Der Schwarm spricht
Staunend las Anisa die Worte. Ihr Herz klopfte bis zum Anschlag.
„Ich möchte dir danken", schrieb das Libros, denn nun war es ein Wesen, wie Egios. „Nicht mehr lange und ich wäre ein schwarzes Buch geworden." „Aber es war doch noch Zeit, die Uhr der Bibliothek hatte noch ein paar Wochen", kommentierte Anisa verwundert.
„Das war nicht meine Zeit", schrieb Pritana. „Ich glaube nur, dass ich sie beschleunigt habe. Aber sie hat etwas mit den schwarzen Büchern zu tun, das ganz bestimmt."
„Warum willst du denn kein schwarzes Buch werden?", erkundigte sich Taunilus, der sich ebenfalls herüber gebeugt hatte. „Alle erzählen immer davon, aber ich versteh es nicht."
„Sie haben mehr Macht und werden deshalb weggesperrt. Ihre Geschichte ist nicht formbar und sie nehmen daher Einfluss auf den Geist des Autors", kam die schlichte Antwort Pritanas.
„Kennst du Egios Geschichte?", fragte Anisa.
„Nein. Aber was den beiden passiert ist, ist furchtbar traurig", krakelte das Libros über die Seite. Tropfen tauchten auf und verwischten die Schrift.
„Schon alleine deshalb müssen die Bibliothekare aufgehalten werden", entschied Taunilus mürrisch.
„Und was ist mit Zanzia? Kennst du ihre Absichten?", forschte die frühere Bibliotheksanwärterin nach.
„Ich kenn mich nur in der Welt der Libros und Bücher aus, alles was aus eurer Welt kommt, muss ich erst noch lernen. Aber ich kann mir alles was passiert merken. Wenn du also noch einmal, was nachlesen willst, sag einfach Bescheid", erklärte Pritana. Ihre Schrift war nun wieder forsch, mit vielen Schnörkeln, hingekritzelt. Im Gegensatz zu Egios roter Schreibschrift nutzte sie eine violette Tinte, die nicht so schnell verblasste, wie die des anderen Libros. Wahrscheinlich hatte sie einfach mehr Vertrauen in die Welt.
„Können wir noch über unsere Gedanken kommunizieren?", fragte Anisa erst in ihrem Kopf und als sie keine Antwort bekam, auch laut.
„Ach das ging?", wollte Taunilus überrascht wissen und das Mädchen nickte abwesend, weil Pritana gerade antwortete: „Ja, aber es ist anstrengend und nur du oder Egios können mich hören."
„Wow, ist die Entfernung egal?", rief Anisa begeistert.
„Ich rede schon mit Egios und erzähl ihm, was du geschafft hast", antwortete Pritana.
„Bitte schreib jetzt nichts dazu, aber wir müssen aufpassen. Zanzia kann immer alles mitlesen, wenn sie in der Nähe ist", meinte Anisa nachdenklich.
„Sie sind gerade im Unterschlupf mit Glühbirnchen, die sie ausfragt wegen euch. Aber ich kann Bescheid sagen, falls Egios mit Tobian in die Bibliothek zurückkehren und ungestört kommunizieren können." Langsam musste Anisa sich wirklich anstrengen, die Buchstaben bei der einsetzenden Dunkelheit zu entziffern. So dass Taunilus, der sich inzwischen eingeschmiert hatte und mit Menschenbeinen ausgestattet war, und Grasgrün geschäftig daran machten ein Feuer zu entfachen. Einen Leuchtkristall warf er ihr dennoch rasch zu.
„Kannst du mal ein Alphabet machen?", fragte das Mädchen und holte die Käfer dazu, die immer noch wartend im Sand saßen.
„Was soll unser nächster Schritt sein?", erkundigte sie sich bei ihnen.
Inzwischen waren alle Buchstaben auf dem Blatt abgebildet und die Käfer fingen an, Worte, Sätze und Absätze zu bilden.
„Das kann ja dauern", seufzte das Mädchen.
Woraufhin Pritana schrieb: „Ihr könnt euch anderem zuwenden, ich schreib alles auf."
„Das ist ja großartig", freute sich Anisa. „Endlich können wir kommunizieren."
Sie legte das Buch etwas abseits und gleich darauf lief sie zu dem Pinienwäldchen, um Holz zu suchen. Bei ihrer Rückkehr prasselte das Feuer, das der Meermann inzwischen mit Grasgrüns Hilfe entzündet hatte.
Drei Fische steckten auf langen Spießen und rösteten. Ein vorzüglicher Duft stieg ihr in die Nase. Pritana lag im Sand etwas abseits und die Käfer hüpften lustig über die Seite. Krachend ließ sie ihr Holz fallen und setzte sich glücklich an die flackernde Feuerstelle zu Taunilus, der die Fische langsam drehte.
Grasgrün kaute an einem eigenen, rohen Tintenfisch und gluckste freudig, als das Feuer knackte.
„Fertig", flötete Pritana schließlich in Anisas Kopf und kurz darauf kamen die Käfer angeflogen und zogen sich in ihr Gefäß zurück.
Das Mädchen hob das Buch auf und setzte sich gespannt ans Feuer, dann las sie laut vor:
Vor vielen Jahren entstand das Viele – ich. Damals herrschte der Krieg der Bücher und konnte nur beendet werden, indem die Bibliothek geschaffen wurde, um die Ideen zu kontrollieren.
Alle schwarzen Bücher und Libros werden seitdem vernichtet, weil sie viel zu gefährlich sind. Ich trage maßgeblich dazu bei, weil ich sie in ihre Gefäße sperre. Ich habe keine Wahl, sonst zerstören sie mich.
Allerdings kann nur ein wahrer Autor mich oder die schwarzen Bücher vernichten, womit Zanzias Familie ins Spiel kommt. Alle 100 Jahre gibt es ein großes Ritual, bei dem die Scheinautoren, die Bibliothek einnehmen und die Bücher verbrennen. Der unmagische Überwacher ist der Einzige, der davon weiß und alles arrangiert. Er betreibt auch den Magneten für die Ideen, der nur durch das Blut deiner Familie am Laufen gehalten wird.
Es ist bald wieder soweit für den Genozid der Libros. Egios und Pritanas Auftauchen beweist, wie sehr die Bibliothek sie fürchtet, denn sie hat die Uhr beschleunigt, als sie bemerkte, dass du einen Teil von Pritana behalten hast. Das Ultimatum zeigt den Tag, an dem Zanzia mit ihren Scheinautoren angreift. Aber nach allem, was ich von ihr bereits gesehen und gehört habe, könnte es sein, dass sie anders ist und uns hilft, wenn sie versteht, wozu ihre Familie benutzt wird. Es gibt Absplitterungen innerhalb ihrer Leute, die sich auflehnen. Sie hat sich mit euch angefreundet, weil sie Zweifel hat.
Bitte helft mir – dem Schwarm – mich aus meinem Gefängnis zu befreien und so auch die Libros. Wir wollen nicht Eure Welt beeinflussen, wir wollen nur unsere eigene schaffen. Wir haben ein Recht zu leben. Bitte helft uns!
Am Ende klappte Anisa das Buch sanft zu und starrte nachdenklich ins Feuer. Für eine lange Zeit schwiegen sie, bis Taunilus ihr einen der Fische reichte und sie vorsichtig an dem weißen Fleisch zupfte und pustend aß.
„Mir ist das zu viel Magie", erklärte der Meermann leise. „Auch dein Buch ist jetzt gefährlich, ich spüre es, wie ich es bei Egios gespürt habe."
Pritana schlug sich auf und da stand: Was ist gefährlich? Anisa könnte dir ein Messer in den Rücken stechen, meine Magie wird dich niemals direkt angreifen.
„Egios kann Blitze abfeuern", bemerkte er pikiert. „Ich halte das für sehr bedrohlich."
„Der einzige Libros, der so etwas kann und auch nur, weil ihm Gewalt von den Menschen, insbesondere den Bibliothekaren, angetan wurde!", konterte Pritana.
„Was ist denn deine Magie? Lass mich doch selber entscheiden?", wollte Taunilus wissen.
Das Buch antwortete nicht gleich und Anisa hob interessiert die Augen: „Hast du also auch eine Kraft?"
„Wir alle können etwas", seufzte Pritana zögernd in ihrem Kopf. „Ich kann mich in einen Schmetterling verwandeln."
Anisa hielt inne und dann lachte sie laut los. „Echt jetzt? Wie toll ist das denn?", freute sie sich.
„Psst, psst. Nicht so laut. Das soll doch geheim bleiben", zischte das Buch in ihrem Kopf. „Oh, warum das denn?", wollte Anisa wissen.
„Was geht da vor?", erkundigte sich Taunilus. „Warum sagt sie mir denn nicht, was sie kann?"
„Bitte, ich möchte nicht, dass jemand außer dir darüber Bescheid weiß", flüsterte Pritana in ihrem Kopf.
„Ist nicht gerade vertrauenserweckten, wenn ich nicht eingeweiht werde", grummelte der Meermann.
„Bitte versteh das nicht falsch", versuchte es Anisa. „Aber ich versichere, dass sie wirklich nichts gefährliches kann. Nur möchte sie es geheim halten."
„Wenn man unter Freunden Geheimnisse hat, gerade wenn es um Magie geht, kann dabei nichts Gutes heraus kommen", behauptete Taunilus bestimmt und verschränkte die Arme.
„Es ist nicht meine Entscheidung", flüsterte das Mädchen entsetzte.
„Dann kann ich euch auch nicht mehr vertrauen", zischte der Meermann und stand wütend auf.
„Taunilus bitte. Versteh doch", rief Anisa und sprang ebenfalls auf, um ihn abzuhalten etwas Dummes zu tun. Jedoch zu spät, er rannte aufs Wasser zu und stürzte sich geräuschvoll in die Wellen, ohne sich zu verabschieden.
Dann war nur noch das Rauschen des Meeres zu hören.
„Taunilus", murmelte sie fassungslos.
„Es tut mir leid", sagte Pritana in ihrem Kopf.
„Ist schon gut. Er hätte akzeptieren sollen, dass es Dinge gibt, die wir ihm nicht erzählen können. Ich weiß auch so vieles nicht über ihn", antwortete Anisa beschwichtigend. Insgeheim war sie zutiefst enttäuscht, dass er sie einfach verlassen hatte. Er war immer da gewesen, aber bei Magie hatte er sich von Anfang an komisch angestellt. Dennoch gab es keine Entschuldigung für sein Verhalten.
Grasgrün kam vorsichtig näher und schob ihr Köpfchen in ihre Hand. Leise wimmerte sie.
„Danke, dass du noch da bist", murmelte Anisa und strich dem Wasserdrachen über den Kopf. Sie setzte sich in den warmen Sand und blickte sich ängstlich um. Es war inzwischen völlig dunkel und sie sah nicht sehr weit. Hoffentlich würde der Drache sie beschützen und merken, wenn eine Gefahr auftauchte.
„Du solltest schlafen. Morgen sehen wir weiter", bemerkte Pritana und Anisa zog sich zum Feuer zurück. Der kleine Wasserdrache kuschelte sich an sie, das Buch steckte sie fest in ihre Robe. Aber Einschlafen konnte sie lange nicht. Jedes Geräusch erschreckte sie und ihr wurde bewusst, wie abhängig sie gewesen war.
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