Kapitel 65
Es vergingen mehrere Tage, in denen Rhana auf der Schule einfach nur übte und lernte. Yuvan, Lotta und Lewin waren fast nie da, da sie aktiv im Außendienst waren. Rhana hingegen hatte andere Aufgaben. Nur hießen die im Moment warten.
»Manchmal wünschte ich mir, Kaza wäre groß genug, dass ich zumindest mit ihr das Fliegen üben könnte«, sagte sie zu Idris, während sie eine kurze Pause einlegten. Heute hatte sie ihr Schild besonders gut unter Kontrolle, was aber vielleicht auch daran lag, dass sie den See genutzt hatte, um ihre Haarnadel erneut aufzuladen.
»Du wirkst ungeduldig«, bemerkte Idris, der das so von Rhana nicht kannte.
Diese lächelte schief. »Ich fühle mich ein wenig ... unnütz«, gestand sie, denn einfach nur auf andere zu warten, ohne selbst etwas beschleunigen zu können, lag ihr einfach nicht.
Idris trat auf sie zu und nahm sie sanft in den Arm. »Du tust, was du tun kannst«, sagte er beruhigend, während er ihren Rücken streichelte.
Rhana schloss die Augen und legte ihren Kopf an seine Brust. »Ich wünschte, ich könnte mehr tun.«
»Das verstehe ich. Aber was du tust ist wichtig«, flüsterte Idris sanft, der sie zu einer nahen Bank führte, damit sie sich kurz ausruhen konnte.
Rhana ließ sich nieder und schloss ihre Augen, als sich ein Schatten über sie legte.
»Bleib sitzen«, flüsterte Idris, der ihr einen sanften Kuss auf die Wange gab, bevor er sich dem Drachen widmete.
Rhana öffnete nur eines ihrer Augen, um zu sehen, was vor sich ging. Es war ein kleiner Drache, der sehr gut mit dem Gebirge verschmolz. Als Idris sich zu ihr kniete, konnte sie erkennen, dass der Drache in den Krallen einen Brief hatte.
Sofort öffnete sie ihr zweites Auge und setzte sich auf. Von Ruhe war nicht mehr zu sprechen. Zu aufgeregt darüber, dass der Drache die Briefe gebracht hatte.
Sowohl in den Südlanden als auch in den Nordlanden war es üblich für Briefverkehr einen Ort auszumachen, an dem die Briefe gelagert und dann abgeholt wurden.
Rhana und Javar hatten sich für einen Stein in der Nähe der Taverne entschieden. Dort holten sie beide in regelmäßigen Abständen die Post des jeweils anderen ab. Rhana wusste also sehr gut, von wem dieser Brief kam.
Allerdings gab Idris ihn ihr nicht, sondern öffnete ihn vor ihrne Augen, um ihn kurz zu überfliegen. Dann runzelte er die Stirn.
»Er möchte dir gern die Mienen zeigen«, bemerkte er, klang aber vorsichtig, als würde er es nicht mögen.
Rhana hingegen sah ihre Gelegenheit gekommen und erhob sich voller Tatendrang. »Das ist doch perfekt. Dann können wir endlich verifizieren, ob er mit den verdorbenen Artefakten in Kontakt steht«, sagte sie und hielt ihre Hand hin, um sich den Brief anzusehen.
Idris reichte ihn ihr, auch wenn sein Blick deutlich Sorge zeigte.
Rhana entschied sich, diesen erst einmal zu ignorieren und sich dem Brief zu widmen.
Nachdem sie diesen gelesen hatte, atmete sie erleichtert aus. Fürst Javar wollte sich mit ihr an der Taverne treffen und von dort aus ins Gebirge, damit er ihr seine Mienen zeigen konnte. Er schien sehr stolz darauf, was Rhana durchaus irritierte. Wenn er so stolz darauf war, warum hatte er dann so lange gebraucht? Hatte sie sein Vertrauen wirklich nur durch die paar gelungenen Handel errungen?
