5. Teil: Probleme
Ich tigerte in meinem Büro auf und ab, versuchte meine Gedanken etwas zu sortieren um nicht gleich ganz in Panik auszubrechen.
Das Gespräch mit Russell wurde jäh unterbrochen, da sein nächster Termin gekommen war, deswegen konnte ich ihm glücklicherweise auch nicht mehr vom Stand meiner Schwangerschaft berichten.
Ich erhoffte mir sehr, dass mir das vielleicht auch noch etwas mehr Zeit gab, um nach einer anderen Lösung zu suchen. Heute musste ich meinen Arzt dringend nach einer ärztlichen Bestätigung fragen, damit ich nicht gleich in einem Monat in diesen Zwangsurlaub geschickt wurde. Vielleicht könnte ich damit noch ein paar Monate oder zumindest Wochen rausholen.
Ich stand völlig neben mir und drohte bald zu hyperventilieren. Nach dem Gespräch mit Russell war ich in einer noch schlechteren Verfassung, als nachdem ich von meiner Schwangerschaft erfahren hatte.
Den Weg von Russells Büro zu meinem hatte ich beinahe im Sprint zurückgelegt, nur um niemandem zu begegnen, um kein Gespräch führen zu müssen oder auch nur jemanden unter die Augen treten zu müssen.
Momentan konnte ich nicht genau sagen, was mich so stresste. Ob es der Fakt war, dass jeder auf dieser Etage wusste, dass ich ein Omega war oder ob es daran lag, dass ich nur noch einen Monat arbeiten durfte. Ich konnte es nicht benennen.
Ich musste auf jeden Fall irgendwie dieses Monat noch verlängern. Ich musste einen Weg finden und ich würde mich sicher nicht einfach so in den Zwangsurlaub oder, wie Russell es so schön genannt hatte, Schonurlaub schicken lassen. Alleine zuhause konnte ich mich noch weniger schonen, da war ich in der Arbeit deutlich besser aufgehoben.
Mit einem letzten tiefen Atemzug, versuchte ich mich wieder an meine Arbeit zu machen, um wenigsten die verbleibende Zeit noch sinnvoll zu nutzen. Trübsal konnte ich während meines Zwangsurlaubs immer noch blasen, dafür brauchte ich meine kostbare Zeit ehrlich nicht verschwenden, wenn ich für meinen Arzttermin sowieso schon wieder früher gehen musste.
Zum Glück lenkte mich meine Arbeit so weit ab, dass ich das Gespräch mit Russell ein wenig aus meinem Kopf bekam und ein paar wichtige Dinge erledigen konnte, bevor mich die Uhrzeit an meinen Termin erinnerte.
Trotz der prekären Situation spürte ich Vorfreude in mir brodeln.
Ich würde heute die Geschlechter meiner beiden Babys erfahren und aus welchem Grund auch immer freute ich mich darauf ungemein.
Einerseits würde das zwar alles noch realer machen, aber realer als das Ultraschallbild konnte es sowieso nicht mehr werden. Außerdem waren meine körperlichen Beschwerde auch ein deutlicher Beweis, weshalb ich mir darüber eigentlich keine Gedanken machen musste.
"Mathis, gehen Sie schon?"
Gerade als ich meine Bürotür öffnete, kam mir Russell entgegen, der ein wenig gehetzt wirkte. In seinen Händen hielt er zahlreiche Akten und von seiner Krawatte war keine Spur zu sehen, stattdessen waren die obersten Knöpfe seines Hemdes aufgeknöpft.
"Ich habe einen Termin", antwortete ich nur und konnte dabei zuschauen, wie sämtliche Farbe aus Russells Gesicht wich. Mit einem unbehaglichen Gefühl in der Magengegend, zog ich meine Augenbrauen zusammen und versuchte mich von Russells Reaktion nicht zu sehr mitnehmen zu lassen.
Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts gutes.
"Es gibt ein Problem mit dem Deal." Lukes kam plötzlich ähnlich gehetzt wie Russell um die Ecke und sah kurz zwischen mir und unserem Vorgesetzten hin und her, ehe er mich ungeniert an den Schultern zurück in mein Büro drückte. Ich ließ es ohne Gegenwehr zu.
Zumal ich gegen Lukes sowieso niemals angekommen wäre.
"Ein Problem?", fragte ich tonlos und schluckte trocken. Es durfte kein Problem mit dem Deal geben. Er musste unbedingt vor der Geburt fertig werden, am besten noch vor meinem sinnlosen Zwangsurlaub. Ich konnte mir mit einer ärztlichen Bestätigung zumindest ein bisschen Zeit herausholen, aber höchst wahrscheinlich nicht so viel um ein 'Problem' zu beheben.
Bevor Lukes jedoch erzählen konnte was los war, ging Russell, der uns in mein Büro gefolgt war, dazwischen. "Was für einen Termin haben Sie?"
Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. Was tat das schon zur Sache?
"Ihre Bauchbeschwerden?", fragte Russell plötzlich wieder recht ruhig nach und verwirrte mich damit noch mehr. Bauchbeschwerden?
Erst nachdem mir sein stechender Blick langsam unangenehm wurde, verstand ich, was er damit meinte. Er wollte vor Lukes nicht ansprechen, was er vermutete worum es ging, deswegen schob er meine Bauchbeschwerden vor. Immerhin hatte man mittlerweile schon mitbekommen, dass mein Magen in letzter Zeit nicht sehr wohl gesonnen war.
Ich nickte nur stumm.
"Dann gehen Sie, Mathis. Ihre Gesundheit geht vor." Ich wollte schon protestieren, da sprach Russell gleich weiter. "Sie können danach wieder herkommen, dann können wir alles weitere klären, aber erst geht Ihre Gesundheit vor." Russells ernster Tonfall, sein stechender Blick und seine dominante Ausstrahlung ließen mich ohne jeglicher Gegenwehr nicken.
Lukes beobachtete das ganze still, ehe er seufzte und auch nickte. Lukes begann daraufhin wieder zu sprechen, aber ich hörte ihm nur mit einem Ohr zu, denn Russell deutete mir mit einem Blick, der keinen Widerspruch zuließ, an zu gehen.
Ich nickte, schenkte Russell im Vorbeigehen ein wackliges Lächeln, das er sanft erwiderte, und hastete dann schnell zum Aufzug. Ich beeilte mich so schnell wie möglich zu meinem Arzt zu kommen, damit ich umso schneller wieder zurück sein konnte, um vielleicht das Problem noch abwenden zu können, bevor absolutes Chaos ausbrach.
Lukes war ein guter Geschäftsmann, aber mit Stress und Problemen konnte er nicht allzu gut umgehen. Die Erfahrung hatte ich mittlerweile gemacht.
Mit diesem Wissen saß ich eher unruhig im Wartezimmer. Meine Beine wippten synchron, während meine Finger auf meinen Oberschenkeln trommelten. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe, bis endlich mein Name aufgerufen wurde und ich erleichtert die unbewusst angehaltene Luft ausstieß.
"Hallo Mathis", lächelte mein Arzt und winkte mich in sein Besprechungszimmer. "Wie geht es Ihnen heute?"
Ich klärte ihn über die vergangenen Tage auf, hörte mir an, was er zu sagen hatte und war dabei so auf ihn konzentriert, dass sogar die Probleme in der Arbeit in den Hintergrund rutschten.
In diesem Moment zählten nur noch meine Welpen.
Dabei sehnte ich mich nach nichts sehnlicher, als jemandem an meiner Seite zu haben, mit dem ich das alles teilen konnte.
Als es schlussendlich so weit war und ich meinen Oberkörper frei machte, um einen Ultraschall machen zum können, klopfte mein Herz in doppelter Geschwindigkeit. Gleich würde ich meine Babys wieder sehen.
Das kühle Gel auf meiner vor Nervosität erhitzten Haut jagte einen angenehmen Schauer über meinen Körper, der jedoch vollends in den Hintergrund rutschte, als mein Arzt das Gerät auf meiner Bauchdecke absetzte und auf dem Bildschirme erste, schwarze Flecken zu erkennen waren.
"Da sind sie", strahlte der Doktor und deutete mit den Finger auf seinen Bildschirm. "Sie sind schon deutlich gewachsen", schmunzelte er und drehte sein Gerät etwas, um andere Perspektiven zu ermöglichen.
