47. Teil: Olsen
Eine schwere Stille legte sich sogleich über den Raum.
Ich konnte meinen Bruder nur ungläubig entgegen starren, während mein Gehirn versuchte zu verarbeiten, was hier gerade passiert war. Was Olsen gerade gesagt hatte.
Mum blinzelte ihrem Sohn mit Tränen in den Augen entgegen. Dad sah aus, als hätte man ihm gerade einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Und Russell schäumte vor Wut.
Sein Stuhl quietschte unschön, als er sich abrupt erhob und nur mit wenigen Schritten den Abstand zu Olsen überwunden hatte. Bevor irgendwer dazwischen gehen konnte, hatte der Alpha meinen Bruder bereits am Kragen gepackt und energisch vom Boden gehoben. Ein tiefes Grollen kam aus Russells Kehle, während mein Bruder ihn mit wütendem Blick anfunkelte und keinen Deut Respekt zeigte.
Ein fataler Fehler. Ich spürte die wallende Wut in Russell und wie sehr er gerade damit zu kämpfen hatte sich zusammenzureißen um nicht zu explodieren.
Ich starrte wie hypnotisiert auf das Geschehen und konnte mich nicht bewegen. Meine Arme lagen schützend um meinen Bauch und heiße Tränen brannten in meinen Augen, während ich mir Russell nur an meine Seite wünschte.
Ja, mein Bruder gehörte eindeutig zurechtgestutzt, aber gerade brauchte ich Russell mehr.
Ich realisierte kaum, wie Dad an Russells Seite trat und dem Alpha eine Hand auf die Schulter legte. Russell zögerte einen Moment, entließ meinen Bruder dann jedoch unsanft aus seinem Griff und wandte sich abrupt von ihm ab. Als er mich dann in seine schützenden Arme zog, entkam mir das erste Schluchzen.
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Olsen", zischte Dad. Man konnte ihm ansehen, wie wütend er war. Es kam selten vor, dass Dad wirklich wütend wurde, sodass sogar Olsen checkte, dass er gerade ziemlich tief in der Scheiße steckte. Seine abwehrende Haltung zerbröckelte augenblicklich, ehe er unterwürfig den Kopf senkte. Obwohl Dad einen Rang unter Olsen stand, war er immer noch sein Vater und war damit schlussendlich wohl sogar wirkungsvoller als ein Alpha.
„Du bist nicht in der Position so etwas zu veröffentlichen", fuhr Dad knurrend fort und richtete sich weiter auf, straffte die Schultern dafür. „Denkst du nicht, dass du so etwas deinem Bruder überlassen solltest?!"
Olsen wurden unter Dads Worten immer kleiner und ich wollte seinen wütenden Blick gerade gar nicht sehen. Ich hatte Dads Wut erst ein Mal zu spüren bekommen und hatte mir seitdem selbst versprochen, ihn nie wieder so wütend zu machen. Olsen dagegen hatte Dad in unserer Kindheit oft an den Rand des Wahnsinns getrieben und wurde daher auch schon oft Opfer von seinen seltenen Wutausbrüchen, aber anscheinend hatte sich der Beta dennoch nicht daran gewöhnt.
Ich klammerte mich fester an Russell, barg mein Gesicht an seiner Brust und versuchte mich auf seine Hand auf meinem Rücken, die sanft auf und ab strich, zu konzentrieren. Meine Tränen hatten mittlerweile Russells Oberteil durchnässt und meine Nase war am laufen, doch ich wollte und konnte mich nicht von meinem Alpha lösen.
Mum schluchzte leise. Sie war mit dieser Situation sicherlich genauso überfordert wie ich. Sie wollte doch nur ein gemütliches Essen mit ihrer Familie haben, aber Olsen konnte sein verdammtes Maul einfach nicht halten.
Warum konnte er nicht erst mit mir sprechen? Warum musste er es meinen Eltern so gefühllos um die Ohren hauen? Er hätte doch wissen müssen, wie emotional Mum darauf reagieren würde.
Russell küsste meinen Schopf mehrmals, während Dad sich immer weiter in Rage redete, bis Olsen sich kleinlaut entschuldigte. Dad gab sich damit zwar dann zufrieden, aber seine Wut spürte ich dennoch noch immer brodeln, auch wenn ich ihn nicht ansah. Er setzte sich geräuschvoll auf seinen Stuhl und begann energisch sein Brot weiter zu schmieren.