»Mir gefällt nicht, dass er unbedingt will, dass du alleine kommst«, bemerkte Idris mit knirschenden Zähnen. Ihm war anzusehen, dass er mit sich rang.
»Finde ich verständlich. Er zeigt mir immerhin den Grundstein seines Imperiums, wenn man es so will«, erklärte sie, denn auch sie würde nicht einfach jedem ihre Familiengeheimnisse anvertrauen.
Idris trat auf Rhana zu und legte ihr vorsichtig die Hände auf die Schultern. »Du musst vorsichtig sein«, bat er.
»Das werde ich«, versprach sie, spürte aber auch eine gewisse Freude in sich aufsteigen. Endlich musste sie nicht mehr abwarten und die Beine stillhalten. Sie konnte endlich loslegen.
»Bevor du gehst, werden wir deine Haarnadel aufladen«, entschied Idris, doch Rhana hielt ihm den Brief hin.
»Dafür ist keine Zeit«, sagte sie, als sie auf das Datum ihres Zusammentreffens deutete. »Nicht, wenn ich nicht zu spät kommen will.«
Idris brummte. »Na gut«, gab er sich geschlagen. »Aber ich werde dich aus der Distanz beobachten«, entschied er, was bei Rhana nicht unbedingt auf Gegenliebe stieß.
Es war zwar süß von ihm, doch sie hatte Angst, dass dadurch all ihre Arbeit zu Nichte gemacht wurde. Immerhin wollte sie, dass Javar ihr vertraute. Dieser hasste Idris aus irgendwelchen Gründen und sollte er herausfinden, dass dieser Rhana beobachtete ... würde das alles zerstören.
Idris legte Rhana eine Hand an die Wange. »Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir etwas passiert, nur, weil du mir helfen willst«, sagte er sanft.
Rhana gab sich Mühe, nicht nach Luft zu schnappen, als ihr klar wurde, dass Idris wusste, wieso sie so versessen darauf war, Javar in die Finger zu bekommen.
Kurz überlegte Rhana, ob sie eine Diskussion darüber starten sollte, doch vermutlich war es besser, wenn sie ihm diese Sache ließ. Sie wollte nicht, dass er zu viel Angst um sie hatte.
Also stieß sie die Luft aus. »Na gut, aber lass dich nicht erwischen, ja?«, bat sie leise, bvor sie sich in seine Umarmung schmiegte. Sie versuchte zwar, möglichst ruhig zu bleiben, doch nebn die Vorfreude, endlich aktiv werden zu können, mischte sich Nervosität, die in Sorge überging.
Idris nickte, bevor er sie in einen innigen Kuss zog, der Rhanas Herz schneller schlagen ließ. Seine Lippen auf ihren zu spüren war noch immer so ungewohnt, dass sie nicht genau wusste, wie sie reagieren sollte. Nur vorsichtig erwiderte sie den Kuss, auch wenn er ihr sehr gut gefiel.
Sie wurden erst unterbrochen, als in ihrer Nähe Freya landete. Rhana wusste nicht, wie Idris ihr Bescheid gegeben hatte, doch sie bgrüßte es sehr.
Noch immer konnte sie nicht mit Kaza fliegen und das würde wohl auch noch lange so bleiben. Daher flog sie auch verhältnismäßig selten, was sie sehr schade fand.
Sie wollte jedoch Freya nicht für sich beanspruchen, da sie Idris Drache war und sicherlich lieber mit ihm flog.
Jetzt aber kletterte sie hinter Idris, damit sie starten konnten, während sie sich überlegte, wie sie wohl am besten vorging.
Da sie allein kommen sollte, würde es nicht gerade einfach werden.
Als sie mit Idris in den Himmel abhob, waren sie noch einige Stunden vom Termin entfernt. Gerade genug Zeit, um einen sicheren Landeplatz auszusuchen und dort zu landen.
Rhana zog die Kapuze tief in ihr Gesicht, bevor sie sich auf den Weg durch das Gebirge machte. Sie würde eine gute Stunde laufen müssen, bis sie die Taverne erreichte. Noch eine Sicherheitsmaßnahme. Immerhin sollte sie allein kommen und konnte so sagen, dass sie ihre Gruppe wo anders untergebracht hatte.
Rhana hoffte sehr, dass diese Sachen glaubwürdig waren, denn sie war überraschend nervös. Heute fühlte sich das Treffen mit Fürst Javar nicht so an wie sonst. Es war für sie viel bedeutender, weshalb sie auch angespannt auf jedes Geräusch lauschte.
Dadurch brauchte sie viel länger, als sie erwartet hatte. Dazu kam der Weg, der nicht sonderlich einfach zu bewältigen war. Zu Fuß einfacher, als mit der Kutsche, doch bisher hatte sie diesen nie wirklich nutzen müssen. Immerhin hatten sie Drachen, die sehr hilfreich waren.
Rhana wünschte sich, sie wäre nicht allein, während sie an den steinigen Wänden der Gebirge vorbeilief und auf jeden Schritt, den sie tat, achten musste. Ihre Gedanken kreisten, während ihre Beine schmerzten.
Es war etwas ganz anderes, auf Drachen oder gar Kamelen zu reiten, als durch die unebenen Wege des Gebirges zu laufen. Dabei fühlte sie sich klein und unbedeutend.
Rhana hasste dieses Gefühl, doch sie konnte nichts dagegen tun.
Daher war sie auch viel erleichterter, als sie erwartet hatte, als endlich die Taverne in Sicht kam.
Sie spürte zwar die Anspannung noch immer in sich, doch das Gefühl der Unbedeutsamkeit fiel langsam von ihr ab.
Nachdenklich musterte Rhana den Eingang, während sie diesem näher kam. Sollte sie hineingehen oder draußen warten?
Die Wanderung hatte sie mehr angestrengt als gedacht, weshalb sich ein leichter Hunger in ihr breit machte. Wasser hatte sie zum Glück bei sich. Das war ein Überbleibsel ihres Lebens in der Wüste. Nur an Essen hatte sie nicht gedacht. Dazu war sie zu aufgeregt gewesen.
Also betrat Rhana die Taverne und sah sich im fast leeren Schankraum um.
Hier war sie mittlerweile so oft gewesen, dass sie sich nicht unwohl fühlte.
Der Wirt blickte auf und nickte ihr kurz zu, bevor er sich wieder seinen anderen Arbeiten widmete.
Rhana schritt auf den Tisch zu, den sie immer nutzte und ließ sich nieder.
Ihr war gerade eine Suppe serviert worden, als ein fremder Mann die Taverne betrat.
Er blieb kurz nach der Tür stehen und sah sich suchend um.
Rhana widmete ihm nur einen kurzen Blick, denn er trug einen weiten Mantel und war daher kaum zu erkennen.
Als sie sich jedoch ihrer Suppe widmete, bemerkte sie, dass er auf sie zuschritt und schließlich vor ihr stehenblieb. »Seid Ihr Lady Rhana Tavanis?«, fragte er mit rauchiger Stimme.
Rhana lief ein Schauer über den Rücken und sie ließ von der fast leeren Suppe ab. Diese rumorte in ihrem Bauch.
Vielleicht hätte sie doch nichts essen sollen. Immerhin war sie noch immer reichlich nervös.
»Wer möchte das wissen?«, fragte sie leise und versuchte gefasst zu bleiben.
Der Mann schob die Kapuze zurück. Darunter kam ein junger Mann zum Vorschein, der gut gepflegte Haare hatte. Ohrringe baumelten an seinem linken Ohr und aus dem unheimlichen Mann wurde plötzlich ein ganz ansehnlicher Adliger. »Fürst Javar schickt mich«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Ich habe die Aufgabe, Euch abzuholen.«
Rhana runzelte die Stirn. Fürst Javar kam nicht persönlich?
Wenn sie jedoch darüber nachdachte, war es gar nicht so verwunderlich. Als würde er sich die Arbeit machen und sie selbst zu den Minen führen. Der Weg musste anstrengend sein.
