Kapitel 58
Rhana starrte auf die beiden Messer, die sie in ihrer Hand hielt. Idris nannte sie Schmetterlingsschwerter, doch für Rhana sahen sie aus wie längere Messer.
Die beiden Klingen waren breit und einschneidig. Zudem so lang wie ihr Unterarm. Das Heft war von Parierbügeln umgeben, weshalb Idris der Meinung gewesen war, es wäre eine gute Waffe für sie.
Rhana wandte sich zu Idris um, der hinter ihr stand und sie beobachtete. »Glaubst du wirklich, dass sie für mich geeignet sind?«, fragte sie, obwohl sie selbst nach einer Waffe zum Angriff gefragt hatte.
»Meiner Meinung nach reicht dein Schild, aber du wolltest unbedingt«, bemerkte er und schmunzelte, als würde er sie ärgern wollen.
Rhana blickte auf das glänzende Metall und schluckte schwer. Als sie nach einer Waffe zum Angriff gefragt hatte, hatte sie irgendwie mit etwas weniger Gefährlichem gerechnet. Mit einem Stab oder einer Keule. Aber diese Dinger waren scharf. Damit würde Blut fließen, das wollte sie nicht.
»Machst du das, um mich zu ärgern?«, wollte Rhana wissen, der es nicht einmal gefiel, diese scharfen Waffen zu tragen.
»Nein. Ich möchte nur, dass du verstehst, was es heißt, eine gefährliche Waffe zu tragen«, bemerkte Idris recht nüchtern.
Rhana zwang sich dazu, sich langsam auf das Gestell mit den Waffen zuzubewegen und die Klingen zurückzustellen. »Ich möchte lieber etwas ohne Klingen«, bemerkte sie und blickte mit großen Augen zu Idris.
Dieser schmunzelte. »Ja. Das passt auch besser zu dir«, sagte er gut gelaunt, bevor er auf das Gestell zuschlenderte und zwei längere Stäbe hervorzog. Rhana erkannte, dass sie im Rechtenwinkel eine Art Griff besaßen. »Diese hier nennt man Tonfa«, sagte er und reichte sie Rhana.
Diese nahm die Griffe und besaß sich das Holz. Es fühlte sich seltsam an und sie verstand auch nicht genau, was sie damit anfangen sollte.
Idris betrachtete ihre Reaktion und schmunzelte. »Sieh doch einfach ein, dass eine Waffe nichts für dich ist«, neckte er noch einmal, was dafür sorgte, dass Rhana ihn böse ansah. »Außerdem bringt eine solche Waffe gegen einen Artefaktnutzer auch nichts.«
Rhana verzog die Lippen. »Und wie soll ich dann angreifen?«, fragte sie, während sie sich einen kurzen Moment vorstellte, wie sie mit diesen Tonfa Lewin schlug, wenn er ihr zu nah kam. Es gab ihr ein gutes Gefühl, auch wenn sie genau wusste, dass sie nicht in der Lage sein würde, jemanden wirklich zu verletzen. Scheinbar wusste das auch Idris. Vermutlich war er nur mit ihr hier draußen, damit sie auf andere Gedanken kam.
Plötzlich wurde Idris ernst. »Ich verstehe deinen Wunsch danach, dich zu verteidigen«, sagte er und legte ihr eine Hand auf die Schultern. »Aber tu nichts, was du nicht tun willst. Manchmal ist es besser, wenn man gar nicht erst die Möglichkeit hat, gefährlich zu werden«, sagte er eindringlich. Rhana verstand nicht ganz, was er ihr damit sagen wollte, doch den Schmerz in seiner Stimme konnte sie durchaus hören.
Sie stieß die Luft aus, denn es schien, als hätte sie mit dieser Bitte irgendwas in Idris ausgelöst, was ihn schmerzte. »Kannst du mir dann sagen, wie ich mit meinem Schild ... Ich weiß nicht ... Hilfreicher sein kann, außer zu verteidigen?«, fragte sie und blickte hoffnungsvoll zu ihm auf.
»Warum willst du das, Rhana?«, fragte er sanft und legte seine Hand an ihre Wange. »Drachenreiterin sein heißt nicht, mit Waffen kämpfen zu müssen.«
Rhana biss sich auf die Lippen. Es klang wirklich, als würde Idris versuchen, sie davon abzuhalten, zu das Kämpfen zu lernen. War das der Grund, warum sie noch immer nicht auf Goblinjagd gingen?
»Und was soll ich dann tun?«, fragte sie nicht so begeistert. »Die Bösewichte festhalten und hoffen, dass jemand anderes sie für mich erledigt?«, fragte sie spitz und beleidigt.
Idris lachte leise und ließ von ihr ab. »Auch wenn ich es mag, wenn du so bist wie gerade«, sagte er und tätschelte ihren Kopf, als wäre sie ein kleines Kind, was Rhana nur noch mehr aufregte. »Aber ja. Genau das solltest du tun.«
Rhana blickte ihn noch immer beleidigt an. »Und warum hast du mich dann hier raus geschleppt?«, fragte sie, wobei sie nicht genau wusste, warum sie auf einmal so emotional war. Idris hatte ihr nichts getan, sie sollte wirklich netter zu ihm sein. Allerdings spielten ihre Emotionen noch immer recht verrückt.
Idris kratzte sich am Hinterkopf, während er grinste. »Also ehrlich gesagt wollte ich deine Reaktionen auf die Waffen sehen«, gestand er neckend und grinste sie an.
Rhana hob eine Augenbraue, bevor sie sich umsah. Der Bereich gehörte noch zum Familientrakt und war umgeben von hohen Bergen, die als Sichtschutz dienten. »Was ist das eigentlich hier?«, fragte sie neugierig geworden. Es schien nicht viele Orte zu geben, wo Idris hier mit ihr hingehen konnte, wenn er diesen ausgewählt hatte.
»Hier übe ich immer mit meinen Eltern«, erklärte Idris schulterzuckend.
»Also eine Art privates Trainingsgebiet?«, fragte sie, wobei sie sich vorstellte, wie Idris die verschiedensten Waffen führte.
Dabei stieg eine eigenartige Wärme in ihr auf, denn ihr Kopf malte sich das Bild sehr deutlich aus. Seine Eleganz mit den Muskeln, die sie bei der Umarmung gespürt hatte ...
Rhana richtete ihren Blick auf die Berge, die sie umgaben, um nicht an Idris und dessen anziehenden Körper zu denken.
Wann hatte sie derlei Gedanken überhaupt entwickelt?
»So könnte man es nennen, ja«, stimmte Idris zu, der die Waffen fein säuberlich zurückräumte. »Leider gibt es nicht sehr viel mehr, was ich dir hier zeigen könnte, um dich abzulenken.«
Rhanas Lippe zuckte. »Dein kleiner Exkurs in Waffen hat mich tatsächlich auf andere Gedanken gebracht«, sagte sie, wobei sie nicht genau wusste, ob es nicht Idris selbst war, der ihre Gedanken bestimmte. Fakt war nur, dass sie nicht mehr an Lewin denken musste und das war gut.
Stattdessen dachte sie jedoch an alles, was Idris ihr zeigte und auch an das, was er ihr verheimlichte. Es gab vieles, das sie über ihn nicht wusste, aber sie verbrachte sehr gern Zeit mit ihm.
Langsam trat Rhana auf ihn zu und nahm seine Hände in ihre. Sie spürte, dass Idris diese in einem Reflex zurückziehen wollte, es aber dann doch ließ. Trotzdem war das ein gewisses Zittern. »Außerdem«, flüsterte sie und strich sanft mit ihren Fingern über seine Handschuhe. »Hast du mich wieder daran erinnert, dass es wichtigere Dinge gibt«, sagte sie, denn Idris musste Schmerzen haben. Sie hatte Nae nicht einfach nur so gesagt, dass es wichtiger war, ihren Auftrag zu erfüllen, bevor sie sich mit anderen Sachen beschäftigen konnte.
Idris senkte den Blick. »Du bist nicht schuld daran«, sagte er, als wäre das der Grund, warum Rhana so betrübt klang.
»Ich weiß, aber ich möchte dir trotzdem helfen. Wenn wir Javar und seine Leute schnappen ... dann gibt es die Chance, dass du geheilt wirst, oder?«, fragte sie, denn so hatte es Nae formuliert.
Idris wich ihrem Blick aus. »Vielleicht«, erwiderte er mit belegter Stimme. »Ich möchte dich nicht anlügen. Aber ... es könnte durchaus sein ...«, setzte er an, doch als Rhana seine Hände fester drückte, hielt er selbst inne.
Als er zu ihr schielte, bemerkte er die leichten Tränen in ihren Augen. »Es ist ein Versuch wert«, sagte sie ernst. »Also sollten wir uns zuerst darauf konzentrieren.«
Idris blickte zu ihr, doch Rhana konnte nur schwer sagen, was in seinem Kopf vor sich ging.
Er beugte sich ganz langsam vor, bevor er sanft ihre Lippen küsste.
Rhana erstarrte und für einen Moment musste sie an Lewin denken, bevor sich Wärme in ihr breit machte und die Ängste verdrängte.
Idris Duft stieg ihr in die Nase und ließ sämtliche Anspannung von ihr abfallen.
Entspannt schloss sie die Augen, während sie die sanfte Wärme auf ihren Lippen genoss.
Dann, plötzlich, zog sich Idris zurück, sodass sie selbst seine Hände nicht mehr halten konnte. »Entschuldige«, flüsterte er schuldbewusst. Als Rhana ihre Augen wieder aufschlug, erkannte sie die leichte Röte in seinem Gesicht. »Ich hätte das nicht tun sollen.«
Rhana hob ihre Hand und fuhr mit ihrem Finger vorsichtig über ihre Lippen. Sie hatte Idris Geschmack auf diesen, der sie an die Tees erinnerte, die er ihr serviert hatte. »Es hat mir gefallen«, erwiderte sie, wobei sie selbst nicht genau verstand, wieso.
Lewins Kuss hatte sie völlig angewidert, aber bei Idris wünschte sie sich, er würde sie erneut küssen.
Sollte es sich so anfühlen?
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