Ein Leben ohne Heimat
Ein Leben ohne Heimat
Emma PoV
Das Klingeln meines Weckers riss mich aus meinem Schlaf und ich schlug die Augen auf. Verschlafen setzte ich mich auf und brachte meinen Wecker zum Schweigen. Es war 7 Uhr morgens und ich hasste es, so früh aufstehen zu müssen. Aber ich hatte keine Wahl, denn ich musste um 8 Uhr im Hotel anfangen zu arbeiten.
Wie ich diesen Job hasste! Mit meinen 18 Jahren hatte ich mein ganzes Leben eigentlich noch vor mir, aber statt aufs College zu gehen, arbeitete ich als Zimmermädchen in einem Hotel. Ein wahrer Albtraum, wenn ihr mich fragt.
Seufzend stand ich auf und ging ins Badezimmer. Ich wohnte in einer kleinen 2-Zimmer Wohnung in Manhatten und auch, wenn ich bereits seit 2 Jahren in dieser Stadt lebte, so konnte ich einfach nicht das Gefühl von Heimat entwickeln.
Überhaupt hatte ich mich noch nie irgendwo wahrhaftig zu Hause gefühlt. Meine Eltern hatten mich direkt nach der Geburt verlassen und ich war in Kinderheimen und Pflegefamilien aufgewachsen. Es war die Hölle gewesen und irgendwann war ich abgehauen und nach Manhatten geflüchtet. Mit 16 Jahren bereits auf eigenen Beinen zu stehen...das war schon eine harte Tour.
Aber ich biss mich so durch...wie ich es eigentlich immer tat. Schon früh hatte ich gelernt, dass ich nur mir selbst vertrauen konnte und war seit jeher eine Einzelgängerin. Ich hatte keine Freunde, keine Familie und keine Heimat...im Grunde war ich ein Niemand!
Ich warf einen Blick in den Spiegel und kämmte meine langen blonden Haare. Sie reichten mir bis zur Brust und meine Augen hatten eine so blaue Farbe, dass ich schon oft gehört hatte, dass man sich regelrecht in ihnen verlieren konnte.
Meine Figur war schlank und dennoch normal gebaut und auch, wenn ich es selbst nicht so sah, hatten mir schon viele Menschen gesagt, ich sei wunderschön. Naja...es gehörte wohl zu den Selbstzweifeln von Außenseitern, die man gegenüber sich selbst empfand.
Ich zog mir eine Jeans und ein schlichtes schwarzes Top an, ehe ich mir meine dunkelblaue Lederjacke überwarf. Dann griff ich nach Tasche und Schlüssel und begab mich auf direktem Wege zur Arbeit.
,,Du bist spät dran!", warf mir Kai an den Kopf, der unseren Empfang leitete.
,,Ich weiß! Aber es ist auch nicht leicht, sich einen Weg durch den Berufsverkehr von Manhatten zu bahnen."
Missmutig sah ich ihn an und Kai schüttelte ungläubig den Kopf. Er sah mit seinen dunklen Haaren, seinem schwarzen Anzug und braunen Augen eigentlich sehr gut aus, doch sein arroganter Charakter ekelte mich einfach nur an. Solche Typen konnte ich nicht ausstehen und ich fragte mich, ob wohl alle Männer auf diesem Planeten gleich waren.
,,Ist Lizzy schon da?", fragte ich und er nickte.
,,Ja! Und heute habt ihr besonders viel zu tun. Zwei sehr angesehene Persönlichkeiten haben unsere Queen-Suite gebucht und es muss alles perfekt sein. Also, strengt euch an und sorgt für einen unvergesslichen Empfang. Wir müssen die Gäste auf jeden Fall beeindrucken."
,,Solange es nicht die Queen von England ist, werden wir das wohl gerade noch so hinkriegen.", erwiderte ich und Kai verdrehte die Augen.
,,Dein trockener Humor ist jetzt nicht angebracht, Emma."
,,Ist ja gut! Ich gehe schon!"
Mürrisch nahm ich den Schlüssel entgegen, den Kai mir reichte und begab mich in die Damenumkleide, wo meine Kollegin Lizzy schon auf mich wartete.
,,Hey, Emma! Da bist du ja!", begrüßte sie mich und ich lächelte leicht.
,,Hallo, Lizzy!"
Lizzy und ich waren gute Kolleginnen und sie kam am ehesten so etwas, wie einer Freundin für mich gleich. Sie hatte kurze schwarze Haare, grüne Augen und eine regelrecht flippige Art und Weise. Manche nannten sie einen Freak, aber ich fand es gut, dass ich nicht die Einzige hier war, die offensichtlich anders war, als die anderen.
,,Sag mal, hast du Lust, mit mir und Sarah morgen Abend in den neuen Club zu gehen? Er soll sehr gut sein und vielleicht gibt es ja etwas Hübsches zum aufreißen.", brachte Lizzy hervor und grinste breit.
,,Danke für das Angebot, Lizzy...aber ich passe. Ich bin einfach kein Partygänger und außerdem muss ich nach New York und...", setzte ich an, doch sie unterbrach mich.
,,Wieder nach Antworten suchen?"
Sie schaute mich vielsagend an und ich wandte den Blick ab. Lizzy versuchte fast jede Woche, mich zu Partys oder anderen Aktivitäten zu überreden, aber jedes Mal sagte ich ab. Und natürlich wusste sie, worum es ging.
,,Emma, ich verstehe ja, dass es nicht einfach für dich ist. Aber bis jetzt hast du in all den Jahren nicht einen einzigen Hinweis auf deine leiblichen Eltern gefunden. Glaubst du wirklich, dass du sie noch finden wirst?", warf Lizzy skeptisch ein und ich sah sie niedergeschlagen an.
,,Lizzy, ich will einfach wissen, woher ich komme und wer ich eigentlich bin. Mein ganzes Leben lang war ich allein und ich hatte nie so etwas wie...Familie. Ich will meine leiblichen Eltern finden und sie fragen, warum sie mich nicht haben wollten. Verstehst du das nicht?"
Lizzy warf mir nun einen mitfühlenden Blick zu, trat auf mich zu und griff nach meiner linken Hand. Ich sah sie traurig an und Lizzy schenkte mir ein mattes Lächeln.
,,Doch, natürlich verstehe ich das. Aber ich möchte nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst und wieder am Boden zerstört bist, wenn deine Suche wieder in einer Sackgasse landet. Glaubst du wirklich, dass du in New York einen Hinweis auf sie findest?"
Sie sah mich eindringlich an und ich wusste, dass sie eigentlich Recht hatte. Jeder andere Mensch hätte sicherlich schon aufgegeben. Aber ich konnte die Sache einfach nicht ruhen lassen, denn sie beschäftigte mich bereits mein ganzes Leben. Wer war ich und wo gehörte ich hin? Diese Frage stellte ich mir, seit ich denken konnte und wollte endlich Antworten haben. Aber was, wenn Lizzy auch in diesem Punkt Recht hatte...würde ich meine Eltern je finden? Ich wollte das nicht glauben und weigerte mich, die Hoffnung aufzugeben.
,,Ich weiß es nicht, Lizzy! Aber ich muss es wenigstens versuchen. Wenn ich es nicht tuedann bereue ich es womöglich mein ganzes Leben lang."
Das war das Merkwürdige an mir. Egal, wie aussichtslos das Leben manchmal auch aussah...irgendwie hatte ich immer einen Funken Hoffnung darauf, dass alles wieder gut werden würde.
,,Dann wünsche ich dir viel Glück, Emma!", sagte Lizzy und ich lächelte dankbar.
Danach zogen wir uns unsere Arbeitskleidung an und noch während wir uns für die Arbeit fertigmachten, hoffte ich inständig, dass ich in New York endlich ein paar Anhaltspunkte finden würde.
***
,,Ich hasse mein Leben!", fluchte Lizzy, als sie aus dem Badezimmer kam und die Putzeimer zur Seite stellte. ,,Warum immer so ein Wirbel gemacht werden muss, wenn reiche Persönlichkeiten Suiten buchen."
,,Du weißt doch, wie die sind. Alles muss perfekt sein und wehe, sie finden ein Staubkörnchen auf den Regalen. So sind die Reichen nun einmal...alle gleich. Muss etwas Genetisches sein!", meinte ich und Lizzy hatte auf einem ihren Blick, den sie immer hatte, wenn sie etwas ausheckte.
Ich hob eine Augenbraue und schüttelte schließlich grinsend den Kopf, als Lizzy zum Staubwedel griff und verführerisch damit wedelte.
,,Miss Evans...ich hoffe, die Suite ist zu Eurer Zufriedenheit. Seid gewiss, wir werden alles tun, um Euren Aufenthalt so edel und eitel, wie es uns nur möglich ist, zu halten.", brachte sie sarkastisch hervor und ich musste lachen, ehe ich das Spiel mitspielte.
,,Ich danke vielmals, Miss Collins! Doch seid gewarnt...meine außergewöhnliche Persönlichkeit stellt hohe Anforderungen und meine Wünsche kennen keine Grenzen."
Lizzy prustete los, als ich wie eine Diva posierte und auch ich musste wieder lachen. Doch wir wurden jäh unterbrochen, als unsere Hotelmanagerin Charlotte die Suite betrat und uns kritisch beäugte, woraufhin unser Lachen erstarb.
,,Aha! Unsere beiden Möchtegern-Außenseiter scheinen ja sehr viel Freude an ihren Aufgaben zu haben. Wie schön, dass es immer noch Menschen gibt, die für den Untergrund geschaffen sind.", meinte sie und lächelte arrogant.
Ich verdrehte die Augen und tauschte einen genervten Blick mit Lizzy. Charlotte war einfach nur eitel und unglaublich selbstverliebt. Ihre roten langen Haare waren wahrhaftig eine Pracht und ihre braunen Augen musterten uns abfällig. Wie ich sie hasste! Sie hielt sich selbst für das achte Weltwunder und schikanierte Lizzy und mich, wo sie nur konnte.
,,Ach, bevor ich es vergesse...meine Eltern haben den blauen Salon für meinen Geburtstag morgen Abend gebucht. An eurer Stelle würde ich mich beeilen, damit ihr ihn heute noch fertig kriegt. Wäre doch ein Jammer, wenn ihr deswegen eure Freizeit nutzen müsstet...die ohnehin nicht besonders erfüllt zu sein scheint. Muss tragisch sein, wenn das Leben nicht viel für jemanden übrig hat. Aber keine Sorge...wenn ihr euch anstrengt, dann beehre ich euch vielleicht auch mit einer Einladung.", protzte sie und Lizzy sah sie wütend an, während ich Charlotte nur missbilligend ansah und mich nicht aus der Ruhe bringen ließ.
,,Zu schade, Charlotte! Aber bedauerlicherweise habe ich bereits etwas vor. Aber keine Sorge! Sollte ich das nächste Mal wertvolle Zeit meines Lebens verschwenden wollen, so lasse ich es dich sofort wissen."
Charlotte sah mich sauer an und schmollte, ehe sie sich abwandte und davon stolzierte. Ich sah ihr nur nach und Lizzy gluckste, während sie mich erstaunt ansah, weshalb ich sie fragend musterte.
,,Was ist?"
,,Ich frage mich, wie du das machst. Charlotte treibt mich immer zur Weißglut, aber du bleibst total cool und schlägst sie mit deinem Sarkasmus in die Flucht. Du bist echt unglaublich, Emma! Bist du sicher, dass du nicht insgeheim eine Superheldin bist?"
Lizzy grinste und ich schmunzelte, während ich den Kopf schüttelte und meine Putzhandschuhe auszog.
,,Ich kann dir versichern, Lizzy...an mir ist nichts Besonderes. Weder bin ich eine Superheldinnoch irgendwie außergewöhnlich. Ich bin nur ein ganz normales Mädchen mit dem unglaublichen Talent, für alles und jeden unsichtbar zu sein. Das Schicksal eines jeden Außenseiters!", meinte ich und Lizzy sah mich fassungslos an.
,,Sag das ja nicht, Emma! Jeder ist auf seine spezielle Art und Weise besonders. Und wenn du mich fragst...bist du außergewöhnlicher, als du denkst. Jeder hat etwas, was ihn besonders macht. Du musst nur rausfinden, wer du wirklich bist und was deine Bestimmung ist."
Nun richtete ich den Blick gen Himmel. Lizzy stammte aus einer sehr geheimnisvollen und regelrecht verrückten Familie. Sie alle glaubten an den übernatürlichen Schwachsinn wie Schicksal, Magie und Bestimmung. Ihre Tante war sogar eine Wahrsagerin und hatte mir schon oft ausrichten lassen, ich könnte ja mal vorbeischauen, damit sie einen Blick in meine Zukunft werfen oder mir die Tarot-Karten legen könnte.
Ich glaubte jedoch nicht an diesen Unsinn und schon gar nicht, dass ich irgendeine Bestimmung zu erfüllen hatte. Immerhin war ich doch nur normales Mädchen, welches ohne Eltern und Heimat aufgewachsen war und nun ein unscheinbares Leben führte. Was sollte an mir denn schon besonders sein?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro