Kapitel 3
»Dann sucht Euch einen passenderen Moment dafür«, gab Kari zurück.
»Ich fürchte, das hier ist der passendste Moment, den es geben kann«, lautete die Antwort des Fremden. »Ich bin nicht hier, um dich zu bedrohen, falls du das denkst. Ich habe ein ernsthaftes Anliegen hervorzubringen.«
»Ihr seid in den Waschraum eingedrungen, ohne ein Wort zu sagen und habt Euren Dolch gezogen. Was auch immer Ihr damit beabsichtigt habt, es hat nicht dazu geführt, dass ich Euch jetzt in meiner Nähe wissen will«, zischte Kari ihn an und versuchte, sich an ihm vorbei zu drängen, aber er versperrte ihr den Weg.
»Die Kratzbürstigkeit steht dir nicht gut zu Gesicht.« Ein schelmisches Lächeln huschte über sein Gesicht und brachte Kari innerlich zur Weißglut.
»Eure Unverschämtheiten Euch ebenso wenig«, antwortete sie daher erbost und unternahm einen weiteren Versuch, an ihm vorbei zu gelangen.
»Ich werde dich nicht gehen lassen, ehe du mich erklären lässt, Kari«, stellte er klar, auf einmal todernst und mit einer Vernunft in der Stimme, die sie aufhorchen ließ.
»Erzählt«, gewährte sie ihm schließlich seinen Wunsch, die Arme vor der Brust verschränkt. Dieser Mann machte sie wütend, aber sie hatte den Eindruck, dass es ihm wirklich wichtig war mit ihr zu reden und er nicht lockerlassen würde, ehe sie dem zustimmte. Und was könnte sie jetzt noch enttäuschen?
»Ich weiß, dass du deine Prüfungen bestanden hast, die Krone aber keine Verwendung für dich hat, was einer unehrenhaften Entlassung sehr nahe kommt. Die Wahrheit ist aber, dass diese Männer nicht über alles entscheiden. Ich habe dich heute im Keller kämpfen sehen und auch im Waschraum hast du dich gut geschlagen. Ich bin mir sicher, dass du mit mir gekämpft hättest, wenn ich es hätte darauf ankommen lassen. Ich suche nach Leuten wie dir, Kari, und es ist mir bis jetzt außerordentlich schwergefallen, jemanden zu finden, der meinen Ansprüchen genügt.«
Das Lob, das in seinen Worten steckte, stimmte Kari etwas milder. Das war es, was sie hören wollte und es war Balsam für ihre Seele, es nach einer so herben Niederlage gesagt zu bekommen. Dennoch hatte er ihr noch nicht alles erzählt.
»Eure Worte schmeicheln mir, aber Ihr habt immer noch nicht gesagt, was Ihr genau wollt. Wollt Ihr mich rekrutieren? Und wenn ja, wofür?«, forderte sie Informationen ein.
»Ich komme von einer kleinen Gruppe, die der Krone direkt unterstellt ist. Wir prahlen nicht mit unserer Existenz und ziehen es vor, in den Schatten zu leben.«
»Das habe ich gemerkt«, erwiderte Kari kühl. Die Tränen, die sie eben noch vergossen hatte, waren in dem Moment längst vergessen. »Ist es denn so geheim, dass Ihr mir nicht einmal mitteilen könnt, was ich mich verschreiben würde, gesetzt ich würde Eurer Gruppe beitreten?«
»Du redest wie eine Geschäftsfrau«, stellte der Fremde fest, der jetzt wieder etwas an ernst verloren hatte und sich anscheinend über ihre Art amüsierte.
Kari funkelte ihn böse an und er fuhr mit seinen kryptischen Erklärungen fort.
»Aber um deine Frage zu beantworten, ja, Geheimhaltung ist uns so wichtig. Ich glaube aber, dass die Akademie nicht der richtige Ort ist, um darüber zu reden.«
»Ich werde Euch nicht begleiten, wenn es das ist, was Ihr wollt. Ich will hier und jetzt wissen, auf was ich mich einlassen werde, denn es kommt mir reichlich suspekt vor, dass ein fremder Mann auftaucht, mich beim Baden stört und mir dann sagt, ich wäre seine Auserwählte für eine Gruppierung im Dienste der Krone, von der nie jemand auch nur ein Wort gehört hat.«
Der Fremde seufzte und sagte zerknirscht: »Ich sehe, du bleibst beständig.«
»Allerdings«, bestätigte Kari, die abwog, ob es ein guter Zeitpunkt war, um sich jetzt doch an ihm vorbei zu drängen oder einfach in die andere Richtung zu verschwinden, denn langsam begann sie an der Zurechnungsfähigkeit des Fremden zu zweifeln.
»Die Krone beschäftigt nicht nur Diplomaten und andere Offizielle. Sie hat ebenso ihre Spione und uns. Ihre Assassinen.« Er hatte die Stimme gesenkt und wieder an Ernsthaftigkeit dazugewonnen.
»Ihr seid ein Assassine«, wiederholte Kari. »Ein Auftragsmörder?«
Er nickte. Kari schluckte.
Meinte der Fremde es wirklich ernst? Tötete er Menschen im Auftrag des Königs? Oder war er nur ein Verrückter, der ihr seine Lügenmärchen erzählte? Sie konnte es schwer sagen, aber ihr Bauchgefühl drängte sie geradezu dazu, ihm zu glauben.
»Ihr wollt also, dass ich Eurer Gesellschaft beitrete, um gemeinsam mit Euch das Leben von Menschen auszulöschen?«, hakte sie kritisch nach.
»Wenn du es so sagen willst, ja. Aber wir führen unsere Aufträge nicht aus, um uns zu bereichern. Wir arbeiten im Auftrag der Krone und wenn du eine Stelle von den Prüfern zugeteilt bekommen hättest, wärst du eine der Personen gewesen, die mitbestimmt hätten, wer unser Ziel wird. Wer für die Krone arbeitet, muss damit rechnen, moralisch Verwerfliches zu verrichten, aber wir tun es, um unser Land zu verbessern. Du hast das Potenzial, ein wichtiger Bestandteil unserer Gruppe zu werden und dir würde eine wertvolle Chance entgehen.«
»Was würde ich dafür bekommen, dass ich auf das Angebot eingehe? Ruhm und Ehre werden es nicht sein«, sagte Kari trocken. Sie verspürte das Verlangen, ihn herauszufordern. Es ging ihr nicht darum, ob sie Teil der Assassinen werden würde oder nicht. Nein, sie wollte ihn vielmehr davon abbringen sie zu überzeugen, mit ihren Argumenten. Sie musste sich selbst beweisen, dass sie ihm in irgendeiner Art und Weise überlegen war.
Der Fremde schwieg, musste nachdenken, wie sie annahm. Es war ein gutes Gefühl ihn dabei zu beobachten, wie er versuchte, sie auf seine Seite zu ziehen.
»Dein Leben bekäme einen Sinn. Glaube mir, ich habe über dich nachgeforscht und deine Akten durchgesehen. Ich weiß, was deiner Familie widerfahren ist und ich bin mir darüber im Klaren, dass die Akademie deine einzige Chance war, etwas aus deinem Leben zu machen.« Er suchte Augenkontakt. Ihm war klar, dass er niemanden durch gutes Zureden zum Meuchelmörder machen konnte, aber wusste genug über Menschen, um zu wissen, dass das rationale Denken nur eine Kleinigkeit war im Vergleich mit Emotionen. Kari wusste es ebenso und dennoch trafen sie seine Worte so hart wie eh und je, wenn jemand auf dieses Thema zu sprechen kam.
»Ihr meint also, es würde mich mit Stolz erfüllen, Menschen das Leben zu nehmen, nur um eine Funktion zu haben?«
»Wir haben eine völlig andere Ansicht. Niemand wirft einem Soldaten auf dem Schlachtfeld vor, wenn er seinen Gegner niederschlägt. Ein Schwerverbrecher wird hingerichtet und die Menge jubelt, weil er seine gerechte Strafe erlangt. Wir mögen so agieren, dass niemand uns bemerkt, aber wir dienen unserem Land, mit dem, was wir ihm bieten können.«
»Und Ihr tötet ausnahmslos jeden, um den der König Euch bittet? Selbst wenn es ein kleines Kind ist, das nichts verbrochen hat?«
»Du verstehst nicht. Wir nehmen Leben, um sie zu geben. Aber nicht jeder kann hingerichtet werden, weil die Justiz an manchen Stellen versagt. Ein einzelner Mensch wie der König aber kann seine Entscheidungen frei treffen. Er mag in vielen Dingen leichtfertig handeln, aber er hat uns noch nie darum gebeten für ihn aus Rache zu töten. Um das zu tun, würde er sich einen Assassinen für Geld anheuern, wie es andere Reiche auch tun.«
»Ihr befindet Euch also auf der ehrbaren Seite?«, fragte Kari skeptisch.
»Das tun wir«, bestätigte der Fremde mit einem gewissen inbrünstigen Stolz in der Stimme. »Wir bestehen schon seit der Zeit, bevor die Vorfahren der Escadrier über das Meer zu uns kamen. Es ist eine uralte Tradition, die wir pflegen und die uns dort beschützt, wo alles andere versagen würde.«
»Würdet Ihr ein Spiel spielen, würde ich sagen, Ihr schummelt.«
»Aber wir gewinnen. Und wenn das Wohl eines ganzen Volkes davon abhängt, ist es diesen Preis doch wert, findest du nicht auch?«
Kari blieb stumm, die Arme immer noch verschränkt, wenn auch nicht mehr ganz so streng. Sie wollte nicht antworten. Sie wollte nicht zugeben, dass ihr der Gedanke gefiel, der Krone zu helfen. Der Fremde allerdings schien eine Reaktion ihrerseits zu erwarten. Seine dunkelbraunen Augen ruhten auf ihr und suchten die ihren, während sie demonstrativ zu Boden sah.
