11. Teil: Familienverhältnisse
Nachdem ich Russell über den Stand meiner Schwangerschaft informiert hatte und seine Fragen beantwortete hatte, hatte Russell das Fotoalbum beiseite gelegt. Wir hatten angefangen uns über belanglose Themen zu unterhalten und waren dabei irgendwann zu übergangen über unsere Hobbys zu reden.
Mittlerweile lag ich direkt in Russells Armen und schmiegte meine Wange gegen seine breite Brust. Seine Arme lagen sicher um meinen Körper und die Decke, die über uns lag, hüllte mich in eine angenehme Wärme. Russell hatte die Beine auf dem Sofa ausgestreckt und lehnte mit dem Rücken gegen die Sofalehne, während ich mich beinahe wie ein junger Welpe an ihn klammerte.
Einerseits schämte ich mich dafür, dass ich mich so an ihm kuschelte und damit abermals sämtliche Omega-Klischees erfüllte, andererseits fühlte es sich einfach nur viel zu gut an, als dass ich etwas dagegen unternehmen konnte.
Auch Russell schien es nicht im Geringsten zu stören und das beruhigte mich ungemein.
Er erzählte mir von seiner Familie, von seinen Schwestern und seinen Eltern. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen und als sein Vater, der ebenfalls ein Alpha war, überraschend früh an einer Krankheit gestorben war, verschlechterten sich die Verhältnisse seiner Familie drastisch, sodass Russell bereits im Teenageralter dessen Rolle übernommen hatte. Sein Omega-Vater wollte ihm diese Last immer abnehmen, aber Russell konnte seinem Vater nicht dabei zu sehen, wie er sich aufarbeitete, nur um mit drei Kids um die Runden zu kommen. Er hatte seine gesamte Energie ausschließlich in seine Familie und in seine Karriere gesteckt, damit er seinem Vater und seinen Geschwistern das Leben ermöglichen konnte, das sie verdienten.
Auch heute hatte er noch eine sehr enge Bindung zu seinen Geschwistern und seinem Vater, der ihn jeden Sonntag zum Brunch besuchen kam.
Er erzählte von seiner Collegezeit, die er sich nur durch ein Stipendium finanzieren konnte, und von den Freundschaften, die er damals geknüpft hatte, die bis heute noch bestanden.
Kurz gesagt, Russell vertraute mir sein gesamtes Leben ohne mit der Wimper zu zucken an.
Das rührte mich ungemein. Kaum jemand in der Firma wusste wirklich etwas über Russell, weil er sein Privatleben für sich behielt und nur wenige Details durchblitzen ließ. Dass er das alles nun mit mir geteilt hatte, ließ mein Herz ungewöhnlich anschwellen.
„Es ist schön, dass du so ein gutes Verhältnis zu deiner Familie hast", murmelte ich und beobachtete gedankenverloren meinen Zeigefinger, der kleine Kreise auf den Stoff, der über seine Brust spannte, malte.
Ich freute mich wirklich für ihn. Gleichzeitig stimmte es mich jedoch auch sehr traurig.
Ich hatte meine Eltern schon so lange nicht mehr gesehen, Gott, wir hatten schon seit Ewigkeiten nicht mal mehr miteinander geredet. Ich wusste lediglich von meinem Bruder wie es ihnen ging und zu hören, wie früh Russell seinen Vater verloren hatte, schürte die Angst in mir, dass meine Eltern langsam auch ins Alter kamen und vielleicht irgendwann nicht mehr da sein würden.
„Ich habe vor fünf Jahren das letzte Mal mit meinen Eltern geredet", beichtete ich leise und schmiegte mich automatisch näher an Russell. Der Alpha zog mich gleich etwas enger an sich und als einer seiner Hände in meine Haare wanderte und langsam hindurch kraulte, schloss ich die Augen.
„Sie... sind mit meinem Lebensstil nicht einverstanden...", setzte ich fort. „Sie wollten mich immer umstimmen, wollten das ich ein Leben führe wie jeder andere Omega und irgendwo in einer Kleinstadt eine Familie mit vielen Enkelkindern gründe... Aber das bin ich einfach nicht. Ich" Ich stockte. Meine Stimme zitterte verdächtig und nur meine zugepressten Augenlider verhinderten noch, dass meine Tränen überliefen. Meine Eltern waren mein wunder Punkt, der sofort sämtliche Gefühle herausforderte, wenn er angesprochen wurde.
