Der Tag der Erneuerung
Drei Tage später stand im ersten Sonnenlicht des Morgens eine kleine Gruppe händehaltend im Kreis und sang inbrünstig das Lied der Bibliothek:
In Liebe bin ich entstanden,
nur das Größte aller Opfer kann den Weg bereiten, um Frieden zu schüren, in Zeiten, in denen der Hass so nah ist.
Gib dich hin, gib dich hin, um das Licht zu finden. Denn nur, wo Licht ist, wird die Dunkelheit vertrieben. Geh und komm nicht wieder. Wissen durchflutet uns.
Wissen durchflutet uns! Rot, Gelb und blau – wir finden den Weg. Ich beschütze, auch wenn ich nehme, nur aus Liebe schöpfe ich die Kraft, zu tun, was getan werden muss, denn Alternativen gibt es nicht.
Gib dich hin, gib dich hin, um das Licht zu finden. Denn nur, wo Licht ist, wird die Dunkelheit vertrieben. Geh und komm nicht wieder. Wissen durchflutet uns.
Wissen durchflutet uns! Rot, Gelb und blau – wir finden den Weg.
Sie sangen. Anisa hielt Robina und trällerte mit Inbrunst. So viel Gefühl lag in ihrer Stimme, einige andere wischten sich verstohlen ein paar Tränen aus den Augen, obwohl sie natürlich wussten, dass der Libros für die atemberaubende Klangfarbe verantwortlich war. Als das Lied verhallte, blieben sie still zurück. Jeder mit seinen eigenen, persönlichen Gedanken.
„Können wir dann?", erkundigte sich die Überwacherin schließlich zaghaft.
Alle gaben in der ein oder anderen Art und Weise ihre Zustimmung. Der Tag der Erneuerung war herangerückt und sie waren bestmöglich vorbereitet. Tobian hatte wiederholt in der Bibliothek heimlich mit Ninan geprüft, ob die Feier auch wirklich stattfand. Die Zeit rann dahin und nun blieben nur noch 13 Stunden bis zum Nachmittag.
Die Soldatin beschwor einen Durchgang und ließ sie alle in einen abgelegenen Winkel in der riesigen Abteilung der schwarzen Bücher wiederauftauchen. Tobian öffnete sofort die Leuchttafel und die Zeit stand auf 01:01:01 und lief rasch runter.
„Das darf doch nicht wahr sein", kreischte Glühbirnchen. „Du hast doch gesagt, dass..."
„Beim Wustu", rief Tobian. „Das versteh ich nicht, sie haben die Zeremonie doch noch verlegt und wahrscheinlich gehofft, dass wir nicht mehr auftauchen. Los. Wir müssen jetzt rennen!"
Ninan setzte sich sofort in Bewegung, trieb Glühbirnchen an und zog den gefesselten Taunilus mit sich, der sich kaum sträubte – vermutlich aus reinem Eigennutz.
Die Elfe folgte hintendrein, während Anisa und Tobian anfingen über ihren Plan zu diskutieren. Jeder trug neun Libros bei sich, um sich im Fall der Fälle mit deren Kräften schützen zu können. Sie steuerten auf den Raum des Schwarms zu, um den unberechenbaren Meermann dort einzusperren.
Unbehelligt erreichten sie ihr Ziel und öffneten das Portal, als ihnen Drogino und Vladius entgegenpurzelten.
„Wir wurden hier eingesperrt, nachdem wir Anisa rausgelassen hatten. Es kann nicht mehr lange dauern, bis die anderen Bescheid wissen, dass ihr hier seid", verkündete der Überwacher panisch um sich blickend.
Anisa ging nicht auf ihn ein, sondern fragte gleich: „Hast du noch Klebeblüte?"
Verdattert starrte der Mann sie an. „Ich komme nicht mehr in meine Labistatt wegen dir. Dort habe ich lediglich MASSENWEISE, aber so wie die Dinge sind: NEIN, leider nicht", erwiderte er gereizt.
„Glühbirnchen?", gab Tobian der Maschine eine geheime Anweisung, die daraufhin mit der Elfe davonschwirrte.
Nach einem weiteren Blick, der zwischen der Soldatin und Anisa wechselte, setzten sich Zanzia und Ninan ab.
„Wo gehen denn alle hin?", erkundigte sich der Überwacher.
„Vermutlich werden sie uns an ihren Plänen nicht Teil haben lassen", seufzte Vladius und in Tobians Richtung meinte er: „Ich kann es euch nicht verdenken."
„Ist ja nicht so, als ob du mich jemals in irgendetwas eingeweiht hättest", grummelte der Junge.
