XXII. Ungehemmter Zorn
Owens Sicht
Noch nie im Leben war ich so wütend gewesen. In mir raste purer Zorn und Adrenalin durch die Adern und mein Herz schlug so fest, dass es schon weh tat. Wenn ich Allek sehen würde, bekäme er es zu spüren. Alles, wirklich alles. Meine Wut, Claires Verzweiflung und Zachs Angst. Wenn ich bedachte, dass Zach hätte sterben können, wurde mir schlecht. Er hatte mir gesagt, dass er gehen würde, doch warum hatte ich ihn nicht einfach aufgehalten? Ihn einfach bei mir gelassen, sodass er nicht mitgehen müsste? Ich wusste es nicht und das brachte mich fast um den Verstand. Dass ich nichts mehr wusste, gar nichts mehr. Es machte mich nur noch fertig.
Mein Blick wanderte zu Claire, die sich rührend um Zach kümmerte. Sie streichelte ihrem Neffen über den Rücken und flüsterte ihm Worte zu, die ich wegen der Entfernung zwischen uns nicht verstehen konnte. Sie saßen auf meinem Bett, da gerade Zach am meisten Ruhe brauchte. Ich hatte ihm vor einigen Minuten angeboten, in meinem Bett schlafen zu dürfen, doch er hatte das Angebot abgelehnt, da es unhygienisch wäre. Mir war es egal, ob es unhygienisch wäre oder nicht. Ich wollte nur das Beste für ihn und dass er sich beruhigen würde, damit er uns alles erzählen konnte.
Ich krallte mich in die lehnen des Rollstuhls, als ein schmerzhaftes Brennen durch mein Rücken zog. Mein Blick wich zu dem Katheter, den ich im Handrücken stecken hatte und der Beutel mit durchsichtiger Flüssigkeit, der an dem Katheter angeschlossen war. Ich hatte keine Ahnung, was dies alles war. Hauptsache, es würde mir helfen und meine verkackten Schmerzen lindern.
„Möchtest du uns es überhaupt erzählen?", fragte Claire ihn leise und beugte sich leicht vor, um ihn besser ansehen zu können.
Zach hatte seine Hände an die Wangen gelegt und seine Ellenbogen auf den Knien aufgestützt. Mit noch roten, geschwollenen Augen schaute er den Mülleimer vor sich an und schien seine Tante nicht einmal beachten zu wollen. Unter seinen Augen hatten sich dunkle, schon fast violette Schatten gebildet und er fuhr sich mit den Fingern über die Schläfen. Es hatte lange gedauert, bis er sich wieder unter Kontrolle bekommen hatte. Zwischendurch hatte er aufgehört zu weinen, doch bevor ich dachte, dass er sich gefangen hatte, brach er erneut in Tränen aus. Noch nie hatte ich ihn so aufgelöst und verzweifelt gesehen.
„J-Ja", hörte ich ihn leise sagen.
Ich schaute zu dem Glas Wasser und nahm eine Tablette aus der Schachtel, die mit anderen kleinen Verpackungen in einer Box verstaut waren. Vorsichtig erhob ich mich aus dem Rollstuhl, sah aus dem Augenwinkel, wie besorgt mich Claire anschaute. Sogar Zach hob den Kopf, ließ ihn jedoch schnell wieder sinken, als unsere Blicke sich trafen. Mit kleinen Schritten, einem Glas Wasser in der einen, der rollbare Ständer mit dem durchsichtigen Zeug und die Tablette in der anderen Hand, ging ich auf ihn zu und hielt sie ihm hin. Langsam hob er wieder den Kopf und schaute mich fragend an.
„Nimm das. Du hast sicherlich Kopfschmerzen", sagte ich ihm leise und er nahm es zögernd an.
Ich blieb vor ihm stehen, bis er die Tablette eingenommen und das Glas ausgetrunken hatte. Dann beugte ich mich leicht vor, was wegen meinem Rücken nicht sehr gut klappte und schaute ihm in die Augen. „Hast du sonst noch irgendwo Schmerzen?", fragte ich ihn.
Er schüttelte nur mit dem Kopf. „Nein, n-nicht wirklich. Also...", stotterte er und fuhr sich durch die Haare. Er atmete tief ein und ließ einem lauten Seufzen freien Lauf. „Wir haben das Auto von T11 gefunden. Es war komplett zerstört. Außerdem fanden wir Kratzspuren an Bäumen, Knochenhaufen und ein Stück einer Uniform. Auf dem Rückweg..." Seine Stimme brach ab und hielt sich den Kopf, als hätte er in diesem Moment starke Schmerzen gehabt.
Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter, da ich wegen meinem Rücken nichts anderes mehr tun konnte und zog seinen Kopf vorsichtig hoch, sodass er mich ansah. In seinen Augen hatten sich wieder Tränen gebildet, doch er schien sie zurückhalten zu können. „Beruhige dich, Zach. Es tut uns wirklich leid, aber wir müssen wissen, was du gesehen hast."
Zach nickte. „O-Okay. Ich... Wir...", stotterte er weiter und sah mich mit einem Blick an, bei dem ich nicht wusste, ob er traumatisiert, traurig oder ängstlich war. „Wir hatten auf dem Rückweg... das Brüllen eines Raptors gehört - wenn man es überhaupt Brüllen nennen kann. Ich wusste sofort, dass es Blue war, aber ihre Schreie wurden immer lauter, es hörte sich so an, als wenn sie direkt neben mir stand."
Er machte eine Pause und ich war ziemlich froh, dass er diese machte. Claire brachte den Rollstuhl zu mir, sodass ich mich hinsetzen konnte, da mich mein Rücken mit jeder Sekunde mehr schaffte. Nachdem ich mich gesetzt hatte, schaute mich Zach eine lange Zeit an. Plötzlich wurden seine Augen groß und er packte mein Handgelenk.
„Owen? Diesen Dinosaurier, den du erwähnt hattest... Der, der bei Blue war, bevor du bewusstlos wurdest", begann er, stockte jedoch und ließ meine Hand wieder los. Er blinzelte einige Male und schaute mich dann wieder fragend an. „Du weißt welchen ich meine, oder?"
Ich nickte und musste schlucken. Wieder hatte ich keine Ahnung, doch das Wissen, welches er besaß, konnte niemand ahnen. Er wirkte mit einem mal nicht mehr so ängstlich wie vorher, eher in sich gekehrt und nachdenklich. „Wir wissen nicht, was es für ein Dinosaurier es ist. Blue hat ihn so gesagt 'aufgenommen' und er läuft mit ihr mit. Es ist noch ein Junges, doch es ist jetzt schon größer als Blue selbst", sagte ich ihm und hoffte innerlich, dass er die ganzen Informationen überhaupt vertragen konnte. Dies schien jedoch der Fall zu sein, als er mich mit zusammen gekniffenen Augen anschaute.
„Es ist kein weiterer Raptor?", fragte er und ich zog die Stirn kraus.
„Nein. Wieso?", meinte ich und spürte, wie es wie ein Blitz durch mich fuhr. Mein Herz schlug schneller als gewollt und ich hatte kurz das Gefühl, dass ich nicht mehr atmen konnte. Doch ich beruhigte mich selbst. „Hättest du gedacht, es wäre ein zweiter Raptor gewesen? Zach, wir haben Überwachungsaufnahmen gesehen und man konnte genau sehen, dass es kein Raptor war."
„Dann-", er stockte wieder und schluckte auffallend laut. Mehrmals schien er seine Worte genau zu überlegen, warf sie jedoch wieder weg und atmete lange aus. Schließlich hob er seinen Kopf wieder und seine Augen wanderten von Claire zu mir und wieder zurück. „Denkt ihr... i-ich bin verrückt?"
Ich fuhr mit dem Oberkörper zurück und versuchte das schmerzhafte Brennen nicht mehr zu beachten. „Verrückt? Wieso? Was hast du denn gesehen?", fragte ich ihn irritiert und schaute Claire fragend an, die meinen Blick nur mit funkelnden Augen wiedergab.
„Ich weiß nicht... Vielleicht hatte ich Halluzinationen, aber ich habe mehrere Raptoren gehört. Es war so echt, dass ich... nicht mehr weiß, ob das einer oder mehrere Raptoren waren. Ich habe aber weder Blue noch irgendetwas anderes gesehen", murmelte er und guckte mich hilfesuchend an. Dann schien ihm der Atem zu stocken. „Doch! Ich habe etwas gesehen. Es waren nur Umrissen, doch diese waren definitiv nicht Blue. Es war größer, aber nicht riesig. Und Blue wäre viel dünner gewesen."
