Der Schock
„Dean Winchester?", fragte ich erneut und blickte in die grünen Augen, die immer noch schmerzerfüllt waren. Er stieß die Luft hörbar aus und richtete sich schwerfällig auf. Kurz blinzelte er und runzelte seine Stirn. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen. Inzwischen war auch der Hund verstummt, sodass eine unbehagliche Stille im Raum herrschte.
„Dean?", zerriss der große Mann hinter ihm die Stille. Ungeduldig sah er sich um und blickte dann auf seinen Gefährten. „Dean?", versuchte er es erneut. „Dean, der Werwolf!".
Dean blinzelte erneut. Scheinbar hatte er mich erkannt, denn der Schock schien tief zu sitzen. „S-Sarah.", murmelte er.
Angespannt hielt ich die Luft an. Jahre hatte ich meinen Namen nicht aus seinem Mund gehört. Es klang immer noch wie eine Symphonie. Engelsgleich. Nie klang ein Wort so richtig, nie so schön.
Wir standen beide wie angewurzelt da. Keiner rührte sich, keiner schien auch nur zu atmen. Doch plötzlich blickte Dean etwas hinter mich an. Dann ging alles ganz schnell.
„VORSICHT!", brüllte er, packte mich und riss mich runter. Im selben Moment dröhnte ein ohrenbetäubendes Klirren in meinen Ohren. Ich knallte hart auf dem Boden auf. Glasscherben fielen über Dean und mich, der schützend über mir lag und mich regelrecht nach unten presste. Ein Schrei war zu hören. Ich wusste nicht, ob ich es gewesen war. Dann fielen zwei Schüsse. Beinahe im gleichen Moment vibrierte die Erde. Dann war es ganz still.
Das Blut rauschte in meinen Ohren. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust. So fest, dass ich dachte, es würde jeden Moment herausspringen. Meine Hände zitterten. Langsam richtete sich Dean auf, packte mich bei den Oberarmen und half mir mich aufzurichten, da meine Knie sich anfühlten wie Wackelpudding. Mein ganzer Körper bebte vor Adrenalien.
„Sarah?", hörte ich Dean – ganz weit entfernt von mir – etwas sagen, doch mein Blick war auf den Boden gerichtet. Auf die Blutlache, in der ein großer, junger Mann lag, mit Fangzähnen und Krallen. Seine Augen waren weit aufgerissen. Auf seiner Stirn war ein Einschussloch zu sehen. Die zweite Kugel hatte ihn mitten ins Herz getroffen. „Sarah!", schrie Dean nun und rüttelte mich an den Schultern, sodass ich aus meiner Trance erwachen konnte.
Mit riesigen Augen fing ich seinen besorgten Blick auf. Als ich nicht antwortete, wanderten seine Hände zu meinen Wangen. Sanft hielt er mein Gesicht fest und sah prüfend in meine Augen, als hätte er dadurch sehen können, ob ich verletzt war. Er selber hatte eine blutige Nase, was wahrscheinlich von meinem Schlag mit dem Ellbogen kam. Darüber hinaus, schien ihn ein Glassplitter getroffen zu haben, denn an seiner Stirn klaffte eine längliche Schnittwunde.
„Sarah, antworte mir!", schrie er. „Bist du verletzt?".
Die altbekannte Panik stieg in mir hoch. Ich schnappte nach Luft. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Mit einem Ruck riss ich mich von Dean los, lief an dem riesigen Mann vorbei, der uns mit verwunderter Miene beobachtet hatte und eilte die Holzstufen hoch. Mir war egal, dass ich durch das Blut gelaufen war und nun meine, roten Fußabdrücke eine Spur legten.
„SARAH!", rief Dean hinter mir, doch ich drehte mich nicht um. Ich wetzte ins Badezimmer und riss die Schublade des Schränkchens auf, das unter dem Waschbecken stand. Wild wühlte ich darin herum, schmiss in meiner Panik achtlos Dinge auf den Boden, schnappte unaufhaltsam nach Luft und hielt nach einer Ewigkeit endlich das kleine Döschen in den Händen. Mit zittrigen Fingern öffnete ich den Verschluss, nahm eine längliche Tablette heraus und spühlte sie mit Klarem Wasser herunter. Ich formte mit den Händen eine Kuhle und spritzte mir etwas kühles Wasser ins Gesicht. Dann stützte ich mich am Rand des Waschbeckens ab und blickte in den Spiegel.
Dean stand hinter mir in der Tür. In seinen Händen ruhte eine schwarze Pistole. Seine Augen wanderten durch das Badezimmer, als würde er ein Monster suchen. Als er sichergestellt hatte, dass niemand sonst hier war, steckte er die Waffe weg und machte einen Schritt auf mich zu.
Ich betrachtete ihm im Spiegel. Seine Gesichtszüge waren über die Jahre kantiger geworden. Auch der leichte Bart war neu. Seine grünen Augen aber strahlten immer noch im gleichen Glanz. Die dunkelbraune Lederjacke, das karierte Hemd und die verwaschene Jeans spiegelten seinen Style wider, den er über all die Jahre wohl nicht verändert hatte.
„Sarah.", hauchte er sanft. „Rede mit mir.".
Ich holte tief Luft und drehte mich dann mit einem Ruck um. „Raus aus meinem Haus.", sagte ich bestimmt.
Er machte ein Gesicht, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Kurz öffnete er seinen Mund, um etwas zu sagen, verstummte dann aber. Betreten sah er zu Boden und fuhr sich dann einmal über sein blutverschmiertes Gesicht. „Hör zu-.", begann er. „ich dachte, du wärst tot. Glaube nicht, ich hätte nicht nach dir gesucht. Das habe ich. Tage, Monate. Ich wollte nicht glauben, dass-".
„Raus aus meinem Haus!", wiederholte ich nun lauter, sodass mein Gegenüber verstummte.
„Okay.". Dean hob abwehrend die Hände und machte ein paar Schritte rückwärts, bis er mitten im Flur stand. „Wir gehen ja schon.". Dann verschwand er aus meinem Sichtfeld. Ich hörte, wie er die Holztreppen mit schweren, langsamen Schritten hinunterging. Erst als er unten angekommen war, löste ich mich vom Fleck und stürmte ebenfalls hinunter. Im Übergang vom Flur zum Wohnzimmer blieb ich stehen. Der große Mann war gerade dabei mit einer Küchenrolle das Blut aufzuwischen. Blutgetränkte Blätter lagen verstreut auf meinem dunklen Laminat. Von Dean und der Leiche war nichts zu sehen.
„Gehen Sie bitte raus.", sagte ich mit zittriger Stimme und fixierte den Langhaarigen, der überrascht aufblickte. Langsam richtete er sich auf und warf mir einen besorgten Hundeblick zu.
„Hören Sie, egal was zwischen Ihnen und meinem Bruder vorgefallen ist, ich-.".
„Raus hier!", schrie ich genervt. Scheinbar lag Schwerhörigkeit in der Familie!
Auch der Bruder verstummte und presste seine schmalen Lippen zusammen. Kurz nickte er setzte sich dann in Bewegung. Damit er ungehindert hinausgehen konnte, machte ich einen Schritt zurück. Als er an mir vorbeigegangen war, drehte er sich noch einmal zu mir um und deutete auf den Rest der Blutlache. „Je nachdem wie zuverlässig Ihre Nachbarn sind, würde ich das Blut wegwischen, bevor die Polizei eintrifft.".
Indem tauchte jemand im Rahmen der Haustür auf. Dean. Er griff nach dem Türknauf und stellte sich mit dem Rücken zur geöffneten Tür, die ich nach dieser Aktion wohl erneuern lassen müsste. „Sam.", sagte er ruhig, aber mit leichtem Zorn in seiner Stimme. Seine Augen funkelten mich wütend an, beinahe so, als wäre das vor zehn Jahren meine Schuld gewesen.
Sam warf mir noch einen entschuldigten Blick zu. Dann ging er hinaus, an seinem Bruder vorbei. Dean blickte mir noch einmal tief in die Augen und knallte dann die Tür hinter sich zu.
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