Für einen Moment war es vollkommen still. Lediglich mein Schluchzen und Dads Klimpern mit dem Besteck waren zu hören, bis Mum wimmernd das Wort erhob.
„Stimmt das?", fragte sie mit leiser Stimme und ich war mir sicher, dass sie ihre Hände vor ihrem Gesicht liegen hatte und zwischen ihren Fingern hervor linste.
Ich konnte nicht antworten. Ich drückte mich einfach fester an Russell und hoffte innig, dass der Alpha das Sprechen für mich übernehmen würde.
Russell drückte mich sanft fester an seinen Körper und räusperte sich dann.
„Um ehrlich zu sein, stand die Überlegung tatsächlich eine Weile im Raum", fing Russell zögerlich an. Seine Stimme klang fest, fast schon hart und ich spürte, dass er sich gerade ebenso zusammenreißen musste. Das hier war auch für ihn emotional. Außerdem musste er mit meinem Gefühlen, die auf ihn überschwappten, auch noch zurecht kommen.
Mum schluchzte hörbar auf, während Olsen leise schnaubte.
„Schlussendlich haben wir uns aber dagegen entschieden. Wir werden sie behalten, sie selber großziehen und nicht zur Adoption freigeben."
Olsen schnaubte erneut. Mum dagegen atmete hörbar erleichtert auf und auch von Dad konnte ich einen ähnlichen Ton wahrnehmen.
Ich drückte mich nur näher an Russell und versuchte meine Tränen etwas unter Kontrolle zu bekommen. Russell küsste meinen Schopf und ich drehte meinen Kopf ein wenig, presste meine Wange gegen sein Herz.
Mein Blick landete auf Olsen, der noch immer in der Tür stand. Ich konnte seinen Blick nicht genau deuten. Er sah mir starr entgegen, musterte eindeutig mein Gesicht, ehe sein Blick weiterwanderte und Russell genauso musterte. Es dauerte einen langen Moment, bevor er den Mund öffnete.
„Warum hast du nichts gesagt?", kam es fast vorwurfsvoll von ihm. Er sah aus wie ein getretener Hund, der noch irgendwie versuchte kräftig zu wirken. Aber er scheiterte auf voller Breite.
Ich schnaubte nur und wandte mich gleich wieder von ihm ab. Ich wollte nicht mit ihm reden. Ich wollte nur noch weg und hoffte, dass Russell meinen Wunsch spüren würde.
„Mathis! Warum hast du nichts gesagt, verdammt!", zischten Olsen, kaum hatte ich mich von ihm abgewandt.
„Wieso hätte ich sollen?! Nach den Dingen, die du mir an den Kopf geworfen hast!", brach es wütend aus mir heraus. Ich löste mich ruckartig von Russell und machte einen energischen Schritt in Olsens Richtung. Der Alpha blieb nah bei mir stehen, um im Fall der Fälle eingreifen zu können.
„Ich habe mich dir anvertraut und du bist einfach durch die Decke gegangen und hast mich beschimpft. Natürlich komme ich da nicht gleich wieder zu dir!", setzte ich wütend fort und ballte meine Hände zu Fäusten. Olsen schnaubte, schüttelte danach jedoch den Kopf.
„Ja, okay. Meine Reaktion war nicht unbedingt in Ordnung–" „Nicht unbedingt in Ordnung trifft es nicht einmal ansatzweise", murrte Russell und legte seine große Hand flach auf meinen unteren Rücken.
Olsen warf meinem Partner daraufhin einen bösen Blick zu. „Du lässt erstmal überprüfen, ob es wirklich deine Kinder sind, dann darfst du dich auch einmischen!"
„Olsen!", kam es synchron schockiert von meinen Eltern, ehe Russell im selben Moment mit einem tiefen Grollen an mir vorbeischoss und meinen Bruder erneut am Kragen packte. Diesmal noch unsanfter und mit vor Wut bebenden Gliedmaßen.
Diesmal würde nicht einmal Dad dazwischen gehen. Der Alpha war wütend. Verdammt wütend und niemand mischte sich in den Kampf eines wütenden Alphas ein.