Ich drehte meinen Kopf zu Claire herum, die mich mit einer Mischung aus Schock und einem Regel-das-Blick an. Langsam wandte ich mich wieder zu Zach. „Das, was du gesehen hattest... hast du die Farbe erkannt?", fragte ich ihn und beugte mich wieder vor. Sofort drang ein Stechen und Brennen durch meinen Rücken und ich verzog das Gesicht.
„Nein, aber ich denke, es handelte sich um den anderen Dinosaurier", meinte er und sprang plötzlich vom Bett auf. Wieder fuhr er sich über die Schläfen, massierte sie und wankte von ein Bein aufs andere.
„Du bist nicht verrückt, Zach. Du hast schon für dein Alter vieles, eigentlich schon zu viel gesehen und Allek hätte dich niemals für diese Mission bereitstellen dürfen", sagte Claire, dessen Stimme am Ende des Satzes einen bissigen Ton angenommen hatte. Ihre Augen begannen vor Wut zu funkeln und ich wusste, dass es bei ihr nicht mehr lange dauern würde, bis sie vor Druck explodieren würde. Dann mochte ich mir nicht ausdenken, was hier los wäre. „Komm, ich bring dich zurück zu deinem Zelt. Du solltest dich ausruhen."
„Und ich geh zu Allek und sorge dafür, dass du fürs erste bei keiner Mission mehr mitmachst. Der feine Herr General hat genügend Soldaten, die er in den Wald schicken kann", knurrte ich und erhob mich langsam aus dem Rollstuhl. Claire sah mich warnend an, doch ich ignorierte ihren Blick.
„Owen, du sollst dich auch ausruhen! Es wird Ewigkeiten brauchen, bis du wieder gesund bist, wenn du weiter so machst", ermahnte sie mich und legte ihre Finger unter mein Kinn, sodass ich nicht drum herum kam, sie anzusehen. „Ich werde schon zu ihm gehen und ihn bitten, okay? Du warst heute schon draußen. Du brauchst jetzt dringend Ruhe! Heute war es sehr stressig und das wird dein Körper auf Dauer nicht mitmachen."
Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß jetzt schon, dass Allek Nein sagen wird", machte ich ihr klar und schob den Rollstuhl in Richtung Tür. Hinter mir hörte ich ihr genervtes Stöhnen und fuhr mit dem Wissen, dass mich in dem Moment eine Standpauke drohte, zu ihr herum.
Sie sah wütender aus, als ich dachte. Ihre Augen waren starr auf mich gerichtet und ich glaubte, sie hätte mir am liebsten auf den Rücken geschlagen, sodass ich Schmerzen erlitt. „Warum sollte es denn bei dir besser funktionieren als bei mir?", fragte sie mich und verschränkte die Arme. „Er wird auf mich eher hören, als aus dich!"
„Er wird auf dich hören, weil dir die Insel mal gehört hatte? Eben nicht! Er wird dich auslachen, wenn du ihn fragst! Er macht sich doch sowieso über das Schicksal des Parks lustig, also auch über dich!", fuhr ich sie an und krallte mich am Rollstuhl fest, um nicht umzukippen. Einen Streit brauchten meine Nerven nicht auch noch.
„Und über dich macht er sich nicht lustig? Du stehst bei ihm ganz weit unten, Owen! Merkst du nicht, wie er sich wünscht, dass du endlich weg bist?", fauchte sie mich an und zeigte mit dem Finger auf mich. „Außerdem, warum sollte er denn mehr auf dich hören als auf mich?"
Ich schnaubte. „Weil du ihn ja 'bitten' wirst, Claire!", brummte ich und wollte gerade die Tür öffnen. „Das ist der große Fehler. Du darfst nicht bitten, du musst befehlen! Und das werde ich jetzt tun. Bring ihn zurück zum Zelt, wir treffen uns bei Lowerys Zelt, da ich ein paar Videos über Blue und den anderen Dinosauriern ansehen möchte." Mit diesen Worten hing ich den Beutel mit der komischen Flüssigkeit vom Ständer ab, legte ihn in den Rollstuhl, öffnete die Tür und ließ sie in meinem eigenen Zimmer stehen.
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