Kapitel 45
Am nächsten Tag erscheint Madam Pilo wieder in der Waschküche. Kurz habe ich die Hoffnung, dass sie zu einem der anderen Mädchen muss, doch sie bleibt vor mir stehen.
„Mitkommen, der Prinz braucht nochmal deine Hilfe", sagt sie giftig.
„Wir haben so viel Arbeit ich kann nicht, vielleicht kann eine der anderen helfen", stottere ich in dem Versuch, dem Treffen zu entkommen.
„Mädchen was ich sage wird getan und ich will kein pieps von dir hören", sagt sie so furchteinflößend, dass ich verstumme und ihr widerwillig folge. Nachdem sie mich wieder im Zimmer stehen lässt, eile ich auf die Regale zu und beginne die Bücher auszuräumen.
„Was machst du da?"
„Wozu ich gebeten wurde, mein Prinz." Ich habe keine Lust auf mehr Hirngespinste und noch weniger auf ein Gespräch. Je schneller ich mit der Arbeit fertig werde, umso früher kann ich gehen.
„Emmelin, es tut mir leid, dass ich das gestern alles auf dich geladen habe. Aber ich habe keine andere Wahl." Er kommt auf mich zu und stellt sich dicht neben mich. Ich räume immer noch eines der Regal fächer leer und stell die Bücher auf dem Boden ab.
„Ich habe dir das alles anvertraut, weil ich dachte du bist mein Freund. Nicht das du mir irgendwelche Hirngespinste einredest und mich in den Wahnsinn treiben kannst", keife ich sauer ohne meinen Blick zu ihm zu richten.
„Emmelin bitte. Sieh mich an", fleht er, doch ich schenke ihm keine Beachtung. Ich höre wie er zurück zu seinem Tisch läuft und durch seine Blätter wühlt. Danach kommt er wieder auf mich zu gestampft. Seine schweren Schritte sind unglaublich laut, in der sonstigen Stille.
„Du denkst, ich erlaube mir einen Spaß mit dir, oder? Wieso weiß ich dann, dass diese Blume auf deinem Arm zu sehen war? Du hast mir nichts davon gesagt." Jetzt geht mein Blick doch zu ihm. Auf das Blatt Papier, um genau zu sein. Tatsächlich ist die Blume dieselbe, die ich am Abend des Balles auf meinem Arme gesehen habe. Kurz versuche ich unser Gespräch zu übergehen. Er hat recht. Du hast nie etwas von der Blume gesagt. Geschweige denn erklärt, wie sie aussieht, muss mein Verstand überrascht verstellen.
„Woher weißt du das?", frage ich verwundert.
„Weil ich es gesehen habe. Weil dieselbe Blume auch auf meinem Arm zu sehen ist. Weil das alles nicht ein Versuch ist dich in den Wahnsinn zu treiben", sagt er flehend. Ich kann es mir selbst nicht erklären, aber irgendetwas in mir scheint sich zu wenden. Auf einmal überdenke ich seine Worte. Kann es möglich sein, dass er die Wahrheit gesagt hat?
„Du sagst die Wahrheit, oder? Das gestern war dein ernst?", sage ich eher an mich gerichtet, doch Kian bejaht. Ich lasse mich auf den Sessel fallen und brauche einige Minuten, um alles zu verarbeiten.
„Was willst du damit sagen? Ich bin mehr, als nur eine Ari? Irgendetwas stimmt nicht mit mir?", will ich verzweifelt wissen. Kurz versuche ich in Gedanken Kians Beschreibung vom Vortag durchzugehen, doch es macht alles keinen Sinn. Ich bin doch nichts Besonderes. Ich bin einfach nur ich, so war es schon immer und so wird es immer sein. Warum passiert das alles. Plötzlich werde ich wütend. Wütend über mich selbst, über Kian und über die ganze Situation.
