Kapitel 31 - Teil 1
Noch bevor Kalea wach wird weckt, mich Rosalee leise. Die Nacht war viel zu kurz. Ich versuche mir den Schlaf aus den Augen zu reiben, dehne mich ausführlich und schwinge mich langsam aus dem Bett.
Schnell schreiben wir Kalea eine Nachricht, dass sie sich nicht über unsere Abwesenheit wunder und danach schleichen wir aus dem Zimmer. Ich habe mir meine langärmelige schwarze Tunika über gezogen und meine beige Hose. Rosalee trägt ein braun-rotes Kleid und darüber eine beige Jacke. Gemeinsam huschen wir durch die spärlich beleuchteten Gänge und durch die Türe zum Vorgarten.
Dort erwartet uns Jayden bereits sehnsüchtig. Er trägt heute nicht die übliche beige Uniform sondern ein blaues Kurzarmhemd aus Leinen und eine schwarze Hose. Die ungewohnte Kleidung lässt mich kurz innehalten. Sie passt ihm besser als die weite Kleidung des Palastes und sein muskulöser Körper kommt nun noch mehr zum Vorschein. Auch er mustert uns eilig und ein Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit.
„Da seid ihr ja endlich. Ich habe doch gesagt 6.30 treffen wir uns hier" schimpft er ohne, dass sein Lächeln schwindet.
„Wir sind doch nur zehn Minuten zu spät" rechtfertigt Rosalee. Doch Jayden eilt bereit durch den Garten und winkt uns zu ihm zu folgen.
Mit schnellen Schritten laufen wir auf das große Tor in der Mauer zu. Wir haben Schwierigkeiten mit Jayden mitzuhalten und so ist er uns bereits einige Meter voraus. Der Garten wirkt noch länger als sonst und meine Beine werden bei jedem Schritt schwerer. Jayden hat die hohe Mauer bereits erreicht und redet mit einem der Wachen, der kurz zu uns Blickt und dann wieder zu Jayden. Er hat eine eiserne Miene und beinahe befürchte ich, dass es ein Problem gibt und wir das Gelände nicht verlassen dürfen. Besitz aber keine Gefangenen, rast es durch meine Gedanken.
Völlig außer Atem kommen wir bei den beiden an und im nächsten Moment öffnet der Wachmann eine Tür, neben dem großen Tor durch das wir am ersten Tag hindurch fuhren. Ich lächle den Wachmann an, um mich zu bedanken, dass er die Türe offen hält. Doch er starrt mich weiter mit der eisernen Miene an.
Es fühlt sich ungewohnt an die Mauer zu durchqueren. Es ist nun beinahe drei Wochen her, dass wir sie das letzte Mal durchschritten haben, aber es fühlte sich an wie eine Ewigkeit.
„Los beeilt euch wir können es noch schaffen" hetzt uns Jayden während er durch die Türe sprintet.
„Was schaffen?" frage ich nun, immer noch außer Atem und folge ihm. Doch er ist bereit zu weit entfernt um mich zu hören. Außerhalb der Palastmauern stehen nur spärlich kleine Lampen die kaum genug Licht bieten um sehr weit zu sehen. Der ganze Anblick ist befremdlich und ich erkenne nur wie Jayden immer weiter in die Dunkelheit rennt.
Hinter uns fällt die Türe schwer ins Schloss, gefolgt von einem klicken der Verriegelung. Kurz schrecke ich auf da das laute Geräusch mich aus meinen Gedanken gerissen hat.
Ich verliere Jayden beinahe aus den Augen und bin froh, dass ich in dieser Finsternis nicht alleine bin. Rosalee und ich rennen Hand in Hand, einander ziehend, über den holprigen Weg. Jedoch aufgrund der spärlichen Lichtverhältnissen kommen wir immer wieder ins straucheln und drohen mehrere Male zu stürzen.
„Miller warte!" höre ich plötzlich Jayden aufschreien und sehe wie er hinter einer Kutsche herrennt. Diese bleibt abrupt stehen und ich beobachte wie er mit einem Mann spricht. Wir nutzen unsere letzte Kraft und sprinten auf die beiden zu.
Jayden springt auf die Ladefläche der klapprigen Kutsche und reicht uns eine Hand. Skeptisch blicke ich ihm entgegen, Geld für eine Kutschfahrt habe ich keines. Schnell schiebe ich den Gedanken beiseite und hoffe, dass es sich nicht um eine bezahlte Fahrt handelt.
„Das ist Ben Miller" er deutet auf den rothaarigen Jungen in seinem Alter. „Er nimmt uns ein Stück mit" erklärt er und zieht uns auf die Ladefläche hoch. Kurz bedanken wir uns bei Ben, setzen uns auf die leere Fläche und schon rollt die Kutsche los.
Die Ladefläche bietet genug Platz für uns drei und hätte wahrscheinlich noch weiteren zehn Menschen Plätze bieten können. Die Fläche ist bis auf ein paare lose Getreidekörner komplett leer und ich frage mich automatisch weshalb jemand eine leere Kutsche in der Gegend herumfährt.
„So viel bin ich in meinem Leben noch nicht gerannt" merkt Rosalee an als sie wieder etwas zu Atmen gekommen ist. Auch ich bemerke das brennen meiner Muskeln erneut. Zwar hat das etliche Treppensteigen meine Muskeln aufgebaut aber trotzdem ist ein beinahe fünfzehn minütiges joggen viel mehr als ich gewohnt bin.
„Wärt ihr pünktlich gewesen hätten wir nicht so hetzen müssen" neckt er Rosalee, die ihm die Zunge ausstreckt. Er wirkt erleichtert. Erleichtert darüber, dass wir es noch geschafft haben aber auch über unsere Anwesenheit.
„Ich bin froh, dass wir nicht bis Amrox laufen" bemerke ich erleichtert. Denn bis vor einigen Minuten habe ich tatsächlich gedacht, dass wir den Fußmarsch von etwas drei Stunden hinter uns bringen müssten. Das hätte ich natürlich gerne für meine Freunde getan wusste aber auch das es körperlich sehr anstrengend geworden wäre.
Wir sitzen alle nebeneinander mit dem Rücken an die Bank gelehnt auf der Ben, der Kutscher, sitzt und blicken somit hinter die Kutsche. Mit den Beinen vor uns gestreckt ist der harte Boden beinahe bequem. Aber selbst so ist die Reise um einiges angenehmer als zu Fuß. Die unebene Straße lässt die Kutsche ab und zu rütteln und unsere Schultern Stoßen unangenehm aneinander aber trotzdem genieße ich die Nähe zu meinen Freunden. Meine Freunde.
Die Palastmauern werden immer kleiner und wirken bald nur noch wie ein kleiner Schatten am Horizont. Inzwischen bahnen sich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg über den dunklen Nachthimmel und tauchen die Dunkelheit in ein warmes rot-orange. So verdrängen sie langsam die Nacht und erklärt den neuen Tag für begonnen. Den freien Tag.
Links und rechts vom Weg erstrecken sich Felder auf denen bereits die ersten Menschen ihre Arbeit beginnen. Ich erkenne Weizen, Gersten und Roggen Felder. Etwas entfernter scheine ich auch Maisfelder zu erspähen.
In Rim arbeitete mein Vater meistens auf den Maisfeldern. Manchmal wenn ich nicht zur Schule musste begleitete ich ihn zur Arbeit und half so gut ich konnte bei der Ernte. Die andere Zeit im Jahr war er auch auf den anderen Feldern tätig doch die Maisernte war seine liebste Arbeit.
Ich erinnere mich gut an die Zeiten als wir wild durch die Felder rannten und verstecken spielten oder einfach so durch das hochgewachsene Pflanzen-Gestrüpp liefen. Egal wie schwer die Arbeit war mein Vater verlor nie das Lachen aus seinem Gesicht. Da ich die Trauer und den Verlust in mir aufkeimen spüre versuche ich mich wieder gedanklich in die Gegenwart zu bringen.
Am Horizont erkenne ich auch die Umrisse der restlichen Hauptstadt die nahe am Palast liegt. Die Heimat der Arbeitgeber. Nur ihnen ist es gestattet so nahe an dem Palast zu wohnen. Doch nach weiteren Minuten verschwinden auch diese Umrisse von der Bildfläche und was bleibt ist die weite Landschaft von Feldern.
Da ich damals auf der Kutschfahrt aus Brinton eingeschlafen war sehe ich die ganze Landschaft nun zum ersten Mal. Die Weite erfüllt mich mit einer Art Freiheit die beinahe ängstigend wirkt. Die Welt ist so viel größer als die wenigen Orte die ich kenne und trotzdem sehne ich mich nach dem mir bekannten. Mir vertrauten.
Erschöpft legt Rosalee ihren Kopf auf meine Schulter und döst ein. Um nicht dem gleichen Schicksal zu verfallen richte ich mich zu Jayden, der vertraut in die Ferne starrt. Kurz betrachte ich seine Gesichtszüge die von dem orange der Sonne noch sanfter wirken.
„Woher kennst du Ben?" will ich wissen, um mich wach zu halten.
„Wir waren gemeinsam in der Schule. Er beliefert den Palast mit Getreide und nimmt mich oft auf seinem Weg zurück nach Amrox mit" erklärt er mir müde. Laut gähnt er und ich verkneife mir weitere Fragen, um ihn nicht länger wach zu halten. Nach einer Weile, sehe ich auch wie Jayden die Augen schwer zufallen und sein Kopf bei jedem Rüttler wild umher wippt.
Nach einer knappen Stunde hält die Kutsche an und Ben dreht sich zu uns um. Zum ersten Mal sehe ich das Gesicht unseres Kutschers deutlich. Es ist gesprenkelt von etlichen Sommersprossen und seine Nase wirkt etwas krumm, als ob er sie als Kind gebrochen hatte. Seine Augen sind eine Mischung aus grün und blau und seine Haare liegen ihm wirr auf dem Kopf. Er wirkt sehr erschöpft und dunkle Augenringe zieren sein sonst sanftes Gesicht.
„Endstation" sagt er kurz und reist somit Jayden aus dem Schlaf. Der abrupt hellwach scheint und von der Kutsche springt. Vorsichtig wecke ich auch Rosalee die in ihrem Halbschlaf noch etwas verwirrt ist und Jayden muss sie von der Ladefläche heben. Ich springe ihr hinterher und dann setzt sich die Kutsche auch schon wieder in Bewegung und Ben winkt uns kurz zum Abschied zu. Schlaftrunken stammelt Rosalee etwas vor sich hin, dass ich nicht ganz verstehen kann.
Verwirrt schaue ich mich um. Ein Stück von uns entfernt sehe ich die Stadtgrenze. Neben uns erstreckt sich ein Feld auf dem ich drei Arbeiter erhasche. Doch sonst deutet nichts darauf hin weshalb Ben uns hier absetzte.
„Warum hat er uns nicht mit in die Stadt genommen?" frage ich verwirrt und ernte ein belustigtes lachen von Jayden. Doch als ich ihn genauer betrachte sehe ich, dass das Lachen Rosalee gilt die immer noch vor sich hinmurmelt.
„Sein Vater sieht es nicht gerne wenn er Leute mitnimmt, außerdem muss ich schnell noch etwas erledigen. Wartet kurz hier" erklärt er schnell bevor er auf das Feld zu einem der Männer eilt. Er schließt den Mann, den ich aus dieser Entfernung nicht gut sehen kann, in eine lange Umarmung. Für ein paar Minuten unterhalten die beiden sich bevor er sich verabschiedet und wieder zu uns zurückkommt. Inzwischen scheint Rosalee aus ihrem Halbschlaf zustand erwacht und blickt nun verwirrt auf Jayden.
„Mein Bruder" beantwortete er unsere fragenden Blicke bevor er auch schon auf die Stadt zu läuft. Kurz schaue ich noch einmal zu dem Mann auf dem Feld, doch mehr als seine Silhouette kann ich aus der Entfernung nicht erkennen. Drehe mich aber dann zu Jayden und Rosalee und laufe ihnen schnell hinterher. Ein Stück des Wegs gehen wir schweigend. Rosalee nimmt alles in sich auf und Jayden ist tief in Gedanken versunken.
„Wann warst du das letzte Mal zuhause?" spreche ich meine Gedanken laut aus. Denn seine schnellen Schritte verraten mir wie sehnsüchtig er nach Hause will. Aber auch in der Hoffnung das wenn ich ihn in ein Gespräch verwickele, er die Geschwindigkeit etwas herunter drosselt.
„Kurz bevor ihr ankamt war ich das letzte Mal zuhause" sagte er etwas traurig aber mit großer Erwartung in den Augen. Seine Vorfreude ist beinah fühlbar und zauberte mir ein Lächeln auf das Gesicht. Ich freue mich für ihn, dass er nach Hause kann auch wenn es nur ein paar Stunden sind. In Rosalees Augen kann ich kurz eine Trauer aufblitzen sehen, was wahrscheinlich daran liegt, dass ihr dieser Luxus nicht gewährt ist. Wieder wird mir bewusste, zu lieben bedeutet zu leiden.
„Wie viele Geschwister hast du eigentlich?" will ich nun wissen, um nicht wieder die Stille aufkommen zu lassen. Ich habe nie darüber nachgedacht und bin überrascht das er einen älteren Bruder hat der auf den Feldern arbeitet.
„Warte ab und du wirst sehen" ist alles was er sagt. Doch an seinem verschmitzten Lächeln zu urteilen erwartet mich noch eine Überraschung. Die normale Familie in Merah hat zwei oder drei Kinder, ein paar weniger etwas wohlhabende Familien haben teilweise auch vier. In Rim hatten die meisten Familien nur eines oder zwei. Zu ärmlich sind die Verhältnisse auf dem Land.
„Jayden, im Palast habe ich gehört das einige der Mädchen in Amrox und den anderen umliegenden Städten an ihren freien Tagen arbeiten um etwas Geld anzusammeln. Weißt du zufällig ob es bei euch Arbeit in einer Schneiderei gibt?" will Rosalee nun wissen. Auf Jaydens frage erklärt sie, dass sie vor hat Geld anzusparen um ihre Familie in Brinton besuchen zu gehen. Und mit einem Mal wird mir klar weshalb sie sich am Vortag so sehr über die Nachricht des freien Tages gefreut hat. Sie muss schon eine ganze Weile darüber nachgedacht haben.
Natürlich weiß ich, dass ihre Familie nicht die einzigen sind die sie sehen möchte. Auch wenn ich mich erinnere das sie mir von einer kleinen Schwester berichtet hat, zu der sie sehr eng verbunden ist. Kurz überlegt er und sagt, dass er eventuell aushelfen kann aber dass wir zuerst bei seiner Familie vorbeischauen würden.
Amrox scheint um einiges gepflegter als Brinton. Die Häuser sind größer teilweise vier Stöckig, geziert von kleinen Gärten und die Menschen tragen gepflegte farbenfrohe Kleider. Das ganze treiben erinnert mich ein wenig an den Palast.
Nicht ganz so pompös und viel weniger Gold aber der Lebensstandard scheint auf jedenfalls für eine nicht Arbeitgeber-Stadt sehr hoch. Die Aris und Ramir der höher verdienenden Arbeiterklasse müssen hier Leben, schlussfolgere ich. Als wir vor einem weißen vierstöckigen Haus mit einem kleinen Kräutergarten stehen bleiben schaue ich verwirrt zu Jayden.
„Hier wohnt deine Familie" will ich etwas schockiert wissen. Das Haus hat große Fenster, ein einladenden kleinen Garten und sogar ein modernes Dach. Ich habe nie darüber nachgedacht das Jayden von einer wohlhabenden Familien kommt.
Sein verhalten ist nicht so hochnäsig wie das der wohlhabenden Aris die ich bei der Auslese beobachtete. Staunend blicke ich an der Fassade auf. Das kleine Haus das meine Familie in Rim hatten war eine Lehm-Holz Konstruktion mit einem Lehm-Heu Dach das im Gegensatz zu diesem wie ein Schuppen wirkt.
„Oh, du hast nicht gesagt, dass ihr reich seid" bemerkt Rosalee genau wie ich etwas verdutzt und scheint sich plötzlich etwas unwohl zu fühlen. Sie schlägt mit ihren Händen den Staub von ihrem Kleid und streicht es glatt. Auch ich fühle mich plötzlich fehl am Platz.
„Wir sind nicht reich aber uns geht es besser als manch anderen" sagt er etwas beschämt und ich sehe ihm an, dass er das Thema wohl lieber nicht besprechen möchte. Eilig geht auf die Türe zu und öffnet diese ohne anzuklopfen.
„Ratet wer zuhause ist?" Brüllt er durch das Haus. Für einen Augenblick herrscht Stille. Dann höre ich das donnernde Geräusch von vielen schweren Schritten und wie aus dem nicht springen mehrere Kinder Jayden entgegen.
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