Wie gebannt starrte ich auf den schwarz-weiß Bildschirm und beobachtete die hellen Flecken, die umgeben von einer schwarzen Blase, mich nur mit viel Vorstellungskraft an einen Menschen erinnerten, mit tränennassen Augen.
"Können Sie mir die Geschlechter sagen?", fragte ich mit zitternder Stimme. Meine Emotionen ballten sich gerade zu einem großen Batzen in meiner Brust und gaben mir damit das Gefühl gleich zu platzen. Es würde nicht mehr viel fehlen und sämtliche meiner Gefühle würde ungehalten aus mir herausschießen.
Meine Frage löste ein breites Lächeln bei meiner Arzt aus, der sofort bejahte, das Gerät wieder etwas bewegte und an einen der Flecken heran zoomte.
"Das", er deutete auf seinen Bildschirm, "ist mit ziemlicher Sicherheit ein Mädchen und das", er bewegte das Gerät wieder etwas, richtete es besser aus, ehe er auf seiner Tastatur etwas tippte, "ist ein Junge."
Er sah mir einen Moment ausdruckslos entgegen, bis er wohl das glückliche Lächeln auf meinen Lippen bemerkte, da auch er dann wieder zu lächeln begann.
Er hatte nicht vergessen, dass ich eigentlich eine Abtreibung wollte. Dass ich nun doch so emotional und vor allem erfreute reagierte, freute ihn offenbar.
"Ich drucke Ihnen das Bild aus."
Ich nickte sofort energisch.
"Gibt es eine Möglichkeit einer ärztlichen Befreiung für den Zwangsu- also Schonurlaub?", fragte ich interessiert, als ich mir das Gel mit Tüchern vom Bauch wischte.
Mein Arzt hielt merklich in seiner Bewegung inne, ehe er sich leise Räusperte und seiner Tätigkeit weiter nachging.
Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, druckte in aller Ruhe das Ultraschallbild aus und säuberte sein Gerät. Erst als er mir das Bild gegeben hatte und ich wie gebannt auf meine Welpen starrte, antwortete er mir.
"Ich würde nichts überstürzen, Mathis. Bis zu Ihrem sechsten Monat ist noch etwas Zeit. Warten Sie bis dahin ab. Welpen wachsen ab dem fünften Monat enorm schnell und Sie werden froh sein, wenn Sie Zeit für sich haben. Ab einem gewissen Bauchumfang werden Sie nur noch bei Ihrem Partner zuhause bleiben wollen." Er sprach mit ruhiger Stimme, als wollte er einem aufgelösten Kleinkind etwas erklären. Dass er jedoch mit einem klar denkenden Erwachsenen sprach, der davon überhaupt nicht begeistert war, schien ihn nicht zu interessieren.
Er merkte offenbar an meinem Blick, dass bei dem Thema nicht gut Kirschen essen mit mir war und seufzte leise. "Sollten Sie zum Ende dieses Monats noch immer eine ärztliches Attest wollen und wenn es Ihre Gesundheitsdaten zulassen, dann können wir noch einmal darüber reden", schob er ein und beendete damit eindeutig das Gespräch, denn er erhob sich resigniert von seinem Stuhl und öffnete die Tür zum Behandlungsraum.
"Machen Sie bitte bei den Mädels vorne einen Termin in zwei Wochen aus", lächelte er. Nickend erwiderte ich sein Lächeln und bedankte mich für das Ultraschallbild, ehe ich einen neuen Termin vereinbarte und weiterhin mit einem Lächeln auf den Lippen aus dem Gebäude trat.
Erst als die frische Luft meine Atemwege in Beschlag nahm, kam mir das Problem mit dem Deal wieder in den Sinn und schon war meine Ruhe wie weg geblasen.
In Rekordzeit hatte ich den Weg zum Bürogebäude zurückgelegt und strich mir müde durchs Gesicht, als ich im Aufzug etwas zur Ruhe kam.
Körperlich spürte ich die Anstrengung der Schwangerschaft von Tag zu Tag mehr, das konnte ich nicht leugnen.