„Ich vermisse sie unglaublich, aber es ist zu viel zwischen uns passiert, als dass ich einfach so anrufen könnte", flüsterte ich und bemerkte nur unterbewusst, wie sich meine Hand in sein Oberteil krallte. „Dass... dass ich jetzt auch noch... schwanger bin, erschwert alles umso mehr. Sobald sie davon erfahren, wollen sie nur noch mehr, dass ich aus der Stadt ziehe und meinen Job kündige, aber das will ich nicht."
Es sollte mir unangenehm sein, dass ich Russell meine Gefühlswelt und meinen wunden Punkt so präsentierte, aber das war es nicht. Seine Nähe und seine Wärme beruhigten mich soweit, dass sogar noch richtige Sätze aus mir kamen, anstatt nur starkem Geschluchze.
„Sie sind deine Eltern. Ich bin mir sicher, dass sie sich nach dieser langen Zeit trotz allem freuen, wenn du dich bei ihnen meldest", sprach Russell mit beruhigender Stimmlage, nachdem einige stumme Augenblicke vergangen waren und kraulte weiterhin durch meine Haare. „Und du musst es ihnen ja nicht gleich sagen. Teste erst das Gewässer, versuche ihnen wieder etwas Nahe zu kommen und dann kannst du es ihnen immer noch sagen." Seine raue Stimme ließ seinen Brustkorb angenehm vibrieren. Ein Gefühl, das unzählige andere Gefühle in mir auslöste.
Wie konnte Russell nur so perfekt sein?
„Ich denke darüber nach", flüsterte ich und drückte mein Gesicht in seine Brust. Ich spürte seinen beruhigenden, starken Herzschlag und konzentrierte mich auf seine gleichmäßige Atmung, während ich versuchte meine Emotionen wieder ein wenig in den Griff zu bekommen.
Daraufhin kam eine angenehme Ruhe auf. Russell rutschte ein wenig tiefer ins Sofa, sodass er nicht mehr aufrecht gegen die Lehne gelehnt saß, und zog mich dabei ungeniert auf seinen Körper, ehe er die Decke ausrichtete und uns beide angenehm darin eingewickelte.
Ich streckte vorsichtig meine angezogenen Beine aus und schob sie zwischen seine. Mein Kopf war auf seiner Brust platziert, während Russell mich mit seinen Armen an Ort und Stelle hielt, damit ich nicht links und rechts von ihm runter rutschten konnte. Wobei Russells Körper sowieso so breit war, dass ich auch ohne seinen Armen kaum weggerutscht wäre.
Wie ein kleines Kind krallten sich meine Hände an seinen Seiten in den Stoff seines Oberteils um unterbewusst auf Nummer sicher zu gehen, dass er nicht weg konnte.
Russell begann sanft über meinen Rücken zu streichen und lullte mich damit ungemein ein, sodass ich früher oder später sogar eingeschlafen könnte.
„Ich wollte diese Kinder nicht", fing ich leise an.
Irgendetwas drängte mich dazu ihm davon zu erzählen. Er sollte es wissen.
„Ich wollte nie Kindern. Ich war immer froh, dass ich meinen Gefährten nicht gefunden habe, weil ich mich dann besser auf meine Karriere konzentrieren konnte. Meine Karriere war immer das Einzige, das ich im Kopf hatte." Ich machte eine kleine Pause, während Russell mir stumm zuhörte und weiterhin über meinen Rücken streichelte.
„Ich habe meine Ernährung umgestellt und dachte, dass es mir deswegen so schlecht geht, dass ich deswegen solche Magenprobleme hatte und mich übergeben musste. Ich wäre nie auch nur auf den Gedanken gekommen, dass ich schwanger sein könnte... deswegen bin ich auch anfangs nicht zum Arzt." Ich stockte, schluckte angestrengt.
„Ich wollte eine Abtreibung", ließ ich die Bombe platzen, die Russells Hand für eine Millisekunde ins stocken brachte, ehe sie ihre Streicheleinheit wieder fortsetzte. „Ich wollte nie Kinder und zu wissen, dass da auf einmal gleich zwei in mir heranwachsen, hat mir eine scheiß Angst beschert. Dass ich noch dazu den Vater nicht kenne hat es nicht besser gemacht. Außerdem hatte ich schreckliche Angst davor, meinen Job zu verlieren. Gott, ich hatte so eine Angst davor, dir davon zu erzählen."
