Kapitel 21
„Es gibt nicht viele Wolfslose auf der Welt", stammelte ich, während mein Kopf nach einer Lösung suchte.
„Wieso ist Mael tot und du nicht?", fragte Roan, unbeeindruckt von meinem Gestotter.
„Es ist mir etwas peinlich", sagte ich und senkte den Kopf. „General Astor hat mich mit einer Decke daraus geholt. Ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier. Aber das mit Mael ist wahr. Wir haben Schreie von draußen gehört und er hat den Eingang aufgerissen. Der Rauch hat ihn sofort erfasst. Er ging auf die Knie und hat geschrien. Es dauerte nicht lange, bis er bewusstlos war."
In meinem Kopf spielte sich die Szene erneut ab, wie ein Albtraum, aus dem man nicht aufwachen konnte. Der Anblick von Maels entstellter Leiche hatte sich für immer eingebrannt. Roan nickte betroffen.
„Was soll ich seinen Geschwistern sagen?"
„Er hatte Geschwister?", fragte ich.
„Ja, neun Stück. Er war der älteste von allen", erwiderte Roan. „Er hat sich um sie gekümmert und als der Befehl von Alpha Udyr kam ist er ohne zu Zögern mitgegangen. Seine Familie war sehr arm. Er hatte es nicht immer leicht mit seinem Vater, aber..."
Roans Stimme brach ab.
„Es tut mir leid", flüsterte ich.
„Es ist, als hätte ihn die Mondgöttin höchstpersönlich dafür bestraft, dass er dich in das Eisenkraut geschubst hat..."
Ich nickte nachdenklich.
„Abbels, Eschwald, was steht ihr da rum?! Packt mit an!"
Ich zuckte unter Delta Ivans Stimme zusammen und sofort gingen wir hinüber zu den anderen Soldaten. Verstohlen blickte ich mich um.
Wo war Astor?
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„Gute Arbeit!", rief Delta Ivan.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Selbst in der Nacht war es hier viel zu warm. Wir hatten durchgearbeitet, ohne Pause und das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Überall verteilt standen kleine Hütten mit Sträuchern bedeckt. Im Zentrum loderte ein Feuer, um das wir uns versammelt hatten.
Von Astor war weit und breit keine Spur.
Die Welpen hatten unter Ulfs Aufsicht ein Wasserreservoir eingerichtet und dafür Wasser aus dem See gefiltert.
Lautes Rascheln ertönte hinter uns und zwischen den Bäumen kamen die Jäger hervor, noch in ihrer Wolfsgestalt. Sofort erkannte ich Luke, der zwischen seinen Zähnen einen Hasen trug. Er und die anderen legten ihre Beute vor das Feuer, bevor sie verschwanden.
„Sehr gut!", rief Delta Ivan. „Jeder, der ein Messer hat kann anfangen das Fleisch zuzubereiten."
Ich blickte mich um. Alle waren noch mit ihren neuen Schlafstätten beschäftigt. Eine angenehme Brise erfüllte die Sommerluft und trug mit sich den Geruch von Natur. Etwas Süßes hatte sich in die Fährten der Tiere gemischt. Ganz schwach lag Astors Spur darüber.
„Roan, komm mit. Ich habe eine Idee", raunte ich zu ihm und er musterte mich für einen Augenblick, bevor seine Schritte meinen hinterherkamen. Astors Spur verschwand nach kurzer Zeit in eine andere Richtung.
War er etwa zurück zum Zeltlager gegangen?
„Wohin willst du?", fragte Roan. Ich folgte meiner Nase in eine andere Richtung. Die Sträucher wurden dichter und meine Augen suchten den Waldboden ab.
„Da!", rief ich und blieb stehen. Meine Sinne hatten mich nicht im Stich gelassen. Himbeer- und Brombeersträucher säumten die Bäume. „Sie sind sogar reif."
Roan donnerte an mir vorbei und begann die kleinen Beeren von der Pflanze zu reißen.
„Hey, lass mir welche übrig", sagte ich, während ich dabei zusah, wie er sich händevoll in den Mund stopfte.
„Muss ich dich daran erinnern, dass unser Abendessen gestern von einem Feuer unterbrochen wurde?", fragte er mit vollem Mund. Ich kam auf ihn zu und verpasste ihm einen leichten Stoß auf den Hinterkopf, der allerdings kaum Wirkung zeigte.
„Darf ich dich daran erinnern, dass ich gestern gar nichts von dem Abendessen gesehen habe?"
„Ach was, Zwerge brauchen eben nicht so viel."
„Jetzt sei nicht so gierig. Luke und Ulf wollen sicher auch was", erwiderte ich und begann die Sträucher abzupflücken. Roan grunzte und tat es mir gleich. In seine Pranken passten deutlich mehr als in meine. Der Duft von gebratenem Fleisch wehte uns aus dem Lager entgegen.
„Lass uns zurückgehen", sagte Roan und sprach mir aus der Seele. Das Wasser in meinem Mund lief zu einem Stausee zusammen. Ich hatte seit fast einem Tag nichts mehr gegessen. Wir schlenderten durch den Wald, bis die improvisierten Hütten in Sicht kamen. Der Platz war noch ein großes Durcheinander, bis auf das Fleisch, das über dem Feuer knusprig braun wurde.
Einige Soldaten saßen bereits mit einem Stück um das Lager. Astor war noch nicht zurückgekehrt. Meine Wölfin begann sich Sorgen zu machen, während ich mich verstohlen umsah. Delta Ivan stand an den Flammen und gab jedem etwas von dem Essen.
Luke schmatzte schon gemütlich an seiner Beute und schaffte es trotzdem Ulf mit seinen Worten zu überhäufen. Roan und ich gingen auf sie zu legten die erbeuteten Beeren in ein Stück Baumrinde, welche als Teller diente.
„Uh, Nachtisch!", rief Luke.
„Passt darauf auf", sagte Roan, bevor wir uns in die Schlange vor dem Feuer einreihten. Einige Soldaten hatten die Häute der Tiere bereits zum Trocknen aufgehangen.
„Hier, die Belohnung für harte Arbeit", sagte Delta Ivan und reichte uns einen improvisierten Teller, auf dem das Essen dampfte.
„Danke. Wo ist eigentlich General Astor?", fragte ich und mein Versuch beiläufig zu klingen entging Delta Ivan nicht.
„Er hat etwas Wichtiges zu erledigen und kommt erst morgen Nacht wieder. Wir werden den Tag alle zusammen trainieren."
Ich nickte. Ich konnte nichts gegen das schwere Gefühl machen, das sich auf meine Brust setzte. Wieso hatte er mir nicht Bescheid gesagt? Roan und ich gingen zurück zu den anderen. Wieso interessierte es mich so sehr, was er tat? Diese verdammte Verbindung zwischen uns...
Ich ließ mich gegen einen der freien Baumstämme fallen und hob das dampfende Stück Fleisch an meine Lippen. Meine Wölfin knurrte zufrieden, als ich ein Stück abbiss.
„Ich frage mich, wo die Briefe bleiben", sagte Ulf, der sein Essen bereits verspeist hatte.
Ich kaute sinnlos auf meinem Essen herum. Meine Gedanken schweiften ab zu Astor. Ob ich seiner Fährte folgen sollte? Vielleicht hatte es einen Grund, dass er verschwunden war. War er ins Lager zurückgekehrt?
„Hey Zwerg, willst du jetzt noch Beeren, bevor Luke sie alle wegfuttert?", fragte Roan und stupste mich an. Hastig schnappte ich mir einige der Himbeeren, bevor Luke sie nehmen konnte und stopfte sie in den Mund.
„Hey!"
„Du machst deinem Spitznamen Nervensäge wirklich alle Ehre", brachte ich hinter vollem Mund heraus.
„Mein Spitzname ist Säge, verstanden? Das hört sich stark an."
„Wie du meinst", sagte Ulf, der seine Hände hinter dem Kopf verschränkte und die Sommerstrahlen durch die Bäume genoss. Die Insekten waren auch langsam aufgewacht und flogen durch die Luft.
„Genug Pause gemacht!", erschallte die Stimme von Delta Ivan.
„Was für eine Pause? Wir haben heute Nacht keine einzige Sekunde geschlafen", raunte Luke, doch verstummte sobald er sich den Blick des Deltas einfing.
„Gibt es ein Problem?"
„Nein, Delta Ivan!", rief er, jeglicher Spaß verflogen. Wie die Elite wohl mit ihm trainiert hatten?
„In Ordnung. Heute steht Überlebenstraining auf dem Programm: Feuer machen, Nahrung sammeln und überleben in der freien Natur."
Ein Teil von mir freute sich beinahe bei den Ankündigungen. Vater hatte mir gezeigt, wie man Feuer machte und ich kannte alles Essbare im Wald. Eigentlich konnte ich auch jagen, aber nur in Wolfsform. Konnte man überhaupt einen Hasen in Menschengestalt fangen?
„Was grinst du so, Zwerg?", fragte Roan, der alles andere als begeistert aussah. Das Kämpfen lag ihm wohl mehr.
„Wir machen endlich etwas, in dem ich gut bin", antwortete ich.
Schade, dass Astor nicht hier war...
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Joa, schade... Wie dem auch sei, ich hoffe es hat euch gefallen!
Den folgenden Flachwitz kann ich nur mit dem Wort "ulkig" beschreiben:
Wie nennt man den Lebenslauf eines Pferdes?
Ross-Vita.
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