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, ob dieser gesetzliche Zwangsurlaub vielleicht doch sinnvoll war, aber da öffneten sich die Aufzugtüren und schon war dieser Gedanke wieder weg.
Als ich an Russells offener Bürotür vorbeikam, winkte mich mein Vorgesetzter sofort herein und schenkte mir dabei ein ehrliches Lächeln.
Suchend sah ich mich nach Lukes um, aber nur zwei Gläser am Schreibtisch wiesen daraufhin, dass sonst noch jemand da war.
"Lukes holt uns gerade etwas zu essen. Ich hoffe, Burger und Fritten sind in Ordnung?"
Ich nickte lächelnd und nahm dankbar das Glas Wasser entgegen, das Russell mir eingeschenkt hatte und nahm einige tiefe Schlücke.
"Wie war Ihr Arztbesuch? Ist alles in Ordnung?", fragte Russell und klang dabei ehrlich interessiert. Gelassen ließ er sich auf dem Eck seines Schreibtisches nieder und sah mir abwartend entgegen.
Allein der Gedanke an meine Babys auf dem Ultraschallbildschirm lockte mir ein Lächeln auf die Lippen, das Russell natürlich nicht entging.
"So wie Sie strahlen, können es nur gute Neuigkeiten sein", schmunzelte er und ich nickte begeistert.
"Es ist alles in bester Ordnung. Ich habe heute das Geschlecht erfahren", antwortete ich und hörte dabei selbst die Freunde deutlich aus meiner Stimme.
Wie konnte es sein, dass ich innerhalb dieser wenigen Tage plötzlich so viel Freude entwickelt hatte? Vorher war ich ja nicht wirklich begeistert davon, aber mittlerweile gab es von Jetzt auf Hier nichts, was mich glücklicher machte.
Und wie kam ich überhaupt dazu das meinem Chef zu erzählen? Es interessierte ihn wahrscheinlich kaum.
"Das freut mich sehr!" Auch diesmal lächelte er mir so sanft entgegen. Es schien ihn offenbar doch wirklich zu interessieren.
"Es wundert mich, dass Sie den Abend nicht mit Ihrem Partner verbringen und lieber wieder hierher gekommen sind. Er wird sich sicher auch sehr darüber freuen, endlich das Geschlecht zu wissen." Russells Worte nahmen meiner Freude gleich wieder jeglichen Wind aus den Segeln, sodass mein Lächeln langsam bröckelte.
Meine gute Laune wurde schlagartig von dem beißenden Gefühl der Einsamkeit zunichte gemacht.
Ich atmete tief durch und entschied einfach ehrlich zu sein, bevor ich mich in irgendwelche Lügen verheddern würde. Außerdem vertraute ich Russell, dass er den Inhalt unserer Gespräche nicht groß herum posaunte und er wusste mittlerweile eh schon deutlich mehr als jeder andere.
"Ich habe keinen Partner."
Russell blinzelte überrascht.
"Das erklärt die fehlende Markierung", murmelte er nach wenigen Augenblicken und ich nickte zögerlich.
"Und der Kindsvater?", fragte Russell vorsichtig, sich offenbar wohl bewusst, dass er auf dünnem Eis unterwegs war. Die Frage war höchst persönlich und nicht angebracht von Chefseiten zu kommen.
Ich schüttelte zur Antwort nur den Kopf, was Russell offenbar noch stärker überraschte, denn er zog beide Augenbrauen für einen Moment nach oben, ehe er die Kontrolle über seine Gesichtsmuskeln zurück hatte.
"Ich möchte keinen Schonurlaub", sprach ich mit matter Stimme an. "Ich möchte nicht so lange alleine zuhause sitzen", offenbarte ich und senkte unterwürfig und gleichzeitig beschämt den Kopf. Russell gegenüber so ehrlich zu sein, fiel mir schwer und auf der anderen Seite überraschend leicht. Es tat gut, diese Gedanken laut auszusprechen.
Bevor Russell, der bei meiner Beichte mitleidig das Gesicht verzogen hatte, antworten konnte, trat Lukes vollgepackt in den Büroraum. Sofort erfüllte der Duft nach Bratfett und Fritten den Raum, woraufhin mein Magen augenblicklich zu knurren begann.
Meine Babys hatten Hunger.
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