Kapitel 41
Hände drücken meine Kehle zu. Immer fester und fester.
Keuchend schrecke ich aus meinem Albtraum hoch. Ganze zwei Stunden, ist es mir gelungen zu schlafen. Jetzt rast mein Herz erneut und die Wände scheinen auf einmal zu klein, kein Platz zum Atmen und ich drohe zu ersticken. Ich springe von meinem Bett und aus der Türe. Ohne einen klaren Gedanken zu fassen, renne ich immer weiter bis ich plötzlich aus der Türe zum Vorgarten stürme.
Die kalte Luft öffnet meine Atemwege und die Beklemmung legt sich von mir. Die kalte Luft umschließt meine Haut. Nur in einem T-Shirt und einer langen Hose begleitet, spüre ich den Wind meine Haut kitzeln. Ich werfe einen kurzen Blick, zu dem Punkt an dem mich Beynon an die Wand gedrückt hat. Schnell schreite ich in die Weite. Hier sind keine Wände, an denen mir die Flucht verwehrt ist.
Unbewusst laufe ich zu der Grünfläche, auf der ich die Sterne beobachtet habe, zu. Vor Eile habe ich vergessen mir Schuhe überzuziehen und das feuchte Gras kitzelt meine Füße. Mein Körper ist übersät mit einer Gänsehaut, aber die Kälte dringt nicht zu mir vor. Alles, was ich spüre, ist Taubheit. Innere Leere und die Last der Angst.
Ich lasse mich auf den Rücken fallen und starre an die Sternendecke. Friedliche weite. Freiheit. Mit jedem Atemzug legen sich die Enge in meiner Brust, die Bedrückung in meinem Kopf und die Angst aus meinen Gliedern. Langsam beginne ich die Sterne zu zählen, um meine Gedanken zu beschäftigen.
Immer wieder erscheinen Erinnerungen von meinem Vater und unserer nächtlichen Sternenjagd. Langsam kehrt der innere Frieden zurück. Die grausamen Erinnerungen und Gespinste, weichen meiner vergangenen Erinnerungen. Wenn auch diese nicht weniger schmerzlich sind, sind sie um einiges weniger beklemmend.
Wie lange genau ich hier liege, weiß ich nicht. Es können Stunden, aber auch nur Minuten sein. Plötzlich vernehme ich Schritte. Bevor ich mich aufrichten kann, beugt sich schon eine Person über mich. Für einen kurzen Augenblick sehe ich Beynon böse zu mir hinunter funkeln, doch als ich blinzle erkenne ich den jungen Mann.
„Kian!", presse ich erleichtert auf und lockere meine Haltung.
„Was zum Henker machst du nachts um drei Uhr, barfuß auf dem Boden?", will er entsetzt wissen. Er klingt beinah wie ein großer Bruder. Also bin ich erst eine Stunde hier, schlussfolgert mein Gehirn. Noch mindestens vier, bevor ich mich für den Tag fertig machen muss. Kurz schließe ich meine Augen und ziehe die kalte Luft tief in mich ein.
„Ich konnte nicht schlafen und", ich halte kurz inne. „Ich hab frische Luft gebraucht." Ich blicke ihm nicht in die Augen, doch seinem Gesicht kann ich Trauer ablesen. Er kennt den Grund für meine schlaflosen Nächte. Sein Blick fokussiert auf meinen Hals und schlagartig stelle ich fest, dass meine Würgemal komplett frei liegen. In der Eile habe ich nicht mehr daran gedacht. Beschämt lege ich meine Hand über die blauen Flecke, in einem Versuch sie zu verstecken. Doch Kian kennt sie bereits. Das Bedauern in seinen Augen wird mir zu viel und ich breche die Stille.
„Was machst du eigentlich hier?", will ich überrascht wissen.
„Ich konnte nicht schlafen", sagt er schultert zuckend und setzt sich neben mich ins Gras. Sein Blick gleitet zu entfernten Palastmauer. Erst jetzt bemerke ich, dass er eine kleine Dose in der Hand hält, die er unterbewusst von rechts nach links reicht.
„Was hast du da?", will ich neugierig wissen. Die übermüdete Emmelin, die von Albträumen geplagt wird, ergreift jede Chance ihre Gedanken zu beschäftigen. Als ob ihm erst jetzt wieder bewusst wird, dass er sie in der Hand hält, schießen seine Augen zu der Dose und dann zu mir.
„Oh, das ist für dich. Ich dachte mir, du willst sicher nicht, dass die anderen deine...." Er deutet mit dem Finger auf meinen Hals und redet dann weiter. „...sehen und du kannst meinen Pullover nicht auf der Arbeit tragen, um sie zu verhüllen. Also hab ich dir die Creme besorgt. Sie sollte die Flecken abdecken können. Zumindest laut dem Stylisten von dem ich sie habe." Er reicht mir die Dose und ich nehme sie dankend an. Gerührt, dass er sich darüber Gedanken gemacht hat und beschämt, dass ich selbst noch nicht darüber nachgedacht habe, lächle ich ihm zaghaft entgegen. Aber warum trägt er diese Nachts um drei Uhr bei sich?
„Danke. Wirklich. Und auch für die Schokolade", gebe ich nun grinsend zurück.
„Also hast du sie bekommen. Deine Zimmerkollegen müssen sich wohl sehr gewundert haben ein Geschenk zu bekommen. Aber ich dachte mir so ist es weniger auffällig", erklärt er freudig und ich sehe ihm an, wie viele Gedanken er sich macht, um mich zu schützen. Nicht nur was Beynon angeht oder meinen körperlichen Leiden, aber auch vor der Gerüchteküche, die ihm kein Geheimnis ist.
„Oh ja. Du hättest die Beiden sehen müssen. Ich dachte schon die platzen vor lauter Freude." Nun muss ich doch auflachen. Wie gelingt es mir, in seiner Nähe, die Gedanken zu vertreiben, aber die ganze andere Zeit verliere ich den Kampf? Nach einer weiteren Stunde spüre ich wie langsam meine Haut taub wird, nicht von der inneren Leere, aber von der Kälte, die mich jetzt, doch frösteln lässt. Kian begleitet mich noch ein Stück zum Zimmer, bevor er sich verabschiedet.
In der Nacht gelingt es mir noch zwei Stunden Schlaf zu finden, bevor ich wieder von einem Albtraum heraus gerissen werde. Ich beschließe zu duschen, um die Creme des Prinzen aufzutragen, noch bevor mich jemand sieht. Freudig erkenne ich, dass sie die blau-lila Flecken tatsächlich überdeckt und nur das wissende Auge kann etwas erahnen.
Über den Tag bemerkt keiner meine Flecken. Doch mein Schlafentzug zeigen sich in schlechter Stimmung und mentaler Abwesenheit, die ich eher schlecht als recht überdecken kann. Immer wieder muss Rosalee oder Charlotte sich wiederholen, mir die Arbeit abnehmen oder mir unter die Arme greifen. So sehr ich mich auch anstrenge meine Gedanken sind leicht benebelt und selbst die leichtesten, routinierten Aufgaben scheinen so viel Konzentration zu brauchen. Glücklicherweise verhindert meine mentale Schlaftrunkenheit unsere Arbeit nicht zu sehr.
„Was ist mit die los?", will Rosalee besorgt von mir wissen, als sie bemerkt, dass ich gedankenverloren schon wieder auf die Socke in meiner Hand starre.
„Ich habe nicht viel geschlafen", gebe ich ihr schnell müde zurück und hänge ein künstliches Gähnen an. Ich kann ihr schlecht erklären, dass mich Beynons Gesicht immer wieder aus dem Schlaf reißt oder mir aus der Dunkelheit zu blitzt oder ich ihn auf den Gesichtern der an mir vorübergehenden Menschen erkenne. Meinem Schlafentzug zu danken schlich sich auch immer wieder Halluzinationen in meine Gedanken, sodass ich auch tagsüber immer wieder zurückschrecke, weil ich seine Stimme höher oder seine Berührung spüre.
***
So geht es für die nächsten fünf Tage. Die einzigen Stunden, in denen ich etwas Frieden finde, sind, wenn ich Kian im Garten antreffe, bei meiner inzwischen Routinen Panikattacke bei Nacht. Für eine Stunde unterhalten wir uns über schier belangloses, doch es gelingt ihm meine Gedanken abzulenken. So erfahre ich die kuriosesten Dinge, wie seine Lieblingsessen als Kind, dass er einen Monat lang zu allen drei Mahlzeiten aß. Es war Nudel mit schokoladen Soße und Hähnchen. Jede seiner Geschichten gelingt es mir ein ehrliches Lachen zu entlocken und das Gefühl von Geborgenheit.
Etwas besser kann ich am Tag meine innere Müdigkeit verstecken, doch Rosalee bemerkte, dass etwas nicht stimmt. Nach mehreren erfolglosen Versuchen eine Antwort zu erhalten hat sie aufgehört zu fragen.
Auch Jayden fragt oft nach mir laut Kalea, da ich schon seit mehreren Tagen nicht mehr in den Garten gekommen bin. Doch mir ist bewusst, dass er durch meine Maskerade blicken könne und er würde nicht so schnell wie Rosalee aufgeben. Ich weiß ich muss irgendwann aufgeben und das Gesehen erläutern, aber dafür bin ich im Moment nicht bereit. Ich will nicht noch mehr bemitleidende Gesichter ertragen müssen und ziehe mich deshalb lieber etwas zurück.
***
Heute habe ich meinen Tiefpunkt erreicht. Die letzten Tage, mit nicht mehr als drei Stunden Schlaf, konstanter Angst und der absoluten Erschöpfung, raubt mir das bisschen Verstand was geblieben ist. Weinend liege ich im Arm von Kian und schluchzte wie ein kleines Kind. Nach dem letzten Albtraum bin ich wieder an die frische Luft gerannt und hatte einen Nervenzusammenbruch.
„Ich schaff das nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich bin so müde. Ich hab so viel Angst. Ich brauche Hilfe. Bitte hilf mir. Kian du musst mir helfen. Bitte", bettle ich während meine Augen ihn flehend anschauen. Ich bin körperlich und mental komplett ausgelaugt. Kein Funken Kraft ist in meinem Körper mehr zu finden.
Ich sehe ihm die Erleichterung an, dass ich endlich um Hilfe bitte. Sowie die tiefe Trauer mich leiden zu sehen und die große Angst, um mein wohlergehen. Ohne ein Wort hebt er mich in seine Arme, sowie an dem Abend, als er mich von Beynon rettete und bringt mich zum Arzt.
Behutsam legt er mich auf der Liege ab. Streicht mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht und wie bei Lilly küsst er meine Stirn. Seine Geste hat etwas Beruhigendes, doch mein Körper bebt immer noch. Meine Tränen scheinen kein Ende zu haben und das Atmen ist aufgrund des Schluchzens erschwert.
„Alles wird gut. Ich pass auf dich auf", sagt er liebevoll, bevor er sich zum Arzt dreht. Mein Wimmern ist zu laut, um dem Gespräch zu folgen und die Trauer zu groß. In meiner Hilflosigkeit rolle ich mich auf der Liege wie ein Baby ein und ziehe die Knie ganz nah an meinen Körper. Am Rande bemerke ich wie etwas in meinen Arm sticht und sich ein warmes Gefühl von der Stelle in meinem Körper ausbreitet.
Ich werde in eine Dunkelheit gezogen.
Schwarz. Nichts weiter als schwarz. Kein Albtraum. Keine dunkel funkelnden Augen. Nichts außer schwarz. Und damit auch innere Ruhe.
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