Ehe wir uns versahen, hatte Russell Olsen kraftvoll zu Boden geworfen. Mein Bruder schlitterte gut einen Meter über den blanken Parkettboden, bevor er am Türrahmen hängen blieb. Er konnte sich jedoch nicht aufrappeln, weil Russell ihn gleich wieder packte und schwungvoll in die Senkrechte riss.
„Oh, wie gerne ich dir den Kopf abreißen würde", zischte der Alpha mit verzerrter Stimme. Er löste eine Hand von Olsens Kragen, die nur einen Moment später mit enormer Wucht meinen Bruder im Gesicht traf. Olsen stöhnte schmerzhaft auf, versuchte sich aus Russells Griff zu befreien, doch der Alpha ließ nicht locker, sondern holte zu einem weiteren Schlag aus.
„Denk ja nicht, dass ich es zulasse, dass du negativ über meine Familie redest. Ich habe dir das schon einmal gesagt", fuhr Russell mit bebender Stimme fort und holte ein drittes Mal aus, als Olsen ihm entglitt. Mein Bruder stolperte nach hinten, griff in Russells Hemd, das er trug, um Halt zu finden. Doch der Stoff gab unter Olsens Gewicht nach, zerriss mit einem lauten Geräusch, bevor mein Bruder erneut unsanft mit dem Boden kollidierte. Die Knöpfe von Russells Hemd klimperten, als sie am Parkett aufkamen, was sich fast schön anhörte.
Olsen zog hörbar die Luft ein und hielt im nächsten Moment unterwürfig die Arme nach oben. Er duckte sich unter Russell weg, der wieder nach ihm greifen wollte, aber inne hielt, als er merkte, dass Olsen sich ergeben hatte.
Obwohl die Wut noch immer kräftig durch seine Adern pulsierte, war Russell aufrichtig genug, aufzuhören, wenn sich sein Gegenüber ergab. Das allein zeigte, was für ein fantastischer Alpha er war und perfekter Vater er sein würde.
„Ihr habt euch gebunden", stellte Olsen atemlos fest und setzte sich ein wenig auf, ohne sich vom Boden zu erheben. Ungläubig musterte er meinen Biss auf Russells blanker Haut. Sein Hemd war völlig zerstört und lag leblos bei seinen Füßen, wodurch sein Oberkörper entblößt vor uns stand.
Sein Blick fiel ungläubig auf mich. Seine Augen brannten sich in meine, während ich erschrocken beobachten musste, wie ihm langsam Tränen in die Augen stiegen. Sein Gesicht war stark gerötet und ich war mir sicher, dass es nicht lange dauern würde, bis es blau anlief.
„Du hast nichts gesagt", wisperte er und biss sich im nächsten Moment schmerzhaft auf die Unterlippe. Seine Tränen wurden immer mehr, quollen urplötzlich über und rannen dick über seine Wangen.
Ich konnte meine Arme nur fest um mich schlingen.
Das wurde mir gerade alles viel zu viel.
Russells Körper bebte noch immer, als er an mich heran trat und an seine nackte Brust zog. Sein Herz raste unter seiner Haut und seine Gefühle spielten gerade verrückt. Ich wollte ihn irgendwie beruhigen, in etwas von seiner Wut wegbringen, uns beide aus dieser Situation retten, aber auf Anhieb fiel mir nichts sinnvolles ein.
„Mum, steht dieser Fototermin noch?"
Meine Stimme zitterte und ich wusste, dass ich katastrophal aussehen musste, nachdem ich bitterlich geweint hatte, aber Russell war von Mums Idee so positiv überzeugt, dass ich ihm damit hoffentlich eine Freude machen konnte. So würden wir von hier wegkommen und gleichzeitig schöne Erinnerungen schaffen, auch wenn der heutige Tag nicht erinnerungswürdig war.
Mums Makeup war von ihren Tränen verschmiert, während noch immer neue Tränen über ihre Wangen liefen. Sie nickte langsam.
„Mary hat gesagt, dass ihr ab Mittag jederzeit vorbeikommen könnt." Ihre Stimme zitterte genauso wie meine, aber sie hatte offenbar verstanden, dass wir diese Ablenkung gerade brauchten.
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