Rhana hatte zwar ein mulmiges Gefühl, doch das hielt sie nicht davon ab, sich zu erheben. Sie legte ein paar Münzen auf den Tisch und nickte dem Mann, der sich noch gar nicht vorgestellt hatte, zu.
Dieser deutete ihr an, ihm nach draußen zu folgen.
Überrascht bemerkte sie das Tier, das dort auf sie wartete. Es ähnelte einem Pferd, war jedoch etwas kleiner und sein Kopf etwas breiter. Das Fell hatte eine einheitliche, graue Farbe und der Sattel, der auf dem Rücken des Tieres lag, wirkte unscheinbar, aber gemütlich.
Mittlerweile hatte Rhana einen Blick dafür, denn sie hatte Idris sehr oft dabei zugesehen, wie er Sattel für die Drachen machte oder reparierte. Diese nutzten sich recht schnell ab, weshalb sie regelmäßige Wartung brauchten.
»Bitte steigt auf, Lady«, bat der Mann, der ihr sogar Hilfestellung anbot.
Rhana brauchte das jedoch nicht. Sie war damit aufgewachsen, auf Kamelen zu reiten, weshalb es ihr nicht schwerfiel, auf dieses kleinere Pferd zu steigen.
So ein Tier hatte sie noch nie gesehen, doch sie ging davon aus, dass es einfach ein Pferd war, das man hier züchtete.
Als sie saß, nahm der Mann die Zügel. »Bitte haltet Euch gut fest«, bat er, bevor er sich in Bewegung setzte.
Rhana spürte, wie sie ein wenig geschüttelt wurde, doch schnell hatte sie sich daran gewöhnt. Es war fast so, als könnte sie jetzt, wo sie auf einem Drachen geritten war, mit jedem Tier klarkommen.
»Wie lange wird es dauern?«, fragte sie, denn schon bald lag die Taverne hinter ihnen. Rhana hätte vermutlich Angst gehabt, da sie nun mit einem fremden Mann im Gebirge war, in dem sie sich nicht auskannte und in dem es gefährlich war, allerdings wusste sie, dass Idris auf sie aufpasste.
»Der Weg ist weit, Mylady. Bitte habt ein wenig Geduld«, bat er Mann, der sich scheinbar sehr gut auskannte. Er führte sie Wege, die nicht ganz so gefährlich anmuteten. Dabei lief er recht schnell, als wüsste er, wo er aufpassen musste und wo er keine Gefahr zu erwarten hatte.
Rhana sah sich um, während sie darauf vertraute, dass der Mann das Tier führte.
Es verging eine ganze Weile, bis Rhana das Gefühl hatte, dass sie Stimmen hörte. Sie konnte nicht verstehen, was sie sagten, doch sie war sich ziemlich sicher, dass es sich nicht um den Wind handelte.
»Wir sind gleich da«, informierte der Mann sie, bevor er das Tier um einen Felsen herumführte.
Jetzt waren die Stimmen so deutlich, dass Rhana einzelne Worte aufschnappen konnte. Den Inhalt verstand sie noch ganz, doch es herrschte Aufregung.
Rhanas Blick wanderte umher und dann sah sie die erste Person in ihrem Blickfeld auftauchen.
Es war ein älterer Herr mit einer Spitzhacke. Er stützte sich auf dieser ab und schien wohl gerade Pause zu machen, denn für Rhana wirkte er wie ein normaler Bergarbeiter. Zumindest so, wie sie sich diese vorgestellt hatte.
In seiner Nähe stand ein Karren mit Steinen, der auf Schienen stand, die über den Boden gingen. Als sie diesen mit ihrem Blick folgte, landete sie bald bei einer Höhle, die in den Felsen führte. Dort standen weitere Männer, aber auch zwei Frauen. Sie alle trugen Spitzhacken und leichte Kleidung, sodass man sehen konnte, dass ihre Haut dreckig war.
Entweder saßen sie am Boden oder lehnten an den Wänden. Der Duft von gebratenem Fleisch lag in der Luft, doch noch erkannte Rhana den Ursprung nicht. Es verstärkte jedoch ihren Eindruck davon, dass sie gerade Pause machten.
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