19. Teil: ein Tag im Büro
Kaum waren wir in meinem Büro, begann mein Bruder gleich zahlreiche Fragen zu Quentin zu stellen, bis ich ihm kurz erläuterte, was gestern geschehen war.
Das fand mein Bruder nicht so cool und wollte Quentin gleich noch eine Lektion verpassen, als ich ihm erzählte, dass Russell das bereits getan hatte und ihn auf die Würgemale an Quentins Hals hinwies.
Das beruhigte Olsen ein wenig, sodass er sich endlich in meinem Büro umsehen konnte.
„Das ist eine Aussicht", murmelte er begeistert und inspizierte die Umgebung, die man von meinen bodentiefen Fenstern aus sehen konnte, genau. „Dafür würde ich auch hier arbeiten", scherzte er und ließ sich auf seinem der Sessel vor meinem Schreibtisch fallen.
Sein Blick ging forschend durch mein Büro. Er inspizierte jedes Eck, jedes Buch, jede Auszeichnung, die ich jemals bekommen hatte, bis er irgendwann bei mir ankam und mit mir unlesbaren Ausdruck entgegen sah.
„Ich kann mir ehrlich gesagt immer noch nicht vorstellen, dass dir das hier Spaß macht oder auch nur ansatzweise gut tut, aber mittlerweile bist du doch alt genug das selbst zu entscheiden." Er seufzte. „Morgen ist diese Sitzung?"
Ich nickte, zu perplex von seinen Worten. So etwas positives hatte ich im Bezug auf meine Arbeit von Olsen noch nie gehört.
„Dann erfahren sie morgen alle von deiner Schwangerschaft und deinem Rang?"
Wieder nickte ich und versuchte die Angst, die allein bei dem Gedanken an morgen, aufkam zu unterdrücken, damit Olsen nichts merkte.
Mein Bruder seufzte erneut. „Du weißt, dass es für mich das Schlimmste ist, dass du deinen Rang leugnest. Wenn... wenn du morgen klar Schiff machst, dann wirst du nie wieder auch nur einen dummen Kommentar in die Richtung deiner Arbeit von mir hören."
Mein Mund klappte perplex auf. Habe ich ihn gerade richtig verstanden?
„Wirklich?", fragte ich mit leiser Stimme und spürte Freudentränen in meinen Augenwinkeln brennen.
Olsen nickte.
„Erzähl mal. Was machst du eigentlich so den ganzen Tag? Ich weiß gar nicht, was du wirklich arbeitest."
Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, als ich mich an meinen Schreibtisch setzte und meinem Bruder genauestens erklärte, was meine Arbeit war und warum sie mir so Spaß machte.
Irgendwann drifteten unsere Gespräche ein wenig ab, bis es ohnehin bald Zeit zu gehen war.
Ich ließ Olsen kurz in meinem Büro alleine, während ich die Toilette besuchte und noch einen kurzen Abstecher bei Russell machen wollte. Vielleicht war Lukes mittlerweile schon wieder gegangen und ich konnte mich angemessen bei Russell verabschieden. Meine Lippen lechzten nach einem Kuss von dem Alpha.
Zu meiner Überraschung war die Bürotür einen Spalt geöffnet, was nicht weiter schlimm war, da zur Mittagszeit eh kaum jemand auf der Etage unterwegs war. Dadurch war es unglaublich leise und ich konnte ohne Probleme die Worte im Inneren des Büros verstehen.
Ich wollte nicht lauschen, aber als ich realisierte, worüber sie gerade sprachen, konnte ich nicht anders.
„Wir sind uns gestern näher gekommen", gab Russell zu und ich wusste genau, was er damit meinte.
„Du und der geheimnisvolle Omega?" Lukes lachte rau. „Wann sagst du mir endlich, wer er ist?"
„Bald", vertröstet Russell Lukes, der daraufhin leise brummte.
„Wir haben uns geküsst und ich hab meine Hände ein wenig wandern lassen, nichts wildes, aber er war sofort Feuer und Flamme."
Nichts wildes? Ich schluckte angestrengt. Das gestern war die reinste Knutscherei, die Art und Weise, wie mich geküsst hatte, seine Berührungen und seine Lippen an meinem Hals. Das war eindeutig mehr als nichts wildes.
Zumindest für mich.
„Er hätte wohl keine Skrupel gehabt weiter zu gehen, wenn ich es nicht gestoppt hätte."
„Du hast es gestoppt?", fragte Lukes überrascht und Russell nickte anscheinend, denn er sagte nichts.
„Warum?"
Ja, das fragte ich mich auch.
„Er war so... willig", murmelte Russell dann und klang hörbar ausgelaugt, als würde das Gespräch schwer auf seinen Schultern lasten.
Das war keine richtige Antwort.
„Er ist ein Omega, was hast du erwartet?", antwortete Lukes gleichgültig.
„Keine Ahnung. Ich hatte noch nie was mit einem Omega, ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist."
