
Gebrochen
Ihr Onkel schaut in die tiefe Finsternis, kann aber trotz seiner Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen, nicht viel erkennen. Seine Knie werden weich, er ist erschöpft. Er fasst sich mit der linken an die Stirn und dreht den Kopf leicht zur Seite.
Plötzlich kommt ein Monster aus der Dunkelheit angeschossen und versucht sich auf ihn zu werfen, er weicht aus, wodurch das Monster an seiner rechten Schulter vorbeifliegt in die Finsternis, jedoch wird er von dem Monster noch an der besagten Schulter erwischt und nach hinten gerissen, verliert dadurch das Gleichgewicht und fällt rückwärts in den Schacht, das Monster verschwindet brüllend in der Dunkelheit, bis es nach einem dumpfen Aufschlag einige Sekunde später verstummt.
Sarah, die das Ganze mit angesehen hat, schnappt sich das Seil und wird beinahe mit hinuntergerissen, jedoch stützt sie sich breitbeinig an dem Rahmen der Aufzugtüren ab und entwickelt Bärenkräfte. Sie versucht, ihn am Seil hochzuziehen, wieder und wieder. Sie schafft es für einen Moment, aber das Seil rutscht ihr immer wieder ein Stück aus der Hand.
„Sarah, lass mich los.", versucht er auf sie einzureden.
„Nein! Ich lass dich nicht los! Ich lass dich nicht gehen!"
„SARAH!"
Sie reißt erschrocken die Augen auf, hält aber weiter so gut sie kann das Seil fest.
„Lass mich gehen. Bitte."
„Ich werd dich nicht loslassen! Du bist alles, was ich noch habe...", sie klingt verzweifelt.
„Du irrst dich!"
„ICH KANN DICH NICHT AUCH NOCH VERLIEREN!", schreit sie und bricht in Tränen aus.
„Sarah, mein Leben war schon vorbei, als ich hier rein kam."
„IST MIR EGAL! ICH WILL NICHT, DASS DU GEHST!"
„Bitte Sarah, lass mich los."
Sie hält weiter das Seil fest, an dem sein Leben hängt. Mit ausgestreckten Beinen, jeweils ein Fuß an einer Tür des Aufzugschachtes hält sie ihn mit aller Kraft, das Seil mehrfach um Handfläche und Handrücken gewickelt.
„KANNST DU VERGESSEN!"
„Ich bitte dich, lass es. Leb dein Leben. Ich würde dir nur im Wege stehen."
„ICH WERDE DICH NICHT AUFGEBEN, NUR, WEIL DU ES WILLST!"
„Sarah... Du bist eine starke, mutige Frau, aber du musst auch Menschen gehen lassen können. Wir müssen alle im Leben Entscheidungen treffen, die uns nicht passen, die uns weh tun, die wir bereuen werden, aber das gehört zum Leben dazu."
„ICH WERDE DICH ABER NICHT GEHEN LASSEN! ICH HAB SO VIEL GEOPFERT UM DICH ZU FINDEN!"
„Und dafür bin ich dir unendlich dankbar. Das ich dich noch ein letztes Mal sehen durfte, hat meinem Leben noch einmal einen Glanz verleiht, mit dem ich nun auch gehen werde."
Mit seiner linken Hand umschließt er halbwegs einen rostigen, kleinen Stahlträger über seinem Kopf und zieht sich an diesem auf Höhe des Gesichtes hoch. Sarah, verwirrt, dass der Zug des Seils nachgelassen hat, krabbelt nun auf allen vieren zur offenen Aufzugtür, das Seil noch in den Händen und schaut hinunter zu ihrem Onkel, ihre Blicke treffen sich.
„Sarah..."
Sie schaut ihn mit großen Augen an.
„Lebe wohl."
Er schaut sie ein letztes Mal mit einem erfreuten, breiten Lächeln an, schneidet mit seinen spitzen Krallen das Seil durch und lässt los.
Sie sieht zu, wie er glücklich in die tiefe Dunkelheit fällt.
„Ich liebe dich.", ruft er noch, dann hört sie, wie er unten auf den Aufzug trifft.
„Ich liebe dich auch...", flüstert sie unter Tränen, doch er konnte es nicht mehr hören. Sie steht auf, dreht sich um, geht ein paar Schritte und lässt sich dann auf ihren Hintern fallen.
Sie ist am Boden, dieses Mal mehr als sonst und sie weint erneut, aber jetzt voller Verzweiflung, bitterlich und kraftlos. Ihr Wille ist gebrochen. Ihre Familie ist tot, ihre Freunde in weiter Ferne und all das, was in den letzten Stunden geschehen ist, hat sie fertig gemacht. Alle Hoffnung ist erfroren, sie entkommt ihrem Schmerz nicht mehr. Ihre Seele blutet, aber niemand kann es sehen, kann es behandeln, niemand kann ihr helfen. Ihr Herz ist in ihren Tränen ertrunken, das Schiff der Liebe ist darin gesunken. Nichts hält sie mehr in dieser Welt. Sie zieht ihren Rucksack ab, holt den Block heraus und schreibt ihren letzten Brief, ihre letzten Worte auf Papier. Sie hat alles verloren und nichts mehr, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Und sie schreibt es auf, schreibt auf, was sie alles dazu getrieben hat, wer alles schuld daran sei und schreibt ihren Hilferuf, den niemand erhört. Sie fühlt sich allein. Die Einsamkeit, die sie umgibt, ist kalt, so kalt wie es kein Winter je sein könnte. Sie fühlt sich vom Leben verraten, vom Glück verlassen und sie schreibt es auf, alles, was ihr durch den Kopf geht. Niemand weiß, wie es ihr geht und jetzt müssen alle damit leben, dass sie nicht mehr ist. Alles, was sie ausgemacht hat, ist verloren und bald auch nie mehr zu sehen. Sie ist begraben unter all den Problemen, unter all dem Schrott hier, unter den Vorwürfen, entstanden durch die Fehler, die sie sich selbst nie verzeihen wird. Und sie ist allein, niemand ist da, der ihr noch helfen kann und sie greift nach dem Messer. Sie setzt es an und ihr kommen die Tränen. Es sind Tränen der Verzweiflung, des gebrochenen Herzens und sie holt tief Luft. Aber sie schneidet sich nicht durch die Venen, sie schafft es nicht. Sie schließt ihre Augen und erinnert sich an ihr Leben wie es vorher war. All die schönen Momente, all die schlechten Momente. Sie hört sich lachen, fühlt sich frei, fühlt das Glück, das sie einst hatte. Und sie sieht all die Menschen, die ihr so viel bedeuten, die sie nun allein lässt, denn sie hat den Glauben daran verloren, jemals lebend aus diesem Gemäuer herauszukommen. Und ihr kommen erneut die Tränen, sie will nicht alleine sein, alleine sterben, aber sie weiß, es ist zu spät. Und sie merkt, wie schwach sie sich fühlt und sie lässt sich fallen, fällt rückwärts auf den kalten Boden und bleibt liegen. Es ist niemand da, der ihr helfen könnte, der sie retten könnte und sie liegt einfach da, will schreien, aber niemand ist da, der sie hören kann.
In Gedanken verloren liegt sie einfach nur da, sieht vor Augen, wie sie all die geliebten Menschen verloren hat. Und da fällt ihr der eine Satz wieder ein:
„Lies dies zu einem geeigneten Zeitpunkt.", und kramt den Zettel aus ihrer Hosentasche, setzt sich auf und fängt an, ihn zu lesen, denn nun war der geeignete Zeitpunkt gekommen, dass zu lesen, was er ihr hinterlassen hat.
Sarah,
wenn du das hier liest, bedeutet es, dass ich nicht mehr bin. Ich wünschte, es wäre anders gekommen, aber schon bevor ich angefangen habe, dies hier zu schreiben, war mir klar, dass ich hier nie mehr lebend rauskommen werde.
Ich wünschte, ich hätte noch mehr Zeit mit dir verbringen können als die paar Minuten, die uns heute noch geblieben sind nach all den Jahren, aber dieses Glück ist uns nicht zuteil geworden. Ich hätte dir auch noch so viel zu sagen, aber dafür reicht die Zeit nicht.
Es hat mir das Herz gebrochen, dass sich unsere Wege trennten, aber ich hatte heute die Ehre zu sehen, was für eine wundervolle junge Frau doch aus dir geworden ist und ich bin dankbar dafür, dass ich das noch miterleben durfte. Nach all der Zeit, nach all den Qualen kann ich doch nun voller Stolz und Freude aus dem Leben gehen, denn ich habe dich ein letztes Mal sehen dürfen.
Und es tut mir unendlich Leid, dass ich auch nun nicht mehr für dich da sein kann, gerade dann, wenn du jemanden an deiner Seite bräuchtest. Aber auch wenn du mich nicht mehr siehst, so werde ich immer bei dir sein. Ich stehe immer hinter dir, habe ich immer, werde ich immer, im Leben wie im Tod. Du warst nie allein und wirst es nie sein. Und eines Tages werden wir uns wiedersehen, doch dieser Tag liegt noch in weiter Ferne und ich werde auf ihn warten, denn wie heute wird sich das Warten auch auf diesen Tag lohnen. Doch bis dahin lass mich dir einen Rat geben: Genieße deine Leben und schaue nicht zurück. Freue dich auf das, was vor dir liegt, denn das ist wichtiger als alles andere.
Und mach dir keine Sorgen um mich, ich bin wieder bei meiner geliebten Frau. Ich war verloren und du hast mich erlöst. Dafür werde ich dir nie genug danken können. Ich habe dich immer geliebt wie meine eigene Tochter. Und ich hoffe, ich konnte dir das irgendwie heute noch zeigen. Lebe das Leben, was du schon immer leben wolltest, denn du hast nur eins und das solltest du genießen.
In Liebe
Dein Onkel Charlie
Sie legt sich wieder hin und drückt den Abschiedsbrief an ihre Brust, fängt an zu weinen, zu schluchzen, den Kopf hin und her zu bewegen.
Minutenlang weint sich bitterlich, die Wahrheit nicht glaubend, seinen Tod verweigernd, nicht gewillt, den Verlust zu akzeptieren.
Nach einiger Zeit wird ihr Weinen wieder schwächer, ihr Schluchzen leiser, ihre Sicht wird klarer. Sie bemüht sich aufzustehen, doch sie ist schwach, schwach und gebrochen. Sie versucht nachzudenken und fasst einen klaren Gedanken, sie will sich die letzten Aufnahmen, die letzten Momente dieses Gemäuers anschauen. Mit letzter Kraft steht sie auf und geht zum Schaltpult mit den vielen Bildschirmen. Der Weg dorthin kostet sie unglaublich viel, aber sie schafft es noch.
Sie nimmt sich ihre Taschenlampe und leuchtet umher. Sie sieht einen kleinen Generator vor ihr unter der Tischplatte. Sie geht in die Hocke, sucht nach einem Schalter und legt diesen nach erfolgreicher Suche um. Sie richtet sich wieder auf und spult am Schaltpult stehend alles zurück und sieht sich die letzten Aufnahmen der Überwachungskameras auf den noch funktionstüchtigen Bildschirmen am Tag des jüngsten Gerichtes an. Nichts Auffälliges bisher um 15:46 Uhr. Sie stellt die vierfache Geschwindigkeit ein. Immer noch nichts Wichtiges wie sie findet. Gegen 17 Uhr fand wohl der Schichtwechsel statt.
„DA!", sagt sie laut und schaut sich daraufhin schnell um.
„Gut, hat niemand gehört...", murmelt sie erleichtert und wendet sich wieder den Bildschirmen zu, spult etwas zurück und schaut sich wieder in normaler Geschwindigkeit alles an. Fokussiert auf den Gang im ersten Untergeschoss beobachtet sie die Vorkommnisse an Zelle 82.
„Das kann nicht sein...", fassungslos schaut sie minutenlang, was damals geschehen ist.
„Das glaub ich jetzt einfach nicht.", sie greift hinter sich nach dem Stuhl, zieht ihn heran, lässt sich in denselbigen fallen und starrt auf die Bildschirme. Sie sieht die einzelnen Gänge, vereinzelt die Gefängniszellen und sieht die startende Revolution. Aber das ist nicht das, was sie so schockt. Auch Subjekt 23 befreit sich und schlachtet das Personal im vierten Untergeschoss ab wie es ihr erzählt worden ist, aber es war nicht das Wesen, mit dem alles begonnen hat. Es war auch nur ein Teil des großen Ganzen und vermutlich hat es auch nur wegen ihm funktioniert.
„Ich kann es einfach nicht glauben."
Fassungslos spult sie die Aufnahme zurück und schaut es sich erneut an. Und noch einmal. Und noch einmal. Wieder und wieder, die Szene immer weiter kürzend. Inzwischen hat sie auch raus gefunden, wie sie für einen einzelnen Bildschirm den Ton anstellen kann, denn jede Kamera hat auch ein Mikrofon eingebaut.
Als sie auch noch etwas zu dem hört, was sie grade sieht, zweifelt sie alles an. Alles, was sie in jüngster Vergangenheit erlebt hat.
„Ich will es nicht glauben! Ich kann es nicht glauben! Ich werde es nicht glauben!", sagt sie nur dazu. „Das kann einfach nicht wahr sein!", ergänzt sie und sieht sich die Aufnahmen noch einmal an, den Fokus komplett auf die Zelle 82 im ersten Untergeschoss gelegt, ganz gleich, ob nun etwas oder jemand den Raum betreten würde, versuchen würde, mit ihr zu sprechen oder gar versucht, über sie herzufallen, ihre Aufmerksamkeit gilt dieser Aufnahme.
Sie sieht ihren Onkel, wie er an dem Gitter steht.
„Lass mich hier raus.", sagt er fordernd zum Wärter.
„Geh vom Gitter weg.", erwidert dieser seelenruhig.
„LASS MICH HIER RAUS!", brüllt ihr Onkel ihn an.
„Geh vom Gitter weg!", fordert der Wärter in einem ernsten Ton ihn erneut auf und stellt sich in einem Meter Abstand vor seine Gefängnistür.
Ihr Onkel stellt sich direkt an die Tür, geht dann zwei Schritte zurück und bleibt kurz stehen. Der Wärter legt seinen Kopf leicht schief. Sarah kann nur erahnen, wie ängstlich er war, denn sie sieht im Gesicht ihres Onkels eine Entschlossenheit und eine scheinbar unbändige Wut. Eine Wut, die sie noch nie zuvor gesehen hat.
Mit einem verschmähten Grinsen blickt er dem Wärter noch kurz ins Gesicht, springt dann leicht nach vorne und tritt mit voller Wucht gegen die Eisenstangen der Tür.
Diese aus den acht tragenden Angeln gerissen fliegt in senkrechter Position direkt auf den Wärter zu, erfasst diesen und zerquetscht ihn an dem Gitter der gegenüberliegenden Gefängniszelle wie in einer Knoblauchpresse. Das nun wahnsinnige Grinsen beibehaltend schlendert ihr Onkel aus der Zelle und schlitzt einem herbeigeeilten, ihm nun sehr nahe stehenden Kollegen des Wärters kurzerhand mit einem krallenartigen Finger die Kelle auf. Dieser geht nach Luft ringend zu Boden und stirbt durch sein eigenes Blut in den Atemwegen.
„Ich hab doch gesagt, lass mich raus. Das habt ihr jetzt davon.", sagt er dem vor ihm im Sterben liegenden Wärter. Als dieser dann letztendlich zugrunde geht, schreien alle anderen Monster auf, rütteln am Gitter und das große Massaker hat begonnen. In diesem Moment bricht auch Subjekt 23 aus seiner Zelle aus, während ihr Onkel die anderen in seinem Gang nach und nach befreit, denn immerhin ist er nach Subjekt 23 das stärkste Wesen in diesem Gemäuer. Sarah muss zusehen, wie unzählige Mitarbeiter abgeschlachtet werden und durch viele verschiedene Arten umgebracht werden. Dem Einem wird der Kopf abgeschlagen, dem Anderen abgerissen, eine Wissenschaftlerin wird mit einer Hand durchbohrt, der Nächsten wird die Kehle aufgebissen, einem Anderen der Kopf zerquetscht, der Nächste wird aufgeschlitzt. Sarah fängt an zu weinen. So viel Leid, so viel Schmerz, so viel Blut und schließlich so viel Tod. Innerhalb einer Stunde sind beinahe alle Mitarbeiter auf die eine oder andere Art und Weise verstorben und die wenigen, die sich den Aufnahmen nach zu urteilen irgendwo verbarrikadiert haben, sind auch gefunden worden, vermutet Sarah. Und Sie alle teilten das gleiche Schicksal unter hysterischen Angstschreien, bis alles verstummt. Unter Tränen hat Sarah alles beobachtet. Und alles fing mit ihrem Onkel an. Es war nicht Subjekt 23, dass an diesem Massaker schuld war. Es war ihr eigener Onkel, ihre eigene Familie, die das getan hat. Nun weiß sie es. Und mit diesem Wissen geht auch die letzte schöne Erinnerung verloren, die sie noch hatte. Die Wahrheit ist, dass am Ende der Hass jeden Menschen zu etwas treibt, was er sonst nie tun würde. Und ihr Onkel war so von Hass zerfressen, dass er nun für den Tod aller verantwortlich ist. Und am Ende hat er die, die seine Revolution vollendet haben, selbst gejagt. In Phasen des Hungers, wenn hunderte gefühlskalte Monster herumrennen, ist man nicht wählerisch, aber das gerade er sich zu so einer Tat herabgelassen hat, ist für Sarah ein Schock.
Weinend sitzt sie vor den Bildschirmen, wobei nun auch der letzte die endenden Aufnahmen schwarz überblendet und sich abschaltet.
„Wie konnte er nur?", fragt sie verzweifelt. „Warum musste es so enden? Warum müssen alle aus meiner oder durch meine Familie sterben?"
Sie hält sich die Hände vor ihr Gesicht. Auch wenn niemand da ist, so soll sie doch keiner weinend vorfinden. Von Mitgefühl und Trauer beherrscht fasst sie kaum noch einen klaren Gedanken. Immer wieder schüttelt sie den Kopf, will nicht wahrhaben, dass das grade gesehene wirklich vor einigen Wochen geschehen ist, denn es würde bedeuten, dass das letzte Gute, an das sie geglaubt hat, in Wahrheit das Böse war.
Völlig verwirrt und am Boden zerstört weint sie weiter, aber bereits einige Minuten später wird sie vor Erschöpfung müde und schläft weinend ein.
Sie träumt davon, sie wäre am Tag des jüngsten Gerichtes da gewesen, hätte neben dem Wärter gestanden, den ihr Onkel mit der Gefängniszellentür einfach ermordet hat. Sie grüßt den Kollegen einige Meter entfernt. Dann fliegt an ihr die Tür vorbei und der andere Wärter und der eben noch so nett gegrüßte Wächter kommt angesprintet mit geladener und entsicherter Waffe, aber die half ihm auch nicht mehr. Dann wendet er sich ihr zu. Panisch rennt sie weg und er lacht nur, lacht gehässig und ruft „Ich werde dich kriegen. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber bald!"
Schlagartig wacht Sarah auf, steht blitzschnell vom Stuhl auf, schaut zwei Sekunden panisch geradeaus und geht dann zu Boden. Auf der rechten Seite liegend sammelt sie langsam ihre Kräfte, die Anstrengungen der jüngsten Ereignisse zahlen ihren Tribut und ihr Kummer erleichtert es ihr nicht. Im Gegenteil, er ist das, was sie versagen lässt, obwohl es der Moment in ihrem Leben ist, an dem sie stark sein müsste.
Wieder kommen ihr die Tränen. Sie muss an die Aufnahmen denken und wie ihre Hoffnungen und ihr Glauben an das Gute im Menschen durch diese wenigen Minuten völlig zerstört worden sind. Widerwillig nimmt sie die Wahrheit als dieselbige hin, wischt sich mit einem dreckigen Ärmel ihrer Sweat-Shirt-Jacke die Tränen weg, wobei sie nicht aufhört zu weinen und steht auf. Sie geht zu den in der Wand eingebauten Kassetenrecordern links neben den Bildschirmen und drückt bei dem Gerät, welches noch leuchtet, also eingeschaltet ist, auf den Knopf zum Kassetenauswurf. Auf dieser Videokassete ist festgehalten, was an jenem Tag geschehen ist und wie ihre Familie in Form eines verbitterten, für Experimente missbrauchten Mannes zahlreiche Menschen ermordet hat, angetrieben durch Wut und puren Egoismus.
Erfüllt von Scham und Trauer nimmt sie die Kassete, zieht ihren Rucksack ab, öffnet diesen, steckt die Videokassete ein, schließt den Rucksack wieder und zieht ihn wieder auf. Sie blickt sich in dem kläglich beleuchteten Raum um. Sie sieht einige herumliegende Akten. Sie sammelt sie zusammen, zieht ihren Rucksack ab, öffnet diesen und will die Akten einstecken, da fällt ihr eine herunter, öffnet sich beim Aufprall und einige Seiten verstreuen sich im Raum. Sie macht sich auf, diese zusammen zu sammeln und fängt an, eins der Dokumente zu lesen, es scheint eine Kopie zu sein:
Josef Kapklet 17.03.2015
Leitender Sicherheitschef
Zuständig für die Gebäudesicherheit
Sehr geehrter Herr Larsit,
Sie haben sich nach der Sicherheit ihrer Forschungseinrichtung erkundigt. Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass es bereits Subjekten gelungen ist zu fliehen, jedoch konnten wir diese problemlos wieder einfangen. Subjekt 23 wird seitdem mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bewacht. Dies bezüglich brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen.
Zudem hat der Gefangene Herr Whirlcek seine Versuche zur Flucht aufgegeben, den wir auf Ihr Anraten hin des Mordes an seiner Ehefrau bezichtigt und später bei uns eingewiesen haben. Auch er wird keine Probleme mehr machen. Sie sind nun sicher.
Zudem darf ich von unseren Wissenschaftlern ausrichten, dass ihnen ein Durchbruch in der Forschung gelungen ist. Über weiteres wird sie demnächst Herr Rayfield informieren.
Mit freundlichen Grüßen
Josef Kapklet
Sarah muss trotz ihrer deprimierenden Gefühle grinsen.
„Ganz schön scheiße, sich zu irren, oder?", meint sie gehäßig.
Sie steckt die Dokumente in die offen liegende Akte, schließt diese daraufhin, steckt sie in ihren Rucksack, schließt dann diesen, zieht ihn wieder auf und geht zum Aufzugschacht. Sie schaut in die tiefe Finsternis hinab. Ihr fließt eine Träne über die Wange, kurz schließt Sarah ihr Augen, atmet einmal tief durch, öffnet sie dann wieder und fängt an, wieder den Weg, den sie gekommen, herunterzuklettern in die erste Etage, da ein Sprung aus der zweiten zu hoch wäre und sie aus dem Erdgeschoss nicht fliehen kann ohne freie Türen und ohne Fenster.
Als sie zwei Minuten später in der ersten Etage ist, hinter sich der freiliegende Aufzugschacht, links von ihr ein Zellentrakt, rechts von ihr die Büros der Wissenschaftler. Sie überlegt kurz, geht dann aber nach links, denn sie spürt einen sanften Luftzug von links kommen.
„Wo Wind ist, ist auch ein Weg nach draußen...", murmelt sie und dreht sich in die vermeintliche Richtung der Freiheit. Nach nur wenigen Minuten steht sie wieder vor einer gepanzerten Tür, welche an ihren Rändern sehr deformiert ausschaut. Sie tippt leicht dagegen, die Tür schwankt kurz.
„Gut zu wissen...", flüstert Sarah und tritt mit voller Wucht gegen die Stahltür.
Diese den Gesetzen der Physik folgend wird umgeworfen und knallt auf den Boden, Sarah zuckt kurz zusammen. Dann betritt sie den Zellentrakt.
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