Sie hatte ihm gegenüber beweisen wollen und jetzt hatte er sie bezwungen. Sie war getrieben von ihrem Ehrgeiz und dem Willen, etwas zu erreichen und genau das wurde ihr jetzt angeboten. Sie könnte brillieren, ohne dass es jemand sah, aber machte das für sie einen Unterschied? Wenn sie genauer darüber nachdachte, tat es das nicht.
Der Fremde schwieg ebenfalls und wartete geduldig auf ihre Antwort. Wie sie schien er der Überzeugung zu sein, der Überlegene zu sein und wahrscheinlich war er das. Und wenn sie jetzt nichts sagte, hieße das sie gäbe sich kampflos geschlagen.
»Ich würde alles für die Krone tun«, gestand Kari und meinte es auch so.
»Dann komm mit mir mit.«
»An welche Bedingungen wäre ich gebunden?«, fragte sie.
»Du würdest mit uns Leben. Wir haben unsere Räumlichkeiten im Palast, also sollte das keine Probleme bereiten. Du wärst daran gebunden zu tun, was der König uns aufträgt, aber das habe ich eben schon erwähnt. Du dürftest außerdem mit niemandem darüber reden. Kontakte nach außen sind nicht verboten, aber das, was wir tun unterliegt strengster Geheimhaltung und würde etwas nach außen dringen, so wäre das Hochverrat«, erklärte der Fremde, so als würde er die Regeln für ein Spiel erklären.
Für Kari war die Vorstellung dieses neuen Lebens noch gänzlich abstrakt. Sie verstand, was er ihr sagen wollte, bekam eine Vorstellung davon in ihrem Kopf und trotzdem fühlte es sich nicht real an. Es wirkte so, als wäre es etwas in weiter Ferne und nicht zum Greifen nah. Vor allem das war es, was sie mit ihrer Entscheidung warten ließ, denn es war eine, die nicht leichtfertig getroffen werden sollte.
»Habe ich denn noch Zeit, um mich zu entscheiden?«
»Wir werden sie dir gewähren. Du kannst nach Hause gehen und deinen Eltern sagen, dass du ein Angebot bekommen hast. Du wirst ihnen nicht alles sagen können, aber sie werden sich sicherlich damit zufriedengeben.«
Ihre Eltern. An die hatte Kari in den letzten Minuten gar nicht mehr gedacht. Genau genommen hatte sie sie schon vergessen, seit sie ihr Elternhaus wieder verlassen hatte. Sie fürchtete sich davor, ihnen mitteilen zu müssen, dass all das Geld und all die Zeit, die sie in die Akademie gesteckt hatten, verloren waren. Sie würden es ihr nie verzeihen und sie würde in ihrem eigenen Zuhause zur Geächteten werden. Ihre Eltern würden dies natürlich nicht absichtlich tun, aber sie wusste, dass es genau so kommen würde.
Und wenn sie sich jetzt dazu entschied, den Fremden zu begleiten, dann wären alle Sorgen nichtig. Sie müsste sich nie wieder darum kümmern, was ihre Eltern von ihr hielten. Sie müsste es nie wieder jemandem bedingungslos Recht machen außer vielleicht sich selbst. Sie wäre befreit.
Diese Gedanken ließen Karis Herz höherschlagen. Das Angebot war auf einmal viel zu verlockend und alle Zweifel, die sie gehegt hatte, rückten in den Hintergrund. Es könnte tatsächlich die Chance sein, auf die sie sehnlich gewartet hatte.
Sie würde eine Assassine werden. Diesen Gedanken brannte sie sich selbst in ihren Kopf ein, versuchte ihn zu fassen und sich etwas darunter vorzustellen. Sie müsste Vieles von dem nutzen, was sie in der Akademie gelernt hatte. Sie würde der Niederlage vor den Prüfern trotzen und auf einem ganz neuen Pfad ihre Bestimmung finden.
Obwohl Kari nicht viel davon hielt, von Gefühlen geleitet zu werden, traf sie doch alle wichtigen Entscheidungen in ihrem Leben aus einem intuitiven Gefühl heraus. Und jetzt war wieder einer dieser Momente gekommen.
»Ich werde mit Euch kommen«, verkündete sie aus heiterem Himmel heraus in die Stille, die zwischen ihnen geherrscht hatte und besiegelte somit ihre Entscheidung. Jetzt würde sie keinen Rückzieher mehr machen.
Der Fremde wirkte sichtlich überrascht. »Bist du dir ganz sicher?«
»Ich bin mir sicher«, sagte sie. »Ich muss in meinem Leben Entscheidungen treffen und Ihr habt genug über mich in Erfahrung gebracht, um zu wissen, dass ich es immer nur meinen Eltern Recht gemacht habe. Ich bin seit vier Jahren mündig und muss meinen eigenen Weg gehen.«
»Und du willst mich sofort begleiten?«, fragte der Fremde, der bald kein Fremder mehr sein sollte.
Kari musste nicht lange überlegen. »Ja. Ich will nicht mehr nach Hause zurück und hier will ich auch nicht bleiben.«
»Dann folge mir«, sagte der er und lächelte ihr aufmunternd zu. »Ich hatte viel früher darauf zu sprechen kommen wollen, aber bevor ich vergesse es zu erwähnen... Mein Name ist Anvar.«
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