„Fragst du dich manchmal, ob es da draußen mehr gibt? Ob du mehr sein kannst? Hm... Ja? Ich nämlich nicht. Ich habe mich abgefunden eine Ari zu sein. Abgefunden, dass mein Leben nie mehr, aber auch nicht weniger sein wird. Habe Frieden geschlossen, dass es Dinge im Leben gibt, die man einfach zu akzeptieren hat. Heck, ich habe sogar gelernt allein zu sein, eine Waise, verlassen von den zwei Menschen, die mich mein Leben lang geliebt haben. Ich habe gelernt eine gefügige Dienerin zu sein. Ich habe alles getan, was man mir gesagt hat." Ich atme tief durch und fahre fort, „Also wieso bricht alles ein? Wieso ist das nicht mehr genug? Wo ist es falsch gelaufen? Kannst du mir das erklären?", brülle ich in meiner Verzweiflung. Das alles wird mir wieder zu viel. Erst das mit Beynon und jetzt das. Ich breche in Tränen aus, bekomme kein weiteres Wort heraus. Die Angst vor erneut schlaflosen Nächte und einem Nervenzusammenbruch wallt in mir auf. Jetzt war doch alles fast wieder beim Alten. Warum muss es jetzt wieder etwas Neues geben?
Schweigend kommt Kian auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Ich weiß nicht wie lang er mich in seinem Arm wiegt, doch meine Frustration ebbt langsam ab, meine Gedanken beruhigen sich wieder und mein Körper kommt zur Ruhe. In Gedanken beschließe ich, dass ich jetzt erstmal versuche, das alles zu verstehen, bevor ich mich darüber ärgere. Ich wische mir die letzten Tränen aus den Augen, richte mich auf und winde mich aus der Umarmung. Kurz räuspere ich mich.
„Okay gut. Also was machen wir jetzt", sage ich mit fester Stimme, doch ein leichtes Zittern ist noch zu hören. Kian mustert mich kurz, bevor seine besorgte Miene eine etwas friedlichere annimmt.
„Bibliotheken nehme ich an. Ich habe schon einige Bücher durchforscht, doch allein komme ich zu langsam voran", erklärt er seinen Plan. Um nicht ungewollte Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, beschließen wir, dass es besser ist heute Abend die Bibliothek aufzusuchen. Wenn die Bediensteten in den Betten liegen und der König in seinem Gemach ist.
Um meine Tarnung aufrecht zu halten, im Zimmer des Prinzen klar Schiff zu machen, beginnen wir das Regal tatsächlich komplett auszuräumen und die Bücher auf dem Boden in verschiedene Stapel zu sortieren. So wie die etlichen andere Dinge, die er darin verstaut hat, ordentlich zu sortieren.
„Gut, dass du Hilfe gerufen hast, dein Zimmer ist ein Schweinestall", scherze ich, als wir das Regal endlich komplett ausgeräumt haben. Kian lacht und auch ich muss lachen.
„Das Chaos hast du gemacht. Vorher war alles im Regal", beschwert er sich künstlich. Kurz vor dem Abendessen lässt er mich gehen. Auch an diesem Abend ist von Jayden keine Spur. Seit einer Stunde sitze ich im inneren Garten auf der Bank, in der Hoffnung Jayden würde, doch noch auftauchen. Als ich Schritte höre, hoffe ich, dass es Jayden ist. Doch ich sehe, dass es Rosalee ist, die auf mich zukommt. Leise setzt sie sich neben mich und zieht mich in eine Umarmung.
„Er kommt schon noch zur Vernunft. Männer brauchen einfach etwas länger", flüstert sie mir ins Ohr und hebt meine traurige Stimmung. Rosalee nimmt inzwischen an, dass Jayden wegen des Gespräches eifersüchtig geworden ist und deshalb nicht mehr auftaucht. Doch ich weiß, dass das nicht das Problem ist. Sondern, weil er mich beim Lügen erwischt hat und zudem auch noch beim Prinzen gesehen hat. Ich verstehe nicht, wieso es ihm so missfällt, mich bei ihm zu sehen, zumal er nicht das Ausmaß unsere Freundschaft kennt. Aber es schmerzte trotzdem, dass das einen Keil zwischen uns treibt.
Ich habe am Morgen versucht ihn im Garten bei der Arbeit ausfindig zu machen. Doch es war keine Spur von ihm. Es ist, als ob er mir so sehr aus dem Weg geht, dass er komplett untergetaucht ist. Nach einer Stunde erklär ich Rosalee, dass ich etwas Zeit allein brauche. Sie nimmt an es ist wegen Jayden, aber in Wirklichkeit ist es Zeit mit Kian in die Bücherei zu schleichen. Aber das kann ich ihr nicht erzählen. Also lass ich sie im Glauben, es handelt sich um Jayden.
Leise schleiche ich den Flur entlang und die bediensteten Treppe hinauf. Vorsichtig spähe ich durch die Türe um sicherzugehen, dass sich niemand in den Fluren aufhält. Erleichtert stelle ich fest, dass es Menschenleer ist und ich husche schnell zu Kians Zimmer und schließe die Türe leise hinter mir. Das Zimmer ist dunkel und ich kann den Prinzen nicht sehen.
„Da bist du ja endlich", taucht seine Stimme plötzlich neben mir auf und ich zucke zusammen.
„Kian erschrick mich nicht so", fauche ich ihn leise an und ich spüre, wie das Adrenalin durch meine Adern rast. Er lacht leise und amüsiert sich über mein erschrockenes Gesicht. Kurz schaut er, ob die Luft rein ist und dann folge ich ihm. Ein Stockwerk nach unten und eine massige Flügeltür später stehen wir in einem riesigen Saal.
Mir klappt der Mund auf, als ich den Raum betrachte. Ich habe einen Raum ähnlich zu dem im Ostflügel erwartet. Größer und eventuell noch dekoriert, aber nicht das was ich jetzt sehe. Die hohe runde Decke ist mit Malereien geschmückt und goldenen Elementen verziert. Wie in der Eingangshalle hängen hier mehrere goldenen Kronleuchter. Die Regale aus Mahagoni, sind mit so vielen Büchern gefüllt, dass es Wochen dauern würde sie zu zählen.
Links und rechts an den Wänden reicht ein Regal an das nächste und drei Reihen in der Mitte des Saales sind ebenfalls mit Büchern gefüllt. Verstreut stehen kleine Runde Tische mit goldenen Lampen, neben prächtigen schwarzen Sesseln. Büsten von ehemaligen Königen aus Marmor, stehen dekorativ im Raum, sowie Vasen mit den prächtigsten Blumen. Vereinzelt stehen auch Schaukästen mit großen, alten Büchern darin. Eine goldene Wendeltreppe geht zur rechten und linken hoch und führen auf eine Balustrade, um an die Bücher weiter oben zu kommen.
Während ich noch von der Schönheit und der Tischlehrkunst, der verzierten Regale gefangen bin, ist Kian bereits auf eines der Regale zu gelaufen. Immer noch den Raum betrachtend, schließe ich mich ihm an. Mit den Fingern fahre ich über die Buchrücken, der Lederbände in dem Regal neben mir.
„Ich denke, wir sollten hier anfangen. Das sind die Bücher die hauptsächlich geschichtlich über Merah handeln", erklärt er, während er beginnt die Bücher zu betrachten und ab und zu eines herausziehen, um es genauer zu untersuchen.
„Wie viele Bücher stehen hier?", frage ich immer noch erstaunt.
„Ich weiß nicht genau. Sie sind nirgends aufgelistet oder gezählt und es kommen immer wieder neue dazu. Aber ich schätze über 10.000 sind es auf jeden Fall. Aber es reicht von Kindergeschichten bis hin zu Politik Themen", sagt er etwas abwesend, während er weiter die Bücher durchforscht. Nach ein paar weiteren Minuten des Bestaunens, schließe ich mich seiner Suche, nach relevanten Büchern, an.
Fast eine Stunde sammeln wir Bücher, die eventuell antworten enthalten können. Schriften zur Entstehung Merah, Geschichtsbücher, Schriften vom ersten Krieg, aber auch ahnen Bücher der königlichen Familie. Alles das nur annähernd etwas mit dem zu tun haben könnte, was bei der zweiten Auslese geschehen ist.
Am Ende ist unser Stapel dreißig Bücher hoch und wir haben nur einen Bruchteil der Bibliothek durchforstet. Wir bringen die ersten fünfzehn Bücher in Kians Zimmer. Um das Risiko nicht einzugehen, dabei erwischt zu werden, schickt mich Kian zurück auf mein Zimmer. Doch auf meinem Weg zurück ins Zimmer bin ich unachtsam und auf den königlichen Flur übersehe ich eine Person. Mein Puls schießt in die Höhe und meine Atmung wird schwer. Um diese Zeit kann es sich nur um die Königsfamilie handeln und es ist definitiv nicht Lilly. Angst macht sich in mir breit, dass es der König ist. In der Hoffnung, dass die Gestalt mich nicht gesehen hat, versuche ich mich schnell im Schatten zu verstecken, aber es ist schon zu spät.
„Emmelin?", höre ich eine mir vertraute Stimme. Die Stimme, die ich so viele Tage nicht mehr gehört habe. Ich trete aus dem Schatten und auf die Person zu. Mein Herz nicht mehr vor Angst rasend aber vor Vorfreude. Ein erleichtertes Lächeln legt sich auf meine Lippen.
„Jayden, was machst du hier?", will ich verwirrt wissen. Als ich sehe wie er an einem Blumengesteck in einer der Vasen herumwerkelt, kann ich es mir schon denken. Die Blumen erscheinen nicht magisch in den Vasen. Macht Sinn, dass die Gärtner diese jeden Abend neu in die Vasen füllen, behelligt mich mein Verstand.
„Die Frage ist doch eher, was du hier machst, Emmelin. Das sind die königlichen Stockwerke und du weißt genauso gut wie ich, dass du hier nicht zu suchen hast", fährt er mich wütend an, aber in seinen Augen kann ich auch Besorgnis sehen.
„Jayden ich kann das erklären", versuche ich die Situation zu entschärfen.
„Natürlich kannst du das. Mit noch mehr Lügen." Er wirft mir einen bösen Blick zu, der mich genau ins Herz trifft. Wie ist aus dem gutmütigen, herzensguten Menschen diese wütende Version geworden? Frage ich mich traurig, als auch schon mein Verstand die Antwort bietet. Du weißt, es ist deine Schuld. Du hast das getan. Tränen laufen mir die Wange hinunter und ich muss leise Schluchzen.
„Bitte Jayden, ich kann das erklären", bettele ich, doch er wendet seinen Blick wieder von mir ab und auf die Blumen vor sich. Ich sehe ihm an, dass ich ihn sehr verletzt habe und der Schmerz in meiner Brust wird größer.
„Du solltest lieber gehen, bevor jemand anderes, als ich dich hier erwischt", mahnt er und ich meine einen Hauch von Besorgnis zu hören. Vielleicht ist nicht alle Hoffnung verloren.
„Nur wenn du mich morgen auf dem Dach triffst. Wir müssen reden", sage ich stur und verschränkte meine Arme vor der Brust. Ich werde nicht noch einmal, die Chance bekommen mit ihm zu sprechen. Für einige Minuten herrscht Stille zwischen uns und ich bewege mich keinen Zentimeter. Als wir plötzlich Schritte hören, dreht er sich panisch zu mir um. Doch ich verharre in meiner Position, bewege mich kein Stück.
„Also gut. Aber bitte geh jetzt", flüstert er panisch und sein Blick huscht immer wieder zu den Schritten. Ich Grinse ihn schnell an und verschwinde in den Schatten, durch das Treppenhaus und zurück in meine Zimmer.
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