Sein Vater fixierte ihn und lächelte dann zynisch: „Gewiss, nichts anderes hätte ich von dir erwartet. Beleidigtes Selbstwertgefühl und damit verbundenes unverantwortliches Verhalten. Wir können helfen, Sohn! Mit Zaubern und Ingenieurskunst, die ihr euch nicht einmal vorstellen könnt. Aber ihr müsst das wollen."
Die Beiden taxierten sich und Anisa ging dazwischen: „Wir haben keine Zeit. Wenn ihr irgendwie seht, dass ihr helfen könnt, werdet ihr euch sicher noch beweisen dürfen. Bis dahin, müssen wir weiter. Was ist mit meinem Blut, Drogino?"
Verwirrt blickte der sie an. „Ich habe es ersetzt, aber die Bibliothek hat mich verraten und da ich es nicht außerhalb verstecken konnte, haben sie es jetzt."
„Na wunderbar", feixte Taunilus.
In dem Moment öffnete sich ein Bildschirm mit Blick auf den See des Bibliotheksgeländes. Aus ihm tauchten Meermenschen mit einer Gruppe Scheinautoren auf. Bei ihnen waren auch Irinia, Gritos und Mortima, die der wahren Autorin von Anfang an zur Seite gestanden hatte. Anisa erkannte darüber hinaus Taunilus Bruder Atitus, seine Eltern, Vlanika, die Befehlshaberin von Wellali und die dortige Meerhexe Branina, die dem Wasser mit wilden Blick entstiegen. Die Scheinautoren sicherten den Bereich, während die Meermenschen sich mit der Paste einschmierten.
„Die haben uns noch gefehlt", seufzte das Mädchen und Taunilus fing hysterisch an zu lachen. In dem Moment ging die Bibliothek in den Alarmmodus über. Ein lautes unangenehmes Signal erschallte und rote Ausrufezeichen mit dem Bild, der Eindringlinge, begann über die Wände zu ziehen.
Gleich darauf erschien eine Aufnahme ihrer eigenen kleinen Gruppe vor dem Schwarmportal und dann eine Darstellung mit den Versammelten in der Bibliothekshalle, wo sich alle für die Zeremonie bereit machten. Bantea mit ihren zwei Lieblingsschülern war darunter, aber auch viele andere Bibliothekare. Zu Anisas entsetzen erkannte sie zwischen den Anwesenden ihre Mutter, die sich heftig gegen die Fesseln wehrte, die ihr angelegt worden waren.
„So dann wissen doch jetzt die Parteien, woran alle sind", kreischte Taunilus belustigt.
„Nicht ganz", kommentierte Tobian und schielte verschwörerisch zu Anisa, die jedoch nicht reagierte, weil sie viel zu sehr mit dem Anblick ihrer Mutter beschäftigt war. Endlich zwang sie sich den Blick abzuwenden und verkündete tapfer:
„Ich möchte Taunilus hier nicht alleine lassen." Dabei schaute sie zu Vladius, der genervt den Blick senkte und dann seine knappe Zustimmung gab. Er trat mit dem Meermann durch das Portal und sie schlossen den Durchgang.
„Jeder weiß, dass sie hier waren. Meinst du, sie sind hier sicher?", erkundigte sich Tobian. „Ich habe keine bessere Idee. Gritos scheint den Meermenschen versprochen zu haben, ihnen einen beherrschbaren Taunilus zu übergeben. Den Bibliothekaren ist das doch egal und die Scheinautoren, werden diese Bilder ja nicht gesehen haben. Außerdem kommen sie beim Schwarm nicht rein", erwiderte sie und lief los. Etwas lauter fügte sie hinzu: „Es wäre schön, wenn es dabei auch bleibt." Sofort verschwanden die Ausschnitte auf den Wänden und nur die Ausrufezeichen und das Signal blieben.
„Danke", murmelte Anisa.
„Die Bibliothekare werden aber nicht hinnehmen, dass wir den Schwarm kontrollieren", bemerkte der Überwacher. Das Mädchen nickte unglücklich: „Hoffen wir, dass sie lange genug beschäftigt sind. Wie lange haben wir noch?"
Ein Bild der Ziffern: 00:37:49 erschien und verschwand auch wieder.
„Na prächtig", murmelte Drogino.
„Glaubst du wirklich, dass die Bibliothek neutral ist? Zumindest was die Bibliothekare und dich angeht?", erkundigte sich Tobian, während sie Richtung Halle los spurteten.
„Interessanter Gedanke", kommentierte der Überwacher.
„Ich hoffe es", bestätigte Anisa und versuchte, optimistisch zu wirken, scheiterte aber kläglich.
Kurz darauf verließen sie den Bereich der schwarzen Bücher und Kampfgeräusche erklangen in der Ferne. „Oh je", flüsterte Anisa und wurde langsamer, als eine gewaltige Explosion die Wände wackeln ließ.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro