Kapitel 20
Ich schüttle meine Gedanken ab, nehme meine Hand wieder von der Wunde und wische sie dann an meiner Hose, die von den Hungerspielen etwas dreckig ist, ab. Die klebrige Substanz lässt sich mehr oder minder gut in diese reiben, denn ein wenig bleibt doch noch auf meiner Hand picken. Um zu überprüfen, ob es denn wirklich Blut ist – auch, wenn es eigentlich nichts anderes sein kann -, rieche ich an dieser. Der metallische Geruch bestätigt meine Vermutung.
Weil mir nichts Besseres einfällt, wie ich aus diesem stockdunklen Raum hinaus könnte, beginne ich, an der Wand entlang zu gehen, mit der rechten Hand - auf welcher nicht mein eigenes Blut klebt - über die diese zu fahren, um eine eventuelle Tür, einen eventuellen Ausgang, finden zu können.
Nachdem ich einige Male fast über meine eigenen Füße gefallen wäre, ertaste ich tatsächlich zuerst eine Ecke, ehe dann ein paar Meter weiter eine Einwölbung zu spüren ist. Hoffnung keimt in mir auf und ich bleibe stehen, taste die Einwölbung, die von der Länge her durchaus eine Tür sein könnte, nach einem Türknauf ab.
Kurz darauf fühle ich auch schon einen metallenen Knauf und versuche, diesen runter zu drücken. Erfolglos. Am liebsten würde ich meinen Kopf gleich mehrmals gegen die Tür schlagen. Natürlich! Die Tür ist abgeschlossen. Das hätte ich wirklich erwarten können, schließlich bezweifle ich, dass sie hier – wo auch immer ich zu sein vermag – jegliche Türen offen lassen. Sie haben immerhin auch keinen Grund dazu. Kurz seufze ich auf meinen Denkfehler hin und ignoriere den stechenden Schmerz der Wunde auf meinem Oberkörper, welcher sich wieder bemerkbar macht.
Mir bewusst seiend, dass die Idee von hinten losgehen kann, hämmere ich dann gewaltig gegen die Tür.
Vielleicht würde mich ja jemand hören.
Bemerken.
Und dann? Schließlich kann ich davon ausgehen, dass sie weniger begeistert wären, hier eine Person vorzufinden, die eigentlich tot sein sollte. Aber es wäre immerhin besser als hier, in dem Raum, wo es einfach bestialisch nach Leichen stinkt, aufgrund von Hunger oder Durst zu sterben. Oder vielleicht gar aufgrund der Wunde. Da erscheint mir die gewählte Alternative noch am attraktivsten.
Mit etwas Glück könnte ich Cato auch wiedersehen...
Der Gedanke daran, dass wenigstens er in Sicherheit ist, dass es ihm gut geht, beruhigt mich ein wenig.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, nach der ich schon gar nicht mehr geglaubt hätte, dass jemand öffnen würde, wird die Tür außen von einer Person aufgerissen, die in eine Rüstung gepackt ist. Ein Friedenswächter. Das Licht, das von dem Gang, welcher durch die Tür mit dem Leichenraum verbunden ist, jetzt auch zu mir dringt, scheint für meine Augen, die nun längerer Zeit der absoluten Dunkelheit ausgesetzt waren, viel zu hell. Ich kann dem Drang, die Augen zusammenzukneifen, kaum widerstehen.
„Guten Tag", gebe ich nach ein paar Sekunden etwas unsicher von mir, da der Friedenswächter nichts sagt, mich nur perplex ansieht, während er noch immer den Türknauf in der Hand hält und fast schon einen Schritt in den Türrahmen gemacht hätte.
„Du ... Solltest doch schon tot sein", kommt es nun irritiert vom Friedenswächter, der noch immer nicht so recht zu wissen scheint, was er machen soll, wie er mit der Situation umgehen soll. „Sehr nett von Ihnen", erwidere ich, vielleicht eine Spur zu frech und grinse leicht. Dieser jedoch scheint meine Aussage kaum wahr zu nehmen, zu sehr schockiert ihn wohl die Tatsache, dass ihm hier eine vermeintliche Leiche gegenüber steht, welche sich wohl auch einige Zeit im Leichenraum aufgehalten haben muss.
Mein Blick schweift vom Friedenswächter kurz zu meiner linken Hand, um festzustellen, dass sich auf dieser eine leichte Blutkruste gebildet hat. Was ich weniger schlimm finde. Schließlich kann ich Blut sehen, auch mein eigenes. Zwar sehe ich es nicht so gern wie das Blut anderer Menschen, aber solange es mich nicht umbringt, soll es mir auch recht sein.
„Was mache ich denn nun mit dir...?" Das Murmeln des Friedenswächters lässt mich von meiner Hand aufblicken, meinen Blick wieder zu ihm wandern. Ich zucke nur mit den Schultern. Wobei ich ja sehr dafür wäre, einfach frei gelassen zu werden, zu Cato zu dürfen...
Just in diesem Moment bleibt jemand hinter dem Friedenswächter stehen. Präsident Snow.
„Du lebst noch...?" Auch in des Präsidentens Gesicht macht sich Verwunderung breit. Und Schock. Mit einer Handbewegung gibt er dem Friedenswächter zu verstehen, dass er gehen soll und nimmt dann seinen Platz ein.
„Scheint wohl so", sage ich mit fester Stimme, Schüchternheit kenne ich nun einmal nicht. Nicht einmal vor einem Präsidenten. Nicht einmal vor Snow. „Aber ... Das darf nicht sein! Das kann nicht sein! Du solltest tot sein! Hörst du? Tot!" Aus seiner Stimme war pures Verzweifeln zu hören. Richtig erbärmlich für ihn, wenn man beachtet, dass er der Präsident Panems ist und ich ... Nun einmal ein Mädchen bin, das so gut wie kein Anderer mit Messern werfen, mit diesen töten, kann. Da ich aber kein Messer bei mir habe – ich bin echt froh, dass sie den Leichen nicht ihre Kleidung ausziehen oder es bei meiner „Leiche" zumindest bislang nicht taten -, ist diese Tatsache im jetzigen Moment wohl eher weniger von Bedeutung.
„Was mach ich nur mit dir?" Verzweifelt schüttelt er den Kopf und blickt mich weiterhin an. „Keine Ahnung. Darf ich zu Cato?", werfe ich einfach spontan ein, in der festen Überzeugung, dass er dies sowieso nicht genehmigen würde. Entgegen meiner Erwartungen aber nickt dieser nur, sagt: „Mach das. Ich muss sowieso noch ein wenig in Ruhe nachdenken. Cato liegt in Raum 42¹. Später komme ich dann zu euch." Dankbar nicke ich.
Just in diesem Moment fällt mir ein, dass sich diesmal gar nichts von seiner Kälte bemerkbar macht, seiner kalten Art, die man ihm zuträgt. Zwar bin auch ich ihm vom Charakter her sogar recht ähnlich, dennoch müsste mir so etwas auffallen. Das Einzige, was mir auffällt, ist sein unerträglicher Geruch nach weißen Rosen. Er ist viel zu intensiv.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, dränge ich mich an ihm vorbei, spüre seinen Blick auf mir und gehe dann nach rechts. Als ich so durch den Gang gehe, wird mir bewusst, dass ich gar nicht weiß, wo Raum 42 ist. Ich hätte nachfragen sollen.
Auch egal, werde ich schon nach herausfinden.
Ich blicke auf die Beschilderungen der Türen, die sich auf diesem Gang auftun und stelle fest, dass die Zahlen von 40 abwärts gehen. Genervt verdrehe ich die Augen, mache am Absatz kehrt, gehe wieder den ganzen Weg zurück. Und spüre erneut einen stechenden Schmerz, welcher ziemlich launisch zu sein scheint, so oft wie er kommt und geht...
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¹Nein, diese Zahl ist kein Zufall. Wer weiß, weswegen ich ausgerechnet die Zahl genommen haben könnte? *Grinst* Okay... Ich darf eigentlich gar nicht groß darum reden, habe weder den Film dazu gesehen noch das Buch gelesen. Aber trotzdem: Die Zahl ist toll! ... Bevor ich hier noch mehr Blödsinn rede, höre ich lieber damit auf. Man liest sich (vielleicht). Bis im nächsten Kapitel oder so.
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