentücher. Dann öffneten sie einen weiteren Durchgang durch einen Wasserfall und landeten im zweiten Raum. Mit einem Wisch des Zauberstabs schloss sich der Durchgang und die Tür zum Eingangsraum der Höhle sprang knarzend auf. Es roch nach Freiheit.
Anisa ließ das Buch sinken und schaute den Königinnen entgegen, die nacheinander in den Raum flatterten. Als auch der Schmetterling hindurch war, schloss sich der Durchgang. Der Libros in ihrer Hand schrieb:
Ich bin Tomina. Wenn du das Elfenland verlässt, findet Gritos dich – uns.
„Danke für den Hinweis, was schlägst du vor?", fragte Anisa.
Echt jetzt, du fragst mich?
Das Mädchen lachte und meinte leichthin: „Natürlich."
In dem Moment öffnete sich die Höhle zum See hin und die Gruppe strömte hinaus. „Ich habe seit Jahren kein Sonnenlicht gesehen", flüsterten einige Königinnen. Andere mahnten: „Ein Monat – ein Monat bleibt uns." Traurig folgte Anisa ihnen. Tomina schrieb:
Sie werden einschlafen und sie wissen, dass ihnen nur ein Monat bleibt. Trotzdem sind sie wie kleine Kinder und freuen sich. Menschen sind unglaublich.
Das Mädchen nahm noch zwei Libros aus dem Regal, die sie in Taunilus Tasche stopfte, und trottete dann den hüpfenden, tanzenden, springenden Königinnen hinterher. Im Zwiespalt ihrer Gefühle ließ sie sich schließlich von der allgemeinen Euphorie anstecken und schloss sich verhalten der Gruppe an.
Als sie die Wiese erreichten, kamen ihnen die ersten Elfen entgegen, die um sie herumtanzten. Die Freude war groß, denn das Lachen der Königinnen schien über das ganze Land zu schallen und alle ihre Untertanen anzulocken.
Eine der Königinnen kam zu ihr herüber – es war die mit dem Spiegel, die nun den Zauberstab hielt - und fragte: „Wo möchtest du hin? Wir sind dir zu großem Dank schuldig, denn Generationen verbrachten in der Gewalt der Wasiliana. Gritos ist auf dem Weg, da er die drei Libros holen will. Daher entscheide schnell."
„Aber habt ihr keine Angst?", wollte Anisa erschrocken wissen.
„Wir haben keinen Wert für ihn, du jedoch schon. Deshalb wähle entweder das Glühbirnchen, die Bibliothek in Zinoka oder die der ungeschriebenen Bücher. Dort kann er euch nicht finden", gewährte sie ihr einen Zielort.
„Woher wisst ihr das alles?", wunderte sich Anisa.
Da tauchten die vier Elfen aus der Bibliothek auf und verneigten sich vor ihren Königinnen. Der Elf zwinkerte ihr zu. „Wir haben viel erfahren in unserer Zeit bei euch. Wenn ich einen Rat geben darf? Befreit sie alle. Manchmal muss man die Regeln fallen lassen, damit sich alles neu ordnen kann", flüsterte er leise, dann verschwand er in der Menge.
Anisa blickte erneut auf das Libro, das sie noch in der Hand hielt, und da stand in Großbuchstaben:
NIESBIBLIOTHEK
„Seid ihr gegen Gritos?", erkundigte sich das Mädchen bei den Libros. Unison antworteten sie mit einer hellgrünen, dunkelroten und türkisen Schrift:
Ja, ich bin gegen Gritos.
Ja, ich bin gegen Gritos.
Ja, ich bin gegen Gritos. Bin wirklich begeistert, dass du uns das fragst. Du bist klug, Menschlein.
Lächelnd steckte Anisa die Bücher ein und meinte: „Bitte nach Zinoka."
Woraufhin die Elfenkönigin sich verbeugte und ihren Zauberstab schwenkte.
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