„Was? Sie ins Bett zu bekommen?", schmunzelte Lukes und Russell brummte zustimmend.
„Doch, doch. Omegas muss man nur einmal richtig anfassen und schon kannst du mit ihnen machen was du willst. Wirklich alles. Die sind so willig und umgänglich, sobald sie erregt sind, geht ihr Gehirn in Standby." Lukes lachte.
Mir gefiel es nicht, wie er das sagte. Er sprach so belustigt, beinahe herablassend, dass ich mich plötzlich unwohl fühlte in meiner Haut.
Ob mein Gehirn auch in Standby ging?
„Aber das muss man halt auch mögen", hing Lukes an. „Ich hatte was mit vielen Omegas, weil es schon Spaß macht, dass sie so willig sind, aber ich bin wirklich froh, dass Lucy kein Omega ist. Der Sex hat einfach mehr... pep."
„Also ist Sex mit Omegas langweilig", schlussfolgerte Russell mit neutraler Stimme und trieb mir damit beinahe die Tränen in die Augen.
„Ja, nein, hm, man muss es halt mögen, dann ist es sicherlich nicht langweilig."
Russell brummte leise.
„Probiere es doch einfach aus", schlug Lukes Russell vor, der daraufhin wieder brummte.
„Ich will nicht mit ihm schlafen und ihm danach sagen, dass der Sex langweilig war", murmelte Russell und kitzelte damit endgültig die Tränen heraus. „Außerdem hatten wir schon Sex... nur halt betrunken, deswegen kann ich mich nicht an wirklich viel erinnern."
Ich wusste, dass das eine Lüge war, aber ich war froh, dass Russell unser Geheimnis auch Lukes gegenüber aufrecht erhielt. Wenn ich schon meinen Bruder anlog, dann war es nur fair, wenn auch alle anderen nicht die Wahrheit erfuhren.
„Soso", schmunzelte Lukes und ich konnte beinahe hören, wie seine Augenbrauen dabei anzüglich wackelten.
Russell brummten nur leise.
„Probiere es noch mit einem anderen Omega", schlug Lukes vor und schockierte mich mit diesem Vorschlag so sehr, dass ich mir die Hand über den Mund legte, um nicht zu Schluckzen. „Aber unbedingt einen männlichen Omega", fügte Lukes hinzu. „Da wartete eine Überraschung auf dich." Ich konnte sein Grinsen regelrecht heraushören und konnte daraufhin nicht anders als mich wegzudrehen und erneut die Toilette aufzusuchen.
Mit einem kraftlosen Würgen entließ mein Körper sämtlichen Inhalt, bis ich erschöpft neben die Toilettenschüssel sackte und meine Arme um meine Beine schlang.
Ich wusste nicht, wie lange ich hier saß und das Gespräch zwischen Russell und Lukes immer und immer wieder Revue passieren ließ. Mit jedem Mal quollen mehr Tränen heraus und benetzten meine Wangen.
Ich hörte, wie die Tür zu den Toiletten geöffnet wurde und biss mir angestrengt auf die Lippe, um keinen Ton von mir zu geben, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu locken.
„Mathis?", hörte ich dann die Stimme meines Bruders und atmete automatisch erleichtert auf.
„Mathis?", kam es alarmiert von Olsen.
„Ich bin hier", krächzte ich mit leiser Stimme und quälte mich in die Senkrechte, um die Kabinentür aufzusperren.
Mein Bruder half mir augenblicklich, damit ich aufrecht stehen blieb und warf einen angeekelten Blick in die Toilettenschüssel, ehe er sich nach vorne lehnte und die Spülung betätigte.
„Die Schwangerschaft?", fragte er besorgt als er mir zum Waschbecken half, wo ich mir den Mund und das Gesicht ausspülte. Ich nickte nur.
„Ich will nach Hause", flüsterte ich und lehnte ich erschöpft gegen Olsen, der gleich nickte und mich den gesamten Weg zum Aufzug stützte.
Zum Glück begegnete wir niemandem. Olsen betätigte den Kopf, während ich erschöpft gegen ihn sackte und nur noch von seinen starken Armen gehalten wurde.
Ich war gerade so dankbar, dass er da war.
„Mathis?" Als ich Lukes Stimme hörte, spannte ich mich augenblicklich an. Ich wollte nicht, dass er mich so sah und wollte mich deswegen aufrichten, doch Olsen hielt mich eisern fest und verdeckte meinen schmächtigen Körper mit seinen Armen.
„Alles in Ordnung?", fragte der Alpha, als er in unserer Nähe war, und klang dabei sogar ein wenig besorgt.
„Alles bestens", antwortete Olsen nur etwas forsch und schob mich im nächsten Moment in den Aufzug und betätigte den Knopf, dass sich die Türen gleich schlossen.
Ich war unsagbar froh, dass Olsen ein Taxi für den Heimweg rief, da ich den Fußweg sicher nicht überstanden hätte. Nun lag ich in eine dicke Decke eingerollt in meinem Bett und wartete auf meinen Bruder, der jeden Moment mit einem Tee kommen dürfte.
Das Gespräch zwischen Russell und Lukes schwirrte angestrengt durch meinen Kopf und die Angst, dass Russell mit jemand anderem schlafen würde, mit einem anderen Omega, einem, der mehr Rundungen hatte, einem, der einen Pfirsich-Po vorzuweisen hatte, wurde von Minute zu Minute penetranter. Wenn er dann mit mir schlafen würde, wobei das ein großes wenn war, dann wäre er enttäuscht, weil mir das alles fehlte.
Gleichzeitig tat der Gedanke, dass Russell mit irgendwem anders, egal ob Omega oder sonst was, schlief, einfach nur weh. Wir waren nicht exklusiv, hatten das zwischen uns nicht betitelt, deswegen könnte er auch ohne Weiteres mit jemand anderem schlafen, aber das hieß nicht, dass es deswegen mir weniger wehtat.
„Ich weiß nicht, wann ich dich das letzte Mal hab weinen sehen", murmelte Olsen, als er mein Schlafzimmer betrat. Ich wischte mir augenblicklich mit meinem Ärmel über meine Augen, obwohl ich wusste, dass es eh zu spät war.
Er reichte mir meinen Tee und stellte eine Keksdose aufs Bett, ehe er sich ungeniert neben mich legte und in die Dose griff.
„Macht dich die Schwangerschaft so fertig?", fragte mein Bruder in sanften Ton und ich nickte.
„Es ist verdammt anstrengend", murmelte ich und wärmte meine Hände an der warmen Tasse. „Es ist schlimm. Ich bin so viel emotionaler."
„Du meinst, jetzt zeigst du deine Emotionen mal, anstatt sie in dich reinzufressen."
Ich sah zu meinem Bruder und versuchte aus seinen Gesichtszüge lesen zu können, was er damit genau meinte.
„Schau nicht so, Mathis. Ich kenne dich schon mein ganzes Leben lang und ich weiß, dass du ein Sensibelchen bist, das nur einen auf taff macht." Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen und ich konnte nur seufzen.
„Du hast schon Recht", gab ich beschämt zu.
„Hey, vielleicht man die Schwangerschaft dich endlich zu einem richtigen Omega", strahlte mein Bruder und drückte seine Faust sanft gegen meine Schulter, anstatt wie sonst fest dagegen zu schlagen.
Es war schön, dass er solche Rücksicht auf meine Situation nahm und ich freute mich ungemein, dass er hier war.
Aber dass er wieder mit so einem Scheiß anfing, ärgerte mich.
„Ich bin ein richtiger Omega", zischte ich leise. Körperlich zumindest.
„Ja, aber du verhältst dich nicht so", widersprach Olsen und entlockte mir ein Schnauben.
„Du verhältst dich auch nicht wie ein Beta."
„Das ist etwas anderes, Mathis. Jeder weiß, dass ich ein Beta bin, bei dir weiß kaum jemand, dass du ein Omega bist. Du verleugnest dich selbst."
Ich seufzte angestrengt. Ich kannte diese Leier schon und hatte es schon viel zu oft gehört. Ich wollte mich nicht wegen ein und dem selben Thema wie immer mit Olsen streiten und griff stattdessen nach der Fernbedienung und reichte sie ihm. Mal ganz abgesehen davon, dass ich heute Mittag noch seinen Segen bekommen hatte.
„Können wir uns bitte nicht streiten und stattdessen etwas normale Zeit miteinander verbringen?" Mein flehender Ton störte mich dabei selber kaum.
Olsen zögerte einen Moment, ehe er nickte, die Fernbedienung entgegen nahm und durch die Sender zappte, bis er etwas Interessantes gefunden hatte.
Ich trank meinen Tee und spürte wie ich langsam müde wurde, bevor ich jedoch wegnickte, griff ich nach meinem Handy und sah dass Russell versucht hatte mich zu erreichen.
Ob Lukes ihm von unserem kurzen Treffen vorhin erzählt hatte?
Ich möchte bei eurem Geschwistertag nicht stören, deswegen rufe ich nicht nochmal an :) Ich habe noch einiges an Arbeit und komme deswegen ein wenig später.
Ich wollte dir nur Bescheid geben <3
Ich schluckte angestrengt und versuchte das erneute Brennen in meinen Augen weg zu blinzeln.
Wollte Russell die Zwischenzeit nutzen, um einen anderen Omega zu finden? Wollte er Lukes Rat nach kommen? Gab er deswegen vor, dass er länger in der Firma bleiben musste?
Du brauchst heute nicht vorbei kommen. Olsen und ich machen uns einen gemütlichen Abend zu zweit. Wir sehen uns morgen.
Ich überlegte kurz ihm ebenfalls ein Herz zu schicken, aber das Gespräch, das weiterhin in meinem Hinterkopf schwirrte, ließ das nicht zu, weshalb ich die Nachricht so schickte.
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