Russells Arme um mich festigten sich erneut ein wenig. Er lehnte sich zur mir hinunter, sodass ich seinen heißen Atmen in meinen Haaren spürten konnte und als er meinen Duft einsog, trat trotz der momentanen Situation ein kleines Lächeln auf meine Lippen.
„Du dachtest, dass ich dich kündige?", fragte Russell mit kratziger Stimme, die sich so gar nicht nach dem Geschäftsmann anhörte. Offenbar gingen ihm meine Worte nahe.
„Nein, also, nicht direkt. Ich... wusste ja nicht, dass eh schon jeder von meinem Rang wusste. Ich dachte, dass wenn auffliegt, dass ich ein Omega bin, ich sofort rausfliege, weil Omegas da eigentlich nichts zu suchen haben zwischen den Alphas und Betas", gab ich beschämt zu und drückte mich enger an Russell.
Russell seufzte tief und schüttelte dabei den Kopf, ehe er seine Nase wieder in meinen Haaren vergrub.
„Ach Mathis", murmelte er und klang dabei fix und fertig. Sein heißer Atem, der beim sprechen auf meine Kopfhaut trat, jagte eine angenehme Gänsehaut über meinen Körper. Russell bemerkte dies, fasste es jedoch völlig falsch auf und zog die Decke enger um uns. „Wir dachten, dass wir dir etwas Gutes tun, indem wir es dir nicht sagen, aber wenn ich gewusst hätte, dass du dir deswegen solche Gedanken machst, hätte ich es dir sofort gesagt. Das tut mir so leid. Ich wollte dich nicht unnötigem Stress aussetzten." Russell klang aufrichtig und sein schlechtes Gewissen war deutlich herauszuhören.
Das ließ mich den Kopf heben und zu Russell aufsehen. Seine grünen Augen schimmerten matt, was mir deutlich zeigte, dass ihm dieses Gespräch auch nahe ging. Wir hielten einen Moment lang Blickkontakt, ehe ich beschämt den Kopf senkte.
„Die Schwangerschaft war schon zu fortgeschritten", offenbarte ich und krallte mein Hände dabei fester in den Stoff seines Shirts. Ich wollte seinen Blick nicht sehen, weshalb ich mein Gesicht wieder an seine Brust drückte. Diesmal spürte man seinen vorhin noch ruhigen Herzschlag nervös gegen seinen Brustkorb schlagen. „Ich weiß nicht, ob ich ein guter Vater wäre, Russell. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich diese Kinder überhaupt behalten möchte oder nicht doch besser zur Adoption freigeben sollte, damit sie zu einer Familie kommen, die ihnen die Liebe geben kann, die sie verdienen", schluchzte ich und klammerte mich fester an Russell. Die Tränen, die ich vorhin noch erfolgreich zurück gefochten hatte, quollen in rasender Geschwindigkeit über und durchnässten Russell Oberteil in Sekundenschnelle.
„Mein I-instinkt bringt mich immer wieder dazu, dass i-ich mir w-wünsche sie zu behalten, d-dass ich mir eine rosige Zukunft ausmale, in der ich s-sie l-liebe und d-dass sie mich lieben. A-aber meine ra-rationale Seite weiß, d-dass ich dafür einfach ni-nicht gemacht bin. I-ich kann nicht mit Kindern, i-ich weiß nur, w-wie man arbeitet u-und das will ich auch n-nicht aufgeben."
Russell setzte sich unterdessen auf, sodass ich auf seinem Schoß rutschte und ihm sofort um den Hals fiel und mein Gesicht an seiner Schulter vergrub, damit er meine Tränen nicht sehen konnte. Der Alpha drückte mich an seinen Körper, spendete mir Nähe und Wärme und hörte sich weiterhin ruhig an, was ich zu sagen hatte.
„Ich liebe sie jetzt schon so sehr", wimmerte ich und schluchzte im nächsten Moment schmerzhaft auf.
„I-ich weiß nicht, w-was ich machen soll, Russell."
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