Kapitel 35
Als Rhana schließlich mit Kisa wieder landete, hatte sie das Gefühl, ihr ganzer Körper zitterte vor Anstrengung. Dieses Mal war sie allerdings nicht sonderlich lang geflogen. Vielleicht zwei oder drei Stunden. Trotzdem war sie völlig erschöpft.
Lir war ein guter Lehrer, doch nicht ansatzweise so geduldig und vorsichtig wie Idris. Er hatte sie mit einigen Manövern ganz schön gefordert.
Trotzdem war der Ritt ohne Sattel viel angenehmer gewesen. Ihre Beine taten zwar weh, doch als sie von Kisa rutschte, hatte sie noch genug Kraft, um stehenzubleiben.
Ihr Kopf rauschte an Informationen, die sie sich merken sollte, doch jetzt, wo sie wieder stand, schien sich zumindest ihr Körper wieder zu beruhigen.
»Das nächste Mal wird Idris wieder mit dir fliegen. Du hast dich ganz gut angestellt«, bemerkte Lir, der Kisa tätschelte.
Diese schien von dem Lehrer sehr angetan, denn sie rieb immer wieder ihren Kopf an dem Mann. Rhana wunderte sich, dass diese ihn nicht damit umschmiss, aber Lir stand wie ein Fels in der Brandung.
»Danke für den Unterricht«, sagte sie und verneigte sich leicht. »Ich gebe mir Mühe, beim nächsten Mal darauf zu achten, alles richtig zu machen.« Immerhin hatte sie einige Fehler gemacht, die sie ausmerzen wollte.
»Gib dein bestes«, erwiderte Lir lediglich, was Rhana kurz schmunzeln ließ.
»Ich werde mich dann jetzt zurückziehen«, sagte sie und wandte sich um, bevor sie überrascht stehenblieb. Im Schatten des Tunneleinganges stand Lewin und starrte sie an.
Rhana rann ein Schauer über den Rücken. Sie hatte versucht, sich von ihm fernzuhalten, doch jetzt kam sie nicht drumherum, an ihm vorbeizugehen.
Allerdings war sein Blick überraschend glatt und ruhig. Die Wut, die sie das letzte Mal gesehen hatte, schien verraucht. Das war gut, denn dann war sie vielleicht doch nicht der Grund dafür.
Als sie an ihm vorbei ging, schenkte sie ihm ein kurzes Lächeln, wurde jedoch aufgehalten. »Rhana«, sagte er, wobei seine Stimme rau klang. »Ich möchte mir dir reden«, fügte er hinzu, wobei sein Blick auffordernd war.
Rhana überraschte das nicht unbedingt. Sie hatte sich etwas in die Richtung bereits gedacht.
»Kann ich Kaza mitnehmen?«, fragte sie, denn die Drachin war schon zu lange im Zimmer.
»Ja. Der Ort, wo ich mit dir hin will, ist Babydrachensicher«, versicherte Lewin, der seine Hand von ihrer Schulter nahm.
Rhana fühlte sich damit nicht so ganz wohl. Er wollte wohl mit ihr allein sein, was dafür sorgte, dass sich in ihrem Magen ein Knoten bildete. War er noch immer wütend auf sie und zeigte es nur nicht?
Während sie Lewin zu ihrem Zimmer folgte, um Kaza zu holen, hatte sie ein immer schlechteres Gefühl. Was sollte sie mit der Situation anfangen? Vielleicht machte sie sich zu viele Gedanken und er wollte wirklich einfach nur mit ihr sprechen. Aber die Art, wie er es formuliert hatte ...
Rhana öffnete die Tür und sofort kam Kaza angerannt. Sie trug das Ledergeschirr, damit sie sich daran gewöhnte, doch die Leine selbst hing noch an der Tür.
Fiepend breitete Kaza die Flügel aus und sprang Rhana förmlich in die Arme, bevor sie ihren Kopf an Rhanas Kinn drückte und sich an ihr rieb.
Sofort wurde Rhanas Laune besser und sie lachte leise, während sie Kaza sanft streichelte. Dieser Drache war einzigartig süß.
»Was hat Kaza da?«, fragte Lewin, der die Drachin nachdenklich musterte.
»Ein Geschirr«, erwiderte Rhana, die sich die Leine dazu nahm und Kaza diese anlegte. Die Drachin fiepte lediglich, als wüsste sie, dass sie jetzt wieder raus durfte.
»Warum das?«, wollte er verständnislos wissen. Für Lewin schien es keinen Grund zu geben, Kaza dieses anzulegen. »Es sieht schrecklich an ihr aus. Mach es wieder ab.«
Rhana hob eine Augenbraue. »Damit Kaza sich aus Versehen den nächsten Berg herunterstürzt?«, wollte sie wissen, denn daran schien Lewin nicht zu denken.
Dieser winkte lediglich ab. »Sie ist eine Drachin. Das wird sie schon nicht tun«, bemerkte er, als wäre er sich dabei sehr sicher.
Rhana jedoch ignorierte seine Aussage. Sie wusste nur zu gut, dass Kaza die Gefahr noch nicht einschätzen konnte und darauf, dass Lewin ihr half, konnte sie auch nicht vertrauen.
»Sie ist so klein, dass der Wind sie wegfegen könnte«, bemerkte Rhana, die Kaza wieder absetzte und die Leine hielt.
Sofort begann Kaza zur Tür zu rennen, hielt aber inne, als die Leine sich zu sehr spannte. Ihr Blick wanderte abwartend zu Rhana, als verstände sie, wie das mit der Leine funktionierte.
»Du bist übervorsichtig«, meinte Lewin, der allerdings nur mit den Schultern zuckte. »Hier lang«, wies er sie an und ging voraus.
Kaza folgte ihm und Rhana lief ein kleines Stück hinter ihm.
Sie wusste nicht genau, wo er hin wollte, war aber neugierig. Er hatte etwas davon gesagt, dass es Drachenbabysicher war. Daher glaubte sie an eine Höhle und war entsprechen verwirrt, als er sie eine Art Treppe nach unten führte. Sie ging um einen Berg herum, was Rhana nervös machte. Es gab zwar Stricke an den Seiten, damit man nicht viel, doch je länger sie liefen, desto wackeliger wurden ihre Beine. Wenn sie daran dachte, wieder hochlaufen zu müssen, hätte sie am liebsten geschrien. Allerdings wollte sie Lewin gegenüber auch keine Schwäche zeigen.
Kaza störte sich daran nicht. Sie hoppelte die Treppen hinab und blickte immer wieder über den Rand nach unten.
Rhana fragte sich, wie ohne das Geschirr diesen Weg hätte bewältigen sollen. Wie hatte sich das Lewin vorgestellt? Hatte er überhaupt darüber nachgedacht?
Rhana starrte seinen Rücken an. Er lief selbstsicher und recht ruhig, als würde die Höhe ihm nichts ausmachen. Ihr hingegen schlotterten die Beine, während sie Angst hatte, der stürmische Wind würde sie von den Füßen reißen.
Wie lange war dieser Weg noch und wann waren sie da?
Da Rhana sehr auf die Stufen vor sich blickte und vermied hinabzusehen, bemerkte sie auch nicht, dass sie sich einem kleinen Tal näherten. Sie spürte lediglich, wie der Wind etwas nachließ.
Als sie schlussendlich einen Fuß auf grüne Wiese setzte, blickte sie überrascht auf.
Sie waren umgeben von hohen Bergen, doch hier war eine Fläche die grün war und einige Büsche und sogar einen Baum aufwies. War das ein kleines Tal im Gebirge? Gehörte es zur Schule? Vermutlich, wenn eine Treppe hinabführte.
»Wo sind wir hier?«, fragte Rhana, die sich umsah. Konnte sie Kaza hier vielleicht wirklich losbinden, sodass sie die Umgebung erkunden konnte?
»Das ist eine Art Innenhof. Yuvan hat sie mir gezeigt«, bemerkte Lewin, der zu einem Busch ging, hinter dem eine einfache Holzbank versteckt war. Er ließ sich darauf nieder und klopfte neben sich.
Zögernd trat Rhana auf ihn zu. Sie wollte sich umsehen, doch ihre Beine zitterten noch immer etwas, weshalb sie sich wohl ausruhen sollte.
»Du bist heute mit ihm fliegen gewesen, oder?«, fragte sie, während sie die Sonne genoss. Es fühlte sich wirklich gut an, wieder festen Grund unter sich zu wissen, auch wenn es langsam in den Höhlen besser wurde. Trotzdem fehlte ihr die Natur sehr.
»Nein. Wir haben heute mit unseren Artefakten herumprobiert«, erwiderte Lewin, der sich entspannt an den Baum lehnte, an dem die Bank stand. Sie umrundete diesen vollständig und war an einigen Seiten von Büschen umgeben, sodass man sich etwas geschützter fühlte.
»Oh, wirklich?« Rhana wusste nicht, was Lewins Artefakt konnte. Sie wusste ja nicht einmal, wie ihr eigenes funktionierte. »Aber ist das nicht gefährlich ohne Lehrer?«, wollte sie wissen, auch wenn ihr klar war, dass das hier eine sehr ungewöhnliche Schule war.
Sowohl was Lehrer als auch Schüler betraf.
Lewin zuckte die Schultern. »Ist ja alles gut gegangen. Willst du wissen, was ich damit alles kann?«, wollte Lewin wissen. Bevor Rhana sagen konnte, dass er es ihr erzählen konnte, aber nicht zeigen musste, streckte Lewin den Arm mit dem seltsamen Armband aus.
Rhana wurde klar, dass es sich um das Artefakt handeln musste, doch bevor sie fragen konnte, lösten sich die einzelnen Elemente und schossen wie Seile nach vorn.
Überrascht schnappte Rhana nach Luft, denn im ersten Moment glaubte sie, dass es Schlangen waren, die nach vorn schossen.
Ihr Herz raste, denn vor Schlangen musste man sich in Acht nehmen und ihr Körper hatte darauf reagiert, obwohl es nicht stimmte.
Nur langsam beruhigte sie sich wieder, während Lewin begann davon zu schwärmen, was sein Artefakt alles kannte.
Rhana blieb sitzen, beobachtete Kaza und hörte einfach zu. Sie war erleichtert, dass er scheinbar wirklich einfach nur reden wollte und nicht ansprach, dass sie sich von Idris fernhalten sollte. Vielleicht hatte auch die Tatsache, dass sie heute mit Lir geflogen war, ihn beruhigt.
Was auch immer es war, Rhana lehnte sich zurück und ging ihrer Pflicht als Verlobter nahm, während Lewin voller Begeisterung erzählte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro